Issue 4/1999


Editorial


»Man kann niemals wirklich erschöpfend sagen, wer oder was der/die Andere ist. Wenn man das versucht, läuft man Gefahr, dass das, was man zu sagen hat, zum bloßen Dekor wird.« Trinh T. Minh-ha warnt in einem Gespräch mit Marina Grzinic, das die Titelsektion dieses Heftes eröffnet, vor allgemeinen Schlüssen und vorschnellen Schließungen in der politischen wie kulturellen Debatte um gesellschaftliche Andersheit.

Zu oft reduziert man in gegenwärtigen Diskussionen die Positionen minoritärer Subjekte wie Migrantinnen darauf, Symptome eines totalisierenden Raumes zu sein, der vom abstrakten Kapital und der institutionellen Politik strukturiert ist. Auch wir verwenden im Titel dieses Heftes »Bewegungen« eine Metapher des Raumes. Gegen verkürzende Festschreibungen erscheint es uns jedoch notwendig, genauer danach zu fragen, wer wo wann und warum die Grenzen von Räumen des Anderen verschiebt. Daher geht es in diesem Heft um Bewegungen in und zwischen spezifischen Räumen, um Prozesse in denen sich Identitäten konstruieren, um Orte an denen Subjekte sich situieren, darstellen und ein- oder ausgeschlossen finden. Und zwar im Sinn einer kreativen, also aktiven Unterscheidung vieler verschiedener Figuren des Einschlusses oder Ausschlusses, der Adaption oder Verweigerung.

Also trifft man in »Bewegungen« zum Beispiel auf unterschiedlichen Wegen durch Belgrad auf ein nicht zu homogenisierendes Geflecht von Motiven, das eine Reduktion der dort geführten Debatten um kulturelle Identität auf Begriffe wie Nation oder Ethnie nicht zulässig erscheinen lässt. Auch der Gebrauch und die Distribution von Medien wie Film und Video oder Fernsehen in disasporischen Communities und deren Einfluss auf die Konstruktion hybrider Identitäten, erscheint vielschichtiger, als dass er sich generalisierend fassen ließe. Um nicht - in einem gerade hierzulande allzu verständlichen Kurzschluss - kulturelle und politische Konfliktfelder allein unter dem Schlagwort Rassismus zu diskutieren, fokussiert »Bewegungen« auch auf geschlechtsspezifische Machtdispositive. Und der Netzteil diskutiert die durchaus auch emanzipativen Potenziale neuer Technologien der Bilderzeugung für die eingangs skizzierten Prozesse.

Zum Schluss ein weiteres Zitat aus dem Interview mit Trinh zu ihrem Begriff des »inappropriate/d other« der in ihrer Arbeit als eine Art von Messwerkzeug dient und der doppelt zu verstehen ist: »als jemand, den man nicht vereinnahmen kann, und als jemand unangepasster. Nicht eindeutig anders und nicht eindeutig gleich.« Unbeherrschbar in Bewegung.