Issue 3/2000


Editorial


»Freispruch für Österreich« - so und ähnlich übertitelten die Zeitungen die Nachricht vom Bericht des sogenannten Weisenrates, der im Auftrag der EU über die politische Lage in Österreich erstellt wurde. Nach über sieben Monaten der Beunruhigung und versuchsweisen Sanktionen, die auf das Skandalon der Regierungsbeteiligung einer nationalistischen und xenophoben Partei gefolgt waren, ist nun scheinbar Erleichterung angesagt: für die einen aus dem Grund, dass jetzt nicht mehr -fälschlicherweise - ein ganzes Land unter Quarantäne steht, die ohnehin nicht so drastisch ausgefallen war wie dies propagandistisch gerne beschworen wurde; für die anderen aus dem ganz anderen Grund, dass sie nun eine Art Persilschein für ihre menschenverachtende und zynische Abgrenzungspolitik zu besitzen meinen; und für ganz andere wiederum aus der Einsicht heraus, dass die Probleme, die durch den Anlassfall Österreich auf einer weltweiten Bühne bewusst wurden, nun endgültig nicht mehr in einem ausschließlich nationalen Rahmen zu verhandeln sind.

Grund genug, sich verstärkt den über-nationalen Kanälen von Protestbewegungen, Teil- und Randkulturen zu widmen, die immer schon der Vormachtstellung westlich-neoliberaler Absolutheitsansprüche - zumindest auf symbolischer Ebene- entgegentraten. Sogenannten Subkulturen etwa, deren Konjunktur historisch eng mit dem Aufstieg und Fall des Wohlfahrtsstaat-Modells zusammenhängt; oder jenen Formen von kulturell-politischer Artikulation, die eben erst, auf der genealogischen Grundlage älterer Gegenkulturen, gegen die verheerenden Wirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung erhoben werden. Das vorliegende Heft von springerin fragt nach der Verbreitung, der historischen Verankerung und damit auch nach der Tragweite solcher Protestkulturen: nach den »Subkanälen«, über die sich etwa Jugendkulturstile wie Punk oder Rave unablässig weiterrepliziert haben, ohne dadurch ihre symbolpolitischen Dimensionen jemals ganz zu verlieren; aber auch nach den Blaupausen radikal-demokratischer und oft noch utopischer sozialer Verhältnisse, die über diese »Subkanäle« - meist abseits der globalen Mediengroßunternehmen - in Umlauf gebracht werden. Dass aus den historischen Trümmern alter Imperien und Imperialismen immer wieder neue Entwürfe von »migrierenden« Kulturen entstehen, das belegen jene Undergroundszenen wie sie Rupa Huq und Amardeep Singh in diesem Heft thematisieren. Dass sich im aktuellen Electronica-Bereich auch die Skizze gänzlich neuer Politikmuster abzeichnet, kommt im Interview mit dem Kulturwissenschaftler Jeremy Gilbert zur Sprache. Medial gekoppelt sind diese Szenen an ein aktives, »von unten« gespeistes Produktionsfeld, das sich langsam zwischen Kunst, Pop- und Cyber-Kultur zu installieren beginnt.

Davon ausgehend interessieren auch spezifische »Archäologien« dieser »Kanäle«: etwa welche hybriden Momente der Geschichte der Moderne und ihren Repräsentationssystemen selbst eingeschrieben sind; welche historischen Gestaltungsutopien heute verstärkt in den Übergangszonen von Design, Architektur, Pop und Neuen Medien wiederaufgegriffen oder rekonstruiert werden; oder welche didaktischen Überlegungen im Anschluss an eine weltumspannend gewordene Postmoderne relevant werden, wie Fredric Jameson ausführt. In all dem klingt ein internationalistisches und emanzipatorisches Verständnis von kultureller Praxis an, das auf die Ermächtigung marginaler Subjekte setzt - eine Praxis, deren Überleben ofr genau von jenen Übertragungskanälen abhängt, von denen hier die Rede ist. Diese weiter offen zu halten und zu stärken, bleibt ein Anliegen, dem kein normalisierender »Freiheitsanspruch« Abbruch tun kann.