Issue 3/2025


WANDALA–postcolonial negotiations

Editorial


Zeitgenössische afrikanische Kunst stößt im Globalen Norden immer noch auf zahlreiche Verständnisbarrieren. Zwar gibt es inzwischen keinen Mangel mehr an einschlägigen Ausstellungen, vielfach sind aber deren interpretatorische bzw. kuratorische Vorzeichen nach wie vor von einem recht einseitigen Afrikabild geprägt. Um derlei Vereinfachungen entgegenzuwirken, widmet sich diese Ausgabe einem exemplarischen Projekt, in dem Afrika nicht als Hort von Not und Elend, genauso wenig aber als Projektionsfläche für mythische Überhöhungen fungiert. Vielmehr soll ein Zwischenraum eröffnet werden, der den Komplexitäten afrikanischer Lebensrealitäten und des dort angesiedelten Kunstschaffens gerecht zu werden versucht.
Das Projekt Wandala, das im Zentrum dieser Ausgabe steht, nimmt Bezug auf den realen Ort Wandala, ein ehemaliges Königreich im Norden Kameruns. Zugleich steckt es einen fiktionalen Raum ab, der auf keiner Landkarte zu finden ist. Entstanden ist das Heft in Kooperation mit dem gleichnamigen Ausstellungvorhaben, das, initiiert von Martin Wassermair, ab Oktober 2025 im OK Linz (Offenes Kulturhaus) zu sehen ist. Gezeigt werden Arbeiten, in denen Räume des Andersseins, der Selbstbestimmung und der kreativen Freiheit ausgelotet werden. In dieser Hinsicht versteht sich die Schau als Untersuchung afrikanischer „Dritter Räume“ – hybride Orte, die nicht in sich abgeschlossen sind, sondern offen, unvollständig, erst im Entstehen begriffen. Diese Räume lassen sich auch als Orte der Begegnung, der Reflexion und Imagination beschreiben. Kulturelle, soziale und persönliche Identitäten verschränken sich darin, werden neu definiert und somit in ihrer Vielschichtigkeit erfahrbar.
Im Zentrum stehen drei künstlerische Positionen, die aus unterschiedlichen Regionen Afrikas stammen und die Idee der Dritten Räume auf je spezifische Weise verkörpern. Namafu Amutse (Namibia) verbindet in ihren Fotografien afrikanische Traditionen mit afrofuturistischen Elementen. Frauen, Kinder und nicht-binäre Personen treten mit extravaganten Brillen, Masken und Kopftüchern vor Wüstenlandschaften oder Küsten auf. Traditionelle Owambo-Stoffe oder rituelle Objekte wie etwa Körbe interagieren mit futuristischen Inszenierungen. Dabei entsteht, wie der Autor Nashilongweshipwe Mushaandja festhält, ein Konglomerat an „Owamboness“, das nicht statisch, sondern in ständiger Bewegung ist: Queerness, Fluidität und die kontinuierliche Neuverhandlung afrikanischer Identität machen Amutses Werke zu Schauplätzen einer Neusituierung von Selbst, Geschlecht und kulturellem Erbe.
Mbaye Diop (Senegal) greift in seinen Zeichnungen und Malereien den Topos des Tennisplatzes in den Straßen Dakars auf. Tennis, ursprünglich ein kolonialer Elitesport, wird in Diops Bildern zwischen Marktständen, Autos und Hühnern zum Medium sozialer Praxis. Hier eröffnet sich eine Sphäre, in der koloniale Exklusivität hinterfragt, Begegnung und Verspieltheit ermöglicht und die Vergangenheit des Sports in einen Kontext afrikanischer Autarkie überführt werden. Das Spiel wird zu einem politischen wie sozialen Akt: Es verkörpert die Aneignung ehemals fremdbestimmter Räume und schafft zugleich alternative Möglichkeiten der Interaktion und Identitätserfahrung.
Olivia Mary Nantongo (Uganda) verbindet in ihren Collagen Textfragmente, Schwarze Körper und afrikanische Symbole zu einem kaleidoskopischen Bild von Selbst und Gesellschaft. Nicht zuletzt zeigen ihre Arbeiten, wie sich persönliche und kulturelle mit digitalen Räumen verschränken lassen. Solcherart entstehen introspektive Montagen, in denen gelebte Erfahrungen, digitale Moderne und kulturelles Erbe aufeinandertreffen bzw. neu miteinander in Beziehung gesetzt werden.
In all diesen Ansätzen geht es um „postkoloniale Aushandlungen“, wie es im Untertitel der Ausgabe heißt. Ein wichtiger Bestandteil ist dabei die Reflexion über Medien und Erzählungen afrikanischer Geschichte, der sich die weiteren Textbeiträge widmen. So zeigt etwa die ugandische Filmemacherin Cissy Nalumansi auf, wie staatliche Zensur, koloniale Bildungstraditionen und die Dominanz multinationaler Medienunternehmen die Verfasstheit afrikanischer Narrative einschränken. Nalumansi betont, dass Afrika über vielfältigste eigene Ressourcen, Wissen und kreative Strategien verfügt – etwas, das sie auch in ihren Filmen demonstriert, indem sie anhand der Geschichten afrikanischer Frauen Akte der Selbstbestimmung und eines dezidierten Überlebenswillens inszeniert.
Ergänzend werden Blicke auf überpersonelle Infrastrukturen und deren Kontexte geworfen. So befasst sich das Projekt Songs with the Iron Elephant von Berhanu Ashagrie Deribew und Maren Richter mit der Geschichte der Franko-Äthiopischen Eisenbahn, die einst Äthiopien mit dem Hafen von Dschibuti verband. Illustriert wird hier, wie Infrastruktur soziale Beziehungen prägt, Erinnerungskulturen beeinflusst und Raum für kulturelle Ausdrucksformen schafft. Schließlich erläutert Achille Mbembe in einem ausführlichen Gespräch, wie eine „Wiederverzauberung“ Afrikas konkret vonstattengehen könnte – sofern die afropessimistische Sichtweise überwunden und der Art von Viktimisierung, die über Jahrhunderte ein willfähriges Pendant zu Plünderungen und Drangsalierungen darstellte, eine Abfuhr erteilt wird.
In Summe ist Wandala auf generative Schnittstellen postkolonialer Neuverhandlung ausgerichtet. „Afrikanität“, sofern diese Verallgemeinerung überhaupt berechtigt ist, soll als dynamischer Prozess erfahrbar werden, im Zuge dessen Erinnerung kritisch beleuchtet und die Unverrückbarkeit des Kommenden auf emanzipatorische Weise umgedeutet wird. Künstlerische Praxis zielt in diesem Zusammenhang auf eine Erkundung solch formbarer Afrikanität jenseits kolonialer Vorgaben: Vergangenheit wird darin nicht linear überwunden, sondern nach Möglichkeit transformiert; Zukunft erscheint nicht länger als etwas, dem man passiv ausgeliefert wäre, sondern als treibende Kraft dieses Transformationsgedankens selbst.