Bekannt wurde Lawrence Grossberg als Mitherausgeber des ziegeldicken Cultural-Studies- Readers im Routledge-Verlag. Daneben hat er sich aber auch durch eigene Theorieproduktion verdient gemacht, am bemerkenswertesten mit seinem Buch »We Gotta Get Out of This Place«. In ihm studiert er den Zusammenhang von amerikanischem Neokonservativismus und Popkultur. Grossberg geht darin auch dem Weg der Gegenkultur der sechziger Jahre zu den Polit- und Marketingstrategien der neunziger Jahre nach, jenem Jahrzehnt, in dem das Dilemma von kränkelnder Authentizität versus witzelndem Zynismus deutlich wurde wie nie zuvor. Notausgänge scheinen nicht in Sicht zu sein, schon gar nicht in einem identitätspolitischen Beharren auf Differenz.
Die Fluchtwege aus dem Alltagsleben sind vielleicht tatsächlich versperrt, aber laut Grossberg ist es immer noch der Popbereich und das insbesondere neue Musikformationen, die uns das Leben in dieser despotischen Maschine namens Kapitalismus erträglicher machen.
Welches politische Potential enthält die Populärkultur? Leistet sie dem Rückzug ins Privatleben Vorschub? Und wie? Welche Widerstandsformen gibt es gegen die herrschende Ideologie eines ironischen Zynismus? Lawrence Grossberg, Cultural Studies-Apologet der ersten Stunde und Rock´n´Roll-Professor, schlägt einige dissonante Akkorde über die Deregulierung des ehemals Öffentlichen, die Reregulierung des Alltagslebens sowie den Erfolg der Neuen Rechten an.
Popkultur und Neokonservativismus
Christian Höller: In Ihrem Buch »We Gotta Get Out of This Place« behandeln Sie den Konnex von Neokonservativismus und Populärkultur. Sie behaupten, das Erstarken der Neuen Rechten gehe zu einem Gutteil auf deren Aneignung und Funktionalisierung von Kultur zurück, insbesondere von Populärkultur. Während es seit den achtziger Jahren in der Ökonomie zu einer immer stärkeren Deregulierung kam, wurde die kulturelle Sphäre mehr und mehr reguliert. Welche Rolle spielte die Popkultur genau beim Siegeszug der Neuen Rechten?
Lawrence Grossberg: Der heute fast globale Erfolg der Neokonservativen zeigt sich in etwa so: Die Leute unterstützen die Konservativen, obwohl sie deren Ideologie nicht zustimmen. In den USA hat sich diese Politik nicht auf der intentionalen Ebene durchgesetzt, sondern auf der emotionalen. Ener der Führer der Neokonservativen, Bill Buckley, sagte unlängst in einem Interview: »Zunächst lasen wir viel politische und ökonomische Theorie und entwickelten unsere Agenda. Dann lasen wir viel Kulturtheorie und entwickelten unsere Strategie.« Die Rechte entdeckte, daß die großen sozialen Veränderungen seit dem Zweiten Weltkrieg von der Populärkultur verstärkt wurden. Die Revolution der sechziger Jahre passierte nicht auf politischer oder ökonomischer Ebene, sondern in der Popkultur, indem sich die Gefühle, das Alltagsleben, das Verhalten der Leute, die Art sich auszudrücken und zu bewegen, veränderten. Die Neokonservativen mußten diese Strategie nur aufgreifen und gegen die sechziger Jahre wenden. Diese Leute sind mit Rock´n´Roll aufgewachsen und haben ihn großteils besser verstanden als die Linke. Und sie haben Rock gegen dessen Absichten gewendet. Damit waren sie erfolgreich. Auch Clintons Sieg war ein klarer Erfolg für die Konservativen. Hinter all dem steht die kapitalistische Deregulierung des Marktes und die Schaffung dessen, was Deleuze einen despotischen Markt genannt hat. Dieser Markt dereguliert sich zwar selbst, reguliert aber erbarmungslos alles übrige.
Christian Höller: Gibt es nicht eine Ambivalenz der Neokonservativen gegenüber dem, was Sie »Rock-Formation« nennen? Zum einen die Angriffe, Zensurbestrebungen etc, zum anderen die strategische Aneignung?
Lawrence Grossberg: Wenn man sich die Roc´n´Roll-Kultur als Kommunikationsmedium vorstellt, als Modus, Emotionen und Energien zu organisieren, dann funktionierte sie in den sechziger Jahren als Differenzierungssystem: »wir« gegen »sie«, Insider gegen Outsider. Sie zielte auf eine Veränderung des Alltagslebens ab, nicht unbedingt auf politische Kämpfe. Die Konservativen verwendeten genau diesen Kommunikationsmodus für ihre Ziele. Zum Beispiel entwickelten die Republikaner - als eine Formation der Neuen Rechten - für ihre Wahlkampagnen eine neue Technik. Sie testeten ihre Slogans, indem sie die unmittelbaren, unbewußten, emotionalen Reaktionen von Leuten galvanometrisch maßen. So entstanden Slogans wie »A Thousand Points of Light«. Auf den Einwand, man wisse ja nicht, wie dieser Slogan interpretiert werden würde, erwiderte der Erfinder der Technik: »Darum kümmern wir uns auch nicht. Wir wollen nicht, daß jemand auf die Inhalte eingeht. Bedeutungen stehen nur im Weg. Ein Slogan soll wie ein Rhythmus funktionieren, der die Körper bewegt.« Das hört sich für mich sehr nach Rock´n´Roll an.
Christian Höller: Heißt das, daß Populärkultur in erster Linie affektiv und nicht so sehr inhaltlich funktioniert?
Lawrence Grossberg: Das Interssante an der Musik ist, daß die affektive Dimension - die schiere Energie - der Ideologie,der semantischen und kognitiven Dimension, die Populärkultur auch immer hat, oftmals den Rang abläuft. Diese »überwältigende« Eigenschaft ist im Lauf der Geschichte immer totaler geworden. Ironischerweise gab es in den achtziger Jahren wieder sehr viel politische Musik, und zwar im Mainstream, etwa Sting, Tracy Chapman, Midnight Oil. Soviel ich weiß, ignorierten die Kids aber die Politik einfach. Auch die Rezensenten kümmerten sich nicht um die Botschaften.
Christian Höller: Passierte nicht etwas ähnliches, als weiße Kids begannen, sich HipHop anzueignen?
Lawrence Grossberg: Ich glaube, bei HipHop liegt die Sache ein wenig anders. Die weißen Kids ignorieren die Politik nicht. Es gibt vielmehr eine Art verzweifelter Identifizierung von weißen und schwarzen Kids. Von den fünfziger bis zu den siebziger Jahren haben weiße Jugendliche vorgetäuscht, wie schwarze Jugendliche zu sein. In den neunziger Jahren sind sie es funktional - d. h. ökonomisch, juristisch etc. - tatsächlich. Ein Problem der Linken besteht darin, daß sie, anstatt diese Identifikation zu fördern, die ganze Musikkultur attackiert, von Kooptierung und Ausverkauf spricht. Wir nehmen die Vorstellungswelt dieser Kids nicht ernst, stattdessen kritisieren wir sie, was absurd ist.
Christian Höller: Eine Frage noch zu den Strategien der Neuen Rechten: Sie sprechen nicht nur von der Schaffung einer »Epidemie des Affektiven« sondern auch von »disziplinierter Mobilisierung«. Was meinen Sie damit?
Lawrence Grossberg: »Disziplinierte Mobilisierung« meint im wesentlichen zwei Dinge: Anstatt in aller Öffentlichkeit die Outsider zu marginalisieren oder zu unterdrücken, versucht man heute die Präsenz all jener, die nicht zur weißen Mittelklasse gehören, ganz auszulöschen. Das ist buchstäblich Aufzwingen von Disziplin. Es gibt etwa eine neue Droge namens Ridilin, ein Amphetamin, das, wenn man es hyperaktiven Kindern verabreicht, wie ein Tranqualizer wirkt. Bis zu zehn Millionen Kinder, die unter dem sogenannten »Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom« leiden, bekommen diese Droge verordnet. Simple Langeweile in der Schule wird damit zu einem Syndrom, das es zu disziplinieren gilt. Oder: Anstatt die Obdachlosen einfach einzusperren, werden sie gänzlich aus der Sphäre der Sichtbarkeit entfernt.
Der zweite Aspekt, den ich damit meine, hat mit der traditionellen amerikanischen Vorliebe für Mobilität zu tun, dem Quell des amerikanischen Optimismus. Ich glaube, Mobilität ist immer noch die dominante Ideologie, aber anstatt (sozial) aufzusteigen, gilt es heute, einfach in Bewegung zu bleiben, egal wohin. Geschwindigkeit und Bewegung als Hauptakzent von Techno läßt sich damit vergleichen. Vor Reagan gab es dieses Foucault´sche Bild von Disziplin: Du setzt dich in dein Auto, dein Auto mißt deinen Alkoholpegel, meldet es der Polizei, die dann kommt und dich verhaftet. Gegenwärtig trifft eher folgendes Bild zu: Das Auto mißt deinen Alkoholpegel und sagt dir dann, du sollst nicht fahren. Der Staat braucht gar nicht mehr einzugreifen. Alles ist bereits im Alltag verankert. Die Segregation von Schwarzen und Weißen ist nicht institutionell, sondern geschieht freiwillig im Alltagsleben.
Das Private und das Ironische
Christian Höller: Was sicherlich beim Aufstieg der Neokonservativen eine große Rolle gespielt hat, ist die Tendenz zur Privatisierung, begleitet von einem individuellen Rückzug ins Privatleben. Sie begreifen diesen Hang aber nicht bloß als klassische Fragmentierung, Vereinzelung, sondern sehen mehr darin. Was genau?
Lawrence Grossberg: Im Zuge der disziplinierten Mobilisierung ist die Unterscheidung von »privat« und »öffentlich« zusammengebrochen. Viele sind von der Idee berauscht, daß die Rechte die öffentliche Sphäre deregulieren und die Privatsphäre reregulieren würde. Ich glaube vielmehr, die Unterscheidung hat sich auf so etwas wie Alltagsleben versus institutionelles Leben hin verschoben. Was heute passiert, ist die Deregulierung der Institutionen. Zum Beispiel haben in den USA Institutionen und Konzerne die rechtliche Stellung von Individuen. Korporationen haben also Privatrechte. Was dagegen wieder reguliert wird, ist das Alltagsleben (im Sinn von Lefebvre, also das Weltliche), das eigentlich sehr öffentlich geworden ist.
Christian Höller: In den Siebzigern hieß es, das Persönliche sei politisch, heute, so behaupten Sie, sei das Persönliche das einzig Politische, weil Öffentliches und Privates beide in ein und dasselbe Alltagsleben absorbiert sind. Gibt es hier irgendwo noch einen Platz für das Politische?
Lawrence Grossberg: Nun, es gibt sicher eine Politik des Alltagslebens. Früher habe ich anstatt vom Institutionellen von den Möglichkeitsbedingungen des Alltagslebens gesprochen. Das Grundproblem liegt darin, diese Bedingungen zu erkennen und zu bekämpfen. Clinton etwa spricht davon, die Minimallöhne anzuheben. Aber wenn sich die Firmenbesteuerung in den USA nicht ändert, werden wir dem Desaster nicht entkommen. Hätten die Konzerne die gleichen Steuersätze wie in den fünfziger Jahren weitergezahlt, wäre der heutige Schuldenberg nie entstanden. Darüber redet aber kaum jemand.
Christian Höller: Entpolitisierung bedeutet auch, daß die Fluchtlinien (Deleuze) für denIdie Einzelne(n) zusehends reguliert und diszipliniert werden.
Lawrence Grossberg: Die Rechte hat zum Zwecke dieser Entpolitisierung drei Grundbedingungen des politischen Kampfes in Frage gestellt. Erstens, daß wir uns um größere Strukturen als bloß um unser Alltagsleben kümmern müssen. Zweitens, daß man Modelle von Gemeinschaft und Allianz braucht, und drittens das Vertrauen auf Handlungsfähigkeit, auf Interventionsmodelle. Die Rechte hat sich eine enorme Apathie zunutze gemacht, unter der alle drei Aspekte kollabiert sind. Solange dieses Terrain nicht zurückerobert ist, spielt es keine Rolle, ob es eine funktionierende Öffentlichkeit gibt oder nicht.
Christian Höller: Wie geht die allgegenwärtige Apathie mit dem ebenso manifesten Hang zu Ironie und Zynismus zusammen? Sie sehen Ironie als Teil der postmodernen Sensibilität, zu der auch Sentimentalität, das Groteske und das Hyperreale zählen. In welcher Beziehung steht diese authentische Inauthentizität, von der Sie sprechen, zum Neokonservativismus?
Lawrence Grossberg: Beide ähneln sich in ihrer Struktur. Die Neue Rechte macht sich einfach zunutze, was in einem größeren Kontext passiert, d.h. sie artikuliert einen ironischen Zynismus. Man ist nicht bloß zynisch gegenüber der Möglichkeit von politischer Veränderung, sondern man ist auch noch in bezug auf diesen Zynismus ironisch. Die amerikanische Kultur beruht zusehends auf der Überzeugung, daß sich politisch nichts verändern wird. Und sollte sich etwas verändern, dann nur zum Schlechteren hin. Eine Einsicht, über die man dann auch noch lacht. Wenn man den Kampf gegen Drogen als heuchlerisch bezeichnet, stimmen alle zu: »Ja, er ist heuchlerisch«, und dann lacht man darüber. Aktuellster Ausdruck dieser Stimmung ist, wie Dummheit gefeiert wird: »Forrest Gump«, »Dumb and Dumber«, »Beavis and Butthead«, Talkshows - die einzigen Modelle von öffentlichem Leben, die populär werden, sind Modelle absoluter Stupidität. Daß Dummheit heroisiert wird, ist eine enorm lähmende Strategie. Und die Rechte nützt das für sich aus.
Christian Höller: Lachen die Menschen nicht auch über ihre eigene Unfähigkeit, aus dem Alltag auszubrechen?
Lawrence Grossberg: Die Ironie liegt darin, daß wir glauben, alles zu wissen oder wissen zu können. Das Internet macht alles noch schlimmer. Es gibt einen riesigen Überschuß an Informationen und Interpretationen, de facto weiß man aber immer weniger. Meine Generation war die erste, die über das Fernsehen Einblick in buchstäblich alles erhielt, in das elterliche Schlafzimmer, den Kongreß usw. Heute zieht man sich aus diesem Überangebot zurück und gibt vor, nicht zu wissen, was vor sich geht. Wenn die Republikaner über die Familie reden, so verweigern sie einfach den Blick auf das, was mit und in Familien so vor sich geht. Die geplante Wohlfahrtsreform der Republikaner würde für zehn Millionen Kinder absolute Armut bedeuten. Die Amerikaner schauen weg und hängen der Idee nach, daß »welfare mothers« eine Plage seien. Dummheit wird so auf sehr seltsame Weise zur Flucht aus dem Zynismus. Die Leute flüchten davor, zuviel Information zu ihrer Verfügung zu haben.
Neue Allianzen
Christian Höller: Sie haben die sogenannte Rock-Formation als Wechselspiel zwischen einer Differenzierungsmaschine (wir Eingeweihte gegen »sie«) und einer Territorialisierungsmaschine (die Schaffung affektiver Sicherheit) beschrieben. In den achtziger Jahren, so ihre Behauptung, kollabierte die Differenzierungsmaschine. Könnte man nicht umgekehrt behaupten, es seien immer mehr Differenzen, auch im Sinne postfordistischer Marktsegmente, geschaffen worden?
Lawrence Grossberg: Die Rock-Formation ist heute ein Überbleibsel der Populärkultur, zu ihrer Ideologie gehören immer noch Authentizität und Marginalität. Eine der interessantesten Entwicklungen der letzten Zeit war eine neue Art von Mainstream-Formation, die radikal eklektisch ist, die keine Differenzierungsfunktion mehr hat. Die Hörer sind heute viel toleranter zueinander. Statt zu sagen: »Du magst meine Musik nicht? Du verstehst nichts von Rock´n´Roll!«, erlaubt man einander heute viel mehr. Ebenso ist heute ein viel eklektischerer Geschmack mit vielen Genresprüngen verbreitet. Meine Studenten hören zugleich Nine Inch Nails, Janet Jackson, Garth Brooks, Coolio, Techno usw. Simon Frith hat einmal behauptet, daß man in den neunziger Jahren nicht mehr zu der Musik tanzt, die man mag, sondern daß man die Musik mag, zu der man tanzen kann. Du suchst dir keine Freunde, die die gleiche Musik wie du hören, sondern du magst die Musik, die sich deine Freunde anhören.
Christian Höller: Gibt es keine Stilkriege mehr?
Lawrence Grossberg: Höchstens in der alten Rock-Formation mit ihrer Politik der Authentizität. Daneben gibt es aber auch noch eine Formation, die geografisch, in Szenen, organisiert ist. Die Tanzszenen in New York und in Manchester unterscheiden sich sehr stark voneinander. Alle diese Szenen haben einen Sinn für Identität und geografische Loyalität. Die Plattenfirmen haben die Seattle-Szene als Grunge vermarktet, aber wenn man mit Leuten aus Seattle spricht, so hört man, daß Grunge nur ein Bestandteil der Szene war. Das gleiche gilt für Chapel Hill, und die Leute sind der Szene mit all ihren Ingredienzien gegenüber loyal. Stuart Hall hat davon gesprochen, daß angesichts der immer stärker werdenden Globalisierung lokale Orte immer wichtiger werden, und das passiert hier. Niemand macht sich aber ernsthaft über die politischen Implikationen dieser neuen Formationen Gedanken, etwa ob sie Strategien gegen die Rechte anbieten. Ich versuche in dieser Hinsicht optimistisch zu sein. Vielleicht bietet eine liberale Ideologie des Eklektizismus oder der geografischen Differenzierung tatsächlich Auswege aus der Mythologie von Authentischsein und Rebellion oder aus dem ironischen Zynismus. Das Interessante an Szenen ist, daß sie, obgleich sie differenzierend wirken, einander nicht ausschließen. Szenen artikulieren und vernetzen sich untereinander.
Christian Höller: Der entscheidende Punkt ist, ob innerhalb dieses Settings ein neues Außen, neue Fluchtlinien auftauchen können. Meine Frage lautet, ob es in der Rock-Formation überhaupt jemals so ein Außen gegeben hat? Wenn ja, was könnte dieses Außen heute sein? Es scheint mir, daß die Kraft der Rockmusik immer eher in ihrer negierenden Energie als in einer positiven Vision bestanden hat.
Lawrence Grossberg: Sie hatte immer eine positive Seite, aber sie war nie politisch im engeren Sinn. Rock war immer sexistisch, rassistisch, homophob. Den Mythos, daß Rock die dominante Ideologie herausgefordert hätte, haben Rockfans kreiert, als sie erwachsen und politisch wurden und ihren Geschmack legitimieren wollten. Bisweilen hatte Rock ein Außen, aber das war zufällig und egoistisch. In der Gegenkultur der späten sechziger Jahre existierte ein Außen, weil plötzlich unsere persönliche Fähigkeit, ein Innen zu haben, bedroht war. Wehrpflicht und Vietnam waren so ein Außen. Im allgemeinen aber hat Rock immer akzeptiert, daß es ein Außen gibt, und Grenzen gezogen, um nicht damit konfrontiert zu werden. Aber schon in den achtziger Jahren war dieses Außen verschwunden. Es gab Bands wie die Gang of Four, die über die Politik des Innen, des Alltagslebens, sprachen. Oder Clash, die das Außen thematisieren wollten, was aber sehr vage blieb und leicht zu ignorieren war. Das war keine wirkliche Politik. Extremistische Gruppen wie Crass sind überhaupt aus der Punk-Geschichtsschreibung verschwunden. Vielleicht gibt es heute für die Kids wieder ein Außen. De Certeau hat diese Idee einer polemologischen Politik: zu sagen, wir werden unterdrückt und wir wissen, wer dahintersteckt, und das auch namhaft zu machen. Rap hat diese Attitüde. Daher rührt auch mein vorsichtiger Optimismus in bezug auf weiße Kids, die HipHop mögen. Vielleicht liegt im HipHop wirklich die Möglichkeit einer neuen Politik, die mit dem Satz »We´re getting fucked« beginnt. Diese populärkulturelle Politik müssen wir mit einem größeren politischen Kampf verknüpfen, der die Wut und die Emotionen der Kids nicht von vornherein ignoriert. So widersprüchlich und sexistisch diese auch sein mögen.
Christian Höller: Sie üben scharfe Kritik an der Politik der Identität, am Beharren auf Differenz. Auch Alltagsleben und Marginalität können keine Ausgangspunkte für oppositionelle Politik sein. Was ist Ihrer Ansicht nach die vielversprechenste Strategie, um den hegemonialen Block herauszufordern?
Lawrence Grossberg: Ausgangspunkt müssen die ganz realen Ängste und Hoffnungen der Leute sein. Es gibt diese Ängste in bezug auf den moralischen Verfall, die Immigration, »affirmative action«. Das muß man ernst nehmen und neue Wege finden, um etwa über Moral zu sprechen. Die Linke glaubt zum einen, moralisch korrekt zu sein, zum anderen will sie nicht über Moral reden, weil das angeblich ein rechtes Thema sei. Die Rechte war sehr erfolgreich damit, die Gefühle der Leute ernst zu nehmen. Anstatt von vornherein davon auszugehen, daß man etwa mit Homophoben keine gemeinsame Sache machen kann, sollte man versuchen, mit ihren antirassistischen, antikapitalistischen Seiten Koalitionen zu bilden und von dort aus auf das Problem der Homophobie zurückzukommen.
Christian Höller: Aber vielleicht gibt es unter all den relevanten Positionen keinen gemeinsame Basis.
Lawrence Grossberg: Die gemeinsame Basis muß eben geschaffen werden. Das ist die Lehre von Laclau und Mouffe, die niemand ernst nimmt. Man muß Ökologen und schwarze Antirassisten einfach an einen gemeinsamen Tisch bringen - auch wenn sie einander erst einmal umbringen wollen - und sie eine Gemeinsamkeit artikulieren lassen. Solche Artikulationen verändern auch uns, wenn wir damit arbeiten. Obwohl jeder wie wild Gramsci, Laclau/Mouffe und Foucault liest, wird diese Idee der Artikulation immer noch nicht ernst genommen.