Heft 2/1996 - Heimarbeit
Bleibt der jungen Kunst wirklich nur die Hoffnung, sich mit sich und ihren Freunden zu verständigen? Der Versuch, seine kleine eigene Utopie zu retten überschwemmt jedenfalls den heutigen Kunstbetrieb mit subjektivistischen Geschichten und Werken. Zum Beispiel auf der Großausstellung »nowhere« im Louisiana-Museum bei Kopenhagen.
War Iwona Blazwick in eine Falle gelaufen, als sie für das großangelegte, fünfteilige Ausstellungsprojekt nowhere im Louisiana- Museum bei Kopenhagen ihre KünstlerInnenliste zusammenstellte? In die kuratorische Kunstfalle, der jedes scheinbar Neue für eine Attraktion gut genug ist? Denn es ist ein seltsamer Mix, der da unter dem Titel »Work in Progress« in das Kulturhauptstadtsprogramm geschüttelt wurde. Eine Ausstellung, die neue Arbeiten von jungen KünstlerInnen mit denen von zentralen Figuren der Nachkriegsmoderne vermischt. Das Thema jedoch ist ebenso bezeichnend wie verfänglich. Denn sie dreht sich unter anderem um »alltägliche Beziehungen, Selbstreflexion, um KünstlerInnen, die ihr Privates, ihren Körper oder den ihrer LiebhaberInnen, ihrer Freunde und Nachbarn« zum Inhalt ihrer Installationen, Filme, Texte oder Videos machen. »Kreativität« heißt es in Blazwicks Statement »steht hier analog zu Denken«. Die KünstlerInnen, die in ihren hybirden Überlebensstrategien, dieses Private zum Werkfeld machen, »arbeiten auch als Gitarristen, Putzfrauen, KuratorInnen, VerlegerInnen, Anthropologen, DJs oder Psychogeographen«. Und sie arbeiten damit sehr modern. Denn allseits sind derzeit die Gelerien und Kunst vereine, die selbstorganisierten Wohnungsausstellungen und Fanzines voll mit diesen Subjektivismen, in denen die große Welt des emergenten Kapitalismus und seine Waren- und Bildarsenale ins kleine einfache Leben zurückholen, sie dort bearbeiten, umgedeuten und dann wieder in die Öffentlichkeit, und sei sie die beschränkte, kleine der Kunst und Clubs, zurücktransportieren.
Zum Beispiel dei beiden Finnen Lea und Pekka Kantonen, die ihr Leben aufzeichnen, als seien sie von MTV bezahlt, um als Statisten in der »Real Live Show« aufzutreten, jener künstlichen Szene-Wohngemeinschaft, die das MTV-Publikum beim einfachen Leben beobachten konnte. Oder Cesare Pietroiusti, der eine Woche lang in einem Raum des Museums lebte und sich dafür von fünf seiner Freunde jene Dinge aussuchen ließ, von denen diese glaubten, sie würden sie dort fürs eigene Überleben brauchen. Pietroiustis Raum mit den Resten dieses Experiments sieht denn auch wie ein seltsames Pfadfinderager aus. Aber auch bei vielen anderen ging.es um diese intimen, persönlichen Zusammenhänge: bei Eija-Liisa Ahtila, Jaki Irvine, Gunnar Krantz, Johan Oja, Stephanie Smith oder Edward Steward. Der Raum eines durch nichts als durch die darin Handelnden bestimmten alltäglichen, er wurde öffentlich präsentiert. Ein sehr begrenzter, ein kontingenter Raum.
Aber auch die wenigen, die in Blazwicks Show dieVerklammerung von individueller und gesellschaftlicher Autonomie zu demonstrieren versuchten, erschienen in diesem Zusammenhang wie Flüchtlinge aus der Welt der Politik des Privaten. Individuelle und gesellschaftliche Autonomie? Sie werden heute in vielen Arbeiten junger KünstlerInnen sozusagen überhöht.
Sicher kann man darin auch ein Moment der Resignation darüber finden, daß jeder Entwurf individueller Autonomie daran scheitert, daß er sich innerhalb des gegenwärtigen gesellschaftlichen Raumes auf kein allgemein verbindliches, auf kein größeres Modell gesellschaftlicher Autonomie berufen kann. Sollte das eine Konsequenz der identitätspolitischen Grabenkämpfe der Linken sein?
Das vielleicht hervorstechendste Merkmal in der Praxis dieser KünstlerInnen ist, daß sie psycholgisch irgendwie regressiv und politisch eigentlich repressiv erscheinen. Sie suchen nicht einmal mehr, sie weigern sich vielmehr eine andere, als die elitistische Konzeption einer Autonomie für »mich und die Wenigen« auf Kosten der Anderen, der aus diesem privaten Spiel Ausgeschlossenen, zu entwickeln.
Regressiv ist dieses Konzept, weil es auch auf visuellen Arrangements beruht, die singulär sind, weil sich der Sinn, der Kontext dieser Arrangements der sozialen Erfahrung der Betrachter verschließen. Oder zumindest, weil die Welt außerhalb des Kunstobjektes, außerhalb von dessen inneren Bezügen zu einer biographischen Erfahrung ausgespart bleibt, und diese privatistischen, subjektivistischen Exzesse mit ihrer distanzierungssüchtigen Ironie gegenüber dem, was man eine breitere soziale oder politische Agenda nennen könnte, natürlich keinerlei Konsequenzen haben.
Mag sein, daß die Frage, die sich viele, die heute im Kunstfeld arbeiten, nach den Jahren von Institutionskritik, Medienkritik und feministischer Repräsentationskritik gestellt haben, als sie sahen, wie aus diesen theoretischen Ansätzen Formeln der Macht innerhalb des großen, finanzierten Ausstellungsbetriebes geworden waren, jene war: Beinhaltet ästhetische Arbeit, künstlerische Praxis notwendigerweise ein repressives Verhältnis zu sich selbst? Verlangt Arbeit in diesen Feldern notwendigerweise Selbstunterdrückung und erfordert Kreativität nicht den Verzicht auf Selbstbeherrschung.
Und mag sein, daß Sie sich fragen, ob es denn diese Subjektivismen nicht immer gegeben hat. Natürlich, könnte man antworten, sie waren immer mögliches kritisches Potential der Avantgarden. Was aber unterscheidet die Regeression in einen Subjektivismus heute trotzdem von dem anderer, historisch früherer Arbeiten, wie swie auch in Blazwick in Louisinan-Show zu sehen waren? Von Mary Kellys an assyrische Schrifttafeln erinnerndes, akribisches Tagebuch der ersten drei Jahre ihres Kindes? Von Vito Acconcis »Theme Song«, einer Projektion, in der er zum Soundtrack seines seinen Liebblingsrocksongs die BetrachterInnen auffordert, näher zu kommen, ihn zu berühren?
Die bewußte Distanz der Leinwand hier und die Notwendigkeit, über weibliche Reproduktionsarbeit akribisch öffentlich zu handeln dort zuallererst. Und natürlich der Umraum in dem beide entstanden waren. Anfang der siebziger Jahre. In einer Zeit, als sich in den ersten großen Kabelnetzen der Medien jene Zersplitterung der Diskurse zu installieren begann, auf der dann die Theorie der »Postmoderne« ihre Kritikmuster der Gesellschaft der Simulationen aufbaute. Nach dem Mai 68 etablierte sich der Medienzirkus, die Ausbeutung der niederen Intelligenz (der »theoretischen Neger« wie Regis Debray sie einmal genannt hat) durch die in den Medien fest verankerte hohe. Und spätestens ab Mitte der Siebziger beseitigte der »postmoderne« Medienkapitalismus die 68er Dogmen.
In diesem Feld bedeutete, das Subjektive - wie das auch Deleuze und Guattari gefordert hatten - gegen den Hintergrund dieser emergenten Telematisierung der Welt darzustellen, eben auch Selbst- (oder eben Geschlechts-)Bewußtsein auszustellen. Es bedeutete mithin auch Sozialisation als keineswegs beliebige gesellschaftliche Formung, sondern einen Prozeß der Auseinandersetzung zwischen dem Wunschpotential des Individuums und den Institutionen und Medien als Verkörperung gesellschaftlicher Vorstellungen zu betonen. Und dahinter stand immerhin die Idee, das Individuum in seiner Handlungsfähigkeit zu retten. Als in der ersten großen Nach-68er Spielshow der öffentlich-rechtlichen Medien im deutschsprachigen Raum »Wünsch Dir was« - ein Familienspiel, in dem es darum ging, die innere Kontingenz dieses christlich-sozialdemokratischen Gesellschaftsmodelles zu bekräftigen - eine Tochter gegen das Intimitätsgebot des Privaten verstieß und sich in einer Transparentbluse der Fernsehöffentlichkeit präsentierte, brüskierte das nicht nur die Familie, sondern auch das Publikum.
Als ab der zweiten Hälfte der Siebziger sich die europäischen Demokratien allmählich in Richtung eines leicht transzendenten und betont kulturell ausgerichteten Club-Mèditerranée-Sozialismus mit humanistischem Überbau zu entwickeln begannen, und als in den Achtzigern die Rede von der Postmodernen Simulatuionsgesellschaft vernehmbar auch ihren konservativen Widerhall in den Programmen von Ronald Reagan oder Margret Thatcher gefunden hatte, war auch klar, daß die Kunst sich von ihrer positiven, affirmativen Haltung zu Subjektivismen verabschieden mußte. Sie tat das einerseits, indem sie ihre Subjektivität wieder auf innerhalb des Mediums liegende Positionen zurückzog. Der Aufschwung der extrem subjektivistischen neuen Malerei, des Neo-Expressionismus paßte natürlich in diesen Medien-Handels-Kapitalismus. Interessannterweise findet sich auch davon eine Spur in Blaswicks Ausstellung. Der taubstumme Joseph Grigley dekoriert den Raum, in dem er seine Zettel. mit denen er mit der Welt kommuniziert, mit Repliken auf Bilder Per Kirkebys (natürlich auch als Hommage an den dänischen ggastgeber, aber warum Kirkeby?).
Daß die privaten Höchstleistungen, bewertet von der in den Medien gehypten Prominenz in der Club-Welt der Achtziger auch ihr Talk-Show-Konterfei, in Deutschland hieß es »Wetten daß?« fanden, war nur folgerichtig. Wie auch der repräsentationskritische, seine Konstrukte in einem politischen und sozialen Raum fixierende Ansatz der Kunst, der sich diesem Setting stellte. Wenn Jeff Koons, um nur eine der Kultfigutren jener Zeit zu nenen, sein privates Leben sozusagen öffentlich bis in seine Krisen hinein plante und andererseits den analen Waren- und Geldfetischismus der Zeit ad absurdum demonstrierte, war das keine subjektivistische Strategie, die versuchte, das Spezifische dieser Gesellschaften mit den Kategorien individuellen Handlens oder eines Primates des Kollektiven zu fassen, sondern eine, die versuchte, dem Privaten außerhalb dieser Kategorien als Ware Form zu geben.
In den letzten Jahren hat man - und Iwona Blazwick hat das offenbar auf ihrer kuratrischen Suche auch - in der europäischen und amerikanischen Kunstwelt eine teilweise angewiderte Abkehr von politischen und medienkritischen Positionen bemerken können. Die politische oder subjektkritische Botschaft der Arbeiten, die Subjektivitäts- und Identitätskonzepte erforschen, ist weniger radikal geworden, scheint einem Psychologismus Platz zu machen. Eine Nostalgie des alltäglichen, unspektakulären macht sich unvermittelt breit. Die einzelne Erfahrung erscheint wichtiger als eine wie immer geartete öffentliche. Die Themen kreisen nicht mehr um Sexualität, Rasse, Geschlecht, sozialen und kulturellen Kontext, die Institutionen und das Framing der jeweiligen Arbeit, sondern um Essen, Schlafen, Tanzen, Schönheit, Jugend, ohne Bezug auf die Positionierung innerhalb des gesellschaftlichen Feldes. Die Themen werden narzistisch.
Sind nicht auch Hollywood und die Medien längst nicht mehr imstande, wie McLuhan und der wiedererstarkte McLuhanismus in der gegenwärtigen Medienkritik es noch glaubt, einen Roman namens Gesellschaftz zu inszenieren? Sind nich Autobiographie und Bekenntnisse vielmehr der Stoff, aus dem die Unterhaltungsindustrie derTalk-Show Welt des Subjektes ihre Illustrationen der persönlichen Wettbewerbsgesellschaft zieht? Welchen Sinn macht dann eine Verdopplung dieses Punktes als Kunstwerk? Die Medien inszenieren schon lange nicht mehr allein jenen gesellschaftlichen, stratifikatoriachen Raum, innerhalb dessen wir zu den konditionierbaren Objekten von Ideologie und Warenfetischismus, also Spätkapitalismus werden. Sie inszenieren vielmehr uns. Und wir werden in ihnen zu Hermeneuten unserer selbst, unserer eigenen, privaten Gefühle und Handlungen. Unser Privates ist die Inszenierung selbst geworden, das Öffentliche. Und das Öffentliche hat sich privatisiert. Die Selbstdifferenzierung aufzuheben, um diese Spaltung durch sogenannte fundamentale, unhinterfragte Gefühle zu überwinden, das ist das Programm, an dem nicht nur die jungen KünstlerInnen naiv arbeiten, sondern auchHans Meiser, Schreinemakers, Vera und Harald Schmidt.
Sicher, man kann versuchen,sich die Sprache dieser Differenzierungen anzueignen. Doch auch dafür haben die Medien ihre Räume bei den KünstlerInnen schon gefunden. Hermes Phettbergs Erfolg als Talkmaster und die Umsetzung der gesellschaftskritischen Satire der Neuen Frankfurter Schule um Robert Gernhardt, Hans Traxler oder Eckhardt Henscheid in die Dumpfsatire der Doofen haben den Weg für subjektivistische Kritik auch dort verpserrt.
Der Versuch, sich so etwas wie private Utopien zu retten? »Work in Progress«? Iwona Blazwick nennt ihn »immerwährend, die endlose Suche«. Man könnte ihn auch revisionistisch nennen...