Heft 4/1997 - Subtext Design


Bild, Text und Design

Ein Gespräch mit Russell Ferguson, Herausgeber von Kunstpublikationen am Los Angeles Museum of Contemporary Art

Martin Beck


In seiner Rolle als Herausgeber von Kunstpublikationen am Los Angeles Museum for Contemporary Art hat Russell Ferguson über die letzten Jahre eine Reihe von Publikationen produziert, die Maßstäbe sowohl in bezug auf inhaltliche Konzeption und gestalterische Umsetzung gesetzt haben. Im Interview mit Martin Beck spricht Ferguson über Beziehungen zwischen Kunstinstitutionen und deren Publikationen, seine Arbeit mit DesignerInnen und über Herausgeberschaft als Modell einer kulturellen Praxis, für die Autorschaft nie wirklich ein Thema war.

Martin Beck: Ein Buch, das bis heute einen blueprint für interessante Kunstpublikationen darstellt, ist während deiner Herausgebertätigkeit am New Museum in New York entstanden. Inwieweit hat »Out There«1 Maßstäbe für deine Tätigkeit der letzten Jahre gesetzt?

Russell Ferguson: Out There« war das erste Buch, an dem ich als Herausgeber arbeitete, und schließt an die Publikationen, die Brian Wallis mit Phil Mariani am New Museum produzierte, an. Brians Publikationen »Art after Modernism« und »Blasted Allegories«[2 ]definieren sich beide über Komplementarität von Text und visuellem Programm, erarbeitet von Louise Lawler bzw. Barbara Bloom. Vergleichbar dazu war das Bildmaterial in »Out There« alles andere als illustrativ, sondern vielmehr ein paralleler »Text«, konzipiert von Felix Gonzalez-Torres. Das Buch entstand in einem äußerst kollaborativen Prozeß, nicht nur mit Felix und den Mitherausgebern, auch mit der Designerin, Bethany Johns, und Mitarbeiterinnen am New Museum, speziell Sowon Kwon und Alice Yang. Dieser Arbeitsprozeß und die unmittelbare positive Rezeption gaben mir das Gefühl, daß es wirklich möglich ist, spannende Bücher zu produzieren. Wenn ich gewußt hätte, welche Schwierigkeiten ein solcher Prozeß generieren kann, hätte ich wahrscheinlich nie ein weiteres Buch produziert.

Martin Beck: Ab 1991 hast du die Publikationen am Museum of Contemporary Art in Los Angeles betreut. Haben die sehr unterschiedlichen institutionellen Bedingungen die mit »Out There« begonnene Arbeit an einer Herausgeber-definierten inhaltlichen Integration von Bild, Text und Design verändert?

Russell Ferguson: MOCA ist eine unvergleichlich größere Institution als das New Museum. In größeren Museen ist die Publikationsproduktion oft vollkommen losgelöst von kuratorischen Aktivitäten, manchmal Teil einer Medien-, Kommunikations- oder PR-Abteilung und oft sogar Teil des Museumsshops, vergleichbar einer Produktentwicklungsabteilung. MOCA ist hier etwas ungewöhnlich, da die Publikationsproduktion und damit der Herausgeber Teil des KuratorInnenteams ist. MOCA-Publikationen haben sich immer schon durch signifikante inhaltliche Involviertheit seitens des Editors ausgezeichnet. Inhaltliche Kontrolle war für mich Bedingung, diesen Job überhaupt anzunehmen, und dies ist für Museen dieser Größe doch etwas unüblich.

Martin Beck: Viele Kunstinstitutionen verstehen Publikationen als Instrument, um sich mit einer institutionellen graphischen Identität, vergleichbar einer Corporate Identity, zu positionieren. Die von dir editierten Bücher unterscheiden sich insofern davon, als diese über ein äußerst diversifiziertes und inhaltlich orientiertes Designprogramm einen Diskurs über Design selbst initiieren.

Russell Ferguson: Richard Koshalek, MOCAs Direktor hat eine Leidenschaft für gutes Design und Architektur. Dies gibt uns Flexibilität in bezug auf Auswahl von DesignerInnen, deren jeweilige Sensibilität sich mit inhaltlichen Aspekten der Ausstellungen überlagern sollte. Ebenso haben wir die Ressourcen, um mit guten Leuten zu arbeiten. Die Idee, daß MOCA Publikationen einen MOCA-Look haben sollten, erschien mir immer absurd. Viele Institutionen versuchen verzweifelt, ihren Publikationen einen institutionellen Stempel aufzudrücken, wohingegen wir immer versucht haben, das Publikationsdesign aus dem Projekt heraus zu entwickeln.

Martin Beck: MOCA hat im Rahmen dieses Designprozesses auch Publikationen produziert, die über konventionelle Buchformate hinausgehen und dabei als Erweiterungen der Ausstellungen selbst funktionieren.

Russell Ferguson: Eines der aufwendigeren dieser Projekte war »Rolywholyover A Circus«, ein Projekt von John Cage, das von Julie Lazar organisiert wurde. Das Ganze ist eine Metallbox mit losem Inhalt und hat eine aleatorische Qualität, die Cages Arbeit entspricht. Eine Reihe von Diskussionen mit Cage resultierten in der Idee einer hölzernen Schachtel, aber gleichzeitig interessierte ihn Transparenz. Was Cage wirklich wollte, war transparentes Holz, was wir natürlich nicht finden konnten. Die Designerin, Catherine Lorenz, entwickelte eine glänzend, reflektierende Metallbox, was der Umkehrung von Transparenz entspricht: Reflexion. Die Box kann geleert und für andere Dinge eingesetzt werden - Cage soll sie als Keksschachtel verwendet haben -, aber enthält im wesentlichen Pamphlete und Reproduktionen. Die Hälfte des Materials in der Box ist auf durchscheinendem Papier gedruckt und nimmt so die Transparenz-Idee wieder auf. Die Publikation entsprach einer Reihe von Ideen der Ausstellung: z. B. wurden die Arbeiten täglich neu arrangiert, entsprechend einem Zufallsprinzip, wobei diese ständige Neuinstallation vollkommen öffentlich abgewickelt, transparent gemacht wurde.

Martin Beck: Eine der zentralen Qualitäten der von Dir betreuten Publikationen ist, daß Publikationsdesign in sehr subtilen Facetten verstanden und implementiert wird. Die präzise Auswahl von DesignerInnen in Beziehung zur jeweiligen Inhaltlichkeit, sowie eine enge Kollaboration mit den DesignerInnen ist dafür wesentliche Voraussetzung.

Russell Ferguson: Ich wollte z.B. immer mit Bruce Mau an einem Projekt arbeiten. Manchmal dauert es aber lange, bis man das richtige Projekt für den/die richtige DesignerIn hat. Die Publikation »Art and Film Since 1945: Hall of Mirrors« erforderte hochkomplexe Integration einer gigantischen Informationsmenge. Wir wollten die komplette Einbindung von Abbildungen und unterschiedlichen Textformaten über alle 330 Seiten hinweg. Bruce ist ein Designer, der in der Lage ist, trotz vieler verschiedener Ebenen ein klares, lesbares Designkonzept zu entwickeln. Da sein Büro in Kanada ist, arbeiteten wir zuerst per FedEx und die Endphase verbrachte ich in Toronto, um jede einzelne Seite durchzubesprechen. Eine Publikation, die ich auch sehr gelungen finde, wurde von Lorraine Wild für die Ausstellung von Ann Goldstein und Anne Rorimer, »Reconsidering the Object of Art, 1965-75«, designed. Es handelt sich dabei um ein Buch über Konzeptkunst mit enormem Informationsgehalt, das sehr subtil und zurückhaltend layoutiert ist.

Martin Beck: Wie artikuliert sich das Verhältnis zwischen »Stil« des/der DesignerIn und den inhaltlichen Anforderungen, die ein spezifisches Projekt an einen solchen »Stil« stellt?

Russell Ferguson: Ich bevorzuge DesignerInnen, die die Texte lesen, bevor sie mit ihrer Arbeit beginnen. Auch wenn es eigenartig klingt, viele DesignerInnen arbeiten, ohne sich wirklich mit dem Inhalt der Publikationen zu beschäftigen. Mau und Wild arbeiten beide aus dem Inhalt heraus. Ebenso sind sie bereit, ihre Raster in Frage zu stellen, wenn spezifische Texte oder Informationen dies erfordern. Ein Designer, der in dieser Hinsicht unglaublich präzise ist und mit dem wir relativ häufig arbeiten, ist Hans Werner Holzwarth.

Martin Beck: Dein Verständnis von Herausgeberschaft konzipiert die Position als komplexe Schnittstelle, an der unterschiedlichste Interessen verhandelt werden. Genauso wie deine Publikationen diese als präsentationales Format definiert haben, läßt sich deine spezifische Aktivität als Herausgeber als Format einer kulturellen Praxis verstehen, die traditionelle Vorstellungen von Autorschaft zur Disposition stellt.

Russell Ferguson: Bill Olander, mit dem ich zusammen am New Museum arbeitete, verstand seine Kuratorenrolle als eine des Produzenten, analog einem Filmproduzenten. Ich verstehe meine Tätigkeit in vergleichbarer Weise; vielleicht sogar als Produzent, der Regie führen will - genauso wie alle anderen. Meine Rolle involviert ein Jonglieren vieler unterschiedlicher und manchmal widersprüchlicher Interessen, um ein Produkt zu erzeugen, das von KünstlerIn, KuratorIn, AutorIn, DesignerIn bis hin zum Publikum, als erfolgreich betrachtet wird. Die Bedürfnisse der KünstlerInnen sind aber immer Ausgangspunkt, auch wenn überraschend oft alle zufrieden sind. Auf eine gewisse Weise löst dabei die Analogie zum Produzenten jene des Autors auf.

Martin Beck: Ausstellungspublikationen werden von vielen Institutionen als textuelle Anhängsel bzw. als Dokumentation behandelt. Die von dir betreuten Publikationen verstehen sich hingegen mehr als eigenständiges Format, sowohl auf inhaltlicher als auch gestalterischer Ebene. Erzeugt diese »Unabhängigkeit« eine Konkurrenzsituation zwischen Ausstellung und Publikation?

Russell Ferguson: Ich hoffe, daß Publikationen die Ausstellungen nicht dominieren. Am befriedigendsten ist es, wenn sich diese komplementär zu den Ausstellungen verhalten. Ein sehr dicht argumentierter Text bietet eine ganz andere Erfahrung einer Arbeit als die Ausstellung selbst. Ich versuche, die Publikationen als in die Ausstellungen integriert und gleichzeitig unabhängig davon zu betrachten. Eine Reihe unserer Bücher wird weltweit vertrieben, und der Großteil dieses Publikums sieht die Ausstellungen nicht. Insofern ist es wichtig, daß die Publikationen ohne die Ausstellungen funktionieren und nicht nur Dokumentation sind. Das ist manchmal etwas frustrierend in bezug auf den Buchhandel, da die Publikationen oft nur als Ausstellungsanhängsel betrachtet werden, auch wenn diese oft viel substantieller als reguläre Bücher sind. Ausstellungspublikationen werden generell kaum besprochen, obwohl man längerfristig über Fußnoten, Zitate etc. sehen kann, daß viele MOCA Publikationen als Bücher Wirkung zeigen.

Martin Beck: Eine andere Facette deiner Tätigkeit umfaßt auch das Verfassen von Texten bzw. das Kuratieren von Ausstellungen. Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen diesen Praktiken, produzieren diese Überlagerungen Interessenskonflikte?

Russell Ferguson: Natürlich kann ich mich als Herausgeber von Publikationen nicht selbst als Autor vorschlagen, aber immer wieder haben mich KuratorInnen oder KünstlerInnen gebeten, einen Textbeitrag zu formulieren. Ich habe vor kurzem auch die Gelegenheit gehabt, Ausstellungen im MOCA zu organisieren. Für mein letztes Projekt »Man`s World« wurde keine Publikation produziert, was eine angenehme Befreiung war, da diese nicht so linear wie eine Publikation aufgebaut war.

Martin Beck: Mediendiskurse prophezeien seit längerem schon die Ablösung von Buch durch elektronische Publikationen, wobei sich immer wieder ein grundlegendes Mißverständnis im Sinne einer Homogenisierung der beiden Formate einstellt. Eine Vielzahl von (nicht nur kulturellen) Institutionen versucht hier verzweifelt und oft unbeholfen, diesen »Anschluß« nicht zu verpassen. Gibt es bei MOCA Diskussionen bezüglich einer elektronischen Ausweitung der Publikationsaktivität?

Russell Ferguson: Nahezu bei jedem Projekt wird dies irgendwann vorgeschlagen. Es herrscht hier eine unglaubliche Naivität, insofern als viele davon ausgehen, daß man an einem ruhigen Nachmittag auch noch die ganze Info auf einer CD-ROM oder Website ablagern kann. Viele elektronische Publikationen schauen auch so aus. Wenn man schon eine Version eines Buches machen will, dann bevorzuge ich das Buch selbst. Ich hoffe, daß das nicht als reaktionär verstanden wird, aber ich glaube, daß Bücher als Medium noch ziemlich einiges zu bieten haben. Sie sind sehr zugänglich, wohingegen elektronische Publikationen eher unpraktisch sein können. Ich lese gerne im Bett, liege herum oder gehe ins Freie und habe keine Lust, statisch vor einem beleuchteten Monitor zu sitzen - auch wenn manche glauben, daß eine solche Einstellung ins 19. Jahrhundert gehört. Der wirkliche Vorteil elektronischer Publikationen liegt in der Möglichkeit, unglaubliche Mengen an Information in Beziehung zu setzen, wohingegen Bücher für Dinge zu bevorzugen sind, die eine mehr oder weniger lineare Struktur aufweisen oder eine Art quasi-narratives Element haben. Das ganze Gerede von »the end of print« erscheint mir daher ziemlich naiv.

 

 

1 Russell Ferguson, Martha Gever, Trinh T. Minh-ha, Cornel West (eds.), Out There. Marginalization and Contemporary Cultures, New York, Cambridge, Mass. 1990

2 Brian Wallis (ed.), Art After Modernism. Rethinking Representation, New York 1984; Brian Wallis (ed.) Blasted Allegories. An Anthology of Writings by Contemporary Artists, New York, Cambridge, Mass. 1987