Der Apfel fault, die Tomate blüht.
Johann Wolfgang von Goethe
Mediendesign ist das Stichwort nicht nur der Stunde, sondern des Jahrzehnts und vielleicht der Zukunft, wenn es eine geben sollte. Während Produktdesigns im radikalen Formalismus dahinvegetieren, sprengt Mediendesign die Grenzen zwischen Design, Kunst und Popkultur - mit Tomato, einer Londoner »Kreativ-Kooperation« ganz vorne dran. Zwei der neun mitteljungen Männer spielen in der Pop-Combo Underworld, andere sind Bildhauer, Regisseure oder Grafiker. »Die kommerzielle Schiene ist ihnen vertraut.« Und der Medienwirbel um die Münchener Ausstellung nur angemessen. Das Zeit- und das SZ-Magazin brachten gleichzeitig Titelstories. Als Fachblattschreiber für Hefte zur Gegenwartskunst kriegt man feuchte Augen: Erfolg!?!?!?!? »Wir machen, was uns Spaß macht«, sagt John Warwicker, Mitbegründer von Tomato. Und: »Es gibt keine Lösung eines Problems, nur die Antwort auf eine Situation.« Auch von Prozessen ist ständig die Rede. Mit einem Wort: es handelt sich um prozessuales Postpostsituationistischestechnokunstretrobritlabourblair- Design, das verdammt anders aussieht, komplexere Samples und Loops generiert und die richtigen Geschichten recycled. Für Firmen wie Nike, Adidas, Reebok, MTV, Star TV, Sony, Thompson Electronic und Toshiba, Philips, IBM, Coca Cola, Pepsi, Miller Bier, Levi\'s, die spanische Regierung, die BBC, die Royal Mail und Channel 4. Das Zeit-Magazin beschreibt dies so: »Die Designergruppe Tomato spielt mit unserer Wahrnehmung - und macht so Kunst von morgen.« Die Werbespots mögen die Wahrnehmung irritieren, die Botschaften kommen nur umso besser an: Kommunikationsguerilla-Design im Dienste der Weltkonzerne.
Die Ausstellung ist ein einziger Sehtest. Die Fotoboards sind eigentlich ganz nett. Jeweils acht Alltagsfotos sind auf eine Tafel geklebt. Machmal deutet sich eine Geschichte an, dann wieder strukturelle oder formale Übereinstimmungen. Aber jede strukturierende Idee zerfällt wieder, und als Betrachter bleibt man bei den einzelnen Fotos hängen. Die großen Installationen sind ganz stark an Arbeiten von Dan Graham, Bruce Naumann, Robert Morris, Joseph Beuys und der Land Art angelehnt, jedoch der spezifischen Inhalte entleert und im Tomato-eigenen Gebäude »rekontextualisiert«. Auch ein Lieblingwort der Kunstszene vor ein paar Jahren, das sich hier wiederfindet. Kunst eignet selbst gerne andere Materialien an. Hier wird Kunst angeeignet. Und was auf den ersten Blick wie der totale Verschleiß wichtiger künstlerischer Praktiken wirkt, läßt auf den zweiten Blick auch andere Interpretationen zu: Die unendliche Semiose verschwommener Muster von Kultur, etwa. Gemessen an den gesellschaftlichen Bedingungen von Kultur, ist da was dran. Vielleicht liegt der Wurm jedoch in den Aneignungspraktiken selber. Dazu ein andermal mehr.
Der von Tomato hergestellte Kontext der unterschiedlichen Materialien ist jedenfalls rein assoziativ und poetisierend. Lichter, Farben, Projektionen, Textteile, unverständliche Stimmen, kontinuierliche Veränderungen von Formen und räumlichen Darstellungen flirren in unterschiedlichen Arrangements durch die Räume. Interessant ist dabei nicht so sehr das »Kreative«, das als Aura nirgends wegzudenken ist, als vielmehr das Sammeln und Präsentieren von Ideen und Gestaltungsmitteln zu einem alltagsrelevanten, medien- existentialistischen Design. Coole Post-Slacker-Coop Lebensformen könnte man sich dazu gut vorstellen. Daß die avantgardistischen Kunstformen der sechziger und siebziger Jahre davon Bestandteil sind, auch gut. Mein Herzblut hängt daran nicht mehr. Der Prozeß selber sein, darum geht es. Im Prozeß zu sein, fließend, fluktuierend und global wie das Kapital. Macht echt Spaß.
Spaß ist heute ein Synonym, wofür früher Kohle stand.
Process - A Tomato Project Munich, Die Neue Sammlung, Staatliches Museum für Angewandte Kunst, München, 15. Oktober 1997 bis 6. Jänner 1998.