Heft 4/1997 - Netzteil


Jobs im Cyberspace

0ber mögliche Zukunftsperspektiven kultureller Arbeit am Beispiel von Silicon Alley

Andrew Ross


Ob in Kunstinstitutionen oder Medienbetrieben - die Cyber-Kultur scheint großflächig zu florieren. Während Internet-Services, Web-Design und Online-Publishing neue Wirtschaftsräume eröffnen sollen, werden in den hinteren Ecken des elektronischen Raumes aber ständig altbekannte, deregulierte Arbeitsverhältnisse reproduziert. Das Beispiel von Silicon Alley in New York zeigt, wie die Zukunft der Arbeit in der Kulturindustrie aller Wahrscheinlichkeit nach beschaffen sein wird

Silicon Alley wurde als erstes neues urbanes Gewerbe, das seit über einer Generation in New York entsteht, bejubelt. In einer Stadt, die mit ihrer freien Kulturszene ebenso wie mit ihrer finanziellen Talfahrt in den siebziger Jahren assoziiert wird, mit ihrer verfallenden Infrastruktur und der chronischen Angewohnheit, Jobs auszubluten, ist es bemerkenswert, daß die neue Präsenz auch eine Art Kulturindustrie darstellt. Von den Medien der Stadt als Adrenalinstoß für die urbane Ökonomie und Kultur betrachtet, verläuft die Alley in einem schmalen Streifen zwischen Flatiron-Bezirk oberhalb der 23. Straße und dem unteren SoHo, der mit kreativen hippen Ostküsten-Strebern (im Gegensatz zu den »Techies« aus Palo Alto und den selbststilisierten Superstrebern der Bay Area) besetzt ist. Ihre Multimediafirmen versorgen nicht nur Konzerne und öffentliche Institutionen mit Internet-Design, Programmierdiensten und Unterhaltungssoftware, sie ist auch Brutstätte einer Gemeinschaft von Neo-Bohemiens im Bereich des Online-Publishing und der Designkunst.

Das groß gefeierte Aufkommen des kleinen, freien Unternehmertums im Bereich der Neuer Medien stützt sich unter anderem auf den Nachwuchs und die Fertigkeiten der Kunstszene, die einige ausgezeichnete neue Sites geschaffen hat wie das ada'web, das Artnetweb und The Blue Dot (zusätzlich zu älteren Ablegern der Kunstwelt wie Echo und The Thing und neueren wie Rhizome).1 Diese Sites haben dazu beigetragen, daß die elektronische Kunst floriert. So waren z. B. die ada'web-Projekte von Vivian Selbo, Matthew Ritchie und General Idea die ersten Online-Werke, die von einer bedeutenden Museumseinrichtung, dem San Francisco Museum of Modern Art, erworben wurden. 1996 hatten Silicon Alley- Webzines wie Word, Feed, Urban Desires, Total New York, Stim und NY@work2 einen unabhängigen Medienbereich gebildet, der sich vor allem an Inhalten orientierte und in seiner Einstellung klar von Microsofts machtorientiertem Slate, vom Lifestyle-orientierten Hot Wired und von Time Warners Pathfinder unterschied. Im Frühjahr und Sommer 1995, als ein halbes Dutzend lokaler Möchtegernpublikationen Urban Desire in das Web gefolgt war, erwartete man, daß die in New York ansässige Kreativität schneller als die der Westküste sein und eine unabhängigere und aufgeschlossenere Hi-Tech-Gemeinde aufbauen würde. Ein alternatives Gegenkultur-Ethos nach HackerInnen-Art durchströmte den unabhängigen Bereich und verursachte einen klassischen Kulturzusammenprall, als kapitalistische Unternehmensgruppen von der Westküste oder aus New York (z. B. Flatiron Partners) überall entlang der Alley auftauchten.

Heute ist Feed die einzige Website der ersten Generation, die noch ausschließlich als inhaltsorientierter Online-Publisher arbeitet (und das mit Hilfe von Wired und der New York Times Electronic Media Company). Die anderen sind entweder eingegangen, wurden verkauft oder dienen als kreative Schaufenster, um KundInnen für Internet-Services anzuziehen. In der Zwischenzeit liegt das Potential des Mediums brach. Die grafische Oberfläche ist immer noch schwerfällig, langsam und nach ein paar Bildschirmen ermüdend zu lesen. Der köstlich respektlose und extrem hypertextuelle tägliche Medienkommentar von Suck3 ist die einzige Publikation, deren Lektüre zu einem Muß geworden ist. Bisher glaubt aber niemand, daß der »Way New Journalism« bereits ausgereift sei. Die Szene wird vielmehr oft mit dem frühen Fernsehen verglichen, als einfach Radiosendungen im neuen Format wiederaufgelegt wurden. Aber es gibt auch allerhand vielversprechende Ansatzpunkte, und es werden noch mehr kommen. Der Reiz der Online-Unabhängigkeit stellt heute schon einen prägenden Bestandteil der Jugendkultur dar, und die Vorstellung, in einer »revolutionären« Kultur zu leben oder zu ihr beizutragen, könnte sich als mächtig genug erweisen, um Teile dieser Kultur durch einige der Managementbeschränkungen durchzuschleusen, die von Informationsbürokraten und Venture-Kapitalisten ausgeübt werden.

Silicon Alley war zum Teil eine Schöpfung von KommunalpolitikerInnen und ImmobilieninvestorInnen, die nach einer Möglichkeit suchten, die kränkelnde Ökonomie der Stadt in den frühen neunziger Jahren mit ihrem alarmierenden Prozentsatz an leerstehenden Gebäuden (bis zu 23 %) zu revitalisieren. Zum Teil war sie eine Reaktion auf den sofortigen Bedarf der WWW-Anbieter und -Designer nach kreativen ArbeiterInnen (viele von ihnen Möchtegern-KünstlerInnen und JournalistInnen). Andererseits war Silicon Alley auch der unternehmerische Auswuchs der Self-Publishing-Bewegung, die den großen WWW-Boom antrieb, und Produkt einer neuen Generation von Zwanzigjährigen, die auf der Suche nach glanzvollen Verdienstmöglichkeiten waren, ähnlich den SammlerInnen und GaleristInnen, die die East Village-Kunstszene in den achtziger Jahren bevölkerten.

Warum aber sollte solch eine Industrie im Herzen einer Stadt wie New York existieren, im Zeitalter der Auslagerung von Produktionsmitteln und der virtuellen Dezentralisierung? Die Gründe, die üblicherweise dafür angegeben werden (und in einem Bericht von Coopers und Lybrand aus dem Jahr 1996 aufgezeichnet sind), konzentrieren sich auf den Zugang zu herausgeberischem und künstlerischem Talent, Zugang zu KundInnen und strategischen PartnerInnen im Bereich der Werbung, des Verlagswesens und der Unterhaltung, und Zugang zum kulturellen Prestige der Stadt New York. Ironischerweise ist die Möglichkeit, soziale Kontakte von Angesicht zu Angesicht erhalten zu können, auch für eine digitale Arbeitskultur, die sich ihres physischen Standorts oft nicht bewußt ist, von Bedeutung. Im Gegensatz zum Internet-Hype über die Eliminierung zentralisierter Arbeitsplätze durch die virtuelle Vernetzung von ausgelagerten Terminals ist der »Schmooze-Faktor«4 ein wichtiges Bindeglied im sozialen Raum der Silicon Alley. Das gilt ebenso für New Yorks Bekleidungsindustrie, wo KäuferInnen, HerstellerInnen, DesignerInnen und EinzelhändlerInnen immer noch gerne im Bezirk rund um die 7. Avenue zum Informationsaustausch zusammenkommen. Dieser soziale Aspekt des täglichen Gewerbelebens ist vielleicht ebenso wichtig wie die schnelle Fertigungszeit in der Produktion - er wird ständig als Hauptgrund für die Bewahrung von Arbeitsplätzen im Zeitalter ausgelagerter Produktion angeführt.

Denjenigen, die den Postindustrialismus immer noch für einen Widerspruch in sich halten, ist nicht klar, daß der neobohemistische Korridor der Silicon Alley einer Industrie ähnelt, insofern als dort Produkte hergestellt und weit über seine Grenzen hinaus vertrieben werden. Unter anderem ist die Alley, zuständig für die Internet-Werbung von Konzernen, ein mit geringen Unkosten verbundenes Forschungslabor für Software, ein Unterhändler billiger HTML-Arbeit (es gibt das Klischee, daß Oberschüler bereit seien, für Cappucchinos zu arbeiten, weil es cool sei, Websites zu programmieren) und außerdem ein willkommener, wenn auch schlecht bezahlender, nichtgewerkschaftlicher Arbeitgeber der Reservearmee jener Generation, die andernfalls in Graduiertenseminaren »verramscht« würde. Der Bericht über den ökonomischen Einfluß der Neuer Medien in der Region New York von Coopers und Lybrand wies mehr Angestellte in diesem Bereich auf - und zwar in 1.350 Firmen (allein die über 700 Firmen in der Silicon Alley erwirtschaften über eine Million Dollar an Bruttoeinnahmen) - als im Fernsehen und Verlagswesen. Die 18.000 zusätzlichen Stellen in der Alley, 27.000 in ganz New York und 71.500 im Gebiet von New York, Newark und Jersey City, konnten unterschiedlich interpretiert werden, da sie einen hohen Prozentsatz an Teilzeit- und freien MitarbeiterInnen beinhalteten. Nichtsdestotrotz näherten sich diese Zahlen schnell jenen der größeren Medienbranchen an, und das mit einer Wachstumsrate, die jedes andere Gewerbe der Stadt bereits überholt hat.

Das durchschnittliche Jahresgehalt von Vollzeitangestellten in den Neuen Medien lag jedoch mit $ 31.421 weit unter jeder anderen Branche, etwa Verlagswesen und Filmproduktion mit jeweils $ 47.824 bzw. $ 48.907, oder Werbung und Fernsehen mit $ 62.559 bzw. $ 63.261. (Dieses Gehalt mag zwar in Vergleich zu weltweiten Lohnniveaus komfortabel erscheinen, in New York kommt man damit heutzutage jedoch nicht sehr weit.) Ironischerweise erschien der Bericht mit seiner Vorhersage von 138 % Zuwachs an vollzeit-äquivalenten Stellen im Zeitraum der nächsten drei Jahre5 zu einem Zeitpunkt, zu dem einige Pionierfirmen bereits im Untergang begriffen waren. Viele überlebende Webshops6 sollten im Laufe des Jahres Geschäfte mit Microsoft, Omnicom, Sun, AOL, Time Warner und Viacom machen - Geschäfte, die zugegebenermaßen das stillschweigende Ziel aller AnfängerInnen bleiben. Als der erste Rauch verzogen war, schienen die Möglichkeiten, Webshops zu erhalten, strenger geregelt und die Aussichten auf eine kritische Independent-Kultur wesentlich geringer. Viele neue Schlachten wurden z. B. darum ausgetragen, wessen Veranstaltungskalender der maßgebliche ist und wer somit die lukrativsten Anzeigen bekommt - genau die gleichen Kriege um die Werbegelder der großen Unterhaltungskonglomerate, die von alternativen Zeitungen im ganzen Land geführt wurden. (Das war der letzte Versuch der »Grassroots«-Bewegung, unabhängige Verlagsmedien zu schaffen.) Seit der Einführung von Microsofts Sidewalk New York im Mai 1997 existieren nun mehrere solcher Sites, die sich darauf beschränken, die surfende Öffentlichkeit zu informieren, ob der Film »Jurassic Park« immer noch im Kino an der Ecke läuft.

Wenn Silicon Alley eine neue Art von Kulturindustrie aus der Taufe hebt, dann wird dies wahrscheinlich keine Massenmedienindustrie, noch wird ihr Einfluß notwendigerweise im Freizeit- oder Unterhaltungsbereich liegen. (Offensichtlich ist die Kommunikation zwischen Unternehmen der profitablere Sektor.) Im Unterschied zu anderen Kulturindustrien wie Radio, Film, Fernsehen, Musik, Mode und Werbung, die im Zeitalter der Maschine enstanden, basiert die Arbeitsumgebung der Neuen Medien vollständig auf Maschinen und ist auf eine Weise arbeitsintensiv, die heute zu den Legenden des Cyberspace zählt. »Freiwillige« Überstunden - mit obligatem Zwölfstundentag - gehören zum Alltag derjenigen, die im digitalen Design, im Programmieren und in der Bildbearbeitung tätig sind. Tatsache ist, daß die Neuen Medien unsere Arbeitstrukturen bereits viel radikaler umgeformt haben, als sie sich voraussichtlich auf unsere Freizeit auswirken werden. Ebenso haben Informationstechnologien eine massive Rolle dabei gespielt, Arbeit und Einkommen in der neuen Weltwirtschaft zu restrukturien - indem Zeit, Raum und Arbeit für nahezu jede/n in der ersten Welt reorganisiert wurden. Es wäre treffender zu sagen, daß wir den Anbruch neuer Formen von Freizeit erleben, die von arbeitsintensiven Gewohnheiten, gebunden an Informationstechnologien, beherrscht werden. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, daß auf jede/n von uns, die/der ihren/seinen PC und ihre/seine Software schneller laufen lassen will, fünfzig andere kommen, die eine Verlangsamung wollen. Und, in den Vereinigten Staaten haben die Arbeitsstunden, die von vollbeschäftigten ArbeiterInnen - egal ob UnternehmerInnen oder Angestellten - geleistet werden, in den letzten drei Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen.

Die unterschiedlichen Haltungen zu Computergeschwindigkeiten sprechen Bände darüber, wie die Neue Medien die Arbeitsteilung spreizen, und sollten uns daran erinnern, daß Verbindungen zwischen üblicherweise getrennten Arbeitskulturen geschaffen werden müssen. Silicon Alley präsentiert sich als urbane Enklave der Senkrechtstarter, als Bruchstück einer zukünftigen Utopie kooperativer Arbeit in der virtuellen Stadt, und in dieser Hinsicht gleicht ihre Arbeitskultur den kreativen Technologiebranchen im nördlichen Kalifornien und im Korridor von Bostons Route 128. Sich nur auf den kreativen Bereich ihrer Arbeitskraft zu konzentrieren, hieße jedoch die Annahme zu bestärken, daß Silicon Alley völlig losgelöst von den Industrieorten mit extremer Billiglohnarbeit existiere - getrennt von der elektronischen Chip-Produktion und der Montage von Schaltkreisen in Asien und der Karibik und den Armeen von Textverarbeitungs- und Dateneingabe- angestellten in Irland und Indien. Auch die generelle Annahme, daß diese »symbolischen Analytiker« den am schnellsten wachsenden und lukrativsten Mittelschichtsbereich darstellen, wird durch die Tatsache widerlegt, daß, wie Doug Henwood gezeigt hat, »Arbeitsverhältnisse mit hohem Ausbildungsgrad im nächsten Jahrzehnt [nur] 15 Prozent des totalen Stellenzuwachses ausmachen«, während die tatsächlichen Zuwachsbereiche in der niedrigen Lohnarbeit liegen werden - VerkäuferInnen, KassiererInnen, HausmeisterInnen, Wachpersonal - die anscheinend proportial zum Wachstum des informationsintensiven Gewerbes anschwellen.

Im Juli 1996 provozierte eine Anzeige im WWWAC (World Wide Web Artists' Consortium) eine Flut an Kommentaren, die die Ängste in bezug auf die Arbeit in Silicon Alley gut widerspiegelten. Ein Publisher verkündete, daß er »HTML-Sklaven suche: BewerberInnen müssen Drecksarbeit, Überstunden, Kunstlicht, Koffein und andere Stimulantien lieben und unter Druck Haltung zeigen.« Trotz oder wegen des schwarzen Humors des Postings hat es einen Nerv von Silicon Alley getroffen. Es spiegelt jedoch die Ökonomie der niedrig- bezahlten Leiharbeit wider, die sich längst über die Grenzen der Industrie hinaus verbreitet hat. Das Ergebnis ist eine beständige Verschlechterung der Arbeitsgrundlagen und nicht nur des HTML-Grundgehalts. Verbesserte Software kann gelerntes Programmieren, Kodieren und Bildbearbeitung über Nacht zur Drecksarbeit machen, die Entwicklung des Softwareprogramms Fusion hat sogar eine gesamte Zeitarbeitsarmee obsolet gemacht. Zur Zeit des Postings gab es öffentliche Enthüllungen über die Ausbeuterbetriebe in der Bekleidungsindustrie, die für Kathy Lee Gifford Kinderkollektionen produzieren. Suck hat aufgedeckt, daß die Angestellten von Wired ein Stockwerk in einem Gebäude belegen, das voll von Bekleidungs-Sweatshops ist. Plötzlich schien es, als wäre die berufliche Entfernung zwischen HTML und der Bekleidungsindustrie auf ein Nichts geschrumpft. Die Leiharbeitsfabriken der Jahrhundertwende waren plötzlich wieder im Geschäft, Seite an Seite mit den neuen postindustriellen in den angepaßten Produktionslofts der Cyber-Stadt.

Die meisten Witze über die Sweatshops der Silicon Alley bleiben das, was sie sind: Witze. Aber in letzter Zeit wurden sie von wachsenden Sorgen über die Beschäftigungsstrukturen im Bereich der Neuen Medien begleitet, die laut Coopers und Lybrand zu 33 % aus freien MitarbeiterInnen und Teilzeitangestellten bestehen. Die relativ gut bezahlten DesignerInnen (die es sich leisten können, auf Versicherungspakete und andere Formen der Stellensicherung zu verzichten) wandern häufig von Firma zu Firma und »bestäuben« die Kultur, und zwar in einer Weise, für die Kaliforniens Silicon Valley - das ursprüngliche Modell dieser neuen, flexiblen Konzernorganisation - Pionierarbeit geleistet hat. Dieser extrem mobile Elitekader muß von der Armee der ZeitarbeiterInnen unterschieden werden, die zu vereinbarten Tarifen arbeiten, wann und wo eine Agentur es diktiert. Nichtsdestotrotz wird die Existenz einiger gut bezahlter Posten ständig als Beweis dafür angeführt, daß die Neuen Medien eine boomende Industrie für junge Karrieresuchende seien. Mindestens zwei Jahre lang hat Silicon Alley dieses boomende Milieu bereitgestellt und denen, die sich das Designen mehr oder minder selbst aus dem einzig existierenden guten HTML-Handbuch beigebracht haben, einen schnellen Aufstieg geboten. Die Zeiten, zu denen Angestellte nach weniger als einem Jahr Designarbeit von der Einstiegsebene in die oberen Kader gleiten konnten, sind in dieser Industrie vorbei. Während kreative Inhalte immer im Herzen der Neuen Medien liegen werden - 48 % der Arbeit in Silicon Alley ist kreativ -, wird in den nächsten Jahren soviel Programmier- und Designarbeit, wie in Niedriglohnarbeiten verwandelt werden kann, eben diesen Weg gehen.

Diese Arbeitsstrukturen sind keine Offenbarung, vielmehr scheinen sie bei Geschäftsanfängen obligat zu sein. Aber Ängste wie die oben angeführten sind der Internet-Kultur fremd, die so sehr an ihre »cybertopische« Himmelsstürmerei gewöhnt ist und, davon abgeleitet, an eine grünschnabelige Industrie, die vom inflationären Eifer dieser Himmelsstürmerei angetrieben wird. Ein Jahr der Job-Einbußen und düsteren Geschäftsprognosen hat die Euphorie schwinden lassen. Welche Reste des utopischen Barlowschen7 Naturells die Überfahrt von Kaliforniens blauem Himmel zu Gothams urbanen Schutt auch überstanden haben, ihre arroganten Spitzen sind ihnen durch den wöchentlichen Überlebenskampf genommen worden. Für viele BetreiberInnen kleiner Webshops (für die das Betreiben einer Seite zwischen $ 300.000 und 1 Million $ im Jahr kosten kann) liegt die Zukunft ihres Geschäfts darin, bei Stadt und Staat um Abgabenbefreiungen anzusuchen, insbesondere von Umsatzsteuern und Verbrauchsabgaben. Andere beschwören, daß das Schicksal von Silicon Alley allein in der Hand des Marktes liegen sollte. Eine dritte, zugegebenermaßen utopischere Option ist die öffentlich geförderte Arbeitsplatzschaffung - Arbeitsplätze im Namen der Kultur. Ist die liberale Gesellschaft dazu verpflichtet, kreative Arbeit gerecht zu entlohnen? Fragen wie diese eröffnen hitzige Spekulationen darüber, wie der Wert der Arbeit zu kalkulieren sei bzw. wie versteckte Löhne zu schätzen seien.

Frauen und Minderheiten setzen sich dafür ein, daß auf der Basis gleicher Bezahlung die (höheren) Löhne für Männer beziehungsweise Weiße ausgeglichen werden (ein Teil dieser Löhne ist unsichtbar, da er in Form sozialer Privilegien im täglichen Leben ausgezahlt wird). In einer marktgetriebenen Ökonomie müssen einige Formen kultureller Arbeit wohl geschützt werden, insbesondere die Bereiche der Kunst und der Bildung. Aber dies sind keine günstigen Zeiten, um an den Staat zu appelieren, künstlerische und intellektuelle Freiheiten zu unterstützen. Eine effektivere Form des öffentlichen Diskurses wäre es, eine Bilanz der ungleichen Gehälter für kreative Arbeit in kaum kommerzialisierten und in völlig kommerzialisierten, profitorientierten Bereichen zu erstellen. Ob es jemals eine verfechtbare Position geben wird oder nicht, der Bereich der Neuen Medien, kaum drei Jahre alt, steht bereits jetzt vor grundlegenden Entscheidungen, die das Wesen kultureller Arbeit innerhalb einer Geschäftsökonomie betreffen. Hier geht es nicht nur um ein Dilemma von Gewerbe-Insidern. In Anbetracht der gewerblichen Verortung der Webshops als Avantgarde könnte der Ausgang das Modell für die nächste Generation von KulturarbeiterInnen sein. Bevor wir daher auf das »Info Love Boat« springen, sollten wir sichergehen, daß alle ausreichend bezahlt werden.

 

Übersetzt von Dagmar Fink

 

Andrew Ross ist Professor für American Studies an der New York University. Die vollständige Version dieses Essays wird in »Real Love: In Pursuit of Cultural Justice« (NYU Press, 1998) erscheinen.

1 http://adaweb.com ; http://artnetweb.com ; http://www.thebluedot.com ; http://www.echonyc.com ; http://www.thing.net/thingnyc; http://www.rhizome.com

2 http://www.word.com ; http://www.feedmag.com ; http://www.desires.com ; http://www.totalny.com ; http://stim.com

3 http://www.suck.com

4 Der »Schmooze-Faktor« bezeichnet die Wichtigkeit direkter, milieubildender Sozialkontakte in einem immer stärker mediatisierten Geschäftsbereich.

5 Prognostiziert wurden 120.000 neue Stellen: eine Verdoppelung der Vollzeitangestellten, eine Verdreifachung der Teilzeitangestellten und eine Verdreifachung der vollzeit-äquivalenten freien MitarbeiterInnen.

6 »Webshop« ist eine Analogiebildung zu »Sweatshop«, dem notorischen Ausbeuterbetrieb in der Bekleidungsindustrie.

7 Angespielt ist auf John Perry Barlow, den Verfasser der »Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace«.