Heft 4/1997 - Netzteil
Festivals und Diskurse im Bereich der Neuen Medien können nur schwer mit den aktuellen techno-sozialen Entwicklungen Schritt halten. Zu dezentral haben sich die Subszenen verteilt, zu groß ist die Anzahl der drängenden, aber kaum je durchgearbeiteten Themen geworden. Zur Kompensation dieses Mangels wird oft genug auf die Strategie der Diskursvervielfachung, des losen, dehnbaren und scheinbar umfassenden Überwurfs, gesetzt. Was damit aber verhüllt wird, sind genau jene permanent beschworenen Schnittstellen, an denen High-Tech und Soziales zusammenkommen - oder zusammenkommen sollten.
»FleshFactor - Informationsmaschine Mensch« lautete der thematische Überwurf der diesjährigen Ars Electronica (8. bis 13. September, Linz), und sein Bezug galt nicht einem, sondern einer Vielzahl heterogenster Techno-Diskurs-Splitter: Interfaces, Überwachung, Cyborgs - so die Vorgaben des Symposions -, aber auch böse Konzerne, die Entwicklung bioelektrischer Speicher und »Extropie«, die bislang erschreckendste Version evolutionärer Machbarkeitsphantasien, waren im Festival-Bauchladen zu haben. Gibt diese Zersplitterung zunächst ein recht adäquates Bild der Cyber-Kultur (mit Bandbreite zwischen Hardcore-Wissenschaft und locker sitzender Ideologiekritik) wieder, so zeigt ein zweiter Blick, wie immunisierend diese Themenklitterung tatsächlich wirkt. So warnte Donna Haraway - in ihrem einleitenden kulturkritischen Schwenk - einmal mehr vor der Implosion von Biologie, Technologie, Ökonomie und einer damit drohenden neuen Eugenik. Als Beispiel hatte sie die mittlerweile auch in Cultural Studies-Kreisen bereits berühmte »OncoMouse?« - eine gentechnisch veränderte Maus - anzubieten, die der amerikanische Konzern Du Pont, ansonsten auf Nylon- und Plutoniumproduktion spezialisiert, 1988 hat patentieren lassen.
Nachdem somit ein Hauch des Kritischen etabliert war, konnten die Praktiker aus dem (ganz und gar nicht uninteressanten) Laboralltag berichten. Von der Entwicklung neuer, kostengünstiger Proteinspeicher (Robert Birge) erfuhr man ebenso wie von Peter Fromherz' schon länger währenden Experimenten mit Neuron-Silizium-Verbindungen, und Philosoph Daniel Dennett durfte per Videokonferenz die mittlerweile auch schon leicht angegraute Computermetapher des menschlichen Geistes hochhalten: Nicht die Hardware sei das Problem, sondern die Software-Ebene sei es, auf der sich ein Schachweltmeister und er, Dennett, intelligenzmäßig unterscheiden würden - eine Ansicht, der die Neurophilosophin Patricia Churchland vehement widersprach. Nirgendwo wurden aber jene Widersprüche und Konsequenzen weitergedacht, die eine Konfrontation von Haraways Wissenschaftskritik mit der Praxis der Biowissenschaften eigentlich zeitigen müßte. Zwar gaben auch die »wissenschaftlicheren« Beiträge wie jener Churchlands vor, vom Status des Selbst im Informationsgetriebe zu sprechen, aber in welcher Form dieses Selbst immer stärker von den Interessen der Bioindustrie durchdrungen, ja mitgeneriert wird, kam weniger denn je zur Verhandlung.
Ähnlich zweifelsfrei - und sozial abgehoben - gestaltete sich die Auseinandersetzung mit dem Dauerthema Überwachung. Ein ebenso manisch wie unterhaltsam vor sich hinexperimentierender Steve Mann, Erfinder der »WearCam«, einer Kamerabrille mit Internetanschluß, möchte den allgegenwärtigen Überwachungstechnologien durch individuelle Gegenüberwachung begegnen und damit zu einer »humanistischen« Lösung des Problems beitragen. Auch Science-Fiction-Autor Neal Stephenson (»Snow Crash«) gab sich einem nicht weniger bizarren Illusionismus hin, indem er die Idee einer »globalen neighborhood watch« propagierte und die Vorteile von Mikro-Zwängen gegenüber konzentrierten Mächten pries. Was mit diesen eher kruden Annäherungen völlig ausgespart blieb, war die Komplexität, die der Diskurs zum Thema Überwachung bzw. die unterschiedlichen Überwachungsmilieus mittlerweile erlangt haben (siehe springer 1/97). Operieren Kontrollregimes nur noch partiell auf der Basis visueller, kameraartiger Erfassung - wofür mittlerweile genug Evidenz vorliegt -, so läßt sich ihnen auch nicht ausschließlich visuell begegen, wie Steve Mann dies mit seiner Eskalationsperformance nahelegte. Und auch Stephensons positiv gewandte Überwachungs- und Mikrozwangphantasie konnte nur legitimatorisch nachbeten, was längst schon real geworden ist: daß Macht nämlich immer schon dezentralisiert ist und gerade vermittles neuer Technologien (wie Datenbanksystemen und Rasterfahndung) mikrophysisch ausgeübt wird.
So blieb es einmal mehr der holländischen Agentur Bilwet vorbehalten, die Rolle der fröhlichen Nihilisten zu spielen und auf die Rache des Körpers, die elektronische Einsamkeit und physischen Deformationen infolge einer exzessiven Vernetzung hinzuweisen. So redundant diese Botschaft mittlerweile sein mag, so hartnäckig verweist sie immerhin auf jene sozialen Leerstellen, um die Festivals wie die Ars immer noch gerne einen weiten - obgleich opulent ausstaffierten - Bogen machen. Der »FleshFactor« kümmerte sich bespielsweise wenig um jene Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnisse, denen immer mehr Lohnsklaven im gar nicht so virtuellen Cyberspace unterliegen (vgl. den Beitrag von Andrew Ross in diesem Heft). Aber auch die Frage, wie Medienkunst sich wirksam mit den sozialen Rändern der fortschreitenden Technisierung auseinandersetzen könnte, blieb weitgehend unberührt.
Einen Versuch in diese Richtung wollte die Virtual-Reality-Installation »World Skin« der beiden Franzosen Maurice Benoyoun und Jean-Baptiste Barrière unternehmen. Die BenutzerInnen navigieren dabei durch ein virtuelles (nicht klar referentialisiertes) Schlachtfeld und schießen mit eigens präparierten Kameras buchstäbliche »Ausschnitte« in das chimärenhafte Kriegsszenario. Inszeniert ist also einmal mehr der mächtige Blick eines anonymen Mediums, mißverstanden als Waffe und noch dazu so diffus-schillernd visualisiert, daß gerade die konkreteren Bezüge auf Kriegsberichterstattung und europaweitem Balkan-Voyeurismus wieder verloren gehen müssen. Ähnlich drastisch (und ebenso kontextlos) gibt sich Paul Garrins und David Rockebys preisgekrönte Installation »Border Patrol«, die in der Ars-Ausstellung allerdings fehlte. Ein simulierter, vollautomatisierter Grenzwall nimmt Besucher ins Visier, verfolgt sie und feuert mittels spezieller »Snipercams« akustische Salven auf ebendiese ab. Was als Visualisierung realer Überwachungsmonturen konzipert ist, bietet letztlich doch nicht viel mehr als die Videospielversion von Grenzschließung und Abschiebepraxis. Schließlich befassen sich auch die preisgekrönten Netzarbeiten »Skin Temperature«, »Web Hopper« und »Net Sound« der japanischen Gruppe sensorium mehr mit der gefälligen Spektakularisierung (vor allem der sinnlichen Erfahrbarmachung) des Internet, als irgendeinem realen Gebrauchszusammenhang exemplarisch nachzugehen.
Konsequent und vor allem auch state of the art gab sich - wie im Jahr zuvor - »Sub'tronic«, die gut gewählte DJ-Line im Nachtprogramm der Ars: Ob nächtliche Schiffahrt auf der zum »Mego Loveboat« umfunktionierten MS Ostarichi oder »Death Ambient«-Zug durch das VÖEST-Gelände - diese Soundinszenierungen führen vor, welchen Kräftefeldern ein elektronisch gequältes Selbst zwischen alten, industriellen und neuen, noch weitgehend unbekannten Subjektivierungssystemen ausgesetzt ist. Dabei dringt gerade der Mego-Sound (Pita, General Magic, Fennesz) bis an die Ränder entsubjektivierter Programmiersprachen vor und wendet das systemimmanente Rauschen und Knacken gegen vorschnelle Harmonisierungen. Insgesamt entwerfen die »Sub'tronic«-Szenarien am ehesten jenen kakophonisch-zerfallenden Bewegungsraum, in den die Informationsmaschine Mensch zunehmend eingespannt ist. Nicht nur finden hier die gelungensten Konfrontationen von eleganten Line-Ups, lokalen Bezügen und unnachgiebigen Störfrequenzen statt, auch die sozialen Lücken werden nicht voreilig durch selbstimmunisierende Diskursverschnitte oder multimediale Euphemismen überspielt.
Ars Electronica 97: FleshFactor - Informationsmaschine Mensch. Hg. v. Gerfried Stocker und Christine Schöpf. Wien/New York 1997
Cyberarts: International Compendium Prix Ars Electronica. Hg. v. Hannes Leopoldseder und Christine Schöpf. Wien/New York 1997
Vgl. auch den Kommentar von Rudolf Maresch, »Der Mediendiskurs in der Krise« (http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/2204/1.html).