Heft 1/1998 - Ränder Formate Verortung


Offene Blockaden - geschlossene Transfers

Anmerkungen zur aktuellen Cultural Studies-Rezeption

Christian Höller


Der »Ringkampf mit den Engeln« beginnt auch hierzulande langsam in eine Art Stellungsgerangel überzugehen. Was mit dem häretischen Ringkampf im inner- und außerakademischen Diskursbetrieb gemeint ist, hat sich herumgesprochen: Es handelt sich um das symbolpolitische Konglomerat namens Cultural Studies, und es kommt nicht von ungefähr, daß sich für diese Bezeichnung immer noch keine adäquate deutsche Übersetzung gefunden hat - ja vielleicht nie wird finden lassen. Schließlich existieren gerade im Verhältnis der Kulturen, so eine der gängigen Lehren, Unübersetzbarkeiten - Unübertragbarkeiten, die nichtsdestotrotz - und gerade um einem falsch verstandenen Differenzdenken entgegenzutreten - unausgesetzt verhandelt und reklamiert, kurzum: bearbeitet werden müssen. Nur so ließe sich längerfristig projektieren, daß diesen Differenzen ihr Recht auf ökonomisch unterfütterte Anerkennung, bei gleichzeitig steigender Demokratisierung, irgendwann einmal auch gewährt wird.

Stuart Hall, auf den das Bonmot vom »Ringkampf« zurückgeht, hat dieser Metapher unverzüglich den Nachsatz angehängt, daß die »einzige Theorie, die es zu verfolgen lohnt, diejenige sei, gegen die man sich wehren muß, und nicht diejenige, die man bereits flüssig beherrscht«1. Betrachtet man die lokalen österreichischen, deutschsprachigen Bezüge zum weiten Cultural Studies-Feld, so überwiegt bislang immer noch der Eindruck verquerer Projektionen. Hier scheint weder das Desiderat der immanent-konstruktiven Wehrhaftigkeit noch das Schreckgespenst der flüssigen Beherrschung wirklich zuzutreffen. Tatsächlich stehen Cultural Studies als mögliche Anleitung zu »eigenem«, ortsspezifischem Arbeiten im Moment irgendwo zwischen gesteigertem individuellen Nachholbedarf und hastiger institutioneller, aber auch medial-gehypter Verabreichung. Währenddessen schallen aus dem transatlantischen Raum schon die Echos heftiger innerakademischer Angriffe nach Europa, Angriffe, die den schnellen akademischen Aufstieg der CS, aber auch deren aushöhlende Überdehnung zu einer Art »Spice Girls unter den Diskursen«, stoppen wollen. In diese Sparte fallen sowohl wissenschaftstheoretische Attacken als auch fachspezifische Demontageversuche, denen fächerübergreifende Ansätze oft per se schon ein Greuel sind.2

In dieser paradoxen - und mehrfach überlagerten - Situation ist kaum zu erwarten, daß tatsächlich jener internen Wehrhaftigkeit, die Theorien überhaupt erst produktiv macht und auf politische Verhältnisse hin ausrichtet, genügend Spielraum bleibt, um vor allem zweierlei zu verhindern: CS als schnell akquiriertes Importgut dem Flair des Exotischen (oder Distinktiven) preiszugeben; und - zweitens - CS als neuer akademischer Melange genau jene aufrührerischen Spitzen zu nehmen, die sie zu ihren Glanzzeiten im anglo- amerikanischen Raum ganz sicher besessen haben. Wenn also eine intensivierte Auseinandersetzung mit CS in deutschsprachigen Diskursräumen zu begrüßen ist (wovon ich ausgehe), dann sind vorneweg auch jene Ringkämpfe miteinzuplanen, und zwar auf den verschiedensten Terrrains, die immer schon eng mit der CS-Diskurspolitik verknüpft waren: ob im Pop-, Medien-, Kunst- oder Urbanismusbereich, so wenig abgrenzbar diese voneinander sind, zum einen, in universitären und außeruniversitären Forschungsstätten zum anderen. Auf all diesen Terrains sind langwierige Legitimierungs- und Politisierungsdispute zu erwarten, die nicht durch vorschnelle Kanonisierungen zu befrieden sein werden. Schließlich bleiben in diesen Szenen auch die Übersetzungs- und Übertragungsprobleme virulent, die seit dem Beginn jugendkultureller Poprezeption in Mitteleuropa für Verwirrung, aber auch für geschmeidige Adaptionen gesorgt haben.

Insgesamt wäre es vermessen, von einem bislang herrschenden Rezeptionsmanko zu sprechen.3 Wer sich schon früh mit dem Aufkommen und der zunehmenden Konsolidierung von CS befassen wollte, konnte dies natürlich - anfangs sogar recht ungestört - tun. So sickerten schon in den siebziger Jahren die damals florierenden Subkulturstudien in mitteleuropäische Pädagogik- und Soziologielehrgänge ein und blieben dort, bis sie von größeren Mediatisierungen erfaßt wurden. Eine Zeitlang waren es die mikropolitischen Kanäle, auf denen das Wissen um kulturelle Hegemonie und symbolpolitische Artikulationen weiterfloß und dort für die Einsicht sorgte, daß das Ringen um »gerechtere« Kräfteverhältnisse nie zur Ruhe kommen werde. Daneben begannen Theorie-, Pop- und Kunstmedien wie etwa »Ästhetik & Kommunikation«,» Das Argument«, »Spex«, »A.N.Y.P.«, »Texte zur Kunst«, »Vor der Information und andere mehr« wie auch Kleinstinstitutionen und -festivals wie der Kunstraum der Universität Lüneburg, Depot Wien ab 1994, W.I.E.N. Sounds Fair 1995 und 1996, spezifische Debatten aus dem CS- Konglomerat aufzugreifen und für ihre Bedürfnisse zuzuschneiden - was im übrigen seit Beginn dieses Diskurses eine methodisch wohlüberlegte Vorgabe war. Wissen sollte »strategisch« einsetzbar ein, womit eben kein strenger Kanon und keine ein für allemal festgeschriebene Vorgangsweise gemeint war, sondern genau jenes Ringen mit den immanenten Widersprüchen und situativen Erfordernissen einer theoriegeladenen »Intervention«. Wenn dies zu Transferblockaden und Übertragungslücken führte, so war damit immer noch etwas, zumindest an Aufarbeitungsbedarf, gewonnen.

Um welche Blockaden geht es hier im speziellen, oder anders gefragt: welchen inhärenten Widersprüchen und damit auch hierzulande erwartbaren Konfliktlinien waren CS von Anbeginn an ausgesetzt? Obgleich die interne Ausdifferenzierung, Spartenbildung und Absetzbewegungen über die letzten zehn, zwanzig Jahre höchst unüberschaubar geworden sind,4 seien einige ganz spezifische Momente hervorgehoben, deren »lokale Bearbeitung« bestimmt auch über Aufstieg und Fall von CS mitentscheiden werden. Zunächst zum Kontextualismus-Prinzip, demzufolge kulturelle Praktiken, etwa ein bestimmter Umgang mit Popmusik, immer eingebettet sind in ein Kräfteverhältnis von residualen, dominanten und emergenten Kulturfeldern, aber auch in das engmaschige Netz jener Beziehungen, die herrschende Ideologien, zum Beispiel den borgeois-kapitalistischen Liberalismus, und deren Herausforderungen, etwa zum minoritären Widerstand, im gelebten Alltag verankern. In diesem Sinn spricht Lawrence Grossberg davon, daß CS eine »kontextspezifische Theorie/Analyse derjenigen Prozesse seien, durch welche Kontexte erzeugt, aufgelöst und neubearbeitet/neugeschaffen werden, und zwar gerade als Macht- und Beherrschungsstrukturen«5. Dieses Kontextprinzip hat eine zutiefst performative Dimension, die wesentlich mehr - und vor allem etwas anderes - besagt als die beliebte Leerformel, wonach die institutionelle Einbettung über Bedeutung und Stellenwert, etwa von Kunst, entscheide. Tatsächlich gingen frühe institutionskritische Ansätze oft genug von der »Artworld« als alleinbestimmendem Rahmen einzelner Arbeiten aus, so als ob sich dieser Bereich selbst klar abzirkeln ließe und eine Kritik daran automatisch schon ein Außen dieses Rahmens anzeigen könnte. Kontexte sind in Grossbergs Diktion aber viel verzweigtere, porösere und überlappendere Gefüge, als eine reduktive Institutionskritik dies gemeinhin annimmt: Gefüge, die in entsprechenden Analysen/Arbeiten vor allem auch immer mithergestellt werden und nicht passiv auf ihre Aufarbeitung »warten«.6 Entlang dieser Linie ist es einleuchtend, wenn er den dominanten Umgang mit Pop- und Rockmusik in den achtziger Jahren als neokonservative Artikulation bestimmt, die die ehemals utopisch besetzten Fluchtlinien der Counter-Culture zu wirksamen Systembestandteilen umfunktioniert habe. Heute gehen Kritiker wie Thomas Frank sogar so weit zu behaupten, die Gegenkultur der sechziger Jahre sei von Anfang an unter den unternehmerischen Fittichen der Lifestyleindustrie gestanden, die die Figur des »rebellischen« oder »dissidenten« Konsumenten als Marketingsubjekt etabliert habe.7

So wenig diesen Analysen zu widersprechen ist, so offen bleibt ihr mögliches Andocken an spätere historische Kontexte, aber auch an ortsspezifische Konstellationen im nicht-angloamerikanischen Bereich. Genau an diesem Punkt beginnt das Kontextualismus- Prinzip aber seine volle Tragweite zu entfalten. So wenig sich nämlich behaupten läßt, daß die symbolischen Gegenentwürfe zum geschmeidigen Neoliberalismus mit der Kontextfigur republikanische/neokonservative Rechte - Hegemoniebestreben - Popkultur (Rock at the White House; Thatcher meets Richard Branson) an einen ausweglosen Endpunkt gekommen seien, genausowenig ist dieser spezifische Kontext eins-zu-eins auf Deutschland oder Österreich übertragbar. Zwar kommen mittlerweile Busladungen mit CDU/CSU-Nachwuchs zu jeder Love Parade, dennoch kann dies nicht die Schlußfolgerung nahelegen, die Ära Kohl würde auf ganz spezifischen Popmomenten beruhen. Eher schon wäre hier zu untersuchen, wie immer umfassendere Jugendlichkeitskonzepte das zunehmend normalisierte Soziale durchmischen, wobei die nicht-so-leicht- domestizierbaren Ränder immer mehr in Richtung Selbstverantwortung und Sicherheitsdienst gedrängt werden.8 Das Musik- oder Popfeld gerät dabei schnell einmal zur vielschichtig besetzbaren Schnittfläche, wo sich die, die sozial »drinnen« sind, mit jenen, die »draußen« bleiben, mischen (und oftmals zum gleichen Groove tanzen). Im Beharren auf kontextspezifischen Analysen liegt also insgesamt eine Verwahrung gegen vorschnelle Methoden- und Inhaltstransfers, ohne daß dadurch Übertragbarkeiten prinzipiell in Frage gestellt würden. Aber erst im performativen Zusammenziehen verschiedenster, teils entlegener Kontextfragmente, die mehr der Eigengesetzlichkeit des historischen Moments als einer autoritären Vorgabe geschuldet sind, erst in diesem konstruktivistischen Verfahren, das eben keine geschlossenen Feldgrenzen respektiert, könnten CS ihren renitenten Charakter bewahren.

Eine zweite, hier anschließende Konfliktlinie windet sich um das Problem der Offenheit oder Geschlossenheit der CS. Seit den Birminghamer Gründungstagen dreht sich eine immer noch anhaltende Grundsatzdebatte um die Fixiertheit bzw. Bestimmtheit des theoretischen Repertoires. So hat Stuart Hall immer, auch um seiner eigenen Autoritätsrolle ein wenig entgegenzuwirken, auf die prinzipielle Offenheit von CS verwiesen. Er sieht sich heute noch in dieser »Wahl« bestätigt, wenn er meint, daß jeder Versuch einer Schließung zu einem bestimmten historischen Moment falsch gewesen wäre: Hätten CS ihr Feld um das poststrukturalistische Subkulturparadigma der frühen siebziger Jahre geschlossen, so wären feministische Ansätze, aber auch Ethnizitäts- und Minoritätsdiskurse vielleicht für immer »draußen« geblieben. In der persönlichen Weigerung Halls, der »Grenzpolizist« des CS-Territoriums zu sein, spiegelt sich die allgemeinere Einsicht wider, wonach im CS-Konglomerat immer die jeweils andere, im Verschwinden begriffene Tendenz am Laufen zu halten ist: der Impuls zur Entinstitutionalisierung, sobald der Diskurs einmal akademisch fix verankert ist (also etwa: hinaus in die Gegenwartskunst oder in die Popmedien); oder der stete Drang, sich in Feldern mitaufzuhalten, auf denen man keine Expertise besitzt - ein Drang im übrigen, der heute vehementest als »Deskilling« bekämpft wird.9

Was heißt dieses methodische Beharren auf der prinzipiellen Unabschließbarkeit von CS angesichts der lokalen Rezeptionsbedingungen? Zunächst einmal sicher nicht, daß dadurch alles, was bislang unter dem Signet Kulturtheorie lief, mühelos unter das neue CS-Etikett subsumierbar sei. Auch die endlos und beliebig scheinende Ausdehnung auf kulturelle Gepflogenheiten, Geschmäcker und Gerüche käme wohl einer Bankrotterklärung gleich. Hier wird vielmehr das zentrale Politikum(10 von CS relevant, das dieses Projekt seit den sechziger Jahren zu einer treibenden intellektuellen Kraft machte: nämlich im Auge zu behalten, wie symbolische Artikulationsweisen materielle Konsequenzen nach sich ziehen und eben keinen autonomen Bereich bilden; oder auch wie eine symbolische Ebene immer in Kräfteverhältnisse miteingespannt ist, die im Alltagsleben für Er- und Entmächtigung gleichermaßen sorgen. Die affektive Koppelung an bestimmte Rock- und Popstile wirkt sich nun einmal, um ein triviales Beispiel zu nehmen, in einem geänderten »way of walking« und »way of talking« aus. Wie emanzipierend dieser Niederschlag tatsächlich ist, bleibt von Fall zu Fall, von Formation zu Formation, zu entscheiden. Nicht nur um dieser sich ständig ändernden Struktur auf die Schliche zu kommen, werden unabschließbare Kontextkonfigurationen betont. Auch um intellektuelle (oder symbolische) Arbeit in die Veränderung von Alltagsfragmenten zu reinvestieren, muß dieser weitschweifige »Umweg auf der Straße zu etwas Interessanterem«, der die Theorie laut Hall nun einmal ist, genommen werden. Der Offenheit von CS für das breite Spektrum zwischen Popkultur, Minoritäten und globaler Ökonomie läßt sich daher in einer lokal gegebenen Situation nur durch homologe Öffnungen begegnen: keine einmalige Verankerung in einer einzelnen, beispielhaften Institution, eher schon ein dezentrales Füttern von Kunstprojekten, Nischenmedien und versuchsweisen Studienläufen, ohne daß die zentrale Agenda dabei aus dem Blickwinkel fällt, nämlich für (antirassistisch und antisexistisch) veränderte Alltagspraktiken einzutreten.11

Eine dritte Bruchlinie, die unmittelbar an dieses Politisierungsmoment anschließt, betrifft die These von der Populärkultur als Ermächtigungsplattform für widerständige, nicht- normalisierte, identitätsstiftende Ausdrucksweisen. Auf der einen Seite stehen hier jene (hegemonietheoretisch geschulten), die im Popfeld gerade das Zursprachebringen unterprivilegierter, ausgeschlossener oder bislang absenter Stimmen begrüßen/erwarten, ohne Marginalität dadurch per se schon zu einem Wert zu erheben. Die andere Seite wird von all jenen Kritische Theorie-Geschulten besetzt, die im Populären immer noch nicht viel mehr als die diabolische »Zurichtung hilfloser Subjekte für die nächste Phase globalkapitalistischer Verhältnisse« sehen.12 Dabei wird Ermächtigung natürlich auch von der ersten Fraktion nicht einfach mit Widerstand gleichgesetzt. Zwar geht die Ermächtigungsthese auf die Frühzeit am Birminghamer CCCS zurück, wo in den diversen Popstilen vor allem das »symbolische Widerstandspotential« zu orten versucht wurde, doch ist dieser Ansatz selbst mittlerweile durch unzählige Transformationen gegangen: von Janice Radways Reinterpretation von Trivialromanen als »Stärkungsmittel« unterdrückter Frauen über Simon Friths These vom Musikhören als sozialer Geste und performativer Praxis hin zur aktuellen Ansicht, wonach »die Medien (der Popkultur) 'gelebte Geografien' produzieren würden«:13 Navigationsrouten und (fragmentierte) Lebensformen in bezug auf einen heterogenen Alltag, der nunmehr als Schnittfläche diversester Praktiken, von Mobilitäten und Stabilitäten unterschiedlichster Individuen, kodiert ist. Dieser Ansicht zufolge hat eine Phase von Popkulturvermarktung und -rezeption eingesetzt, in welcher weltweit operierende Medien lokale Szenarien mitgenerieren, in denen unterschiedlichste Ideologeme, und das imagehaft, zirkulieren. Werden neue Imagekonstrukte über diese Kanäle ausgesandt, so erfolgt eine unverzügliche - und vor allem nicht steuerbare - Sedimentierung/Einschmelzung in lokale Identitätsbaustellen. So wenig diese mediatisierten Identitäten auf irgendeiner Form von politischer Programmatik aufbauen, so wenig sind ihnen ein ortsspezifisches Aushandeln und brüchiges Vermitteln zwischen allgegenwärtigem Issue-Druck und individualisierten Ansprüchen streitig zu machen.

Wie die Gegner dieser These (etwa Rosalind Krauss) nicht ganz zu unrecht betonen, droht hier ein ständiges Projektionsproblem, das im schnöden Konsum allein schon die Produktion, in den ideologischen Effekten deren institutionelle Bedingungen wahrzunehmen glaubt. Mittlerweile würden aber sowohl Produktion wie ideologische Rahmung des Alltagslebens auf immer perfekteren und perfideren Stand gebracht, während das Gros der CS-Adepten immer noch in den neuesten Melrose Place-Folgen und Spice Girls-Singles wühlten und ihr Fach damit immer mehr zu einer Art »feinsinniger Konsumentenberatung«14 ausbauten. Dennoch, so muß man entgegnen, wäre es angesichts dieser Warnung fatal, würden nun alle KulturkritikerInnen darangehen, wieder nach stabilen Verhältnissen zwischen hintergründigem Geldfluß und kulturellen Oberflächen zu suchen.15 Eine solche Alibihandlung, nämlich Ökonomie gegen Popkultur auszuspielen und erstere wieder als alleinbestimmende Basis zu inthronisieren, kann die identitätsgenerierenden Effekte des Kulturell-Medialen höchstens ein wenig in Verruf bringen, nicht aber prinzipiell widerlegen. Und am Ende wäre damit wieder nur der Mythos vom erfolglos-sperrigen Neoavantgardisten hochgehalten, der die wahre Kapitalismuskritik leiste.

Im übrigen ist und bleibt es spannender, genau jenen Kontextartikulationen nachzugehen, die beispielsweise ein Kunstprojekt mit antirassistischen Inhalten, diese mit poplastigem Material, dieses wiederum mit medialen Distributionsformaten, diese dann mit möglichen Werbeeffekten und so fort kurzschließt. Dieses Nachgehen, das CS immer betrieben hat, ist selbst produktiv, kontextgenerierend, und trägt zumindest ein klein wenig dazu bei, daß symbolische Produktionen dort ihre Wiederverankerung finden, wo sie ihren Ausgang nehmen: nämlich jenen materiellen Verhältnissen, auf deren Bearbeitbarkeit immer auch künstlerische, popmusikalische, filmische, etc. Ansprüche erhoben werden. Die Ermächtigungsthese führt also unweigerlich zur überlappenden Vielfalt der Repräsentationsfelder und -formen zurück, deren offene und widersprüchliche Schichtung keine vorschnelle Reduktion auf generalisierende Modelle erlaubt. Verfolgt man entlang dieser Linie die laufenden Umschichtungsprozesse an den Rändern kultureller Formationen weiter und behält ihre sozialen Stabilisierungs-/Destabilisierungswirkung im Auge, so bleibt vielleicht auch vom »Ringkampf mit den Engeln« im lokalen Umfeld mehr übrig als nur ein inszeniertes Scheingefecht.

 

 

1 Stuart Hall, »Cultural Studies and its Theoretical Legacies«, in: Grossberg/Nelson/ Treichler (Hg.), Cultural Studies, New York/London, 1992, S. 280.

2 Auf wissenschaftstheoretischer Seite ist hier vor allem die sogenannte »Affäre Sokal« zu erwähnen, nachzulesen etwa bei Barbara Kirchner/Dietmar Dath, »Lizenz zum Entlarven«, Spex, 1 (1998), S. 36 ff.; kunsthistorische Angriffe auf das CS-Feld finden sich bei Rosalind Krauss, »Welcome to the Cultural Revolution«, October, 77 (1996) oder bei Hal Foster, The Return of the Real, Cambridge, 1996, vor allem S. 173 ff.

3 Gute Überblicke bieten Tom Holert, »Kulturwissenschaften zu Cultural Studies«, Spex, 8 (1995), S. 50 und Diedrich Diederichsen, »Nachsitzen für das ideale Institut«, Spex, 5 (1996), S. 52 ff.

4 Evidenz dafür liefert der jährliche Routledge-Katalog zu »Media, Film and Cultural Studies«, der mittlerweile gut fünfzehn Einzelsparten auflistet.

5 »Cultural Studies, Globalization and the Logic of Negativity«, Vortrag, gehalten am 4. Dezember 1997 im Rahmen eines von IFK und österreichischem Wissenschaftsministerium veranstalteten Symposions in Wien.

6 Vgl. dazu auch Martin Beck, »Geschichte und Werkzeug«, springer, Bd. III, 3 (1997), S. 60 ff.; eine erste Sammlung CS-bezogener künstlerischer Ansätze ist enthalten in: von Bismarck/Stoller/Wuggenig (Hg.), Games Fights Collaborations, Ostfildern-Ruit, 1996.

7 Vgl. Thomas Frank, The Conquest of Cool, Chicago/London, 1997 sowie Frank/Weiland (Hg.), Commodify Your Dissent, New York/London, 1997.

8 Vgl. zu diesem Zusammenhang etwa das Special zu »Medien, Jugend, Gewalt«, Spex, 9 (1996), das Interview von Tom Holert mit Jürgen Link, »Gewinn der Mitte«, Texte zur Kunst, 20 (1995), S. 43 ff. und - in bezug auf die letztjährigen »INNEN!STADT!AKTIONEN!« die Beilage zur taz vom 2. Juni 1997.

9 Eine ähnlich »offene« Bestimmung wie Hall verfolgt auch Gayatri Spivak, vgl. ihr »Scattered Speculations on the Question of Cultural Studies«, in: Outside in the Teaching Machine, New York/London, 1993, S. 255 ff.; zur Kritik am »Deskilling« vgl. Rosalind Krauss, »Der Tod der Fachkenntnisse und Kunstferigkeiten«, Texte zur Kunst, 20 (1995), S. 61 ff.

10 Dieses politische Moment betont auch Roman Horak in seinem Text »What's going on?«, Falter, 36 (1997), S. 46.

11 Eine gute Blaupause hierfür könnten die Heterogenität und Fächervielfalt des ersten großen CS-Readers (vgl. Anm. 1) sein.

12 Als Vertreter der ersten Seite wäre etwa John Fiske, Understanding Popular Culture, London/New York, 1989, zu nennen; die zweite Seite präsentiert sich geballt in October, 77 (1996), S. 25 ff.

13 Vgl. etwa Janice Radway, Reading the Romance, Chapel Hill, 1984 sowie Simon Frith, Performing Rites, Cambridge, 1996 und Grossbergs aktuellen Ansatz (vgl. Anm. 5).

14 Vgl. das Interview mit Simon Frith von Jan Engelmann, »Roter Faden Performanz«, Spex, 6 (1997), S. 58 f.

15 Ein - differenziertes - Miteinbeziehen der Ökonomie wird im übrigen auch auf CS-Seite immer häufiger verlangt (vgl. etwa Grossberg, Anm. 5).