Heft 1/1998 - Artscribe


Attila Csörgö

25. November 1997 bis 13. Dezember 1997
Stúdio Galéria / Budapest

Text: Károly Kókai


Zwei Tetraeder, die sich in einen Würfel verwandeln und umgekehrt. Die Tetraeder und der Würfel selbst existieren hier nur im Übergang: der Sinn des Werkes ist ein im Chaos verschwindendes Moment. Während der Bewegung der Holzstäbchen und Schnüre auf der Tischplatte ist die Konstruktion unverständlich. Erst in einem kurzen, erstarrten Moment, als der sich endlos wiederholdende Kreislauf stillzustehen scheint, nimmt sie eine verständliche Form an. Daß dabei etwas Vollkommenes entsteht, ist das Faszinierende hier. Die Faszination dauert vielleicht nur kurz. Wenn man einmal eine volle Phase des Bewegungsablaufs zu Ende verfolgt hat, stellt sich ein Aha-Erlebnis ein und man verliert das Interesse. Man hat es ja verstanden. Ein raumgeometrisches Problem wurde in der Bastlerwerkstatt gelöst. Vielleicht bleibt man von Attila Csörgös Werk »Platonische Liebe« auch etwas länger fasziniert.

Csörgös Werke sind der Versuch, etwas Einfaches auf komplizierte Weise zu zeigen. Das Werk ist dann das Durcheinander der ineinandergehängten und miteinander verbundenen Werkzeuge und Konstruktionsteile. Kunst ist hier Handwerk, Können, Technik. »Platonische Liebe« besteht aus Elektromotoren, Holzbrett, Tischlerklemmen, Schnüren, Gewichten. Das Werk ist präzise kalkuliert und fragil.

Attila Csörgös Werken konnte man in Österreich bereits mehrfach begegnen. Seine »Geschälten Räume« waren 1996, seine »Drei Körper« 1997 in der Oberösterreichischen Landesgalerie in Linz, sein »Maelström Projekt« 1997 in der Neuen Galerie in Graz zu sehen. Alle diese Werke zeugen von einem mit dem von »Platonische Liebe« vergleichbaren Schaffensprozeß. Ein geometrisches, ein physikalisches Problem wird anschaulich gemacht, eine funktionierende Maschine produziert. Die verwendeten Materialien - wie Altöl und Sand neben Elektromotor und Projektor - und der zusammengesetzte - optische, kinetische - Mechanismus verbinden das Einfache und das Komplizierte zu einer verstörenden Einheit.

In einem Kunstwerk gelöste wissenschaftliche Fragestellungen bringen zwei Sachen zusammen, die auf den ersten Blick wie selbverständlich zusammengehören, auf den zweiten jedoch auf einen komplexen Sachverhalt verweisen. Moderne ist das Ergebnis von Modernisierung. Moderne ist aber zugleich der Gegensatz von und die abwehrende Reaktion auf die Modernisierung. Da Modernisierung Technisierung, Wissenschaftlichkeit und Rationalisierung bedeutet, ist moderne Kunst von romantischer Flucht bis zu selbstvernichtender Subversion die Auflehnung gegen sie. Mit »Platonischer Liebe« weist Csörgö auf den Ursprung dieser Entwicklung hin. Die griechische Philosophie wird allgemein als der Geburtsort dessen bezeichnet, was uns als Modernität bekannt ist. Geometrie wurde sowohl von den griechischen Philosophen, als auch von Descartes am Beginn der Neuzeit als exemplarische Wissenschaft angesehen, um die Vernunft als letzten Grund aufzurufen. Plato beschrieb fünf regelmäßige Körper, die seither die Bezeichnung »Platonische Körper« tragen. Diese hätten gleiche Kanten, gleiche innere Winkel, seien von regelmäßigen Vielecken begrenzt und hätten an ihren Ecken dieselbe Kantenzahl. Die zwei einfachsten seien Tetraeder und Würfel. In der Bastlerwerkstatt von Csörgö wird etwas nachgespielt, wovon man vielleicht eher die Finger lassen wollte. Die Faszination von Machbarkeit, Vernunft und Ordnung ist hier das, was vom Künstler zum Zuschauer überspringt.

Das ist der eine Kontext. Ein nächster ist der, in welchem »Platonische Liebe« zusammen mit Werken von Kriszta Nagy, András Ravasz und Gyula Várnai zu sehen war: die Ausstellung »Sexmachine« in der Stúdió Galéria in Budapest. Ein dritter Kontext ist die von Barnabás Bencsik kuratierte Ausstellungsserie »Erotika és szexualitás a magyar képzömüvészetben«, deren Teil »Sexmachine« war. Das alles ist aber wiederum eine andere, viel weniger aufregende Geschichte.