Heft 1/1998 - Ränder Formate Verortung


Talking Back - Wi(e)dersprache

Ein Interview mit Peggy Piesche

Hito Steyerl


Unter dem Titel »Marginale Brüche« fand Ende November 1997 in Köln eine Tagung statt, während derer »kulturelle Produktionen von Migrantinnen, schwarzen und jüdischen Frauen in Deutschland« ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurden. Schwerpunkte waren einerseits die Kritik an den Wirkungsweisen eines Dominanzdiskurses, der durch die Bildung eines homogenen Kulturkonstrukts einen exklusiven Kanon kultureller Produktion bildet. Sein designiertes »Anderes« wird traditionell entweder ausgebeutet oder ausgegrenzt. Meist allerdings beides zugleich.

Zum zweiten sollten künstlerische Ausdrucksweisen von minorisierten Frauen auf die Vielfältigkeit ihrer Strategien hin befragt werden. Im Gegensatz zu den - im übrigen auch schon wieder aus der Mode geratenen - kuratorischen Bemühungen, gesellschaftliche Marginalität als Demoversion schicker Subjekttheorien einzusetzen, ging es bei »Marginale Brüche« nicht darum, dominante Positionen durch das Ermessen negierter (und abwesender) »Andersheit« zu konsolidieren. Durch das Bestreben, die Produktion von Kultur aus den marginalisierten Communities heraus, als sowohl poetisches und politisches Mittel einzusetzen, verschoben sich die Fragestellungen. Von der Bestimmung vertrackter und teils aufgezwungener Positionierungen etwa hin zur Aufgabe, Formen der Kulturproduktion zu finden, die für Frauen und Lesben in den verschiedensten Lebensrealitäten, auch jenseits akademieinterner Distinktionsscharmützel, praktisch einsetzbar sind. Zur Frage etwa, wie mit den Differenzen zwischen marginalisierten Frauen jenseits endloser Selbstbespiegelung umgegangen werden kann. Zum Bewußtsein, daß die prekäre Positionierung der Marginalisierung eben keinen Opferstatus bedeutet, sondern im Gegenteil Selbstbestimmung, Handlungsfähigkeit und Verantwortung.
Neben Formen aktivistischer Kulturproduktion wurden auch Strategien textueller Intervention und der möglichen Subversion fixierter Bedeutungen in Frage gestellt. Neben den - hauptsächlich literaturwissenschaftlich geprägten - Theorieveranstaltungen, wurde in Workshops und Kulturprogrammen auch die Praxis kultureller Produktion berücksichtigt.

Die Tagung wurde von Peggy Piesche (Utrecht), Kader Konuk (Köln) und Cathy Gelbin (Potsdam) veranstaltet.

Hito Steyerl: In welchem Kontext habt ihr den Entschluß gefaßt, euch als internationaler Arbeitskreis »wi(e)dersprache!« zusammenzutun und die Tagung »Marginale Brüche« zu veranstalten?

Peggy Piesche: Der Internationale Arbeitskreis »wi(e)dersprache!« zur Erforschung der deutschsprachigen Literatur / Kultur wurde im Februar 1997 als Forum für Migrantinnen, schwarze und jüdische Frauen zur Erforschung deutschsprachiger Literatur gegründet. Der Gründung ging die Überlegung voraus, daß die Werke von Women of Color und jüdischen Frauen, die auf vielfältigste Weise künstlerisch, wissenschaftlich und kulturell tätig sind, vom herrschenden Kanon ignoriert, verschwiegen oder rassistisch bzw. antisemitisch rezipiert werden. Dem wollten wir entgegentreten und eine öffentliche Diskussion schaffen. Die dazu organisierte Tagung sollte außerdem jüdische Frauen und Women of Color in Kunst und Wissenschaft vernetzen, um einen Austausch zu ermöglichen.

Hito Steyerl: Was gab den Ausschlag, euch als Forum für Women of Color und jüdische Frauen zu konstituieren? In welcher Hinsicht wolltet ihr euch gegenüber dem dominanten Kanon der Kulturproduktion positionieren? Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?

Peggy Piesche: Wir arbeiten alle drei als Literaturwissenschaftlerinnen im offiziellen Wissenschaftsbetrieb und haben immer wieder festgestellt, daß wir in unserer Arbeit allzu oft als Objekte der Betrachtung fokussiert werden und nicht als Kunstschaffende oder Wissenschaftlerinnen. Darüber hinaus ist jede von uns auch schon seit einigen Jahren in der Bewegung von Women of Color und jüdischen Frauen aktiv. Da war es nur allzu verständlich, daß wir, als wir uns kennengelernt haben, auch den fachlichen Austausch - in unseren Wissenschaftsgebieten - gesucht haben. Wir sahen darin eine Möglichkeit, beide Aspekte unserer täglichen Arbeit miteinander zu verbinden. Der Arbeitskreis arbeitet interdisziplinär und die Arbeitsschwerpunkte waren dementsprechend vor allem Fragen nach der Marginalisierung einer bestimmten Literatur, der Kanonbildung und dessen Funktionsweise, nach der Literatur von Migrantinnen, schwarzen Frauen und Jüdinnen in Deutschland, nach Begriffen bzw. theoretischen Ansätzen wie Hybridität, Marginalität und Interkulturalität.

Die Positionierung gegenüber dem dominanten Kanon geschah vor allem dadurch, daß wir ein Forum für jüdische Frauen und Women of Color in Kunst und Wissenschaft schaffen wollten, um sich zu vernetzen, um einen Austausch über unsere Arbeit zu schaffen, der wiederum in den dominanten Diskurs eingreift. Das Interesse an der Tagung war schließlich größer, als wir gerechnet hatten.

Hito Steyerl: Wie haben sich die Referentinnen etwa bezüglich des Themenkomplexes der Hybridität positioniert? Mir ist zum Beispiel aufgefallen, daß gerade an diesem Punkt die (sub)kulturelle Strategie hybriden Selbstdesigns ziemlich attackiert wurde.

Peggy Piesche: Ja, die thematischen Schwerpunkte deckten schließlich doch ein sehr weites Spektrum unserer Fragestellungen ab. Den Eröffnungsvortrag hielt Yasemin Yildiz aus Ithaca/ USA. Sie untersuchte anhand von Einladungskarten, auf denen Menschen und ihre ausländischen Freunde und Bekannte zu einem Nachbarschaftstreffen eingeladen wurden - auf dem gerade die neuen Tendenzen und Bedrohungen durch den rechtsradikalen Terror thematisiert werden sollte - eine Struktur von Marginalisierung durch Antonyme wie Einschluß und selektiver Einschluß. Yasemin Yildiz zeichnete in ihrem Vortrag diese Formen von Adressierungen vor allem als politische Strategien auf, die Ränder und Zentren, in denen Menschen kategorisiert werden, erst schaffen. Wir haben versucht, die Referate in drei Panels schwerpunktmäßig zu zentrieren:

Im ersten Panel - »Formen des Widerstandes. Schreiben« - wurden, als eine Art Folie für die weitere Tagung, noch einmal die Hintergründe, aus denen wir kommen, thematisiert und deren Positionen bei der Fokussierung unserer Themen zum Teil auch problematisiert. Audrey Huntley (Marburg) stellte ihr Buch über indigene Frauenliteratur vor und verdeutlichte, wie in ihrer Kultur kulturelles Schaffen vor allem von Frauen eine Form des Widerstandes wurde. Encarnatión Gutierréz Rodriguez untersucht die Biografien von Migrantinnen, die sich im Migrationsland Deutschland im sogenannten intellektuellen Kontext bewegen. Sie zeichnet deren »Akrobatik in der Marginalität« auf und geht vor allem den politischen Strategien dieser »Migrationsintellektuellen« nach. Katharina Oguntoye aus Berlin stellte uns ihre Forschungen zur afro-deutschen Geschichte vor und untersucht in ihrer Arbeit die Lebenssituation von afrikanischen Menschen und Afro- Deutschen im Zeitraum von 1884-1950. Sie problematisierte u.a. auch die noch sehr unzureichenden Forschungen auf diesem Gebiet und die Bedeutung dessen, wenn vor allem die Situation von Frauen in den Mittelpunkt gestellt werden soll.

Das zweite Panel »Im Kaleidoskop der Identitäten« versammelte mit den Referentinnen Francesca Stafford (Lancaster, GB), Karin Schestokat (Stillwater, USA) und Claudia Berger (Berlin) die literaturwissenschaftliche Forschung.

Im dritten Panel »Im Kaleidoskop der Identitäten« wurden dann theoretische Konzepte wie Identität, Marginalität und Hybridität einem kritischen Blick unterworfen. Während Marjanne Goozé aus Athens/ USA in ihrem Vortrag Identität und Kultur in den Werken von Jeannette Landers noch aus dem Blick der Literaturwissenschaft diskutierte, setzte sich Umut Erel (London, GB) vor allem soziologisch und politisch mit dem Konzept der Hybridität auseinander. Sie problematisierte u.a. den immer noch durchschimmernden biologischen Ansatz des (modernen) Hybriditätskonzeptes ebenso wie die Gefahren, die bei einer allzu unkritischen, um nicht zu sagen inflationären Verwendung dieses Konzeptes, auftreten. Der Rückfall in die Kategorisierung von »Subjekt« und »Objekt« und vor allem »Original« bzw. »rein« und »hybrid«. Die weitere Schwierigkeit liegt dann auch in der fortschreitenden Vernachlässigung der Frage, wer diese Fixierungen festlegt und vor allem, wie diese dann wiederum verwendet werden. Obgleich die neuere theoretische Ausrichtung des Hybriditätskonzeptes jegliche Kultur als hybrid begreift und sich eben von o.g. Kategorisierung verabschieden möchte, taucht das »Etikett« Hybridität meist nur da auf, wo es um kulturelles Schaffen von ethnisierten bzw. marginalisierten Menschen bzw. Gruppen geht. Mit diesem Referat und besonders der anschließenden Diskussion wurde sehr deutlich, daß dies ein zentraler Punkt in unserer Arbeit ist: Konzepte, die in sich selbst ein großes Potential tragen, um die Strategien von Marginalisierung aufzudecken und zu hinterfragen, wirken durch ihre inflationäre und membranöse Anwendung wiederum selbst systemimmanent. Das Panel wurde abgerundet durch einen Vortrag von Karen Jankowsky (Detroit, USA) zu Nation und Geschlechteridentität in Libuse Monikovas Roman »Die Fassade«.

Hito Steyerl: Die Tagung wurde als »Spagat« zwischen »Wissenschaft« und »Community« angekündigt. Meiner Ansicht nach hat sich aber herausgestellt, daß die produktivsten Beiträge diejenigen waren, in denen sich dieses Spannungsfeld gar nicht erst aufgetan hat: sprich Wissenschafterinnen und Künstlerinnen aus der Community selbst. Wie steht ihr dazu?

Peggy Piesche: Nein, der Spagat war eher eine Umschreibung für uns selbst. Women of Color und jüdische Frauen, die als Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen in einem dominanten Diskurs versuchen, ihrer Arbeit nachzugehen, was ja auch immer heißt, sich zu spiegeln und gespiegelt zu werden, vollziehen meines Erachtens täglich diesen Spagat. Und ich sehe da auch im Gegensatz zu dir schon ein Spannungsfeld - gerade hier: wie verbinden wir unsere wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeitsgebiete mit unserer politischen Arbeit... Ich sehe hier das Spannungsfeld allerdings auch positiv. Es ist doch schließlich auch oft unser Motor.

Hito Steyerl: In welchem Verhältnis glauben Sie, daß Kulturproduktion und Politik stehen sollten? Welche Formen der Widerständigkeit haben sich gebildet?

Peggy Piesche: Ich denke, die wohl wichtigste Strategie ist sicher die Präferierung der Praxis mit dem bewußten Schritt, daraus schließlich Theorie abzuleiten. Einen, wie ich finde, sehr wesentlichen Schritt, um dem Theoriekorpus im Dominanzkanon Neues gegenüber zu stellen. Die Frage, ob Kunst und Kultur überhaupt etwas bewirken kann bzw. auf Politik Einfluss ausüben kann, ist so alt wie die Kunst selber und wird nicht selten vor ideologischen Schablonen diskutiert. Im Hinblick auf meine DDR-Sozialisation und die bei mir noch deutliche Präsenz der Funktionalisierung von Kunst, bin ich da doch für sehr großes Fingerspitzengefühl. Aber wenn ich nicht glauben würde, daß durch kulturelle Produktion etwas erreicht werden könnte, hätte ich sicher nicht an der Vorbreitung dieser Tagung mitgearbeitet.

Hito Steyerl: Auf der Tagung hat sich herausgestellt, daß es ein Bedürfnis nach neuen Formen von Wissenschaftlichkeit gibt, die nicht über (für viele von vornherein ausgrenzenden) akademischen Jargon und Rituale bestimmt werden. Welche Ansätze könnt ihr euch in dieser Hinsicht weiterhin vorstellen?

Peggy Piesche: Vor allem ist es wichtig, das Potential, das auf der Tagung freigesetzt wurde, jetzt auch zu nutzen und weiter an einer Vernetzung zu arbeiten. Dies bedeutet ja in erster Linie auch inhaltlichen Austausch, über den wiederum auch neue Projekte entstehen werden. Und wenn die einen oder anderen miteinander an einem Film, Artikel oder Buch arbeiten, wird sich meines Erachtens eine mögliche neue Form von Wissenschaftlichkeit auch bald in »sichtbaren« Ergebnissen niederschlagen. Wir arbeiten bereits an der Veröffentlichung eines Tagungsbandes, der die Ergebnisse und Tendenzen der Tagung dokumentieren soll.

 

 

Ein Tagungsband ist in Planung, ebenso eine Nachfolgeveranstaltung zum Thema »Produktion und Produktionsbedingungen« für den Herbst 1998.