Heft 3/1998 - Medien-Orte-Kontext


Kleine östliche Mediennormalität

Ein Blick in die Werkzeugkisten des Medienalltags im ehemaligen » Ostblock«

Inke Arns, Andreas Broeckmann


» ... denn nicht ein Kontinuum aus Propaganda und Gehorsam, sondern nur ein Wechselverhältnis aus Sinngebung und Sinnentzug kann den Raum schaffen, in dem sich das Denken des Zuhörers frei bewegen und damit Verstehen stattfinden kann.« Heiner Goebbels - Prince and the Revolution Autopoietisches Europa

Der Ostblock war, in unserer Vorstellung, immer schwarzweiß. In die DDR oder nach Polen zu reisen, bedeutete, daß wir aus dem bunten Westeuropa plötzlich in einen Film aus den vierziger oder fünfziger Jahren gerieten. Wir konnten uns nachher einfach an keine Farben erinnern, nicht einmal an das Grün der Bäume oder das Rot der Backsteine. Wenn wir ins Kino gingen, um Filme von Wajda, Kieslowski oder Tarkowsky anzusehen, verstärkte deren experimenteller Umgang mit Far-ben diesen Eindruck nur: Der Osten war grau, und Europa hatte offensichtlich eine ideologisch motivierte Farbwahrnehmungsneurose. Diese Art von europäischem Orientalismus wird nun müde. Bald zehn Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch hören die Länder Osteuropas auf, »der Ostblock« zu sein. Sie treten allmählich aus dem Schatten des sowjetischen Reiches, gewinnen in der internationalen Wahrnehmung wieder ihr jeweils eigenes Gesicht und werden als Teilnehmer am europäischen Patchwork erkennbar. Zum gegenseitigen Verständnis tragen hierbei die kleinen Medien - Briefe, Faxe, lokale Radios und Internet-Mailinglisten - scheinbar weitaus mehr bei als staatliche Prestigeobjekte wie die deutsch-französische Fernsehkooperation ARTE oder die exklusiven Aktionsprogramme der Europäischen Kommission. Um die europäischen Differenzen zu verstehen und produktiv zu machen, braucht es ein Gewimmel von kleinen Sätzen, ein Gewimmel von kleinen Bildern.

Den Kalten Krieg hindurch erzählten die öffentlichen Propagandamaschinen in Ost und West ihre großen Geschichten, vom verbrecherischen Ausbeutungssystem und vom Reich des Bösen. Dabei wurden die Ost-SeherInnen und -LeserInnen besser auf das vorbereitet, was folgte und nun nicht nur den Pseudo-Osten betrifft, nämlich leben lernen zu müssen in der Gesellschaft des Debakels, wie die Agentur Bilwet es nennt. Glückliche Konsequenz des propagandistischen Parteiauftrages war es, daß die Medien östlich des Eisernen Vorhangs von niemandem als Orte der Wahrheitsproduktion angesehen wurden - eine Illusion, der man im Pseudo-Westen hartnäckig anhängt.1 Mediale Techniken wie Flüstern, Weghören oder Zwischen-den-Zeilen-Lesen sind Ausdruck der nützlichen mitteleuropäischen Tugenden Zögern, Skepsis und Ironie. Der kreative Umgang mit dem Unmöglichen, das Vermeiden des scheinbar Notwendigen, sich nicht negativ zu identifizieren mit erzwungenem Versagen - unter dem Motto: Dummstellen schafft Freizeit -, das sind die Überlebensstrategien der postindustriellen Gesellschaft. Die kleinen Geschichten dieser Tradition werden gemeinhin von den kleinen, unabhängigen Propagandamaschinen erzählt, von FlugblattverteilerInnen und PlakatkleberInnen, von lokalen Piratenradios, StudentInnenzeitschriften und den Netzwerken, in denen verbotene Bücher und Schallplatten zirkulieren. Das bedeutet nicht so sehr eine romantische Rückschau, sondern einen Blick in die Werkzeugkiste des Medienalltags.

Alltägliche Medienkunst

Die Grenzen zwischen journalistischer Praxis und künstlerischen Arbeitsweisen sind in dem Bereich, um den es hier geht, nicht immer scharf zu ziehen. Seit 1989 befindet sich die osteuropäische Medienlandschaft in Aufruhr: Es begann mit einer Art medialer Supernova, die ein explosionsartiges Ansteigen kommerzieller Radio- und Fernsehsender zur Folge hatte. Eine Zeitlang bot sich der Raum der öffentlichen Medien als Spielwiese für KünstlerInnen und MedienaktivistInnen an. Der rumänische Künstler Calin Dan, der heute in den Niederlanden lebt, schreibt 1995: »In Rumänien wandelte sich der Medienbereich von einer ideologischen Wüste (vor dem Dezember 1989) in ein totalen >Dschungel<. Alles begann mit einer Revolution im Printmedienbereich, die von Anfang an ein Klima der Vulgarität und der Gewalt, von New Age-Fabeln und Verschwörungstheorien schuf. Lokale >Schundromane< mischten sich mit großen globalen Wahrheiten auf eine Art und Weise, welche die Sinne abstumpfte und die Aufmerksamkeit veränderte. Die neue Radiolandschaft war ein weiteres Beispiel hierfür, da zahlreiche unabhängige Radiosender unmittelbar nach der Revolution wie Pilze aus dem Boden schossen und Bukarest zu einer der interessantesten Radiostädte in Europa wurde.«2

Von neuen, extravaganten Fernseherfahrungen berichtet auch eine Freundin, die im Mai 1995 in Skopje war: Spätabends lief im ersten Programm des nationalen mazedonischen Fernsehens »Der dritte Mann«. Die Bekannte war fasziniert, hatte sie diesen Film doch noch nie im nicht-synchronisierten, englischsprachigen Original gesehen. Vielleicht sollte man besser sagen gehört, von dem Fernsehbild war nämlich wenig zu sehen. Zunächst gab es französische Untertitel, über die dann - jeweils mit einer geringen Zeitverzögerung - mazedonische Untertitel geblendet wurden. Sie überstrahlten die Hälfte des Bildes. Rechts oben war das Logo eines westeuropäischen Fernsehsenders zu sehen, der diesen Film im Original ausstrahlte; die linke obere Bildecke wurde vom Logo des mazedonischen nationalen Fernsehens verdeckt. Die Bekannte war verzweifelt. Auf die Frage nach dem tieferen Sinn dieser Übung entgegnete ihr mazedonischer Gastgeber, daß ihr doch sicherlich die großen Satellitenschüsseln auf dem Dach des Nationalen Rundfunkgebäudes aufgefallen wären. Die solle sie sich einfach als eine Art riesigen Staubsauger vorstellen, dessen Funktion auf »Supersaugen« eingestellt sei. Die angesaugten Datenmengen würden dann entweder gespeichert oder sofort über das Fernsehen abgegeben. Enes Zlatar aus Sarajevo, Mitarbeiter des dort erst jüngst eingerichteten Soros Centers for Contemporary Art (SCCA), sagt Ähnliches über die Medienszene in Bosnien nach dem Krieg: »Die unabhängige Videoproduktion geht weiter. Das nationale Fernsehen entwickelt sich programmatisch und produktionstechnisch nach rückwärts. Die einzige Fernsehshow, die von jungen, kreativen und professionellen AutorInnen im Jugendprogramm gemacht wird, ist das monatliche >Yatrene Ulice< (Straßen in Flammen). Ein neues Phänomen, das sich gerade abzeichnet, sind die vielen kleinen lokalen Fernsehsender, die sich nicht für Eigenproduktionen interessieren. Vielmehr strahlen diese Sender hauptsächlich gestohlene Satellitenprogramme und raubkopierte VHS-Videos aus.«

Strategien und Formen der Medienkunst waren und sind in den einzelnen Ländern aufgrund der unterschiedlichen Möglichkeit des freien Zugangs zu neuen Medien - zum Beispiel zu Videokameras, Computern und Fotokopierern - sowie der Duldung von »unabhängigen« Massenmedien und »abweichender« Meinungen sehr verschieden. Während etwa im ehemaligen Jugoslawien, und hier vor allem in Slowenien, die sogenannte »subkulturelle« oder »alternative« Szene in den achtziger Jahren mit dem Medium Video arbeitete und das jugoslawische Fernsehen - spätabends, aber immerhin - experimentelle Videokunst sendete, in Polen und Ungarn sich die Videokunst in den achtziger Jahren auf Erfahrungen des experimentellen Films der siebziger Jahre stützen konnte, war die Situation in Ländern wie zum Beispiel der Tschechoslowakei, der DDR, Rumänien, oder Bulgarien eine vollkommen andere, denn dort war der Zugang zu technischen Mitteln entweder aus politischen oder aus ökonomischen Gründen verwehrt. Die Petersburger Gruppe »Piratskoe Televidenie« (Piratenfernsehen, 1988-92) produzierte allen Schwierigkeiten zum Trotz alternative, exzentrische und meistens alogische Fernsehprogramme, die sie mit Hilfe militärischer Übertragungstechnik in die staatlichen Fernsehkanäle einzuspeisen versuchte. Unterschiedliche Strategien gab es auch auf dem Gebiet der Performance: Während in den achtziger Jahren das multimediale KünstlerInnenkollektiv Neue Slowenische Kunst mit der Rockmusikgruppe Laibach in der Vorreiterrolle nicht müde wurde, sich öffentlich und lautstark mit der sozialistischen Ideologie Jugoslawiens »überzuidentifizieren« und das Publikum und den Staat gleichermaßen in Rage zu versetzen, arbeitete die tschechoslowakische Geheimorganisation B. K. S. (Bude Konec Sveta - das Ende der Welt naht) seit Mitte der siebziger Jahre im Verborgenen an der Schaffung eigener Gesetze, eigener Strukturen, eige- ner Rituale und einer eigenen Mythologie, einer eigenen Kunst und eigenen Traditionen - kurz: an einer autonomen Kultur. Nach den analogen Avantgarden der achtziger Jahre wird die Medienkunst in den neunziger Jahren digital. In den letzten Jahren sind in vie- len post-sozialistischen Staaten Osteuropas neue Medienzentren und -initiativen entstanden. Sie beschäftigen sich mit verschiedenen Formen der Medienkunst und Internetprojekten und nehmen verstärkt an der globalen digitalen Kultur teil. Das E-Lab in Riga, das WWWArt Center in Moskau, C3 (Center for Culture and Communication) und MRF (Media Research Foundation) in Budapest, die SCCA-Medienlabore im mazedonischen Skopje und im bulgarischen Sofia sind hierfür nur einige Beispiele.3

Kritische Technologie

Bart Rijs kam in seinem Artikel in der »Volkskrant« (2. Dezember 1996) zu einer erstaunlichen Einsicht: Nicht nur habe, so Rijs in der gleichnamigen Überschrift, die Revolution in Serbien mit einer Homepage im Internet begonnen, nein: »Seit es das Internet gibt, sind auch Revolutionen nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Zeiten von illegalen Druckerpressen in feuchten Kellern und umstürzlerischen Pamphleten, die von RevolutionärInnen in Dufflecoats verteilt werden, sind vorbei.« Fast könnte man meinen, daß der Autor hier den Verlockungen utopischer Technophilie erliegt: das Internet als Subjekt der Geschichte, die revolutionäre Homepage als das perfekte Beispiel für die befreiende Macht von Computern und Internet. Eine vielleicht etwas voreilige Feststellung, wie John Horvath meint, denn schließlich werde die Revolution von SerbInnen gemacht, und nicht von der Internet-community. Internetzugänge sind in Serbien spärlich gesäht. Nicht, daß die Homepage der protestierenden StudentInnen nutzlos sei, ganz im Gegenteil: Uns vermittelte sie eine persönlichere Sichtweise auf die Vorgänge. Medien und Technologien jedoch eine revolutionäre Qualität zu unterstellen, führe, so Horvath, zu einem kruden Mißverständnis der Situation: »Zweifellos werden John Perry Barlow und andere die Realität der Ereignisse verzerren und die Tugenden des Internets zu rühmen beginnen. Damit übersehen sie aber, was in Belgrad wirklich passiert, und mindern in gewisser Weise den Heroismus und die Courage jener, die auf die >obsoleten Methoden< von >illegalen Druckerpressen in feuchten Kellern< und >umstürzlerischen Pamphleten, die von RevolutionärInnen in Dufflecoats verteilt werden<, zurückgreifen.«4 In einem Land, wo die »neuen« Medien noch keine weite Verbreitung gefunden haben, sollte man die Bedeutung der »alten« Medien nicht unterschätzen. Zugleich bieten freilich dieselben von gewissem Erfolg gekrönten Belgrader Winterproteste von 1996/97 ein gutes Beispiel für die überraschende Macht, die mit Hilfe des Internets ausgeübt werden kann. Die lokale Radiostation B-92, ein Soros-unterstützter Herd der kulturellen und politischen Opposition in der serbischen Hauptstadt, hatte seit dem Herbst 1996 regelmäßig englische und serbische Nachrichtenprogramme als Audio-Files in das Internet gelegt und so einem internationalen Publikum zugänglich gemacht. Als die Proteste im November und Dezember an Kraft gewannen, konnten JournalistInnen in aller Welt, aber auch die weit verstreute serbische Diaspora, die letzten Neuigkeiten aus erster Hand erfahren. Als die serbische Regierung durch Störsender und schließlich durch Abschalten von B-92 versuchte, diese unabhängige Berichterstattung zu unterbinden, bot der Hersteller der RealAudio-Software dem Sender die Möglichkeit, sein Programm 24 Stunden täglich live über das Netz auszustrahlen. Das Lokalradio, das in Belgrad nur ein paar Häuserblöcke weit zu hören ist, wurde plötzlich zur bekanntesten Radiostation der Welt, deren Signal über einen Server beim Amsterdamer Internetdienst XS4ALL vom Netz zu ziehen war. Die dadurch erzeugte Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit übte zusätzlichen Druck auf das Milosevic-Regime aus und dürfte dazu beigetragen haben, daß nach dreimonatigen Protesten die Ergebnisse der Kommunalwahlen doch noch anerkannt wurden. Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die internationale Verbreitung kritischer Nachrichten spielen auch die informellen Netzwerke, Newsgroups und Internet-Mailing-Listen, über die oft hunderte von Leuten miteinander in Kontakt stehen und miteinander Neuigkeiten austauschen und diskutieren. Die Verwendung von Technologie in Kunst- und Medienpraxis verweist somit weder auf eine grundsätzlich kritische noch auf eine - wie die »politisch Korrekten« unter uns nicht müde werden zu behaupten - per se affirmative Haltung gegenüber der Technologie. Interessant wird es, wenn man fragt, inwiefern Technologie für kulturelle und soziale Handlungsweisen normativ ist und sich »vereinheitlichend« auswirkt. Es geht dabei im weitesten Sinn um die Frage, inwieweit bestimmte Technologien eine individuelle künstlerische Ausdrucksweise zulassen oder verhindern. Führt aus diesem Grund der Einsatz von Technologie gar zu einem Schleifen kultureller Differenzen, oder abgeschwächt formuliert: behindert er spezifische lokale Ausdrucksweisen? Kann Technologie überhaupt »kulturneutral« sein? Oder, so fragte man sich anläßlich eines im Dezember 1996 in Prag veranstalteten Symposiums: »Impliziert die Medienkunst eine Art von Denken, das westlich orientiert, linear, maskulin, etc. ist?« Aus Bratislava kam prompt Martin Sperkas mindestens ebenso schwerwiegende Gegenfrage: »Ist das feministische Denken östlich orientiert und nicht-linear?«

Die Bedeutung medienkultureller Praxis ist nicht nur technologischer und damit translokaler Natur, sondern entfaltet sich stets in lokalen Kontexten. Ein differenzierender Blick auf lokale Kulturen und die lokalen Kodes ist daher dringend geboten. Verschiedene KünstlerInnen aus Osteuropa haben wiederholt auf die Bedeutung des immer schon gebrochenen Verhältnisses zu »den Medien« hingewiesen. Der albanische Künstler Eduard Muka sagte 1996 in einem Interview: »Wir haben ein Art Haß auf die Medien geerbt. Schließlich gab es darin viele Lügen, keine genaue Information, nur Propaganda. Heute gibt es immer noch nicht mehr als einen Staatsfernsehsender, und der wird immer schlechter. Das Mißtrauen gegenüber den Medien war für KünstlerInnen ein guter Ausgangspunkt, um kritische Ansätze zu entwickeln. Ich betrachte die Medien als höchste Manipulationsstufe der Menschheit. In diesem Sinn müßten sie sich auch dazu verwenden lassen, um soziale oder individuelle Anliegen zu befördern.«5 Auch Lev Manovich unterstreicht - angeregt durch Alexej Shulgins polemischen Text »Art, Power and Communication« - die Bedeutung der unterschiedlichen Erfahrungen: »Die Erfahrungen in Ost und West strukturieren, wie die Medien in beiden Bereichen aufgefaßt werden. Im Westen gilt Interaktivität als perfektes Vehikel für die Ideen von Demokratie und Gleichheit. Im Osten wird sie bloß als eine weitere Form der Manipulation betrachtet, die von KünstlerInnen mittels avancierter Technologie dazu eingesetzt wird, um anderen ihren totalitären Willen aufzuwingen.«6 Die Heterogenisierung eines derartigen Denkens in Blök-ken könnte die Aufgabe kleiner Medien sein. Die Agentur Bilwet forderte 1995 in ihrem Text »Gesellschaft des Debakels«: »Wenn sich - wie Arthur Kroker behauptet - im neuen Europa mit seinem neuen, unsichtbaren, elektronischen Krieg alles um ?die bittere Teilung der Welt in virtuelle und überflüssige Körper? dreht, dann liegt es an unabhängigen Medien wie Zamir, B-92 und ARKZIN, diese Spaltung ad absurdum zu führen und auf ironisch-existentielle Weise dem universellen technologischen Begehren - dem Cyberspace - eine Form zu verleihen.«

Going East, Going West

In Europa zu reisen bleibt auch heute schwierig und wird doch einfacher und normaler. Die Grenzen sind durchlässiger geworden, auch wenn Visa-Angelegenheiten und Sprachbarrieren noch immer viele Begegnungen verhindern. Langsam schwindet das Gefälle, und es beginnt die Wiederentdekkung eines nicht nur historisch begriffenen Kulturraumes. Zynisch betrachtet, sind Städte wie Sarajevo, Moskau und Tirana seit Jahren die nicht-anerkannten kulturellen Hauptstädte Europas: Von welcher europäischen Stadt hat man so viele Bilder gesehen wie von diesen? In ihnen wird der »harte Kern« des europäischen Kulturerbes verhandelt, dessen Mittelmaß sich in Kopenhagen, Antwer-pen und Prag präsentieren darf. Aber wieso werden Albanien, der »Balkan«, Rußland oder Tschetschenien medial so ausgiebig abgedeckt? Wohl kaum, weil sie schon ein »normaler« Teil Europas sind, sondern vielmehr, weil sich die Medienberichterstattung maximiert, je blutiger es wird, und die Massenmedien, vor allem das Fernsehen, dort live über »Ausnahmezustände« - »ethnische Säuberungen«, staatlichen Kollaps, blutige Aufstände, menschliche Tragödien, Abspaltungsprozesse, diverse Putschversuche - berichten können. Das mediale Bild von Osteuropa ist durch »Ausnahmezustände« charakterisiert; die Normalität wird jedoch kaum kommuniziert. Die Bedeutung der »kleinen Medien« dagegen besteht darin, daß sie - eher als die »großen Medien« - imstande sind, etwas über die »Normalität« zu vermitteln und Verständnis und Selbstverständigung zu ermöglichen. Die »kleinen« als Alternative zu den »großen Erzählungen« - das nennen wir die kleine östliche Mediennormalität.

 

 

Gekürzte Fassung eines im Mai 1997 entstandenen Textes. Die deutsche Fassung wurde im Mai 1998 in der Online-Zeitschrift »diss.sense« (http://www.uni-konstanz.de/FuF/Philo/ LitWiss/Gra-Ko/dissense/arns.htm) publiziert, die englische Übersetzung in: D. McCarty/G. Lovink/V. Cosic (Hg.): ZKP 4 - Beauty and the East. Ljubljana 1997, S. 17-21 sowie in: Rewired - The Journal of a Strained Net, 9. bis 15. Juni 1997 (http:// www.rewired.com/97/0609.html). Eine gekürzte Fassung erschien unter dem Titel »A Toolbox of Everyday Media in Eastern Europe« in: Mute. Critical/Information/Services 9 (1998), S. 22-27.

Siehe dazu auch folgende Publikationen: Inke Arns (Hg.): New Media Cultures in Central, Eastern and South-Eastern Europe. Convergence: Journal of Research into New Technologies, Vol. 4, Nr. 2, 1998 (University of Luton Press, GB). Inke Arns/Andreas Broeckmann (Hg.): Deep Europe: The 1996-97 Edition. Selected texts from the V2_East / Syndicate Mailing List. Berlin 1997. Inke Arns (Hg.): Junction Skopje. Selected Texts from the V2_East / Syndicate Mailing List 1997-98. Skopje 1998. Erscheint anläßlich des Junction/Syndicate Meetings, Skopje/ MK (2.-4. Oktober 1998) als Teil der Skopje Electronic Arts Fair/SEAFair. Beide V2_East-Publikationen können unter der E-mail-Adresse inke@berlin.snafu.de bestellt

1 logo der Webpage vom soros-center of contemporary art, skopje, mazedonien 2-4 aus dem netzprojekt von igor stromajer http://www2.arnes.si/~ljintima2

[1] Vgl. die bekannte Pariser Wirklichkeitskrise in den achtziger Jahren, etwa bei Jean Baudrillard oder Paul Virilio.
[2] Calin Dan: Romania - A Right to Virtuality: Media Institutions Are the Lab Pets of Social Research in Times of Peace because Media Are the Best War Simulators. In: Nina Czegledy (Hg.): In Sight - Media Art from the Middle of Europe. Toronto 1995, S.30.

[3] Vgl. http://re-lab.net; http://www.cs.msu.su/wwwart; http://www.c3.hu; http://www.mrf.hu; http://www.soros.org.mk/scca;
[4] John Horvath: Re: The Revolution in Serbia Begins with a Homepage on the Internet. Syndicate mailing list, Jänner 1997; http://www.v2.nl/east/archive/syndicate/syndicate.html
[5] Eduard Muka: Interview mit Geert Lovink - »Media Art in Albania. First Steps«. Syndicate Mailing List, 29. 9. 1996.
[6] Lev Manovich: On Totalitarian Interactivity. Syndicate Mailing List, September 1996.