Heft 4/1998 - Wohnräume
Die Muster auf dem Teppich ...
Versuch einer Differenzierung des in letzter Zeit etwas überstrapazierten Politikbegriffs
Wir möchten als einleitende Rahmenerzählung auf die Veranstaltung »Methodenstreit« verweisen, die vor einem Jahr in Berlin stattfand.1 Mit dieser Veranstaltung und der Frage »Was ist linke Kunstkritik?« schien sich für uns eine Epoche der Grundsatzsymposien zum Selbstverständnis von kritischer Kunsttheorie zu schließen, die Anfang der Neunziger mit der Fragestellung »Was ist social history?« begonnen hatte.2Vielleicht ist es ein Merkmal sich schließender Diskussionen,3daß die Bedürfnisse des Publikums und der DiskutantInnen auseinanderlaufen, wobei die Ungestilltheit dieses Diskussionsbedarfes solchen Veranstaltungen eine gewisse Intensität verleiht und ein Zeichen dafür ist, daß etwas zu Ende geht.
Unsere Projektionen auf »Was ist linke Kunstkritik?« ließen sich in der Frage zusammenfassen: Wie kann ein Begriff, eine Methode von politischem Widerstand aufrechterhalten werden? Darin äußerte sich auch das Unbehagen an einem Politikbegriff, der – unter anderem initiiert durch die documenta X – mittlerweile in zahlreichen kulturellen Bereichen verwendet wird. Dieses Unbehagen betrifft aber auch eine sich selbst so bezeichnende »gegenkulturelle« Praxis und die zweifelhafte Routiniertheit beziehungsweise Abgeschliffenheit der eigenen, in einem kritischen Kontext erarbeiteten Paradigmen von künstlerischer Politizität.4 Wir wollen diesem Unbehagen anhand der Punkte Öffentlichkeit, Repräsentationslogik (»substantielle Läden«), Pluralismus und Kritik nachgehen.
Öffentlichkeit
Wenn wir unsere Überlegungen mit einem Verweis auf den Öffentlichkeitsbegriff beginnen, dann um die Bühne zu betrachten, auf der sich künstlerische und kunstpublizistische Praxis abspielt. In den Diskussionen der letzten Jahre wurde Öffentlichkeit oft sehr ausschließlich auf die Effekte von Privatisierung und staatlichem »Lean Management« bezogen, die sich im Stadtraum oder im Finanzierungsrahmen von Kunstinstitutionen vollziehen. Weniger diskutiert wurde, wie grundsätzlich die Veränderung von kultureller Öffentlichkeit die eigene kritische Befindlichkeit und ihre Existenzmöglichkeiten betrifft.
Post-Cold-War: Es nimmt nicht wunder, daß zu Beginn der Neunziger – parallel zur bewußt konservativen documenta IX – Serge Guilbauts Publikation »How New York Stole the Idea of Modern Art« eine verstärkte Rezeption erfuhr.5 Denn abgesehen von der Story der CIA-Förderung der abstrakten Moderne, ergab sich aus der Lektüre eine Fülle von Anhaltspunkten, wie zentral die zeitgenössische Kunst als Medium des Westmächte-Freiheitsbegriffes gehandelt worden war. Auch die etwa zeitgleich einsetzenden rhetorischen Bemühungen der Kulturfunktionäre, den öffentlich-rechtlichen Status von Kunst gegen privatwirtschaftliche Take-overs zu verteidigen, ließen diese bürgerliche Selbstverständlichkeit von Kunst und ihre grundsätzliche Politizität noch einmal Revue passieren: kulturelle Grundversorgung, Meinungsfreiheit, Antifaschismus beziehungsweise häufig Antikommunismus, Demokratie (in ihrer Simulation)6. Erst anhand der Ende der achtziger Jahre vehement einsetzenden Effektivierungsgesten von Kunst als Unternehmenskommunikation7 wird klar, wie tief dieser Freiheitsbegriff in den jeweiligen Selbstverständnissen von Moderne, Avantgarde und deren Opposition verankert ist. Vergegenwärtigt man sich den ideologischen Funktionsverlust – die Trägerschaft von Blockmachtideologie –, wird auch die Marginalisierung und Entverbindlichung des gesellschaftlichen Projekts moderne Kunst offensichtlich. Diese Entverbindlichung erschüttert auch das, was die Projektionsfläche einer sich selbst so bezeichnenden »gegenkulturellen« Praxis ist: eine Öffentlichkeit, in der die »soziale Relevanz« von Kunst fest installiert scheint. Damit ist die Existenz eines Gebietes nicht mehr gesichert, um dessen Hegemonie zwischen den jeweiligen Parteien – wenn auch in ungleichen Machtverhältnissen – gestritten werden kann, und zwar in Form eines »sich hinziehenden, strategischen und taktischen Ringens … Gramsci nennt dies ?Stellungskrieg?«8. Angesichts dieses Verlustes bleibt zu fragen, ob die zahlreichen interventiven Praktiken, die sich selbst als politisch betrachten, nun umso vehementer ihre soziale Relevanz behaupten müssen. Es wäre zu einfach, dies nur ironisch einzelnen Projekten zu unterstellen, ohne dabei die eigenen Definitionsschwierigkeiten zu thematisieren.
Öffentlichkeit wird ein Subjektproblem: Noch einmal möchten wir auf »Methodenstreit« zurückkommen. Dort schien vor allem an der Position Benjamin Buchlohs der Verlust eines – um in der Sprache des Kalten Krieges und der Avantgarde zu bleiben – Kampfplatzes sichtbar zu werden, auf dem dieser »Stellungskrieg« stattfinden kann. Dies zeigte sich besonders an dem von ihm beanspruchten Spektakelbegriff als pessimistischem Superlativ von »Kulturindustrie«: »Ich sehe nicht, wie ein Historiker sich in der Gesellschaft des Spektakels positiv definieren kann. Das bedeutet, daß wir keine Funktion in der Gesellschaft haben. Professionelle Funktionen werden häufig obsolet …«9 Abgesehen von ihrer Koketterie ist diese im documenta X-Gespräch vertretene Selbsteinschätzung auf aufschlußreiche Weise unlogisch. Selbstverständlich widerlegen die Entscheidungsbefugnisse, mit denen Buchloh beispielsweise als documenta-Berater ausgestattet ist, die Behauptung seiner professionellen Obsoletheit. Gerade aber wegen dieses Widerspruchs kommt die schroffe Polarisierung zwischen Subjekt und Spektakel einem Existenzbeweis gleich – die Konstituierung eines urteilenden Subjekts gegenüber einem intelligiblen Objekt, dem der (fordistischen) Kulturindustrie, das sich als so weit entfernt vom kritischen Subjekt erweist, daß es überhaupt einer Betrachtung fähig ist. Nicht nur der Begriff von Öffentlichkeit, sondern auch die Behauptung von autonomer Subjektivität wird neu aufgelegt, wobei nun diese Subjektivität selbst Ressource von postfordistischen Produktionsverhältnissen ist.10
National-Corporate-Identity-Spektakel: »Methodenstreit« wurde begleitet von Protesten gegen die Demontage der Universitäten und der endgültigen Verabschiedung des großen Lauschangriffes. Beides sind auch extreme Infragestellungen der subjektiven Professionalität aller KulturproduzentInnen. Diese Art von Repression ist die ideologische Geste – beziehungsweise das Posing – eines Staates, der den Ausverkauf seiner wirtschaftlichen Entscheidungsmacht in Form von »nationaler Identitätspolitik« kompensiert. Es ist offensichtlich, daß im Post-Cold-War-Staat der ideologische Differenzierungsfaktor Liberalität in Effizienz – sei es für das private oder staatliche Management – umgewertet wird. Der kulturelle Austragungsort, auf dem »Meinungsfreiheit« bei gleichzeitigen Radikalerlässen oder Berufsverboten parademäßig vorgeführt wurde, wandelt sich nun zum Ort einer immer unverhohleneren Nutzung für staatliche oder private Corporate Identities.
Zwangsidealismus – Hobby-Subjekt: So kann die Polarisierung zwischen urteilendem Subjekt und Öffentlichkeit so extrem werden, daß sich (mindestens) eine Seite des formulierten Widerspruches auflöst: Ein »kritisches professionelles Subjekt« innerhalb dieser »Gesellschaft des Spektakels« wird tatsächlich unmöglich, weil es sich gar nicht mehr veröffentlichen kann. Denn weder Staat noch Unternehmen benötigen heute Liberalitätsbeweise, sondern Gehorsamkeit gegenüber ihren neuen Kommunikationsstrategien, die sich gerade aus den vormaligen Zuschreibungen an kultureller Produktion speisen. Und vielleicht hatten die kritischen Profi-Subjekte den Ort ihrer Inszenierung tatsächlich nur in jener »Scheinhaftigkeit«, die die Pseudofreiheit der Blockmachtideologie zuließ – repressive Toleranz, nichts Wahres im Falschen. Wie wird die Obsoletheit dieser repressiven Toleranz kompensiert? Welche Fallen der Repräsentationslogik tun sich nach dem Ende dieser Liberalität auf – vorausgesetzt, daß Repräsentation sich immer mit dem Anschein von Unabhängigkeit (Autonomie) inszenieren muß? Diese Fragen richten sich explizit an jenen Bereich, der teilweise aus einem »gegenkulturellen« Selbstverständnis heraus agiert, wobei alle Beteiligten wissen, daß diese Bezeichnung nur ein schlechtes Provisorium ist.
Substantielle Läden
Imaginäres Außen: »Es liegt in der Natur der Sache, daß Positionen, wenn sie kritisch bleiben wollen, sich permanent auf das, was vorherrscht, beziehen müssen: bloßes Referenzexistenz-Sein … Die Nichtberücksichtigung dieser Substanzlosigkeit der kritischen Position führt zur Sehnsucht nach Parallelexistenzen, eigene Läden aufmachen … (dabei) könnte übersehen werden, daß mit der Leugnung der Referenzen zu dem, was vorherrscht, es auch schwierig wird, den Anspruch auf Oppositionalität aufrechtzuerhalten. Möglicherweise ist der substantielle Laden, der Laden nach der Kritik, das, was er am meisten verhindern will«11 – eine entpolitisierte Struktur!
Diese Kritik entstand aufgrund der Diskussion, ob zum Beispiel Veranstaltungen wie »Messe2ok« oder »Minus96« parallel zu Kunstmessen stattfinden sollten oder ob diese Nähe zum Kunstmarkt abzulehnen sei. Die Argumentation ist mit jener vergleichbar, die auch gegen die »kurzen scharfen Reden zur documenta 9« vorgebracht wurde: »Man hat uns vorgehalten, Jan Hoet zuzuarbeiten, der totgelaufenen documenta neuen Wind zu geben, uns erklärt, daß man sich nicht auf das Terrain des Gegners begeben dürfe und dergleichen mehr.«12 Was diese Argumentation beansprucht, ist eine Art imaginäres Außen. Die eigene Praxis soll zweigeteilt verlaufen: »With one foot in the art world and the other in the world of political activism and community organizing.«13 Die Möglichkeit, Aktivismus in den Kunstbereich zu transferieren und letzteren für politische Zwecke zu instrumentalisieren, wird zwar oft behauptet, meist wird aber vergessen, daß die Strukturen des Kunstbereiches dabei auch selbst eine Politisierung erfahren müßten. Dies beträfe dann auch eine Reflexion der eigenen Funktion als VermittlerInnen.
Ausbeutbarkeit: Es bleibt zu fragen, ob nicht in der Transfermöglichkeit von politischen Inhalten all das geleistet wird, was der Informationskapitalismus14 an Verfügbarkeit fordert: wenn etwa politische Issues für Ausstellungen von genau demselben »kommunikativen Kommando« zugerichtet werden wie bei Werbekampagnen, wenn Kritik ---– etwa an Arbeitslosigkeit, Stadtpolitik – und die Repräsentation dieser Kritik an gänzlich verschiedenen Orten stattfindet. Wäre dies hypothetisch in einer von Siemens, vom BDI von Migros oder dem Generali-Konzern finanzierten Austellung denkbar? Ebenso bleibt zu fragen, ob die Inhalte so lange transferfähig sind, wie die Formen des Transfers damit unthematisiert bleiben. Ob tatsächlich ein großer Unterschied besteht zwischen »Arbeiten mit der Kreativität anderer«15 und der Ausbeutbarkeit politischen Engagements beziehungweise der Ästhetik der Initiativen oder der Dringlichkeit der Issues, die umso bestechender ist, je mehr das Projekt moderne Kunst und seine institutionellen Austragungsorte an ideologischer Validität verlieren.
Expansivitätsbeweise: Oft genug wurde die inhaltliche Expansionsfähigkeit des Kunstbereiches behauptet, so als ob die Fähigkeit, Sinn zu produzieren, eine Art unbeschränkter Zugriffsberechtigung auf das Reale sei. Die Realität kann in diesem Bereich aber nicht »festgehalten« werden, ohne selbst geschluckt, das heißt erneut repräsentiert zu werden. Dieses Bewußtsein von Repräsentation und ihrer politischen Funktionalität muß daher zum Selbstdistanzierungsvermögen künstlerischer Arbeit gehören. Der Versuch, die inhaltliche Zuständigkeit des Kunstbereiches mit einer gesellschaftlichen Omnirelevanz auszustatten, wird oft begleitet von einer Inflation und Stereotypie der Begriffe, die an das Phänomen der Entleerung des politischen Vokabulars erinnern. Die bis zum Überdruß vollzogene Subjektkanonisierung von »Ausgegrenzten« – von »WagenburglerInnen, DrogenuserInnen und Obdachlosen«, wie dies bei den »Innenstadtaktionen« der Fall war – ist ein oft kritisiertes Beispiel. Parallel dazu trafen in vielen künstlerischen Stadtpolitikprojekten hilflos-stupide Empörungsgesten auf Mike Davis-Repetitorien. Es wäre aber zu kurzsichtig und kunstgläubig, dieses Phänomen mit der Forderung nach neuen formalen Qualitätskriterien regulieren zu wollen.16 Zu kritisieren bleibt jedoch, wie die Begrenztheit des Bereiches oft durch eine positivistische Zuversicht und Machbarkeit wegproklamiert wird, die dann in der institutionellen Vorführung von politischem Engagement liegt: Wir tun was gegen »Arbeitslosigkeit in Kreuzberg«, »Institutionelle Rassismen« oder für »Kein Mensch ist illegal«.
Pluralismus
1985 beschrieben Ernesto Laclau und Chantal Mouffe ihren Versuch der »Dekonstruktion des Marxismus« als radikal-demokratisches Projekt: »Das Auftauchen des neuen Feminismus, die Protestbewegungen … – all dies beinhaltet eine Ausweitung der sozialen Konfliktualität auf ein weites Feld von Gegenständen.«17 Dieses »weite Feld« erlaubte auch die Relativierung von Gegensatzpaaren wie kritisches Subjekt versus Kulturindustrie oder Gegenkultur versus Mainstream. Es lassen sich also Parallelen erkennen zwischen dem damit verbundenen Anspruch einer Dekonstruktion des allgemeingültigen Rahmens von politischer Analyse und der Entverbindlichung im Post-Cold-War-Verständnis von Öffentlichkeit. Die »gegenöffentlichen« Methoden – Teilöffentlichkeit, Dezentralität, Pluralität – kippen nämlich im Gefälle der postfordistisch reorganisierten Macht in Corporate-Strategien um. Andererseits verweist das Schlagwort der »Nische« auf die mögliche Selbstmarginalisierung von politischem Engagement, sobald die Frage der Hegemonie ausgeblendet wird. So kann eine »politische Spezialisierung« dazu führen, daß die Kritik nur noch gegenüber Gleichdenkenden geäußert wird -– in Nischen-Establishment, das sich seine Konkurrenzverhältnisse nicht vergegenwärtigt und eine Stagnation innerhalb der eigenen Diskussion erleidet.
Stand-by : Die im folgenden geschilderten Events waren scheinbar völlig voneinander abgegrenzt, ohne Nahtstellen zwischen ihren Bereichen: ein Diskussionsabend im Rahmen der Ausstellung »Baustop.randstadt,-«18, auf den der Begriff der Nische durchaus zutrifft, und die Herbst-Eröffnungen in Berlin, die einmal mehr mit dem Begriff Spektakel beschrieben werden müssen. Bei letzteren machte alleine schon die zeitgleiche Terminierung der Eröffnungen von Kunstmesse, der Ausstellung »Sensation«, Berlin Biennale und Congress 3000 mit der Einweihung des Komplexes der Daimler-Dienstleistungstochter debis am Potsdamer Platz und der Einheitsfeier am Brandenburger Tor klar, wie untrennbar die Kulturevents mit Hauptstadt-, City-Marketing- und Nationalfeiertagen verbunden sind.19
Beim Diskussionsabend im Rahmen der Ausstellung »Baustop.randstadt,-« wurden parallel dazu – eine Parallelität, die infolge der säuberlichen Bereichstrennung nicht mehr hinterfragt werden braucht – das Ausmaß dieser Standortidentität und ihr Vorbild im britischen Modell einem bereits gut informierten Publikum referiert. Und auch die von uns geäußerte Kritik, welchen Effekt die Analyse, abgesehen von der Herstellung eines gruppeninternen Konsenses, hat, wenn sie nicht in Kontakt mit dem Kritisierten tritt, und ob dieser interne Konsens nicht irgendwann implodieren muß, scheint ihre ritualisierte Rolle zu haben – zumindest war allen Beteiligten klar, daß in dieser Hinsicht neue Ansätze formuliert werden müssen. Tags darauf besuchten wir Congress 3000, der sich selbst mit den Eigenschaften interdiziplinärer Pluralität schmückt: hybrides Crossover. Aus der »Kombination von Festival und Symposium«, einem Nonstop von Diskussionen, Performances und Clubbing, sollte sich jene Legitimationssynergie ergeben, die jene Themen, innerhalb derer sich ein politisierter Diskurs engagiert – Mode, Pop und Architektur –, nicht nur auf das übrige Biennale-Event übertragbar machen, sondern auch zur Profilierung Berlins als Kulturmarketing-Subjekt beitragen sollten. »Style als urbane Kommunikationsstrategie … wo hört Repräsentation auf und fängt Corporate Identity an?«20 Der letzte Punkt wäre der adäquate Ansatz zu einer kritischen Selbstbefragung der Veranstaltung gewesen.
Haben – ohne den Vergleich überstrapazieren zu wollen – beide Veranstaltungen auf Autopilot geschaltet? Hat sich das bezahlte Vorführwesen in bezug auf Inhalte endgültig in eine Geste des Nichts-mehr-zu-sagen-Habens verwandelt, und wurden die Inhalte Bild für Bild, Panel für Panel eingefroren? Und leistet die in die Institution hineingewachsene kritische Nische lediglich eine Verwaltung – ein »Innehaben« – von Kritik? Bei dem einen ist das Publikum so empört und zugleich ohnmächtig, daß es gerne operationalisierbare Inhalte als Gegenmittel hätte, um den Autopiloten zu zerstören – das heißt, nicht an der Veranstaltung teilzunehmen, sondern sie zu schließen. Bei dem anderen sind die Inhalte wohl verwahrt in einer Diskurs-Soap ohne Sendefrequenz.
Kritik
Möglicherweise arbeiten die »gegenkulturellen« Projektlabels parallel zu den »identitätspolitischen« Ambitionen des Event-Marketings: Darin spiegelt sich die postfordistische Kommunikationsökonomie, und die konstruierte Positivität der politischen Anliegen verhindert jede Hinterfragung ihrer ReferentInnen. Und umgekehrt? Ab wann wandelt sich die Kritik an dieser »kritischen Kunstpraxis« in eine subjektivistische Politikaversion oder in ein Sentiment, das die bewußte Verunendlichung von Kritik betreibt, um das Scheitern mit Geschmacksverstärkern zu pflegen? Ist das der Punkt, an dem Diskurse von Subjektivität gegen Politizität ausgespielt werden? Wiederholen sich die historischen Parallelen, zur »Neuen Innerlichkeit« einerseits und zu den Stadtteil- und Initiativbewegungen andererseits?
Abschließend soll – wie das berühmte Kaninchen aus dem Zylinder – noch ein anderes Selbstverständnis von Kritik hervorgezogen werden. Wir kommen zurück auf das »Buchlohsche Dilemma«, um es bewußt mißzuverstehen. Die Unmˆglichkeit, als Kritik eine Funktion in dem kritisierten Bereich zu ¸bernehmen, wird in Buchlohs Person zu einem Widerspruch, der ihm zwar unterl‰uft, aber vielleicht auch gar nicht gelˆst werden will. Dieser Widerspruch bleibt in seiner permanenten Blamage bestehen. Die »Substanzlosigkeit der kritischen Position« verweist auf ein klassisches Ungen¸gen in bezug auf das Selbstverständnis des künstlerischen und politischen Arbeitens: das Unbrauchbare, Nur-Referenz/Zeichen-Sein des Artifiziellen gegen¸ber dem »Realen«. Kann in dem Bewußtsein eines »Nicht-Innehabens« von kritischen Positionen eine mögliche Renitenz liegen, gerade wenn es darum geht, mit einer Verweigerungsstrategie die Autonomie von kultureller Produktion gegenüber ihrer postfordistischen Effektivierung zu propagieren?
Schluß
Zum Abschluß eine Stimme aus der ProduzentInnenperspektive. Es handelt sich um Auszüge aus der Transkription eines schroff beendeten Interviews zwischen den JournalistInnen A und B und der rätselhaften Künstlerin Clarice Works: 21
A: Was kommt nach der PC-Wüste? Ist das hier die Oase der neuen Subjektivität oder eine bloße Fata Morgana – schon wieder?
B: Wir leben ja nun mal in restaurativen Zeiten … tja, tja! …
Clarice: Dieser Bereich neigt immer und ganz gleich, welche Inhalte verhandelt werden, zur Essentialisierung der Methoden, als ob eine Operativität unmöglich zu denken ist. Ich habe mir – wenn schon, denn schon – vorgenommen, mich ganz diesem Substanz-Klamauk hinzugeben … Ich kotze immer auf den Teppich, auf dem ich stehe. Und es gibt immer einige, die versuchen, auch daraus noch ein Muster zu destillieren.
Dieser Text ist die »theoretische Ergänzung« zum »phänomenologischen« Teil, in dem Ausstellungen und deren Zusammenhänge notiert wurden und der im vorigen Heft (springerin 3/98) zu lesen war. Damit die Phänomene nicht zur bloßen Exekutive der Theorie geraten, haben wir die beiden Teile unverbunden gelassen.
1 »Methodenstreit«, 12./13. 12. in Berlin, veranstaltet von »Texte zur Kunst« und dem DAAD. TeilnehmerInnen: Benjamin Buchloh, Rosalind Krauss, T. J. Clark, Anne Wagner, Astrid Wege, Isabelle Graw, Sabeth Buchmann, Gregor Stemmrich, Diedrich Diederichsen, Tom Holert, Horst Bredekamp.
2 Grazer Kunstverein, Juli 1990.
3 »Methodenstreit« war eine Selbstrevidierung (Verteidigung) von Social History und Institutionskritik. Das betraf vor allem die von Krauss geäußerte Kritik an Cultural Studies und an einer kontextorientierten Kunstproduktion, die ihre thematische Bezugnahme oft legitimierend gegen formale Mängel ausspielen würde.
4 Wir stützen uns dabei auf laufende »Debatten« wie jene um »Kunst im öffentlichen Raum; vgl. etwa Miwon Kwon: Im Interesse der Öffentlichkeit … In: springer 4/96. Die »Kunst im öffentlichen Raum«-Diskussion erwies sich in der Folge als Boomerang für konkrete Projekte wie z. B. Weitergehen (Museumsmeile, Hamburg), Kunstgürtel (Wien) oder Public Space (Salzburg). Erwähnt werden muß auch Holger Kube Ventura: Kunst/Kritik des Ökonomisierten. In: Texte zur Kunst, Juni 1998 (eine Kritik an themenzentrierten Ausstellungen im institutionellen »Innenraum«), ebenso die Auseinandersetzung um die Ausstellung »The making of« (Generali Foundation Wien 1998) sowie die Diskussion der bisher oft ausgeblendeten Bezüge »institutionskritischer« Kunst zu ihren »Auftraggebern« (vgl. Georg Schöllhammer: Review Andrea Fraser. In: springer 3/95 sowie Andrea Fraser: The writing of. In: Texte zur Kunst 30, Juni 1998); und nicht zuletzt die Erwiderung von TeilnehmerInnen der Innenstadtaktion (vgl. springerin 2/98) auf den Vorwurf der Stellvertreterpolitik, der im Interview »Über jemand reden« von Helmut Draxler mit Hito Steyerl (springer 2/97) erhoben wurde.
5 Serge Guilbaut: Wie New York die Idee der modernen Kunst gestohlen hat. Dresden, Basel 1997. In Deutschland wurde das Buch unter anderem im Rahmen des Symposions von »Texte zur Kunst« anläßlich der documenta IX (vgl. Fußnote 12) rezipiert.
6 »Die Grundversorgung muß erfüllt sein. … Hinzu kommt, daß in der Bundesrepuplik ein gesellschaftlich traumatisches Verhältnis zum Vorgängerstaat besteht, in dem die moderne Kunst, als Staatsfeind Nummer 1, eine symbolische Bedeutung eingenommen hatte.« K. König in: Handkäs mit Musik, Auszüge aus einem Interview mit J. C. Ammann, K. König, M. L. Lienhardt, M. Winzen. In: A. Creischer, D. Schmidt, A. Siekmann(Hrsg.): ÖkonoMiese machen. Berlin, Amsterdam 1996.
7 Vgl. den Arbeitskreis Kultursponsoring des Bundes der deutschen Industrie.
8 Justin Hoffmann in: Identitätszelebrierung. In: ÖkonoMiese machen, a.a.O.
9 Buchloh im Gespräch mit Catherine David und J. F. Chevrier. In: Politics/Poetics: Das Buch zur documenta X. Stuttgart 1997, S. 637.
10 Interessanterweise erlebt der schon bei Debord in seinem totalisierenden Kulturpessimismus fragwürdige Spektakelbegriff eine weitere Renaissance in einem Essay von Maurizio Lazzarato – diesmal als Superlativ von privatwirtschaftlich inkorporierter Öffentlichkeitserzeugung. Vgl. Maurizio Lazzarato: Maschinenleben. In: Die Beute 15/16 (1997).
11 Zusammenstöße mit der Logik der Apparate. In: ÖkonoMiese machen, a.a.O.
12 Stefan Germer: Absage an die documenta. In: Autoren von »Texte zur Kunst« halten Reden auf der documenta IX. Köln 1992.
13 Nina Felshin (Hrsg.): But is it Art? Seattle 1995.
14 Vgl. die Rolle von immaterieller Arbeit im Postfordismus bei Negri/Lazzarato/Virno: Umherschweifende Produzenten. Berlin 1998.
15 Vgl. A. Creischer, A. Siekmann: Reformmodelle. In: springer 2/97.
16 Vgl. die von Krauss initierte Diskussion um die Reinstallierung des »Skill«-Begriffes bei »Methodenstreit«.
17 Hegemonie und radikale Demokratie. Wien 1991.
18 Baustop.randstadt,- (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, September 1998). Die hier genannte Diskussion hieß »Cool Berlin?« mit Vorträgen von Helmut Draxler, Simon Ford, Harald Fricke und einer lokalen Runde mit Sabeth Buchmann, Alice Creischer und Andreas Siekmann.
19 Dabei war die Beweisführung offensichtlich. Die Ausstellung »Sensation«, als nun anstehende Musealisierung von Britpop, ist das Vorbild der Starts von »Deutsch-Pop«, den Vorwand dazu liefert die Behauptung von der Existenz einer lokalen, galerieunterstützten Jungkunstszene. Die künstlerischen Produkte in diesem Setting sind austauschbar (sie sträuben sich auch nicht dagegen).
20 Programmflyer von Congress 3000.
21 Interview in: Clarice Works. Ein Projekt von StudentInnen der Kunstakademie München und der Freien Klasse, Wien, vom 25. bis 29. Juli, Zentnerstr. 18, München.