Heft 4/1998 - Netzteil


Kunst zwischen Medien (III)

Dritter Teil der Serie über frühe österreichische Medienkunstprojekte

Reinhard Braun


Von Beginn an kreisten die Texte dieser Serie sozusagen um Fehlstellen - um Fehlstellen in der Bezeichnung eines derart gegenwärtigen Phänomens, daß gerade die Rede von Fehlstellen absurd erscheinen mag. Es ist weniger als ein Gemeinplatz, von durchgehend mediatisierten gesellschaftlichen Verhältnissen zu sprechen, davon, daß soziale, psychische und urbane Räume nur noch unter Medienbedingungen beschreibbar sind. Doch geht es weniger um ein neuerliches - redundantes - Insistieren auf diesen Verhältnissen, als vielmehr um eine Genealogie des Dreiecks von Medien, Subjekt und Öffentlichkeit, um Verschiebungen in den Verhältnissen von Identität, Repräsentation und Kommunikation.

Im Mittelpunkt steht also die ständige Verschiebung - und Zerstreuung - der Konfiguration dieser Komponenten im Rahmen medialer Zu-schreibungen und Bezeichnungen, von Visualisierungen und Darstellungen: Aufgrund welcher Auslassungen und Verzeichnungen wird die Grenze zwischen Individuum und Kollektiv gezogen, zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Real und Fiktiv, zwischen Wirklichkeit und Abbild? »Was ist das für eine Realität, die zugleich Repräsentation ist?«1

Angesichts sich ausweitender Visualisierungsverfahren mag es absurd erscheinen, die Omnipräsenz von Medientechniken als grundsätzliche Auslassung oder Verzeichnung zu beschreiben und dies nicht in einem engeren medienkritischen Sinn zu formulieren, sondern als medientheoretischen Ansatz selbst, das heißt, aus einer Perspektive der Immanenz: »Wie soll man ein Gefängnis aus Bildern öffnen?«2 Was, wenn es keine Wirklichkeit vor den Bildern gibt; wenn »die Präsenz der Bilder nur die Spur einer aufgeschobenen Absenz ist, die vom Niederschlag einer signifikanten Operation der Supplementierung, einer Ersetzung oder Aneignung zeugt? Was metaphorisch Reproduktion genannt wird, [...] ist eigentlich Produktion, die Konstruktion von Wirklichkeit durch visualisierende, apparative und semiotische Anordnungen.«3 Die Alternative lautet dann nicht Realität oder Abbild, sondern: In welcher Form bedingen einander »Reales« und Bild? Welche Radikalisierung dieses Verhältnisses haben Medientechniken seit Beginn dieses Jahrhunderts herbeigeführt?

Jede medientechnische - als immer auch semiotische - Produktion erzeugt überhaupt erst, was als »Wirklichkeit« im Sinne gesellschaftlicher/kultureller Verhältnisse bezeichnet werden kann - wodurch jene »Immanenz des Imaginären« entsteht, von der Dietmar Kamper spricht4. Damit produziert diese Operation zugleich einen Spalt und ein Symptom: Jede Beobachtung der Welt, jedes - operativ geschlossene - System der Produktion von Realitäten erzeugt einen »unmarked space«, den es selbst nicht besetzen kann. »Das liegt einfach daran, daß jede Beobachtung [...] die Funktionsstelle Fremdreferenz irgendwie besetzen muß. In anderer Ausdrucksweise: sie muß diese Unterscheidung als ihren blinden Fleck benutzen.«5 Das »Symptom« bezeichnet und besetzt jenen »unmarked space«, jenen »blinden Fleck« einer operativen Struktur - Begehren6, Ökonomie, Medium -, von dem aus der Horizont strukturiert wird, innerhalb dessen Bedeutungen mittels dieser Struktur produziert werden können. Das Symptom besetzt eine Stelle, die innerhalb dieser Produktion - von Bedeutungen, Informationen, Wünschen, Ästhetiken, Verführungen, Ausstrahlungen - nicht wahrgenommen oder besetzt werden kann. Wichtiger noch: Es bezeichnet einen Ort, ein Mal, das selbst keine Bedeutung hat, ohne das aber keine Bedeutungsproduktion möglich ist.

Ein Spalt durchzieht also jede Produktion von Welt, die mit der grundsätzlichen Spaltung zwischen Imaginärem und Realem bei Lacan zu vergleichen ist: Jede Darstellung fungiert nur als Supplement, als Spur einer aufgeschobenen Präsenz und verkehrt jeden Zugriff auf »Reales« in eine Streuung von Signifikationen und Leerstellen. Insofern fungieren Medientechniken als Aufteilung, als Spaltung von »Wirklichkeit« in Bezeichnetes und »unmarked space«, als Zuschreibung von Sichtbarkeit und Verschwinden (Verdrängen?). Und insofern kann kein medientheoretischer Ansatz seinen Blick auf technologische Implikationen beschränken und einen »herrschaftsfreien« Raum technoid-apparativer Funktionalität konstruieren, denn gerade Funktionalität ist kein neutraler Begriff, sondern bezeichnet immer auch Dysfunktionalität - ein Feld, das aus jeder Kennzeichnung ausgeschlossen wird. Jede Topografie medialer (Re-)Konstruktion produziert ein »Anderes«, das zum Symptom dieser Topografie wird, demgegenüber alle Definitionen in Gang gebracht werden. In der strukturellen Verschiebung von Subjekt, Raum, Zeit und Bild, wie sie etwa schon durch Closed-Circuit-Installationen generiert werden, zeigt sich somit eine spezifische Rekonfiguration von »Objekt« und Repräsentation, von Bezeichung und Leerstelle, das heißt, eine Verschiebung darin, was als Wirklichkeiten einer Bezeichnung zugeführt werden kann.

»Die Desertion des Körpers als Double des Realen verlangt die Ablehnung des Bildes, denn das Bild wurde immer schon als Double des Realen gehandelt. Die Verweigerung des Bildes gehört zu den emanzipatorischen Kunstformen der feministischen Ästhetik.«7

Was Christina von Braun in bezug auf Arbeiten von VALIE EXPORT als »Verweigerung des Bildes« beschrieben hat, als Verweigerung von Zuschreibungen, zeigt sich auch in der Beschreibung einer als völlig neuartig empfundenen Situation der Selbstbezeichnung und Selbstbezüglichkeit bei Friederike Pezold: »Zu meiner großen Freude stellte ich fest, [...] daß ich gleichzeitig vor UND hinter der Kamera stehen konnte (was ich beim Film bisher nicht konnte). [...] Mit Video, auf einer neuen technologischen Stufe, machte ich das bislang Unmögliche möglich: die Aufhebung der Trennung von Modell und Maler, von Subjekt und Objekt, Bild und Abbild.«8 Die Umkehrung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt erscheint als Zurückweisung des Erfaßt-Werdens durch Bilder und somit als Neuordnung der Verhältnisse von Sichtbarkeit und »Symptom«. Gerade weil Reales immer schon als Kreislauf von Bild, Gegenbild und Abbild erscheint, wird die Produktion von Bildern zu einer Form der Intervention in diesen Kreislauf, zu einer Intervention in die Konstruktion von Wirklichkeiten.

VALIE EXPORT definiert die Unmittelbarkeit der Intervention in Zuschreibungsprozesse mittels Medientechniken, die gewissermaßen den Spalt verschiebt, immer schon in sozialen (und nicht zuletzt politischen) Begriffen: »die sozialgeschichtliche dimension von video systemen, die, technologisch gesprochen im feedback (rückkoppelung) beruht, psychologisch angewendet in der beobachtung des eigenen verhaltens, dh somit kontrolle und korrektur des verhaltens, kommt hier in der darstellung lernpsychologischer matrizen zum ausdruck: bestrafung und belohnung, desensibilisierung und reinforcement eines verhaltens als schritte, zwischen gedanken und tat jene linie zu verfolgen, die durch den sozialen code die sozial anpassung garantiert.«9 Die Begriffe Kontrolle und Korrektur verweisen direkt auf die Konditionierung durch die ständige Sichtbarmachung eines Imaginären als Supplement, das die Frau vor allem als »Objekt« einer Darstellung definiert. Die Aneignung von bestimmten Darstellungslogiken wird zu einer Form kultureller Renitenz, wendet sich sozusagen am Schauplatz der Zuschreibungsprozesse - medienimmanent - gegen die Gleichsetzung von Repräsentation (Supplement) und Gegenstand der Repräsentation (das weibliche Subjekt) und fordert demgegenüber gerade den Spalt ein, der diese Ordnung durchzieht: Split:Reality.

Das Projekt »autohypnose« (1969-73), auf das sich das oben genannte Zitat bezieht, konstruiert einen gesellschaftlichen Raum als Mediensphäre, in der Semiose und Bildproduktion als kongruente Formen der Konditionierung und der sozialen Kontrolle bezeichnet werden; indem sich die TeilnehmerInnen entlang eines Koordinatensystems von verschiedenen Begriffen bewegen und vom Mediensystem Video erfaßt und bestätigt werden: »durch abschreiten eines bestimmten codes, dargestellt durch ein zeichen- und wortsystem am boden, wird durch ein signal der video-recorder eingeschaltet, der durch eine videobandschleife ein tonbild erzeugt: es zeigt dem betrachter eine zujubelnde menschenmenge.«10 Außerhalb der markierten Begriffslinien und der Erfassung durch die Videokamera existiert nichts als »unmarked space«, ein symptomatisches Feld, das die Bedeutung der gekennzeichneten Fläche überhaupt erst ermöglicht. Insofern liegt der eigentliche Bezugspunkt dieser Arbeit außerhalb der markierten Fläche: Auch wenn dort wiederum nur andere Bilder und Supplemente zu erwarten sind, geht es doch um eine Verschiebung jener Parameter, die das Koordinatensystem definieren; möglicherweise also um eine Verkehrung der Relation von Präsenz und Supplement, um einen Platztausch von Objekt und Subjekt; oder um ein Implodieren dieser Differenz, ein rekursives Ausschalten der Supplementierung selbst: zugleich Subjekt und Objekt zu sein.

 

 

1 Kaja Silverman: Sprich! Körper. In: Split: Reality VALIE EXPORT. Wien 1997, S.41

2 Dietmar Kamper: Bildstörungen. Im Orbit des Imaginären. Ostfildern 1994, S.53

3 Michael Wetzel, Herta Wolf (Hrsg.): Der Entzug der Bilder. München 1994. Vorwort

4 Vgl. Dietmar Kamper 1994, S.51

5 Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. Opladen 1995, S.162

6 Vgl. zu diesen Überlegungen Slavoj Zizek: Mehr-Genießen. Wien 1992, ders.: Liebe dein Symptom wie dich selbst. Berlin 1991

7 Christina von Braun: Warum etwas zeigen, was man sehen kann? In: Split: Reality, S.10

8 Bettina Gruber, Maria Vedder: Kunst und Video. Köln 1983, S.183

9 VALIE EXPORT, Oberösterreichisches Landesmuseum. Linz 1992, S.188

10 In: Neue Galerie am Landesmusem Joanneum (Hrsg.): Audiovisuelle Botschaften (Katalog zu trigon 73), Graz 1973, o.S., Interpunktion durch den Autor geändert.