Heft 4/1998 - Lektüre



Wissenschaftlicher Kreis der Kunstgeschichtestudenten der Warschauer Universität und »Lampa i iskra Boza« (Hg.):

Raster

, S. 77

Text: Goschka Gawlik


»Korporative Verkoppelungssysteme sind der Alptraum der polnischen Kultur. Das Netz der Zeitschriften und dasjenige der Galerien bilden hermetisch geschlossene Welten, die stets die gleichen Künstler fördern. Sie sind voneinander isoliert und bloß auf die eigenen Eingeweide konzentriert. Gedankenlosigkeit der Redakteure, Faulheit der Kuratoren und Angst der Direktoren - das sind die Stützen der polnischen Kultur. (....) Die allgemeine Interesselosigkeit dem gegenüber, was in diesen Netzen geschieht, steigert die Irrealität und die Isolation von Kunst und Literatur. (...) All dies bewirkt, daß einen die Lust überkommt, lieber eine terroristische Partisanenorganisation oder zumindest eine Punkkapelle zu gründen als eine Kunstzeitschrift herauszugeben.«
(Michal Kaczynski, Chefredakteur)

So der offensive und kontroverse Grundton des neuen Warschauer »Raster«, einer in unregelmäßigen Abständen herausgegebenen Kunst- und Literaturzeitschrift, deren sechstes Heft - doppelt so dick wie zuvor - gerade erschienen ist. Der neue »Raster« ist ein Branchenmix: Das abwechslungsreiche Grafiklayout macht Anleihe bei der Popmusikszene, die kritischen Essays lesen sich wie Boulevard-Romane und die Herausgeber sind frischgebackene Akademiker. Das A5-große Blatt ist derzeit in Polen ein konkurrenzloser Knüller. Dafür gibt es mehrfache Gründe. Erstens kommt endlich eine Zeitschrift auf den Markt, die mit der heimischen Kunstszene ohne Pardon abrechnet. Im »Raster« finden diejenigen, von denen bisher niemand Notiz nahm, zum Beispiel die regionalen Kunstzentren, Trost. Diejenigen hingegen, die im Rampenlicht stehen, sehen sich mit einer schonungslosen Bewertung konfrontiert. Zweitens wird hier nicht ausschließlich dekonstruiert, sondern die polnische Kunstgeschichte nach 1956 neu gedeutet und auch eine »Home-Art-Szene« (»Domo-scene«) mit einer aktuellen KünstlerInnen-Rankingliste ins Leben gerufen. Drittens: für die Unterhaltung der LeserInnen ist gesorgt. Die Texte ziehen den ganzen Kunstbetrieb ins Satirische, die besprochenen Institutionen und ihre ProtagonistInnen tragen oft Spottnamen: so treten etwa Milada Slizinska als »Mi Lady« und die Galerie Foksal als »Fuchsbau« auf. Kontestation und Verspottung hat in Polen sowohl in der Politik als auch in der Kunst schon seit der Aufklärungszeit Tradition. Der Begründer und Redakteur von »Raster«, Lukasz Gorczyca, bezieht sich hier auf die (regressive) Bewegung der »Orangenen Alternative«, auf die »Kultur der Abfälle« und noch mehr auf die in den Achtzigern in Danzig aktive Gruppe »Tot-Art« (Totale Kunst). Bei den VertreterInnen der Fachkritik sorgt die Umgangssprache, in der »Raster« über die Kunst urteilt, für Empörung. Andere Kollegen, wie zum Beispiel Ryszard Ziarkiewicz (Magazyn Sztuki), sehen in dem Wirbel, den »Raster« bewirkt, ein Symptom der neuen Pattsituation, in der der Kulturbegriff in den Reformstaaten knapp zehn Jahre nach dem politischen Umbruch steckt: Einerseits wird hier von der Jugend ein lokaler Versuch unternommen, den tradierten westlichen Kunstbetrieb durch eine Art sanfte Revolte im Kultursystem zu retten ? eine Rettungsaktion, die längst fällig war. Andererseits lauert von einer anderen Perspektive aus gesehen, das ungelöste Hauptproblem: wie es nämlich mit der liberalisierten Kunst weitergehen soll.

Die AnhängerInnen des »Rasterismus« reagieren auf die ideologische Abwertung der Kunst in den Reformstaaten mit dem Argument der »Ideologiefreiheit« der digitalen Technologien, der sie sich bedienen. Die Frage bleibt offen, wie lange diese Euphorie anhält.

 

 

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