Heft 4/1998 - Artscribe


Biennale. Martha Rosler

30. September 1998 bis 3. Januar 1999
Kunst-Werke / Postfuhramt / Akademie INIT Kunsthalle / Berlin

Text: Andreas Spiegl


Berlin erlebt im Moment die zweite Phase seiner Nachkriegsgeschichte, seinen zweiten Wiederaufbau. Getragen von seiner nochmaligen Wiedergutmachungs- und Verbesserungsmentalität, arbeitet es natürlich und unentwegt an seinem Mythos, das heißt an seinem Vorbildcharakter. Wenn Roland Barthes das Prinzip des Mythos darin sieht, daß er Geschichte in Natur verwandelt, dann liegt die Mythenträchtigkeit dieser Stadt in der Natur ihrer Geschichte. Diese Naturhaftigkeit bildet nun den Boden für die Produktion eines Gegenwartsmythos, der schon jetzt um historische und mythische Dimension dieser historischen Gegenwart und ihrer Zukunft weiß. Berlin ist die Bühne für das Paradox eines »historischen Augenblicks«, in dem Gegenwart und Geschichte durch ihre Gleichzeitigkeit fusioniert werden. Mit anderen Worten: Berlin hatte das Kapital für ein Joint Venture der zwei größten Zeitproduzenten, die nun als marktführende Geschichts- & Gegenwarts- Ges.m.b.H. den dritten Anbieter von Zeit, das Unternehmen Zukunft, dominieren. Wie so oft mußte diese problematische Fusionierung von »Global Players« als gesamtgesellschaftlicher Vorteil legitimiert und vermarktet werden. Eine Inszenierung der Stadt als Kulturmetropole lag aus diesen Gründen nahe.

Die wesentlichsten Eckpfeiler dieser Inszenierung einer Kultur der Gleichzeitigkeit und Gegenwärtigkeit waren unlängst die Berliner Kunstmesse, die Biennale und die Eröffnung des Potsdamer Platzes. Um der immanenten Dynamik und Entwicklungsfähigkeit dieser »Zeitfabrik Berlin« Ausdruck zu verleihen, widmeten sich die ersten beiden den Repräsentationsfiguren der Gegenwartskunst und dabei vor allem der Vermittlung eines Eindrucks von Jugendlichkeit, Sorglosigkeit, Unbekümmertheit, Unterhaltung und - wie im Katalogtext zur Biennale formuliert - »nicht zuletzt der ozeanischen Lust sich aufzulösen.« Die Biennale-Katalog-Beschreibung der Installation von »3 de lux« ist mehr als zutreffend und symptomatisch, wenn sie erklärt, daß diese Arbeit »Zone zur konzentrierten Entspannung schafft«. Die maßgeblichen ästhetischen Variablen waren dabei das aufgeräumte Kinderzimmer jugendlicher Erwachsener auf der Kunstmesse und das unaufgeräumte, gepflegt-chaotische Jugendzimmer auf der Biennale. (Exemplarisch in diesem Zusammenhang waren etwa die Installationen von Jonathan Meese im alten Postfuhramt und von der Honey Suckle Company in den renovierten Räumen der Kunst-Werke Berlin.) Dort die Demonstration der Gesellschaftsfähigkeit von Gegenwartskunst, hier ihre Geselligkeit. Was die beiden Veranstaltungen trotz ihrer unterschiedlichen Fassungen zu beschreiben versuchten, war das Herausstellen einer scheinbar wesentlichen Eigenschaft von Gegenwartskunst: deren Anpassungsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft. So tief die gesellschaftlichen Gräben und Konflikte auch liegen, so unglaublich hier Macht und Ohnmacht aufeinander treffen, so extrem die Möglichkeiten waren, Situationen zu schaffen und Situationen zu verändern, so schnell und nahtlos konnte sich Kunst hier einfügen und alte Probleme überspielen, noch bevor diese diskutiert und gelöst werden mußten. Damit stehen wir vor einer Politik, die dahin geht, in der Revitalisierung und Renovierung eines Problems schon dessen Lösung zu erkennen.

Das Motto der Biennale - Berlin/Berlin - fügte sich dieser Politik der Revitalisierung: Der Mythos Berlin sollte nicht diskutiert, kritisiert oder verändert, sondern gedoppelt und erneuert werden. Was als zweijährige Auseinandersetzung mit der Stadt und ihren Perspektiven angekündigt wurde, entpuppte sich als bloße Großausstellung, die Berlin nicht als umfassendes Thema, sondern als oberflächliches Motiv behandelte. Motiv für dieses Ereignis war Berlin auch dahingehend, daß die Bedeutung des Stadtmythos und seiner Zentralität auf die Kunst abfärben sollte: Was im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, sei vielleicht von zentraler Bedeutung. Darin befinden sich Berlin und das dort vorgeführte Gegenwartskunstspektakel in einem direkt proportionalen parasitären Abhängigkeitsverhältnis zueinander: Man bewirtet einander. Alleine und am Rande des Zentrums, in der temporären INIT-Kunsthalle, zeigte Martha Rosler ihre Ausstellung. Neben ihren Vietnam-Bildern, mit denen sie schon damals die Schrecken des Krieges ins Wohnzimmer holte, indem sie das Ausgeblendete einblendete, widmete sie eine neue Arbeit dem Umgang mit dem Mythos Berlin. Ein Haufen Sand - eine Referenz auf Berlins repräsentationspolitisch wohl wichtigstes Motiv: die Baustelle - diente als Projektionsfläche für ein Video, das den Ausstellungsraum mit Bildern aus der Geschichte Berlins, mit Aufnahmen der Baustelle am Potsdamer Platz und mit Aufzeichnungen des historischen Augenblicks der Wiedervereinigungsfeierlichkeiten am Brandenburger Tor verknüpfte. Diente diese Inszenierung als Beschreibung der wesentlichen und interaktiven Elemente des Berliner Mythos, ergänzte eine »Zuckerl-streuende« Wurf-Maschine dieses wohl treffendste Abbild der Berliner Politik. Allein Martha Rosler ist es in einer Einzelausstellung, fern von der Ereigniskultur, fern von der Aufbruchs- und Revitalisierungsmaschinerie, gelungen, aus den süßen Versprechungen dieser Politik den sauren Nachgeschmack des Mythos herauszudestillieren.

 

 

Berlin Biennale: 30.9.1998 bis 3.1.1999
Martha Rosler: 26.9.1998 bis 31.10.1998