Heft 4/1998 - Artscribe


Der schejne Jid: Das Bild des »jüdischen Körpers« in Mythos und Ritual

16. September 1998 bis 24. Januar 1999
Jüdisches Museum / Wien

Text: Igo Lanthaler


Das Plakat zur Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien zeigt ein Foto von Ephraim Moses Lilien, betitelt als »Rumänischer Jude«. Es demonstriert aufschlußreich die Intention der Ausstellung, unterschiedliche Interpretationsmodelle der Inszenierung des »jüdischen Körpers« zu vermitteln. Der Blick des »Rumänischen Juden« in die Kamera konfrontiert die BetrachterInnen mit der Verschränkung von künstlerischer beziehungsweise diskursiver Produktion und Interpretation. Der Titel des Fotos verweist auf die visuellen Archive der Völkerkunde, dem Rückgrat der Rassentheorie des 19. Jahrhunderts. Wie unreflektiert diese Images in die Bildarchive und literarischen Darstellungen dieses Jahrhunderts eingegangen sind, zeigt ein anderes Bild der Ausstellung: Paul Newman repräsentiert als Darsteller in Otto Premingers »Exodus« (USA 1960) das Ideal des gesunden Körpers des jüdischen Mannes - eine späte Antwort auf den vielzitierten Aufruf Max Nordaus während der Jahrhundertwende, ein »Muskeljudentum« zu schaffen.

Die Ausstellung verweist auf die »Internationale Hygiene-Ausstellung« von 1911 in Dresden, mit der die jüdischen Kuratoren versuchten, rituelle Hygiene-Praktiken der Juden in einen wissenschaftlichen - was unter anderem hieß: in einen rassenhygienischen - Diskurs einzubringen. Unter Verwendung derselben Ausstellungsobjekte lief 1939 eine antisemitischen Ausstellung im Naturhistorischen Museum in Wien unter dem Titel »Das körperliche und seelische Erscheinungsbild der Juden«. Sie demonstriert »die verführerische Macht der Bilder und wie unterschiedlich diese je nach Absicht und Kontext interpretierbar sind«, schreibt Rhoda Rosen in dem lesenwerten Katalog (Picus Verlag, Wien 1998), der viel präziser als die Ausstellung auf das Thema eingeht.

Hygiene-Ausstellungen waren am Anfang des Jahrhunderts sehr populär. Das Interesse für die rituelle Hygiene der Juden erklärt sich aus der Überzeugung, daß Gesundheit und Krankheit eine Frage der sozialhygienischen Gesetzgebung seien. Statistiken zur höheren beziehungsweise niedrigeren Morbidität jüdischer Gemeinschaften wurden vor dem Ersten Weltkrieg wie nie zuvor diskutiert. Außerdem folgten diese Kategorisierungen dem Bemühen, sozialdarwinistische Theorien zu konsolidieren; ein Bemühen um fachliche Anerkennung bei nichtjüdischen Wissenschaftlern. Der Historiker John Efron sieht darin »eine postemanzipatorische Antwort auf eine nicht gelungene Assimilation und ein Zeichen für eine Krise der jüdischen Identität«.

Die Ausstellung im Jüdischen Museum bringt diese Thematiken in etwas beliebig erscheindende Zusammenhänge: So stehen Exponate der Hygiene-Ausstellung neben Kunstwerken von Albrecht Dürer bis Roy B. Kitaj. Damit öffnet sich die Thematisierung moderner naturwissenschaftlicher Ordnungssysteme auf eine allgemeine historische Betrachtungsweise visueller Anordnungen - wodurch die Komplexität des Themas ein Moment der Beliebigkeit erhält.

Man hätte sich etwa eine anschaulichere Rekonstruktion des Stils völkerkundlicher Präsentationstechniken - der Systematisierung in Schaukästen, Dioramen, Modellen - erwarten können. Der Katalog wirkt erhellend: etwa durch die Gegenüberstellung gegensätzlicher Images von Juden und Jüdinnen, wodurch die Geschichte der Körpernormierung, der Identifizierung des Häßlichen mit dem Kranken, der Kontrolle und des Ausschlusses der Kranken eingeblendet wird. Um schließlich den Zusammenhang zwischen diskursiver Vorarbeit und der Vernichtung des »jüdischen Körpers« in der Shoa herzustellen.