Heft 4/1998 - Wohnräume
»Wohnen« ist so etwas wie ein verborgenes Leitmotiv der aktuellen Architektur- und Kunstdebatten geworden. Das private Lokale, das Wohnen, und das öffentliche Globale, das Leben: In der Drehleier des Kunstbetriebes walzt ein alter Song von der Möglichkeit von BürgerInnenschaft. Sein Refrain handelt von einem ebenso alten bürgerlichen Konzept: von individueller und gesellschaftlicher Autonomie
Individuelle und gesellschaftliche Autonomie? Sind das nicht nur noch Cluster, nach denen junge Trendkulturen sich in ihren Ambients auf den Konsumismus eintanzen, der sie ihnen verspricht? Um was darüber hinaus geht es in vielen der Wohnphantasien der Gegenwartskunst und -architektur? Um etwas, was noch in den Sechzigern und Siebzigern gesamtgesellschaftliche Utopie war? Das Private als das Öffentliche? Oder um etwas, was die Achtziger uns erzählten, die gerade vorschnell wiederentdeckt und affirmiert werden: um Style als Differenzgenerator, als Identitätsmaschine? Oder wollen sich die DienstleisterInnen der frühen Neunziger nur wieder ein wenig ausruhen, bei sich zu Hause und an die alten Utopien denken und dabei das schöne Leben in den Simulationen von Design nachgenießen, um ihrer zunehmenden Verunsicherung durch die kälter gewordenen ökonomischen Umstände zu entfliehen?
Vielleicht helfen ein paar Bilder weiter. Bilder, wie sie sich in vielen Ausstellungen finden, die vermeintlich von den gegenwärtigen Zuständen reden: von – platt gesagt – Globalisierung und multi-ethnischen Gesellschaften. Christian Kravagna hat schon vor längerer Zeit, als jener gar noch nicht so bekannt war, in dieser Zeitschrift die Bilder eines der trendy Apotheoten dieses fröhlichen Ethnokulturalismus kritisiert: Beat Streuli.1
Streuli steht mittlerweile für eine ganze Strömung der gegenwärtigen Fotografie, wie Rikrit Tiravanija es für performativere Formen künstlerischer Repräsentation desselben Phänomens tut. Jugend sieht in Streulis Fotos, die immer irgendwo auf der Straße einer irgendwie immer gleich aussehenden Großstadt aufgenommen sind, eindeutig beschrieben aus: als sowohl vom Geschlecht, als auch von der ethnischen Zugehörigkeit und ihrer Sexualität her definierte Wesen, die wohl ihren Weg des Normalisierten gehen werden oder knapp vor diesem Weg stehen: Ausbildung, Eintritt in den Jobmarkt sowie auch in die immer heterosexuell definierten Heiratsmärkte. Was will so eine Kunst, die derlei Charakteristika und Kriterien strategisch auslebt und ausbildet, weil abbildet? Will sie ihre KonsumentInnen auf den Ort vorbereiten, an dem deren erträumtes Leben wohl statthaben sollen? In ihren Gesichtern jedenfalls ist die Frage geradezu abzulesen: Wie werden wir wohnen?
Die Modernismusfalle
Sowohl in der Architektur, als auch in der Kunst
ist in den letzten Jahren auch ein anderer Bezugspunkt wichtig geworden: das Design von Moderne und Modernismus, meist der sechziger Jahre.
Um nur zwei leuchtende Bildhauernamen zu nennen: Jorge Pardo und Tobias Rehberger. Rehberger, der jüngst mit modernistischen Bundesgartenschauretros im Blumenbeetformat Furore gemacht hat, bezieht sich gerne auf die Utopisten der Produktgestaltung der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Er setzt die Formen dieser Epoche jedoch in den Zusammenhang von Jugendkulturen der Nach-Technogeneration, deren Alu-Plastik-Pneumatikeuphorie viele europäische Szeneclubs möbliert hat, in denen Pardo ein Stammtischplatz gebührte, während gerade die europäischen Bars für die über Dreißigjährigen im Nußholz-Chrom-Marmorglas-Retrodesign eingerichtet werden. Rehbergers Kunst unterscheidet irgendwie zwischen der versteinerten Kultur der modernen Architektur und des modernen Designs und der scheinbar vibrierenden Kultur des modernen Alltags der Clubs. In anderen Worten, seine Arbeiten und
Projekte extrahieren und verstärken Trends und Werte, die tief im Modernismus eingebettet sind: Technikeuphorie, fortschrittsoptimistische Populärkultur, Mittelklasseeleganz – und pflanzen deren Mythen in zeitgenössische Musikkulturen um. Doch die formale Rhetorik seiner Arbeiten steckt voller korrekter Standardphrasen: Transkulturalismus, Hybridität, Cross-Over und so weiter – alles Begriffe mit einer fixierten Herkunft, einem Raum, deren konstanter und irgendwie platitüdenhafter Gebrauch sie zunehmend entleert hat. Rehbergers und Pardos Wohnphantasien sind auf ihre Weise Nachgänger der Postmoderne. Sie sind Globalisierungs-Postmodernisten in der Modernismusfalle.
Gefährlich postkolonialer
Universalismus
Wenn man verkürzt und sagt, daß die Postmoderne eine Strategie des Westens war, sich jegliches »Andere« einzuverleiben, es konsumierbar zu machen, es zu organisieren, all jenes Andere, dessen Widerstände und Sichtbarwerdung den Zusammenbruch, die Krise des modernistischen westzentrierten Weltbildes überhaupt erst ausgelöst hatte, dann wäre es auch leicht anzunehmen, daß eine andere Konjunktur des gegenwärtigen Kunstbetriebes, die Konjuktur des Postkolonialen, nichts anderes wäre, als eine verfeinerte Version dieser postmodernen Strategie in einer scheinbar entgrenzten kulturellen Ökonomie – ein Bazar für nicht westliche Artefakte. »Postcolonial Studies«
in der Medienversion haben ja tatsächlich eine Art von universalisierendem Historizismus hervorgebracht, der vieles global projiziert, was nur lokale Erfahrung ist.
Die Gefahren eines derart universalisierenden Blicks sind evident wie die Gefahren der Verwertung des Postkolonialen, des Nicht-Westlichen als kulturindustrielle Ware. Schließlich haben auch in unseren Städten Ethno-Designshops die Dritte-Welt-Läden abgelöst. Das mag weit weg vom Thema »Wohnräume« zu liegen scheinen und tut es dennoch nicht. Wer denn macht sich in den Wohnwelten des Clubdesigns noch Gedanken (wie die Dritte-Welt-Läden), woher die Rohstoffe für die Palisander-, Kautschuk- oder Plastikwelten des Siebziger-Futurismus kamen? Aber die Konjunktion zum Thema ist noch stärker, klopft man sie auf ihre Dichotomien hin ab. Die gestalterischen Annahmen, die sich in die Auseinandersetzungen mit dem Modernismus eingeschlichen haben, sind meistens eindeutige Gegensatzpaare: fortschrittlicher Westen gegen statischer Osten, entwickelt gegen unterentwickelt, kreativ gegen mimetisch. Sie schleichen sich, hinter den Möbeln versteckt,
in die Jugend- und KünstlerInnenzimmer.
Postkolonialismus mit Post-
moderne gegenlesen
Gegen solche Standardannahmen ist eine Kunstpraxis angetreten, die sich auf die Darstellung der Links zwischen Kolonialismus und Modernismus bezieht. Hier hat sich ein wichtiges Feld gegenwärtiger Kunstpraxen geöffnet, das sich der vielfach noch immer verborgenen Bezüge annimmt, die zwischen Kolonialismus und der Struktur und dem Framing von bestimmten Ideen des Modernismus bestehen.
Um zu verstehen, wie diese künstlerischen Praxen gleichermaßen kritisch gegenüber einer modernistischen Ideologie sein können und doch deren Formapparat appropriieren, muß man daran erinnern, wie sehr gerade in den Sechzigern und Siebzigern die utopischen Ideale der Moderne und des frühen Modernismus von der zweiten und dritten Generation des modernistischen Establishments unterlaufen, kontaminiert, ja verkehrt wurden. Platt gesprochen: Modernismus wurde ein Stil wie jeder andere, und die Kontrolle und Manipulation der ästhetischen Kodes des Modernismus lag in den Händen von Entwerfern, die allzu oft Handlanger der in West und Ost herrschenden bürokratischen und ökonomischen Apparate geworden waren und, um es mit einem gängigen Kritikbegriff jener Jahre zu sagen, gänzlich von den Lebenszusammenhängen der gewöhnlichen Leute entfremdet, jener Leute, die ihre Leben in einer gebauten Umwelt lebten, die immer weniger imstande war, die Fortschrittsversprechen, die
ihre Planer gegeben hatten, einzulösen.
Was hat das alles mit der Konjunktur des Wohnens zu tun, von der ich eingangs gesprochen habe? Nun, man könnte argumentieren, daß der Begriff des Wohnens nicht nur die dunkle Unterseite, den Heideggerschen Beigeschmack des Einwohnens hat, nicht nur die bürgerliche Idee von sicheren, stabilen Verhältnissen für all jene, die nicht mit dem Problem der Dislokation zu kämpfen haben, mit sich trägt; und man könnte von dort aus zeigen, daß der Begriff zu schwach fundiert ist, um ihn zum Leitterm für die Beschreibung gegenwärtiger und künftiger Zustände des kulturellen Raums zu machen. Es sei denn, man könnte ihn rund um ein flexibleres und situationsbezogeneres Begriffsfeld aufbauen, zum Beispiel um das der »Expanded Site-Specifity«, wie das Renée Green unlängst vorgeschlagen hat.2 Dann vielleicht ließen sich die Kritik bürgerlicher Autonomiekonzepte, die Verwendung modernistischer Formphrasen und die Akzeptanz postkolonialer Lebenswelten sehr wohl miteinander verbinden und von einer Kritik des Modernismus aus fruchtbar machen.
Dem entbinden sich jedoch vieler dieser – nennen wir sie einmal »KünstlerInnen des Wohnens in einem Wir«. Wie sie sich auch der Aufga-be entbinden, vor einem solchen Horizont das Konzept abzuklären, das vorzustellen sie vorgeben: Globale oder lokale BürgerInnenschaft als Thema ästhetisch zu verhandeln. Sie müßten schon lange auf die vielen – längst auch in den Mainstreammedien Bild gewordenen – subnationalen Grenzziehungen aufmerksam geworden sein. Dann nämlich würde erst klar, wie fiktional diese Trennung von Privatem und Öffentlichem, von konkretem Wohnen und fiktivem Leben ist, daß sie eine der wesentlichen Fiktionen und Erzählungen ist, die genau das zu verbergen helfen, was Arbeits-, Wohn- und städtische Wirklichkeit ist. Was diese Wirklichkeit ohne das homogenisierende, kollektive Wir beherrscht, darauf wird konkret in diesem Heft für ebenso konkrete Orte, nämlich Berlin, oder aber die Gefängsniswelten der USA hingewiesen: eine Vielzahl von Ausschlüssen, Segregierungen und symbolischen wie realen Delogierungen, Platzverweisen, ein Set aus Diskursen von Macht und Stimmen der Ohnmacht.
Die wenigen in der europäischen Kunstwelt 1998, die die ideologische Verklammerung von individueller und gesellschaftlicher Autonomie noch immer gegen die Wohnkultur der Privatisierer als Potential zu denken versuchen, erscheinen dem Kunst-Mainstream vorgestrig. Man braucht dazu nur den Katalog der diesjährigen europäischen Kunstbiennale Manifesta 2 in Luxemburg genauer zu lesen. Aber sie sind immerhin gefährlich oder interessant genug, ihnen kleine Nischen der Selbstdarstellung zuzugestehen, wie das auf der Berlin Biennale heuer die Plattform Berlin
tat, die als Appendix zur Show der großen Mainstreamnamen sich auch noch die lokalen kritischen Initiativen und Kunstprojekte einzuleiben versucht hat – sinnigerweise auf Regalen präsentiert, in gemütlichen Lounches zu konsumieren.
Eine ihrer ersten Fragen ist nämlich immer die danach gewesen, wie man Wege findet, diesen doppelten und widersprüchlichen Charakter gesellschaftlicher Identitätsbildung sowohl anzuerkennen, als auch konkret immer wieder in Frage zu stellen. Das ist zweifellos einer der Gründe, die die gegenwärtige Situation für künstlerische Arbeit so schwierig machen, aber gleichzeitig ebendiese Arbeit so notwendig. Jetzt, wo die Figur des globalen Korporativen, die einmal für den späten Kapitalismus stand, sich selbst die Verkleidungen des ästhetischen Karnevals überhängt, von denen die spontanen, undogmatischen, ästhetischen Protestbewegungen – von Dada bis Punk, von Situationismus bis zur, in die dunkle Seite von Pop verliebten, US-West-Coast-Kunst der letzten zwei Dekaden – noch Freiheit von der im Modernismus funktionalisierten Moderne erhoffen konnten, erscheint es umso notwendiger zu sein, nach den Formationen, nach den Konditionen des Ästhetischen als mögliches Politisches zu fragen; und es kritisch im Sinn eben vieler unauflösbarer Widersprüche, zwiespältiger Ansprüche und unzähliger möglicher Zugänge zu konstruieren – um es wieder zerstören zu können.
In ein Format eintreten
Genau hier setzen zum Beispiel die Arbeiten von Florian Pumhösl an. Sie sind eine Art Raum gewordener Aufruf, diese Verhältnisse sich einmal als Bild vorzustellen; in sie über ein Format einzutreten; sie als Grenze in einem reduzierten visuellen Modell wahrzunehmen. Sie sind Konfigurationen von Beziehungen und haben nicht den Charakter einer konkreten Anleitung zum Handeln. Sie sind keine Anweisungen für eine Praxis, sondern die faktische Aufforderung, in die Analyse auch über ein visuelles Format einzutreten. Sie selbst stellen sich nicht als Produkt einer solchen schwierigen Praxis dar. Sie verschleiern ihren Status als Bild nicht, indem sie ihn etwa in den Verweisraum einer diesmal zum Beispiel realpolitisch agierenden Gruppe setzen.
Die Frage der Besetzung der Kunst stellen sie direkt in einen zeitlich begrenzten, transitorischen Raum, der im Gegensatz zur scheinbaren Zeitlosigkeit des konzeptuellen Designs steht. Sie flirren zwischen Komplizenschaft und Protest. Wie so viele der wichtigen Anstrengungen, in Gruppenarbeit den kulturellen Text für einen konkreten Lebenszusammenhang oder ein konkretes Anliegen zu entschlüsseln und gegen die Macht des Herrschenden scharf zu machen, ist auch das beständige, nahezu banal erscheinende Behar-
ren dieser Arbeiten auf einem Punkt – dem des Raumes und seiner Formation in den Konzepten der Gestaltung – als Verweis auf die wirkenden negativen gesellschaftlichen Kräfte zu verstehen: Konflikt, Entfremdung, Vereinzelung, Macht. Sie enthalten sie nicht als abstrakte Texturen, sondern als konkrete Formen der Expansion, Kontraktion und Durchdringung, der Be- und Übermächtigung des Raumes, der in dieser Arbeit die ebenso banalen wie beweiskräftigen Namen trägt: Planung, Architektur, Design.
Innen und Außen
Gesellschaften werden immer ein konstitutives Außen brauchen, das der eigentliche Grund ihres Zusammenhaltes ist. Es ist dieses Außen, das ihnen ihre Existenz versichert, das ständig neu evaluiert wird. Ohne diese Erkenntnis, daß ein »wir« nur auf der Grundlage eines »sie« konstruiert werden kann, verschwindet nämlich auch die Einsicht, daß jeder Konsens, jede Übereinstimmung, jede gemeinsame Agenda notwendigerweise auf einem Ausschluß gründet. Der Ausschluß, die Grenze sind die Bedingung, die Kondition des Politischen und auch die des Ästhetischen.
Genau um diesen Punkt herum aber könn-
te, um nicht Statthalter eines reaktionären politischen Diskurses zu werden, eben auch eine gegenwärtige ästhetische Praxis ansetzen, die sich in einer historischen Anmaßung und in Erinnerung an ein Potential der sechziger Jahre kritisch nennen will. Der späte Foucault hatte noch von einem handelnden Subjekt ausgehen wollen, oder zumindest gehofft, es existiere ein gleichsam unbeschriebener Körper. Heute kann man diese Hoffnung nur eine sentimentale, romantische nennen. Ein Blick auf die Grenzziehungen eines Begriffsfeldes wie dem des Wohnens macht zumindest gegenwärtig schlagartig klar, daß es keine Rückkehr zu einem Modell des Subjekts gibt – und damit auch zu einem Modell des Wohnens –, das nicht schon immer von kulturellen Bedeutungen interpretiert ist. Das ist natürlich ein Gemeinplatz. Und trotzdem: diesen Gemeinplatz ins Bild zu setzen heißt, der Metapher vom Wohnen als der der Selbstgestaltung visuelle Signifikanz zu geben – um sie, wieder in einer paradoxen Wendung, ästhetisch freizugeben.