Heft 2/1999 - Netzteil
»Feminismus ist ein riesiges Mutterschiff mit vielen Decks, das durch den Raum gleitet. Auf jeder Ebene hat sich die Bienenkönigin ihre Domäne mit ihren Dronen und Arbeiterinnen geschaffen. Gelegentlich interagieren die Decks, um ihren Honig und ihr Gift auszutauschen, dann kehren die Fraktionen zu ihrem eigenen Volk zurück. Cyberfeminismus ist ein kleiner Tropfen Gelee Royale, der durch die Ritzen des Mutterschiffs hindurchsickert. Er nimmt Teile von jedem Deck und vereinigt sie zu etwas Tödlicherem und manchmal Süßerem als das Original. Cyberfeminismus ehrt die Bienenkönigin, dann macht er sich auf zum nächsten interplanetaren Austausch und schwirrt vom Mutterschiff ab in neues, unerforschtes Terrain.«
Diese Antwort gab ein Mitglied von Old Boys Network (OBN) auf die selbstgestellte Frage, was Cyberfeminismus von Feminismus unterscheide. Unter »Was ist Cyberfeminismus?« steht auf der Netzseite www.obn.org: »Ein Feminismus natürlich, der sich auf digitale Medien fokussiert.« Und: »CF ist eine upgedatete Feminismus-Version, welche sich neuen politischen Fragestellungen widmet, die durch die globale Kultur und Mediengesellschaft aufgeworfen werden.«
Der Cyberfeminismus hat manche Kritik auf den Plan gerufen, wobei meist nur Sadie Plants Texte oder die Manifeste von VNS Matrix, einer seit mehr als zwei Jahren aufgelösten Künstlerinnengruppe, im Visier sind. Seltener fallen Namen wie Rosi Braidotti oder Donna Haraway, oder die in wechselnden Zusammensetzungen agierende Gruppe OBN, deren Ziel die Verbreitung des CF ist und zu der ich seit Herbst 1998 selbst gehöre. OBN organisierte vom 8. bis 11. März in Rotterdam die Tagung »Strategies of the New Cyberfeminism«, die Nachfolgeveranstaltung zu »First Cyberfeminist International«, die im Rahmen des Hybrid Workspace bei der documenta X stattfand.
Die Tatsache, daß sowohl Plant als auch VNS Matrix behaupten, den Begriff unabhängig voneinander erfunden zu haben, suggeriert Mythisches. Er ist heterogen und widersprüchlich, und im World Wide Web verweisen rund 500 Links auf ihn. Sein Gemeinsames kann am ehesten damit gefaßt werden, daß er eine Art progressive Identitätspolitik im Zeichen von Hybridität/Monstrosität/Posthumanismus/Nomadismus ist, die davon ausgeht, daß - auf welcher Seite der internationalen Arbeitsteilung man auch steht - Technologien unser Sein verändern, daß aber die sozialen und ideologischen Funktionen und Implikationen dieser Technologien auch subvertiert werden können.
Worin mir der Cyberfeminismus nahesteht und worin er sich am stärksten von jedem anderen Feminismus, insbesondere vom dekonstruktiven unterscheidet, ist unser Bestreben, das Moment der Lust und deren Subversionskraft zu betonen und über dekonstruktivistische Ansätze hinaus an der Konstruktion virtueller Zwischen-Räume zu arbeiten. Cyberfeminismus spielt mit dem Mythos Cyberspace und wird damit zu jenem »ironischen Mythos« (Haraway), kraft dessen ein paradoxer, a-topischer Ort innerhalb phantasmatischer/patriarchaler Kolonisierungen nochmals ganz anders hervorgebracht werden kann. In ihrem Essay »Cyber-Jouissance. An Outline for a Politics of Pleasure« schreibt die Moskauer Cyberfeministin Irina Aristarkhova, die an der cyberfeministischen Sektion bei »Next Five Minutes 3« in Amsterdam teilnahm: »Wir müssen nicht so sehr daran arbeiten, unser Begehren zu befreien, als vielmehr daran, neue Lüste zu suchen und zu kreieren, die uns einen Weg für unser Begehren und unser neues Selbst weisen«. Daß die cyberfeministischen Theorien im französischen Poststrukturalismus und nicht im Siebzigerjahre-US-Feminismus gründen, wie Faith Wilding behauptete, zeigt nicht nur Aristarkhovas Bezugnahme auf Michel Foucault und Luce Irigaray, sondern auch Irigarays Kurssteigerung bei vielen Cyberfeministinnen überhaupt. Aristarkhova, die »Cyber- Jouissance« in erster Linie als Russin für Russinnen und gegen deren »Tradition des Leidens« schrieb, eröffnet auch westlichen Feministinnen Wege, aus den in den letzten Jahren immer enger geschnürten Negativitätskorsetts auszubrechen und zu sehen, daß das Insistieren auf Geschlecht nicht essentialistisch sein muß: »Es gibt keine \'Jouissance\' außerhalb des Politischen, obwohl sie nicht auf eine einzige politische Dimension reduziert werden kann, und das ist ihre strategische Stärke. Zu behaupten, daß alle unsere Lüste vor-konstruiert sind, heißt, den Punkt der Produktivkraft und der Tatsache zu verpassen, daß sich immer zuerst Widerstand meldet.«
In Rotterdam plädierte Caroline Bassett (UK) mit ihrem Vortrag »A Manifesto Against Manifestos«, der als eine differenzierte Dekonstruktion von Sadie Plants »ahistorischer Technofixiertheit«, »Essentialismus« bezüglich »Frauen« und »politischem Fatalismus« begann, für »die Idee der Utopie im Cyberfeminismus«: »Das feministische Utopia wohnt nicht in aktuell existierenden (virtuellen) Räumen, sondern es muß an den Nicht-Ort, die Nicht-Zeit des Möglichen, des Gewünschten, Begehrten, Sich-Vorgestellten und Imaginierten verlegt werden.« Dies würde eine engagierte Politik nicht ausschließen, sondern die Wünsche für die Zukunft über das Technologische hinaus im Hier und Jetzt verankern.
In der Sektion »Split Bodies and Fluid Gender: The Cutting Edge of Information Technology (between scientific and artistic visions)« sprach deren Organisatorin Claudia Reiche (Hamburg) unter anderem über ihre Eindrücke von einem Besuch bei zwei internationalen Medizinkonferenzen 1998 in San Diego. Der Titel ihres Vortrags, »Bio(r)Evolution®. On the Contemporary Military-Medical-Complex«, spielte auf den Titel der Konferenz, »Bio(r)Evolution®. NextMed: The End of Healthcare? (Thought Health Immorality)« an, deren Schlagworte Dr. Rick Satava, Chefchirurg nicht nur in einem zivilen Krankenhaus, sondern auch in verschiedenen militärischen »Operationen« und heute Lehrstuhlinhaber, folgendermaßen formuliert hatte: »Die Zukunft des Gesundheitswesens ist Information«, und: »Der Mensch besteht nicht mehr länger aus Blut und Eingeweiden, sondern aus Bits und Bytes.« Das Schlagende von Reiches Vortrag, in dem sie die Heilmethoden der »Schlachtfelder der Zukunft« erläuterte, bestand sowohl in der Dekonstruktion dieser universalisierten Körperphantasmen militärischen Ursprungs als auch in der Enthüllung der totalen Involvierung des Militärs in die zivile Medizin, die sich darüber hinaus ihr Geld über privates Firmensponsoring auftreibt und mit Slogans wie »Medizin ist Kunst« kulturellen Mehrwert verschafft.
Wie schaut nun eine engagierte cyberfeministische Politik aus? Obwohl ein ganzer Tag unter dem Motto »Women Hackers«, organisiert von Cornelia Sollfrank, stand, an dem auf höchst vielfältige Weise Methoden und Strategien, die diversen Kontrollmechanismen des Informationszeitalters zu sichten und zu knacken, gezeigt wurden, und obwohl während der dritten Sektion mit dem Titel »Globalismus/Widerstand/Intervention«, organisiert von Faith Wilding und mir, aktuelle Haltungen, Aktionen und Netzinterventionen vorgestellt wurden, fehlte die Zeit dazu, die Frage in der Ausführlichkeit zu diskutieren, wie dies der Konferenztitel »Strategies of the New CF« eigentlich hatte erwarten lassen. Rachel Baker etwa zeigte eine Website, auf welcher NetzsurferInnen Ideen zur »Ausbeutung« von weitgehend feminisierten Arbeitsplätzen einbringen können. Über die Tatsache, daß das Netzpublikum bislang kaum Vorschläge plaziert hat und Baker ihr Projekt im Hinblick auf die anvisierte Öffentlichkeit auch nicht konsequenter verfolgt, wurde aber nicht gesprochen. Es hätte gefragt werden müssen, ob auch da, wie häufig in der Kunst, das Konzept letztlich interessanter scheint als die Erreichung der angepeilten Ziele und welche Vorstellung von Aktivismus dem zugrunde liegt. Insgesamt wurde die Tagung zu wenig dazu genutzt, um die jeweilige Involvierung in den Cyberfeminismus präziser zu beleuchten und weitere Aktionsfelder zu besprechen. Dieses Manko wirkte sich auch negativ auf die Präsentation von OBN bei »Next Five Minutes« aus, in deren Rahmen natürlich handfeste Strategien erwartet wurden. Diesem alten Aktivismusparadigma hätten wir offensiver begegnen können, wenn wir uns die Zeit genommen hätten, die Knotenpunkte der Tagung zusammenzuführen und auf ihre Tauglichkeit als »neue Strategien« hin zu diskutieren. Darüber hinaus wäre es gerade in diesem Kontext wichtig gewesen, die Notwendigkeit symbolpolitischer ästhetischer Praxen, die in Rotterdam mehrfach präsentiert wurden, aufzuzeigen.
Strategies of the New Cyberfeminism. Referentinnen: Nat Muller, Ursula Biemann, Susanne Ackers, Cornelia Sollfrank, Rena Tangens, Barbara Thoens, Stephanie Wehner, Claudia Reiche, Maren Hartmann, Helene von Oldenburg, Faith Wilding, Maria Fernandez, Yvonne Volkart, Caroline Bassett, Rachel Baker, Rasa Smite, Ieva Auzina, Corrine Petrus, Marieke van Santen, Mare Tralla, Pam Skelton.
Ein Reader der Vorträge ist geplant, der erste CF-Sammelband ist zu beziehen über: cornelia@snafu.de oder OBN, Eppendorfer Weg 8, 20259 Hamburg. Auf der Homepage von OBN (www.obn.org) sind ausführliche Reporte einsehbar