Heft 2/1999 - Netzteil
Als das Critical Art Ensemble 1994 zum ersten Mal die Idee und ein mögliches Modell des elektronischen zivilen Ungehorsams (ECD)1 als eine Option des Widerstandes im Cyberspace vorstellte, gab es für das Kollektiv keine Möglichkeit zu wissen, welche Elemente sich als praktikabel, welche als erklärungsbedürftig erweisen würden. Beinahe fünf Jahre der Erprobung von ECD durch verschiedene Gruppen und Einzelpersonen ließen Wissenslücken erkennen, denen man sich nunmehr zuwenden kann. In diesem Essay geht es um die relativ junge Entwicklung eines ECD-Modells, welches das öffentliche Spektakel der heimlichen Subversion offizieller Praktiken vorzieht und Simulation vor direkte Aktion stellt. CAE meint, daß es sich hier um bedauerliche Strömungen in der allgemeinen Erforschung von ECD handle. CAE hält noch immer daran fest, daß ECD eine Untergrundaktivität sei, die - ebenso wie die Hacker-Tradition - aus der öffentlichen/ populären Sphäre und den Medien herausgehalten werden sollte. Simulationistische Taktiken, wie sie zur Zeit von Widerstandskräften eingesetzt werden, seien nur wenig effektiv, wenn nicht sogar kontraproduktiv.
ECD und Simulation2
In dem 1995 verfaßten Nachtrag zu »ECD und andere unpopuläre Ideen« stellte CAE fest, daß unter den US-Sicherheitsorganen wachsende Paranoia herrschte, was die Kontrollierbarkeit elektronischen Widerstandes betraf. Eigenartigerweise beruhte diese Angst hauptsächlich auf selbsterdachten Konstruktionen elektronischer Kriminalität. In diesem komischen Moment spekulierte CAE - ironisch -, daß ECD offensichtlich erfolgreich sei, ohne jemals erprobt worden zu sein. Die bloße Erwähnung, daß irgendeine Art des Cyber-Widerstandes auftreten könnte, würde bei den Sicherheitsorganen eine derartige Panik auslösen, daß ihr gesamtes Denken und Handeln von der Hyperrealität krimineller Konstruktionen und virtueller Katastrophen blockiert würde. Eine Bemerkung übrigens, die CAE - nachträglich betrachtet - lieber nie gemacht hätte, da einige AktivistInnen sie ernst nahmen und versuchten dementsprechend zu agieren. Meist produzieren diese Gruppen via Web hyperreale Drohungen, welche die Firmen- und Staats-Paranoia anheizen. Aber das ist eine Medienschlacht, die verloren werden muß. Staats-Panik und Paranoia werden durch Massenmedien in öffentliche Paranoia umgewandelt, die wieder nur die Machtposition des Staates bestärkt. In den USA tritt die Wählerschaft konsequent für die schärfere Bestrafungen von »Kriminellen« ein, fordert zusätzliche Gefängnisse, mehr Polizei, und eben diese hyperreale Paranoia sichert den Gesetz-und-Ordnung-PolitikerInnen die nötigen Stimmen, um diese Direktiven in Gesetze umzuwandeln. Wie oft müssen wir diese Entwicklung noch erleben? Von der McCarthy-Ära über Reagans Angst vor dem Reich des Bösen bis zum Anti-Drogen-Krieg, in jedem dieser Fälle war das Resultat mehr Geld für Militär, Sicherheits- und Ordungsorgane, einhellig unterstützt von einer bereits verängstigten und paranoiden Wählerschaft, was den innerkolonialen Gürtel noch beklemmender werden läßt. Wenn man bedenkt, daß die USA zur Zeit fieberhaft daran arbeiten, Sicherheitsorgane zur Kontrolle elektronischer Kriminalität aufzubauen und auszuweiten - wobei diese Organe keinen Unterschied zwischen politisch motivierter Aktion und Wirtschaftskriminalität machen -, erscheint es nicht gerade sinnvoll, diesen Machtvektoren zusätzliche Mittel zuzuspielen, aufgrund derer die Öffentlichkeit militärisches Wachstum befürwortet und somit eine Legitimation für vermehrte nationale und internationale Gesetzgebung zur politischen Kontrolle der neuen elektronischen Medien liefert.
Ob simulationistische Taktiken überzeugender eingesetzt werden könnten, ist schwer zu sagen. Da CIA und FBI diese Taktiken seit Jahrzehnten anwenden, ist es einfach, Beispiele zu finden, die möglicherweise umgekehrt werden können. Bei seiner Attacke gegen die Black Panthers setzte das FBI hyperreale Kommunikation als simulationistisches Mittel der Subversion durch Panik ein. Zunächst begann das Bureau mit dem Aufbau einer starken Infrastruktur. Die Black Panther Partei (BPP) war infiltriert worden, und man war nahe an das Oberkommando herangekommen. Das FBI wußte Bescheid über das Wesen der internen Parteikämpfe und kannte die Beteiligten. Nationale Gesetzgebung wurde erfolgreich eingesetzt, um Untergruppen in ganz Amerika unter Druck zu setzen. Die Polizei mißbrauchte absichtlich ihre Macht, indem sie durch oftmalige Verhaftungen die Partei zwang, für ihre Mitglieder Kaution zu hinterlegen, wodurch kontinuierlich die Parteikasse geleert wurde. Unter diesen Umständen gehörte Paranoia für die Black Panthers zur Tagesordnung, und als es zwischen den Gruppen in San Francisco und New York zur offenen Spaltung kam, sah das FBI darin eine ideale Gelegenheit, die Partei implodieren zu lassen. Als Resultat einer simplen Brief-Kampagne, die das gegenseitige Mißtrauen der Parteiführungen im Osten und Westen schürte, brach die Partei inmitten ihrer internen Kämpfe in sich zusammen. Die Kampagne des FBI bestand darin, Dokumente zu verfassen und zu verbreiten, die so aussahen, als stammten sie von der internen Partei-Opposition, die einzelne Führer und deren Politik kritisierte.
Diese Methode könnte umgekehrt auch gegen autoritäre Institutionen eingesetzt werden. Die internen Kämpfe, die bereits zwischen Regierung und wirtschaftlichen Institutionen auftreten, machen diese zu vielversprechenden Zielen. Die militärische und ökonomische Infrastruktur, die für die eben erwähnten Operationen notwendig war, ist für ECD-Aktionen entbehrlich, da die internen Kämpfe bereits toben. Die räuberischen Tendenzen des Kapitals stets vor Augen, gehören Angst und Paranoia zur alltäglichen Lebenserfahrung derer, die Machtpositionen innehaben; es bedarf somit keiner besonderen Ausgaben, um Paranoia zu schaffen. Freilich könnten sorgfältig verfaßte und adressierte Brief- und E-Mail-Messages einen implosiven Effekt haben, obwohl ein totaler Zusammenbruch als Folge davon zweifelhaft ist. Allerdings müssen die Lektionen, die uns die klassischen Fälle der simulationistischen Taktik erteilt haben, erst verstanden und angewandt werden. Erstens, und das ist offensichtlich, muß dies eine versteckte Form des Widerstandes sein. Zweitens müßte ein verläßliches Insider-Wissen erworben werden, was das schwierigste - aber lösbare - Problem bei dieser taktischen Vorgangsweise wäre. Um simulationistische Widerstandstaktiken erfolgreich einzusetzen, müssen Methoden und Mittel zur Forschung, Spionage und Rekrutierung von InformantInnen entwickelt werden. Ohne diese Voraussetzungen wird eine subjektiv-subversive Aktion relativ wirkungslos bleiben. Zur Zeit können diejenigen, die nicht an einer detailliert entwickelten Geheimstrategie beteiligt sind, nur in Hinblick auf strategische Prinzipien einer Institution taktisch agieren, nicht aber im Hinblick auf spezifische Situationen und Verhältnisse. Es ist offensichtlich, daß eine taktische Antwort auf eine strategische Initiative keinen Sinn hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird eine solche Aktion nicht den gewünschten Effekt haben, sondern nur diejenigen, die getroffen werden sollen, warnen, sich gegen potentiellen Druck von außen zu wappnen.
Dazu muß man bedenken, daß simulationistischer Info-Krieg nur eine destruktive Taktik ist - er dient dazu, eine institutionelle Implosion zu verursachen, und hat sehr geringen produktiven Wert für die Umgestaltung der Politik. Um auf das Beispiel des Rassismus zu sprechen zu kommen: Firmen, die rassistische Taktiken institutionalisiert haben - und das trifft auf beinahe jede Institution im pankapitalistischen System zu -, werden nicht durch einen Informations- und Zermürbungskrieg gegen einzelne Institutionen verändert. Das semiotische System rassistischer Verfahrensweisen wird in anderen Institutionen unbeschadet bleiben, die miteinander durch gemeinsame Privilegien verbunden sind, welche wiederum auf der Fortführung rassistischer Politik beruhen. CAE besteht noch immer darauf, daß nihilistische Gesten keine produktive Herausforderung an Institutionen darstellen, sondern stattdessen Veränderungen im semiotischen System auf institutioneller Basis erzwungen werden müssen, wobei die materielle Infrastruktur für Neuformulierungen intakt bleiben muß.
Das Problem der Schadensbegrenzung
Die materiell destruktiven Tendenzen der Hyperrealität auf den Plan zu rufen hat noch andere problematische Konsequenzen, sobald diese Destruktionscodes in das Spektakel eingespeist werden. Das bedenklichste Problem ist die Schadensbegrenzung. Wenn ein autoritäres Organ glaubt, angegriffen oder auch nur von einem Angriff bedroht zu werden - eine aufgeschobene virtuelle Katastrophe - und deshalb im öffentlichen Rampenlicht steht, wird es auf vollkommen unvorhersehbare Weise um sich schlagen. Es könnte auf eine Weise agieren, die ihm selbst schadet, allerdings ist es ebenso denkbar, daß auch nichtsahnende Teile der öffentlichen Sphäre gefährdet werden. Das Einbeziehen der Öffentlichkeit in die Formel zwingt die bedrohte Institution, eine schwerwiegende Konsequenz miteinzukalkulieren: Um mit der Geschwindigkeit der Info-Sphäre mitzuhalten, muß sie schnell handeln. Sie darf nicht zögern, auch nicht, um vernünftig zu analysieren und zu reflektieren. Auf dem derzeitigen Marktplatz der Public Relations sind Erfolg und Versagen bereits nicht mehr voneinander zu unterscheiden, und jede Handlung, vorausgesetzt sie wird entsprechend repräsentiert, gehört der Sphäre des hyperrealen Erfolges und Sieges an. Die einzig brauchbare Unterscheidung wird zwischen Handeln und Nicht-Handeln getroffen. Nicht-Handeln ist ein Zeichen von Schwäche und Unfähigkeit. Gefangen in diesem Hochgeschwindigkeitsvektor, wird eine bedrohte Institution eine Handlung setzen, die explosive und nicht implosive Wirkung hat. Individuen oder ganze Bevölkerungsgruppen werden zu Sündenböcken gemacht und Sanktionen gegen sie verhängt; der perfekte Makrokosmos dieses Szenarios ist die Außenpolitik der USA und die damit verbundenen Handlungen. Mit anderen Worten, sobald dieser Destruktionsprozeß durch eine Bedrohung initiiert wird - egal ob virtuell oder real -, könnten die Kräfte, die dabei oft unkontrolliert freigesetzt werden, von der widerständigen Kraft nicht mehr eingedämmt oder umgeleitet werden. Diese Unfähigkeit, die Explosion einzudämmen, bringt dieses Model einzig und allein mit dem Terrorismus in Verbindung. Nicht, daß die AktivistInnn terroristische Praktiken initiieren; niemand stirbt in der Hyperrealität des Cyberspace. Aber der Effekt dieser Praxis kann dieselbe Konsequenz wie Terrorismus haben, insofern als staatliche und wirtschaftliche Machtvektoren wahllos mit Waffen zurückschießen werden, die destruktive materielle und zuweilen tödliche Konsequenzen haben.
Eigenartig ist, daß diese Handlung nicht der Sorge um die Infrastruktur, sondern jener um das semiotische System und das öffentliche Image dieser Institution in der Hyperrealität entspringen würde. Sobald aber die Öffentlichkeit aus dieser Formel ausgespart wird, ändert sich der Ablauf dramatisch. Die unter Druck gesetzte Institution müßte nicht schnell handeln. Sie hätte Zeit, Untersuchungen anzustellen, und könnte taktisch klüger zurückschlagen, da kein Zeichen der Schwäche - die öffentliche Wahrnehmung des Nicht-Handlens - an dem gewünschten öffentlichen Image kratzen würde. In diesem für AktivistInnen allerschlimmsten Szenario fiele die Reaktion viel gezielter aus und würde folglich auch die treffen, die das Risiko, die erste Handlung zu setzen, auf sich nahmen. Wäre die Institution sich der drohenden Subversion nicht bewußt und käme es zu einer Implosion, würde die Öffentlichkeit weder in Kenntnis gesetzt werden noch direkte Konsequenzen spüren, obwohl indirekte Folgen wie Arbeitslosigkeit wahrscheinlich sind. Jedenfalls gäbe es keinen heftigen Schrapnellhagel, der überall in der Widerstandsszene einschlagen könnte. Schadensbegrenzung wäre also gewährleistet. Davon abgesehen, würde jede bedrohte Institution diese Eindämmungsaktivitäten unterstützen. Keine Firma will öffentlich zugeben, daß sie sich etwa in finanziellen Schwierigkeiten befindet oder ihr Sicherheitssystem umgangen wurde; weshalb sie sich zurückhalten würde. Wird allerdings die Öffentlichkeit in die Formel miteinbezogen, verschwindet die Wahrscheinlichkeit solcher Zurückhaltung, und die Folgen wären alles andere als zivilisiert. Aus diesem Grund vertritt CAE weiterhin die Meinung, daß unter den bestehenden politischen Verhältnissen alle brauchbaren ECD-Modelle die verdeckte Aktion und eine Abscheu gegen Massenmedien als Ort der Handlung gemeinsam haben.
Übersetzt von Beatrix Kaiser-Gnan
[1] Für weitere Informationen: Alle CAE-Bücher, einschließlich »Electronic Civil Disobedience«, sind bei Autonomedia (NYC) erschienen; sie können unter http://mailer.fsu.edu/~sbarnes kostenlos heruntergeladen werden. Übersetzungen auf Deutsch (Passagen Verlag), Französisch (l'eclat), und Italienisch (Castelvecchi) sind ebenfalls erhältlich, leider aber nicht online verfügbar.
[2] CAE dankt Heath Bunting für seinen wertvollen Beitrag zur Entwicklung eines simulationistischen Subversionsmodells.