Heft 2/1999 - Wahl der Waffen
Ein Gespräch mit der Belgrader Kuratorin Bojana Pejic über Krieg, Nationalismus und Medien, über die Geschichte der serbischen Gegenwartskunst sowie das Konzept der Ausstellung »After the Wall«
Es interessierte mich, mit Bojana Pejic zu sprechen, weil sie zuletzt in sehr spezielle Umstände verwickelt wurde: Sie bereitet momentan eine große Ausstellung für das „Moderna Museet“ in Stockholm vor, die „After the Wall“ heißen wird und einen Überblick über die Kunstszene des ehemaligen Osteuropas nach dem Fall der Mauer bieten soll. Gerade am Höhepunkt der Vorbereitungen begann die NATO ihr Heimatland und »ihre« Stadt – Belgrad – zu bombardieren. »Für drei Wochen konnte ich nichts tun außer wie paralysiert TV-Nachrichten zu schauen«, erzählte sie mir bei unserem ersten Treffen in ihrer Wohnung in Berlin. Sie hatte den Kriegsausbruch in Deutschland erlebt, mehr noch: in Berlin. Diese Verflechtung von biografischen und historischen Momenten zog mich an, und ich sprach lange und mehrmals mit dieser großen, energetischen und auffallend aussehenden Frau. Ein Teil des folgenden Interviews fand im Zug nach Osnabrück statt, wo Pejic am Europäischen Medienkunst-Festival zu einer Podiumsdiskussion über die Kosovo-Krise eingeladen war, die unter demTitel »Der Krieg im Kosovo: Realität und ihre Darstellung in den Medien« stand. Nach der Diskussion setzten wir das Interview auf der Zugfahrt nach Berlin fort.
keiko sei: Wie haben Sie persönlich auf den Beginn des Krieges der NATO gegen Jugoslawien reagiert? Welche Auswirkungen hatte dieses Ereignis auf Ihre Arbeit an der Ausstellung »After the Wall«?
bojana pejic: Am 20. März hatten wir die endgültige KünstlerInnenliste für »After the Wall« fertig. Ich wollte mit der Arbeit am Katalog beginnen, da brach der Krieg aus. Das stürzte mich in eine schwierige Situation, sowohl persönlich als auch intellektuell und was die konkrete Arbeit betraf. Ich sah, wie KosovarInnen aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben wurden und hatte Mitgefühl mit ihnen. Gleichzeitig sah ich aber auch den NATO-Angriff auf das ganze Land, der ja auch Leute traf, die ich persönlich kenne. Das alles paralysierte mich. Am Beginn der Bombardierungen machte ein Projekt wie »After the Wall« fast keinen Sinn mehr für mich. Ich mußte mich mit KünstlerInnen auseinandersetzen, die mir so normale Fragen stellten wie: »Wie viele Quadratmeter werde ich in der Ausstellung bekommen?« Derlei Fragen machten mich krank, wenn ich sie damit verglich, was in dem Teil der Welt passierte, wo ich herkomme. Aber ich fand mich zuletzt mit der historischen Tatsache ab, daß noch kein Krieg KünstlerInnen davon abgehalten hat, Kunst zu machen.
sei: Sie sagten, daß Sie vier Wochen lang nahezu ununterbrochen TV-Nachrichten gesehen hätten. Ist Ihnen dabei durch den Kopf gegangen, wie wohl serbische oder andere KünstlerInnen auf dieses Verzerren der Realität durch die Massenmedien reagieren würden?
pejic: Wir haben alle gelernt, daß Massenmedien nicht die Realität berichten, sondern sie vielmehr »korrigieren«. Nach Titos Tod 1980 war ich Zeugin, wie das serbische Fernsehen systematisch einen serbischen Nationalismus eingeführt hat. Der Krieg, der 1991 zum Zerfall des kommunistischen Jugoslawien führte, hatte schon sechs Monate vorher als TV-Krieg begonnen. Ich bin gegen die NATO-Bombardements, mit denen der »demokratische Westen« Milosevic hilft, an der Macht zu bleiben. Sind die NATO-Bomben schlimmer oder Milosevics Fernsehen? Ich verstehe zwar, wie und warum wir alle auf diesen Nullpunkt der Vernunft gekommen sind. Als ich aber sah, daß Belgrad bombardiert wurde, spürte ich einen physischen Schmerz und geriet in Panik, weil ich nicht an diesen ganzen Blut-und-Boden-Schwachsinn glaube. Damals, als Dubrovnik, Sarajevo und die Brücke in Mostar bombardiert wurden, habe ich geweint. Aber als ich die zerstörte Brücke in Novi Sad sah, auf der ich niemals gegangen bin, brach ich zusammen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dieses verdammte Land sei ein wahrer Körper, und ich spürte buchstäblich, daß ihn jemand auseinanderriß. Das klingt doch nach sehr kitschigem Patriotismus, oder? Am frustrierendsten ist für mich, daß so viele Leute in Serbien gar nicht verstehen, warum sie bombardiert werden. Und das liegt hauptsächlich an den Medien. Im März und im April sah ich alle westlichen Sender, zu denen ich in Berlin Zugang hatte und erst vor kurzem fiel mir auf, daß ich tatsächlich das Fernsehen des »Feindes« sehe. Ich habe ja vom serbischen Fernsehen nicht die Wahrheit erwartet, aber von den »demokratischen« Sendern naiverweise Objektivität – leider vergeblich. CNN agiert populistisch, und man spürt, daß der Kalte Krieg nie wirklich zu Ende gegangen ist. Die britischen »Sky News« brüsteten sich militaristisch mit der Qualität der NATO-Waffen. Ich ertrage diese männlichen Orgasmen am Bildschirm nicht mehr. Ich schaute nur weiter, um mein kleines Puzzleteil Wahrheit zu finden. »Sky News« berichteten zum Beispiel, daß Präsident Mandela sowohl die »ethnischen Säuberungen« im Kosovo als auch die Leute, die die Bombardements der NATO forcieren, kritisiert hat. Solche Stimmen bedeuten mir sehr viel. Aber das wurde nur einmal gesendet und nie auf einem anderen Kanal.
sei: In einem Text des Journalisten Zoran Kusovac bin ich über folgenden Satz gestolpert: »Beide Seiten – die serbische und die kosovo-albanische – reden über Demokratie, aber die Demokratiebegriffe von beiden wären für den Westen nicht akzeptabel.« Dieser sehr einfache Satz erklärt die Gesamtheit des Problems, besonders für uns, die aus Regionen kommen, wo die Menschen gewöhnlich keinen Begriff von Demokratie haben, der für den Westen akzeptabel ist. Gleichzeitig aber illustriert er auch die Schwierigkeiten von Leuten, die in einer vom Fernsehen geschaffenen Realität leben, denn »das westliche Fernsehen« redet über Demokratie, aber sein Demokratiebegriff wäre nicht nur für die beiden Parteien dieser Krise inakzeptabel, sondern auch für uns beide.
pejic: Was mich stört ist, daß wir es heute überall in Osteuropa in Wahrheit mit »ethnisch gesäuberten Demokratien« zu tun haben. Die Bevölkerungen der post-sowjetischen oder post-jugoslawischen Staaten gehören meist nur mehr einer »Grundnation« an. Von den post-jugoslawischen Ländern ist allein Mazedonien ethnisch gemischt, aber der »Selbstsäuberungsprozeß« hat auch dort schon begonnen. Als das Gebäude des serbischen Fernsehens in Novi Sad bombardiert wurde, argumentierte der serbische Informationsminister, daß von dort aus in sieben Sprachen gesendet worden sei und betonte damit die Multi-Ethnizität des serbischen Fernsehens. Aber was in sieben Sprachen gesagt wurde, kam aus einer Quelle, einer Ideologie. Es ist also völlig gleichgültig, ob es auch auf Ungarisch oder Rumänisch zu hören war.
sei: Wie sahen Sie 1991 den Zerfall der Sozialistischen Föderalen Republik Jugoslawien?
pejic: Ich fühlte mich komplett verloren. Damals war es notwendig, Position zu beziehen. In dieser Hinsicht habe ich eine Menge von Jochen Gerz gelernt, der einmal gesagt hat, daß er sich als Künstler mit etwas auseinanderzusetzen hat, was er »negative Vergangenheit« nennt. Ich habe gelernt, mit einer »negativen Gegenwart« zu leben. Es gibt einen Schlüsselaspekt jedes Nationalismus: Er richtet sich gegen jede Art von Professionalismus. Der Belgrader Theaterschauspieler Ljuba Tadic meinte unlängst, daß er aufgehört habe ein Serbe zu sein, als Serbe sein zum Beruf wurde. Die nationalistische Euphorie hat sich auf meine Arbeit ausgewirkt. Nachdem ich das fehlende Engagement serbischer KünstlerInnen gegen den Jugoslawienkrieg kritisiert hatte, haben einige Leute aus Belgrad mit mir zwei Jahre lang nicht mehr geredet. Außerdem konnte ich bis letztes Jahr keine Texte über kroatische KünstlerInnen in Kroatien veröffentlichen.
sei: Was waren denn die wesentlichen Veränderungen der Kunstszene Serbiens von den siebziger bis in die neunziger Jahre? In einem Artikel über die Situation der neunziger Jahre erklärt Stevan Vukovic, wie das Kunstsystem nur für eine kleine Anzahl von Leuten in Serbien funktioniert. Einen der Gründe dafür sieht er in der teilweise »fortschreitenden Marginalisierung der bildenden Künste in den letzten paar Jahrzehnten (bei gleichzeitiger Stärkung der sozialen Rolle der dissidenten Intellektuellen)«.1
pejic: Das Problem Post-Jugoslawiens ist, daß es zuviele selbsternannte DissidentInnen hat. Der Historiker Predrag J. Markovic hat einmal angemerkt, daß die serbischen postkommunistischen Intellektuellen an einem »Syndrom des retroaktiven Märtyrertums« leiden. Zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem ersten Jugoslawienkrieg in Kroatien gab es in der bildenden Kunst Serbiens nur einen Künstler, der als Dissident bezeichnet wurde, nämlich Mica Popovic, der in den fünfziger Jahren mit seinen informellen Malereien mithalf, mit dem sozialistischen Realismus in Serbien zu brechen. Er stand dem serbischen Schriftsteller Dobrica Cosic nahe, der durch den Satz »Serben gewinnen zwar immer im Krieg, verlieren aber dafür im Frieden« bekannt wurde. Das ist ein Schlüsselsatz der heutigen serbischen Weltanschauung. Popovics »Ehrenbild« aus dem Jahr 1974, das das belgische Königspaar zusammen mit Tito und dessen Frau zeigt, wurde zwar ein politischer Skandal, aber nie offiziell verboten. Die Galerie des Kulturzentrums Belgrad hatte ein riesiges Straßenfenster, und die Leute konnten das Bild sehen. Dissidente serbische Kunst in der kommunistischen Zeit war figurativ, und wir wissen ja aus der Geschichte, daß figurative Kunst von den Herrschenden viel besser verstanden wird als alle anderen Stile. Im ehemaligen Jugoslawien wurde figurative Malerei als potentielle Gefährdung der »progressiven Gesellschaft« gesehen, während alle nicht mit traditionellen Medien arbeitenden kritischen Kunstformen, Performance etwa, oder Video, das offenbar nicht waren. Die politische Performance »Was ist Kunst?« von Rasa Todosijevic, die viele totalitäre Aspekte von Kunst und Politik aufs Korn nahm, wurde zum Beispiel nie verboten.
sei: Das scheint nicht das einzige Paradox der jugoslawischen Kultur unter kommunistischer Herrschaft gewesen zu sein.
pejic: Der Modernismus war die offizielle Kunst Tito-Jugoslawiens, obwohl Tito selbst 1963 eine Rede gegen die Abstraktion gehalten hatte. Seit den späten fünfziger Jahren waren die meisten Monumente zu Ehren der sozialistischen Revolution und des Sieges über den Faschismus formal abstrakt. Diese Kunst repräsentierte das Land auch international und wurde in den jugoslawischen Museen gezeigt. Die Arbeit der Nach-68er-Generation, die im sozialistischen Jugoslawien als »Neue Kunstpraxis« bekannt wurde und von Performance Art über konzeptuelle Kunst bis Post-Object-Art und Video reichte, fand in öffentlichen Institutionen wie dem StudentInnenzentrum Zagreb, dem SKC in Belgrad oder dem SKC in Ljubljana statt, die alle staatlich subventioniert waren. Ich behaupte, daß wir im »zweiten, titoistischen Jugoslawien« nur eine diffuse Situation der Dissidenz hatten. Der Staat zensierte nicht offen, sondern durch das Kürzen von Subventionen. Die Kunst- und Kulturgeschichte des jugoslawischen Kommunismus muß in Serbien umgeschrieben werden; die Systeme der offiziellen Repräsentation und des politischen Designs müssen untersucht werden, so wie das in Bulgarien oder Ungarn geschieht.
sei: Später kehrten die KünstlerInnen wieder zu interpretierbarer Malerei zurück?
pejic: Ja, in den achtziger Jahren drehte sich alles um die »operazione pittura«. In den Siebzigern hatte ich wirklich geglaubt, daß das mit den traditionellen Medien vorbei wäre, weil ich etwa an die Half-Inch-Revolution geglaubt hatte. Ich hatte verlernt, wie man mit Malerei umgeht. Ich stand außerdem dem harten Kern der Belgrader KonzeptkünstlerInnen wie Todosijevic, Nesa Paripovic, Marina Abramovic, Era Milivojevic, Gergelj Urkom oder Zoran Popovic nahe, die immer Kontrolle über die Interpretation ihrer Arbeiten behielten. Die Museen für Gegenwartskunst, die ja der einzige Kunstmarkt waren, den wir in Ex-Jugoslawien hatten, begannen sofort, die Malerei der »neuen Welle« anzukaufen, hatten aber nie Kunst der siebziger Jahre gekauft, als diese auf ihrem Höhepunkt stand. Nur die »Galerie für Gegenwartskunst Zagreb« hatte damals Produktionen der »Neuen Kunstpraxis« erworben. In Slowenien und besonders in Kroatien gab es zu der Zeit, als im Westen der Neo-Konservativismus der Achtziger männliche Malerfiguren wie jene der »Trans-Avantguardia« oder der »Neuen Wilden« hypte, wirklich sehr gute Malerinnen. Im damaligen Serbien hingegen waren die KünstlerInnen eher an Installationen interessiert.
In den Neunzigern litt Serbien unter den Wirtschaftssanktionen. Die Interessen gehen unter anderem in Richtung elektronische Medien. KünstlerInnen, die nach 1968 aktiv waren, aber auch jene, die in den frühen Neunzigern auf die Szene traten, produzieren Kunst, die auf einem fragmentarischen Prinzip beruht. Es gibt auch ein Revival von Performance Art und von Themen wie Körperlichkeit und Sexualität. Dennoch gibt es wie in fast allen postkommunistischen Ländern kaum feministische Ansätze in der Kunst. Obwohl es in Belgrad mit Branka Andjelkovic eine brillante feministische Kritikerin gibt, wie das ja auch Edit Andras in Budapest oder Leonida Kovac in Zagreb sind.
sei: Wie denken Sie über eine andere These Vukuvics, nämlich daß die »KünstlerInnenvereinigungen nicht wie Gewerkschaften handelten, die die Rechte ihrer Mitglieder beschützen, sondern immer als ideologische und quasi-politische Kulturinstitutionen«?
pejic: Die kommunistische KünstlerInnengewerkschaft sollte sich um KünstlerInnenrechte kümmern wie Pensionsversorgung, soziale Sicherheit, Ateliers, aber auch um Ausstellungsorganisation, was die westlichen KünstlerInnen immer beneidet hatten. In Wahrheit haben davon aber nur traditionell ausgerichtete KünstlerInnen profitiert. Die Gewerkschaft nahm in den Siebzigern keine Videoprojektionen oder Performances in ihre Ausstellungen auf. So eine Organisation hatte ihren Sinn verloren. Wenngleich selbst am Höhepunkt der »Neuen Kunstpraxis« nur ungefähr 300 Leute aus der Szene an neuer Kunst interessiert waren. Anders als die Neo-Avantgarde in Deutschland, ist die Neue Kunstpraxis auch heute noch marginalisiert und im Museumssystem Ex-Jugoslawiens nicht historisiert. Was Kunstinstitutionen betrifft, ist Serbien tot. Das Museum für Gegenwartskunst in Belgrad, früher einer der wichtigsten Kunstorte, hat in den letzten sechs Jahren keine einzige relevante Ausstellung gezeigt. Der momentane Leiter des SKC ist ein Milosevic-Mann. Nur das Soros Center für Gegenwartskunst (SCCA) in Belgrad organisierte ordentliche Ausstellungen serbischer Kunst, und das »Cinema Rex«, das von Radio B92 betrieben wurde, war der einzige Ort, wo internationale Veranstaltungen stattfanden.
sei: Welchen Einfluß hatten die StudentInnenproteste 1996–97 in Belgrad auf das soziale Leben und auf die Kunstproduktion?
pejic: Einer der wichtigsten Aspekte der StudentInnenproteste war, daß sie eine Form wirklich urbanen Sozialverhaltens darstellten. Das waren Anzeichen einer kommenden Zivilgesellschaft, die dann – leider – nie realisiert worden ist. Die politische Koalition »Zajedno« wurde zerstückelt, geschwächt und schaffte es nicht, viel in der politischen Landschaft Serbiens zu ändern. Eine Anthologie von Texten aus der Belgrader »Republika«2 handelt unter anderem davon, wie die nationalistische Ideologie aller Seiten in den letzten Jugoslawienkriegen ein Phänomen hervorgebracht hat, das dort als »Urbizid«, Stadtmord, bezeichnet wird und das nicht nur die physische Zerstörung von Städten meint, sondern auch die Auslöschung jedes urbaneren Lebensstils. Einige Texte analysieren das Entstehen eines speziellen Folklorismus und nationalen Kitsches, wie etwa die »Turbo-Volksmusik« in den vom Krieg ausgezehrten Gesellschaften. Serbische KünstlerInnen reagieren auf diese Phänomene – zwar nicht so sehr auf den serbisch-nationalen Kitsch, sondern allgemein auf das neue »kitschige« Verhältnis zum Leben.
sei: Was ist das Konzept Ihrer Ausstellung »After the Wall«?
pejic: In den letzten zehn Jahren dramatischer Veränderungen haben viele KünstlerInnen im »Osten« kritisch auf die neue Freiheit, die neue Situation und das neue Umfeld reagiert und einige nicht. Diese Ausstellung – initiiert von David Elliott, einem der Direktoren des »Moderna Museet« in Stockholm, der besonders feinfühlig ist, was die Themen Kunst und Macht, Kunst und Ideologie,Kunst und Gesellschaft betrifft – ist keine Ansammlung von politischer Kunst im plakativen Sinn. Sie ist vielmehr eine Ausstellung, die künstlerische Produktion ohne einen verallgemeinernden Blick erfassen soll. Es nehmen 118 KünstlerInnen und Gruppen aus 22 Ländern teil. Die Grundlage ist eine vom Soros Center für Gegenwartskunst (SCCA) geförderte Recherche in den post-kommunistischen Ländern, die ich in den letzten zwei Jahren alle bereist habe.
sei: Wie unterscheidet sich »After the Wall« von anderen Osteuropa-Projekten seit dem Fall des Eisernen Vorhangs?
pejic: Nach dem Fall der Mauer gab es überall im Westen Shows über den Osten. »Europa, Europa« im Jahr 1994 in Bonn hat versucht, das ganze zwanzigste Jahrhundert abzudecken, »Riss im Raum« 1994 in Berlin oder »Beyond Belief» (1995) konzentrierten sich auf die Generation der achtziger Jahre. Außerdem gab es viele Shows über nationale Szenen. Dieser Trend zur nationalen Repräsentation war aber Mitte der Neunziger mehr oder weniger vorbei, als der Westen entdeckte, daß der Osten nicht mehr das »exotische Andere« war. »After the Wall« baut auf individuelle künstlerische Haltungen mit dem Fokus auf die neunziger Jahre und versucht herauszufinden, mit welchen Themen die junge Generation beschäftigt ist. Was ich wichtig finde, sind die Unterschiede in der Kunstproduktion. In Sofia beispielsweise gibt es kein Museum für zeitgenössische Kunst, dafür aber das Institut für Gegenwartskunst, das eine virtuelle Institution von Leuten ist, die sehr aktiv sind. In Prag wieder gibt es zwei Museen, die tschechische Kunst der neunziger Jahre für ihre ständigen Sammlungen kaufen. Abgesehen vom vereinigten Deutschland gibt es jedoch im Osten immer noch kein Galeriensystem. In der ganzen Region gibt es nicht mehr als sieben wirklich gute kommerzielle Galerien, und von denen leben die meisten durch den Verkauf von früher Moderne oder Antiquitäten, um aus dem Erlös die Produktion zeitgenössischer Kunst unterstützen zu können. In dieser Hinsicht sind die Veränderungen also langsam.
sei: Ich finde, daß in Europa KünstlerInnen nicht unbedingt daran interessiert sind, Kunst zu machen, die spontan soziale und politische Themen reflektiert. Wenn das Thema didaktisch ist – beispielsweise die Mauer oder Grenzen – dann können die KünstlerInnen leichter damit umgehen. Wie ist Ihre Erfahrung?
pejic: Ich war während der Jugoslawienkriege in Kroatien und Bosnien ebenfalls mit dem Dilemma konfrontiert, wie sich eine Kunstkritikerin in so einer Situation verhalten sollte. Viele internationale KünstlerInnen reagierten auf die Belagerung Sarajewos, aber was dabei herauskam, war oft einfach nur schlechte Kunst. Die Frage ist also: Ändern wir unsere beruflichen Kriterien in solchen historischen Situationen? Und was bleibt denn in der Kunstgeschichte – Haltungen oder Formen? Eine gute abstrakte Malerin, die serbische Nationalistin ist – soll ich sie ausstellen oder nicht? Während des Bosnienkriegs monierten einige ausländische KritikerInnen, daß sie in Serbien keine Antikriegskunst gefunden hätten. Das war ja auch mein Problem: Ich erwartete von den KünstlerInnen mehr kritische Arbeiten. Da gab´s wirklich nicht so viele: Ein paar Installationen über die serbische Aggression gegen Kroatien von kroatischen Künstlern wie Sanja Ivekovic, Dalibor Martinis und Ivan Faktor, Antikriegspropaganda aus Sarajewo, etwa die Postkarten der Designergruppe »Trio« – das war alles, was gut war.
sei: In Tschechien zum Beispiel verschwand die sogenannte politische Kunst nach der Revolution. Es gibt zwar noch immer KünstlerInnen wie Jiri Sozansky, aber deren Haltung ist mittlerweile das Thema von Witzen geworden. Der Begriff »underground« hatte zu kommunistischen Zeiten im Westen und im Osten unterschiedliche Bedeutungen. Sozansky ist jetzt ironischerweise »underground« im westlichen Sinn, weil er immer noch polititische Kunst macht.
pejic: Bevor ich mit den Arbeiten an diesem Projekt begann, hatte ich das Vorurteil, daß ich nicht viele KünstlerInnen finden würde, die auf soziale Umstände in kritischer Weise reagieren. Jetzt habe ich gelernt, daß sie zu finden sind, wenn man nach ihnen sucht. In Serbien zum Beispiel hat Rasa Todosijevic seinen kritischen Standpunkt nicht aufgegeben, wie man etwa in seiner Installation »Gott liebt die Serben« sehen kann. Von den jüngeren KünstlerInnen beschäftigt sich Milica Tomic kritisch mit dem serbischen Ethnozentrismus. In Vilnius sah ich eine Installation von Giedrius Kumetaitis über den Rassismus gegen »ethnisch andere« in Litauen. In Prag fand ich Jiri Cernickys Arbeit politisch, weil sie Themen wie Drogenabhängigkeit oder Gewalt gegen Frauen behandelt. Arbeiten über Obdachlosigkeit, die Auswüchse der Konsumgesellschaft oder die Verwestlichung des Ostens: all diese Sachen existieren. Die mazedonische Künstlerin Zaneta Vangeli berührte letztes Jahr mit einer Fotoinstallation das Thema NATO. Wenn sie jedoch gute Malerei suchen, die sich nicht auf die momentane soziale Realität bezieht, sollten sie nach Budapest oder Leipzig fahren. In Ungarn gibt es eine »post-media« Malerei, die nach der Welle des technologischen Enthusiasmus Anfang der neunziger Jahre entstanden ist. Sie behandelt die Politik der Repräsentation.
sei: Sie arbeiten an einer Dissertation über politische und soziale Repräsentation. Was ist ihr spezifisches Thema?
pejic: Das Thema ist der »kommunistische Körper«, und es geht um die Politik der Repräsentation und die Repräsentation der Politik in der Öffentlichkeit der SFR Jugoslawien. Was wir alle in Tito-Jugoslawien gemeinsam hatten, war ein System politischer Repräsentation, eine semantische Landschaft, die aus öffentlichen Skulpturen, Titos Fotos in jedem einzelnen öffentlichen Raum »seines« Jugoslawiens und aus Massenkundgebungen zu seinem Geburtstag bestand: eine Kunst-Landschaft aus Körperdarstellungen, die entweder direkt, wie in den Monumenten sozialistisch-realistischen Stils, oder versteckt waren, wie in den abstrakten Skulpturen, wo die abstrakte Form für einen kollektiven Körper stand. All diese Monumente glorifizierten unsere Revolution und unseren Sieg, und sie standen in allen Ecken Jugoslawiens – ein totalitäres Netzwerk von Zeichen. Das produzierte ein Bild von Gemeinsamkeit, ein Bild des »kommunistischen Körpers«. Ich habe versucht, den Übergang zwischen den beiden Jugoslawien durch den Ersatz eines offiziellen Porträts durch ein anderes zu beschreiben: von Tito zu Milosevic. Oft, wenn ich serbisch-nationalistische Interpretationen der Geschichte lese, fühle ich regelrecht, daß mir jemand meine Vergangenheit wegnimmt. Das also ist meine Trauerarbeit.
sei: Sie leben in Berlin. Welche Position nehmen Sie in der Debatte um das Holocaust-Mahnmal ein? Es soll errichtet werden, nachdem eine Nation ihre Fehler in der Vergangenheit zugegeben hat. Es handelt also von der »negativen Vergangenheit«.
pejic: Die deutsche Kunsthistorikerin Cathrin Hoffmann-Curtius hat das Evidente klar ausgesprochen: In einem vereinigten Deutschland mit Berlin als Hauptstadt kann dieses Monument nur eine Darstellung deutscher Macht bedeuten. Viel weniger wird es ein Mahnmal der tragischen jüdischen Vergangenheit sein. Ich sollte hinzufügen, daß ich die deutsche feministische Kunstgeschichte für den lebendigsten Teil kunsthistorischen Schreibens in diesem Land halte. Sie diskutiert die entscheidenden Themen der nationalen Geschichte, wie zum Beispiel die Repräsentation des »unbekannten Soldaten« nach dem Weltkrieg oder weibliche Allegorien, die traditionell einen Nationalstaat repräsentieren. Themen, die mit dem Fall des Kommunismus und der Entstehung von Nationalstaaten auch im ehemaligen Osten wieder aktuell sind. Im Zuge meiner Recherchen für »After the Wall« stellte ich fest, daß das Thema Holocaust die jüngste KünstlerInnengeneration nicht mehr interessiert. Das provokante »Lego-Konzentrationslager« des Polen Zbigniew Libera stammt aus dem Jahr 1995. Ich sah diese Arbeit in einem neuen Licht, als ich in einem polnischen Reiseführer eine Anzeige für eine »Schindlers Liste-Tour nach Auschwitz« entdeckte. In einem albanischen Flüchtlingslager haben HelferInnen den Kindern Papier und Farbstifte gegeben. Viele der Kinder haben damit bunte NATO-Bomber gemalt, die den UCK-Soldaten zu Hilfe kommen. Auf der anderen Seite, in den Luftschutzkellern Belgrads, malen die Kinder dunkle NATO-Flugzeuge, die Bomben auf ihre Häuser fallen lassen. Es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, daß noch keines der Belgrader Kinder Milosevic als Befreier gemalt hat.
Übersetzt von Thomas Raab
1 Artistic Workshop »Aurora«, Vrsac und Fund for an Open Society – CCA (Hg.): Katalog der »2nd Yugoslav Biennial of Young Artists«. Belgrad 1997.
2 In deutscher Übersetzung erschienen als: Th. Bremer, Nebojsa Popov und H.-G. Stobbe (Hg.): Serbiens Weg in den Krieg. 1997.