»Die Akademie Isotrop ist eine unscharfe Organisation zur gegenseitigen Verstärkung, ständigem Anstoß und Verteilung durch Wände hindurch.« (»Isotrop« 1, S. 6) So lautet eine Selbstbeschreibung der Akademie Isotrop. Gegründet wurde die Akademie 1996 in Hamburg von einer Gruppe von KünstlerInnen beziehungsweise kulturellen ProduzentInnen. Ihre Aktivitäten sind vielfältig. So gab und gibt es Seminare, reguläre und projektbezogene Treffen in Privatwohnungen und den Räumen des Hamburger Golden Pudel Club. In einem Séparée gegenüber der Bar befindet sich hier auch die »Galerie Nomadenoase«: Ein Raum, den die Akademie kontinuierlich sowohl mit eigenen Gruppenpräsentationen als auch mit Einzelausstellungen eingeladener KünstlerInnen bespielt. Ende April etwa waren Zeichnungen von Ralf Schauff zu sehen. Alle zwei Wochen findet die Eröffnung einer neuen Ausstellung statt, als Teil des Programms, das die Akademie im Rahmen ihrer »regular night« Montag Abend im Pudel Club neben Lesungen, Konzerten, (Gast-)DJs und anderem anbietet. Die Bands »Polizeiterror« und »die geteilten Zöpfe« sowie die »DJ Kommune Gegen Gegen« setzen sich aus Mitgliedern der Akademie zusammen. In unregelmäßigen Abständen erscheint die Zeitschrift »Isotrop«. Sie enthält neben Collagen und Zeichnungen Essays, literarische Texte, Begriffs- und Positionsbestimmungen in eigener Sache, Polemiken und politische Kommentare. Von einzelnen AutorInnen verfaßte Beiträge sind ebenso zu finden wie in der Gruppe produzierte Textmontagen. Bisher liegen drei Ausgaben vor, die vierte ist in Vorbereitung.
Seit 1997 realisierte die Akademie darüber hinaus Veranstaltungen und Ausstellungen an verschiedenen Orten, unter anderem dem Künstlerhaus Stuttgart und der Halle für Kunst in Lüneburg. 1998 fand im Rahmen eines Stadtfestes in Ulm das Projekt »Reality Investment« statt. Die Akademie residierte eine Woche in der Stadt, lud Gäste ein, machte Programm und intervenierte im öffentlichen Raum. Im vergangenen halben Jahr folgten Ausstellungen bei Contemporary Fine Arts in Berlin, Daniel Buchholz in Köln und Hoffmann & Senn in Wien. Inszeniert waren diese Ausstellungen ähnlich wie in der »Nomadenoase«, wenn auch aufwendiger: Die Arbeiten verschiedener Mitglieder der Akademie wurden zu gemischten Gruppen beziehungsweise Blocks zusammengehängt. Zumeist sind die Arbeiten figurativ und narrativ in der Darstellung, etwa mit Filzstift oder Kugelschreiber gezeichnet, collagiert oder computergeneriert. In den Raum erweitert wurde die Präsentation unter anderem durch Videomonitore oder figürliche Stoffskulpturen.
Insgesamt steht die Akademie Isotrop also für eine Form der Selbstorganisation, die weder im Sinne einer politischen Interessengemeinschaft mit programmatischer Zielsetzung (»Rettet diesen Park!«) noch im Traditionsmodus Künstlergruppe (»mal zusammen ausstellen und trinken«) funktioniert. Ihr Modell ist hybrid: Rahmenkonstruktion der Gruppe und künstlerische Praxis des einzelnen, individuelle und kollektive Produktionsformen stehen gleichwertig nebeneinander, bedingen und beeinflussen einander nichtsdestotrotz. Dieses Wechselverhältnis ist Thema des folgenden Interviews mit Mitgliedern der Akademie Isotrop.
Jan Verwoert: In Euren Texten ist oft die Rede von der »Funktion der Maske und des Fiktiven in der Produktion«. Unter anderem beschreibt ihr das Ausstellen in Galerien als das »Überziehen« einer »Maske«. Wie ist das zu verstehen?
Helena Huneke: Die Fiktion findet am ehesten im Wiederauffangen statt. Die Ausstellung ist natürlich real. Aber danach gibt es das Feld der Nachbearbeitung oder Veränderung. Der Unterschied ist, daß das Äußere, die Galerie, durch unsere Zusammenarbeit nicht so abgeschnitten dasteht, wie wenn einzelne ausstellen. Es gibt einen laufenden Prozeß, in dem alles noch einmal zusammengebracht, verarbeitet und dann der nächste Schritt gemacht wird.
Markus Selg: Bei unseren Aktivitäten handelt es sich ja auch nicht ausschließlich um Ausstellungen. Die Akademie ist ein größerer Rahmen. Darum sind Ausstellungen eben nur eine Maske, die man nutzt, eine Sache, auf die man eingeht, wo es natürlich noch viele andere gibt - das »reality investment« in Ulm, Vortragsabende, Treffen oder das, was hier in Hamburg passiert.
André Butzer: Die Galerie ist eine ökonomische und öffentlichkeitswirksame Anstalt, die wir nutzen. Sie ist ein Medium. Wenn wir also in bezug auf die Galerie von der »Maske« sprechen, ist das nicht so, als ob man sich tarnen müßte, weil man sich sonst da nicht blicken lassen könnte, sondern weil die Galerie nicht der Endpunkt eines Wunsches ist. Die Galerie ist nur ein Weg, um weiterzumachen mit dem Wunsch nach aussagekräftigen Inhalten.
Jan Verwoert: Erlaubt also die Akademie als Rahmen, Medien und Möglichkeiten der Produktion offen zu halten?
Helena Huneke: Da ist erstmal der Wunsch, nicht von vornherein davon auszugehen, daß eine absolute Bestimmung notwendig ist für das, was man macht; der Wunsch, auf das, was einem begegnet, direkt reagieren zu können. Dafür sollte die Akademie ein Freifeld bieten. Aber es ist klar, daß der Fokus, wenn man sich oft trifft und gemeinsam über Arbeiten diskutiert, enger wird und nicht mehr alles Mögliche dabei ist. Es wird ein Rahmen umrissen, der sich in der Ausstellung in der Auswahl der Arbeiten und ihrer Hängung in Gruppen widerspiegelt.
Jan Verwoert: Parallel zu Eurer Ausstellung in Köln war an der Düsseldorfer Akademie Rundgang. Auffällig war, daß die dortigen StudentInnen offenbar unter enormem Legitimationsdruck stehen. Jede Arbeit muß als Position behauptet werden. Das führt zu absurd aufgeblasenen Setzungen. Unter 16mm macht es niemand. Sind die kollektiven Organisationsformen der Akademie Isotrop, das Verfahren der Gruppenhängung etwa, die bessere Alternative zu einer derartigen Selbstbehauptungsmaschinerie?
Markus Selg: Die Akademie ist keine Entschuldigung für die eigene Arbeit. Das wäre ja langweilig. Der Legitimationsdruck nimmt nicht ab, weil wir eine Gruppe sind. Es wird eher noch schwieriger, weil wir einerseits für uns selbst einstehen müssen, andererseits für die Gruppe.
André Butzer: Genau: sich nie und nimmer als einzelner einer Legitimation entziehen, sich doppelt so stark legitimieren wie so ein Idiot aus Düsseldorf und gleichzeitig mit einer Gruppe wie der Akademie eine Ausstellung machen.
Helena Huneke: Dennoch ist es interessant, daß die Freiheit der Arbeit des Einzelnen darin besteht, sich einer Setzung zu entziehen, dadurch daß zusammengehängt wird. Ich halte das für eine fruchtbare Möglichkeit. Setzungen haben oft dieses Tödliche, daß von vornherein klar ist, was für einen Platz die Arbeit einnehmen soll. Dadurch kann nichts Neues passieren, nichts anderes hineinkommen und nichts sich verbinden. Alles hängt an einer Person, die in einem klar abgezirkelten Kontext eine kleine Intervention macht. Dabei entwickelt sich nichts.
Jan Verwoert: Was ist also genau das Verhältnis zwischen der künstlerischen Produktion des einzelnen und der Rahmenkonstruktion Akademie? Welchen Status haben sie jeweils?
Markus Selg: Es ist ein praktisches Modell, eine Akademie zu machen. Nicht nur ein austauschbares Vehikel, sondern etwas, das wirklich praktiziert wird durch Seminare, Veranstaltungen und so weiter.
Marcel Hüppauff: Es ist ja nicht so, daß der Handlungsrahmen, den wir uns gesetzt haben, unsere Arbeit definiert, sondern andersrum: Das, was wir zu dem Rahmen beitragen, defininiert den Rahmen und dessen Inhalt. Deswegen sind die einzelnen Bilder wichtig und alle einzelnen Sachen, die gemacht werden.
André Butzer: Erst einmal waren ja keine Inhalte da. Die mußten entwickelt werden, und die entwickeln wir ständig weiter. Wir sind ein Kollektiv auf der Suche nach möglichen Inhalten. Nach Aussagen, die medial gemacht werden können. Und dafür ist die Akademie wichtig. Das Modell Akademie war eine Möglichkeit für uns, überhaupt mit Handlungen beginnen zu können. Weil man sich ja dann erst treffen kann, wenn man sagt: »Wir nennen uns \'Akademie\', und wir treffen uns heute zur Vollversammlung.« Es war ein praktischer Plan, um sozial handlungsfähig zu werden im Bereich Kunst, Text, Politik. Und von der Handlungsfähigkeit haben wir uns versprochen, aussagekräftig zu werden.