Heft 2/1999 - Wahl der Waffen
Vorspann:
Um die spezifische künstlerische und politische Sensibilität von Martha Rosler geht es im folgenden Interview. Ihre Sozialisation in den fünfziger Jahren, der Ära des Kalten Krieges, der verstärkten Geschlechternormierung und des Abstrakten Expressionismus, prägt sowohl ihre Kritik an der mythischen Funktion von Bildern als auch ihr Beharren auf der Notwendigkeit künstlerischer Bedeutungsproduktion und politischer Utopie.
Fließtext:
»Mehr denn je erweisen sich diese Werke«, – die Rede ist von Arbeiten, die Martha Rosler vor 30 Jahren als Reaktion auf den Vietnamkrieg geschaffen hat, – »(bedauerlicherweise) als aktuell.« So der Pressetext zur umfassenden Retrospektive, die der Künstlerin noch bis 8. August in der Wiener Generali Foundation gewidmet ist. Aber was soll das heißen, Roslers Kriegsbilder aus der Vietnamzeit seien »aktuell«? Damals ging es darum, zwei Aspekte menschlicher Erfahrung – den Krieg, der irgendwo da draußen stattfand, und das Zuhause der amerikanischen Mittelschicht – in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Dieser Zusammenhang ist inzwischen medialer Allgemeinplatz, allerspätestens seit Somalia, wo, wie Rosler erzählt, »wir im Fernsehen immer wieder und wieder gezeigt bekamen, wie der tote Körper eines Amerikaners ›live‹ durch die Straßen gezerrt wurde. Das war der eigentliche Grund, wieso die USA dann nicht in Haiti eingriffen: Die Situation erinnerte zu sehr an Somalia, und abgesehen davon, betraf es Schwarze.« Aktuell ist an den frühen Arbeiten nur das Thema »Krieg«. Krieg derart als anthropologische Konstante zu werten heißt jedoch, die historische und politische Spezifität – und die Lebensrealitäten derjenigen, auf die die Bomben fallen – aus den Augen zu verlieren. Und gerade auf diese Spezifität pocht Rosler nachdrücklich.
ruth noack, roger m. buergel: Warum haben Sie aufgehört, im Stil des Abstrakten Expressionismus zu malen?
martha rosler: Dafür lassen sich locker 3000 Gründe angeben! Mit dem Aufkommen von Pop und Hard Edge-Malerei waren die phänomenalen Gesten des Abstrakten Expressionismus ohnehin erledigt. Hard Edge bedeutete, mit Klebeband und sorgfältigen Konstruktionen zu arbeiten. Die Idee des inspirierten Künstlers oder trunkenen Genies mußte bei solchen Verfahren zwangsläufig verpuffen, ja sie förderten geradezu die Kritik am männlichen Helden heraus. Die Absage, die Pop der kritiklosen Transzendenz erteilte, war ein Faktor, um den Feminismus in der Kunst verankern zu können – allerdings erst, nachdem sich der Feminismus im Leben Gehör verschafft hatte. Es dauerte ungefähr ein Jahr, bevor die feministische Analyse die Kunstwelt erreichte, aber dann artikulierten sich die Künstlerinnen plötzlich und riefen: »Halt, stop, es geht nicht nur um unsere Rolle im Haushalt, sondern auch um unsere Praktiken, um Produktion und Distribution.« Für mich selbst war Feminismus weniger ein Karrierevehikel als eine Perspektive auf den ideologischen Gehalt von Bildern.
noack, buergel: Aber Sie haben weiterhin gemalt?
rosler: Ja, bis in die frühen Siebziger. Mich interessierten die Farbräume und verschwimmenden Grenzverläufe bei Rothko sowie Gustons Lösungen für das Problem mit dem Bildrand. An Gustons abstrakten Arbeiten kann man sehr gut studieren, wie sich das Bild oder eine bestimmte Figuration aus einem Feld heraus entwickelt.
noack, buergel: Welchen Einfluß hatte Reinhardt, bei dem Sie studiert haben?
rosler: Ich mochte seine dunkle Palette unter anderem, weil die unmerklichen Differenzen die BetrachterIn zwingen, vor dem Bild zu verweilen und sich auf die eigene Wahrnehmung zu konzentrieren. Man beginnt zu denken, um die Differenzen zu sehen: Was ist dort, wo ist es?
noack, buergel: Entspricht der Raum, den diese Verschiebungen im Prozeß der Bildwahrnehmung erzeugen, jenem Raum, den Sie auf ihren frühen Montagen sichtbar machen wollten, jener Lücke, die auf den Konstruktionscharakter der Repräsentation aufmerksam macht und dadurch der politischen Intervention gewissermaßen das Terrain erschließt?
rosler: Ja, sicher, obwohl ich Reinhardt damals nicht als konzeptuellen Maler bezeichnet hätte. Seine Bilder haben mich vor allem emotional berührt in ihrem düsteren Insistieren auf einer bestimmten Bedeutungsschicht, die man erst wahrnimmt, wenn man vollkommen ruhig und abgeklärt geworden ist. Man entdeckt dann eine Art Rhythmus, der die Welt durchzieht und den wahrzunehmen wir normalerweise gar nicht in der Lage sind. Das ist eine theologische Erfahrung; ich komme ja auch aus einer religiösen Familie und bin dementsprechend geschult.
Mir war immer unerklärlich, warum nicht alle Reinhardt liebten. Ich stand vor diesen Bildern im Brooklyn-Museum und dachte nur: »Wie unglaublich!« – auch im Vergleich zu diesen lauten, riesigen Pollocks, die keine Form von Austausch vorsahen. Reinhardts Bilder besitzen ein Moment, das mich etwas erzeugen und nicht bloß erkennen läßt. Dafür habe ich mich damals interessiert, nicht für die Sprache der Kunst als solche.
noack, buergel: Einerseits hat Ihnen die Technik der Montage geholfen, diese Wahrnehmungsverschiebung anzuregen. Andererseits findet man auf Ihren Arbeiten eine doppelte Artikulation: sowohl eine Artikulation der Formen als auch eine Artikulation des sozialen Raumes, der abgespeichert ist im populärkulturellen Ausgangsmaterial. Erst diese doppelte Artikulation scheint Ihnen die Mittel für eine tatsächlich radikale Kritik in die Hand gegeben zu haben. Könnten Sie dieses Zusammenspiel näher beschreiben?
rosler: Wie ich das am Beispiel der Bilder Reinhardts mit ihrem Differenzmoment zwischen Darstellung und Erfahrung veranschaulichen wollte, geht es darum, die Erfahrung als Leistung oder Herstellung herauszuarbeiten. Diese Arbeit ist eng verbunden mit meiner marxistischen Überzeugung von einer fundamentalen Struktur, die allerdings nicht sichtbar ist – wobei Marx dem widersprechen würde, denn ihm zufolge ist sie völlig evident. Man muß genau hinschauen, um sie zu entdecken; und dadurch wird die Frage nach dem Gehalt des Alltäglichen relevant. Alltag ist nicht nur das, was ist, sondern Alltag hat eine Geschichte: Er wird durch Kräfte bestimmt, die man nicht wahrnimmt, wenn man eben zur Kaffeetasse greift oder, was vielleicht wichtiger ist, den Kaffee im Supermarkt aus dem Regal holt; oder wenn die Mutter das Frühstück zubereitet und der Vater es ißt, um anschließend ins Büro zu gehen. Man muß Wege finden, um über diese Naturalisierungen nachzudenken. Heute läßt sich das einfach sagen, aber im kulturellen Klima der fünfziger Jahre gab es keine Stimme, die sprach: »Hallo, warum sind denn die Dinge so und nicht anders?« Der einzige Ort, wo man auf derlei Reflexionen treffen konnte, war die Science-fiction-Literatur, weshalb ich diesem Genre auch komplett verfallen war. Jedes einzelne Element der bestehenden Verhältnisse wurde hier zumindest angekratzt, nach dem Motto: Was würde passieren, wenn wir dieses Universum und die Beziehungen, die es ausmachen, ein wenig verschieben würden?
noack, buergel: Gender ist eine der Kategorien, die in der Science-fiction in Frage gestellt werden.
rosler: Ja, die Lösungen, die in der SF vorgeschlagen wurden, waren zwar allesamt unbrauchbar, aber zumindest wurden die Evidenzen erschüttert.
noack, buergel: Aber im Universum der fünfziger Jahre muß es doch vor Spannungen nur so geknistert haben, vor allem aufgrund des Backlash, der die Frauen nach dem Krieg aus den Fabriken wieder ins Haus zurückdrängte?
rosler: Ich glaube, diese Zusammenhänge haben wir erst später begriffen. Es gab damals kein Gefühl von Verdrängung, eher von Ausgeschlossensein. Wir Teenager wußten nicht, was passiert war. Für uns war das der Lauf der Welt: die Frauen zu Hause und die Männer in den Fabriken, im Büro oder hinter dem Steuer des Milchautos. Allerdings waren selbst kleine Mädchen von der Idee, daß Frauen derart beschränkt sein sollten, alles andere als angetan. Ich war ein ziemlich ausgelassenes Kind und rannte herum, soviel ich konnte. Mein Vater aber, der sehr sportlich war, erlaubte mir keinerlei sportliche Betätigung mit der Begründung, ich könnte mich verletzen. Das nervte mich ungeheuer. Und dann erinnere ich mich, daß mir, als ich ungefähr zehn war, eine Freundin vorwarf, ich wäre eine Verräterin an den Frauen. Ich dachte nur: »Wie bitte? Ist das hier ein Land, in dem man zur Verräterin werden kann?« Aber man sieht, auch kleine Kinder hatten schon Geschlechterfragen im Kopf.
noack, buergel: Wie stark war denn der Normalisierungsdruck durch die Populärkultur?
rosler: Immens. Während wir im Fernsehen den glücklichen Hausfrauen zuschauten, gab es diesen bösartigen Diskurs über »Momism« und ein Soziologe bezeichnete Frauen als »hübsche kleine Parasiten«. Es gab eine Sendung, die hieß »Father Knows Best«. Ich sehe noch meinen Vater vor mir, der durch das Wohnzimmer lief und rief: »Ich hasse diese Sendung. Jede neue Folge zeigt, wie blöd der Vater ist.« Ich entgegnete ihm in aller Unschuld: »Aber sie heißt doch ›Father knows best‹!«, woraufhin er erwiderte: »Es geht doch immer bloß darum, daß die Frauen und Kinder dem Vater einreden, es wäre seine Idee.«
noack, buergel: Es leuchtet ein, daß das Science-fiction-Genre mit seiner offensichtlichen Diskrepanz zwischen Konzept und Material für ein Mädchen, das in diesen Diskurs verstrickt ist, Anziehungskraft hat.
rosler: Die Gegenwart verrücken …
noack, buergel: … und entwirklichen. Ähnlich wie bei Rothko oder den Reinhardt-Bildern stößt man auf ein Spiel von Grenzen und Raum, auf Schnittstellen zwischen formalen oder narrativen Elementen einerseits und impliziten Gesellschaftsentwürfen andererseits …
rosler: Vielleicht ist das jetzt ein Mißverständnis, aber dasselbe gilt für die Fotografie. Ich erinnere mich, wie ich das erste Mal das Paul Strand-Foto von der Schüssel sah. Da ist mir klargeworden, daß ein Foto wie ein Keksausstecher funktioniert. Es sagt: »Das ist die Welt und ich steche ein Teilchen aus.« Mit dieser Erkenntnis war für mich die ganze Geschichte des Formalismus dahin. Das Bild wird zu einer Aussage über Repräsentation und deren Verhältnis zwischen dem Teil und dem Ganzen. Wenn man sich ein Strand-Foto – das gilt aber nicht für alle – genau anschaut, dann ist es weniger eine Komposition aus vorhandenen Elementen, sondern gibt zu erkennen, daß es sich auf etwas Bestehendes bezieht. Das ist eine radikale Idee, die aus dem Bilddenken heraus entstanden ist, dieses aber aufhebt und der Fotografie ganz andere Aufgaben überträgt. Strand macht eine Aussage über die Welt. Er zwingt dich, einen bestimmten Teil zu betrachten, aber so, daß dir dabei klar wird, daß du einen anderen Teil aus dem Blick verlierst. In meiner Arbeit über die Bowery bezieht sich dieser andere Teil auf Armut und Klassenverhältnisse.1 Deshalb verwende ich hier auch keine Naheinstellungen, sondern Weitwinkel.
noack, buergel: Unserer Meinung nach sind Ausschlüsse aber nicht technologisch determiniert; allerdings stehen sie in einem unbehaglichen Naheverhältnis zu Technologien. Nachdem die NATO versehentlich einen Bus mit kosovarischen Flüchtlingen bombardiert hatte, erklärte General Clark auf der Pressekonferenz, daß es zu dem Unfall gekommen sei, weil der Bus »off the screen« – also nicht auf dem Bildschirm – gewesen sei.2 Die Piloten träfe keine Schuld, weil sie lediglich über virtuelle Modelle, Landschaftssimulationen des Zielgebietes verfügen. Der Krieg tritt hier in die Fußstapfen kultureller Bildtechniken wie dem Kino …
rosler: … und Videospielen. Teil meiner Fascination-Installation von 1983 ist ein Text über die Entdifferenzierung von Videospielen und Krieg.3 Anläßlich des Massakers in Littleton (Colorado) – einem Ort, der sinnigerweise in unmittelbarer Nachbarschaft von NORAD, dem Nordamerikanischen Radarluftabwehrsystem, liegt – meinte ein Militär, daß er in West Point die Soldaten mittels Videospielen ausbildet, weil sie nach soundsovielen Spielstunden absolut kompetent im Waffengebrauch sind, ohne auch nur einen einzigen Schuß abgefeuert zu haben. Die Spielumgebung gewöhnt die Soldaten daran, ruhig und entspannt zu schießen. Daß die Computersimulation jeden direkten Blickkontakt und auch Fotos ersetzt hat, ist also kein Wunder und auch nicht wirklich neu. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Ballons für militärische Aufklärungsflüge eingesetzt. Die photographische Luftaufnahme bestimmte, was sichtbar wurde von der Welt und was nicht.
noack, buergel: Während neuere Hollywood-Produktionen die Erfahrung des Krieges eher hyperreal erscheinen lassen, unter anderem durch üppige Geräuschuntermalung, sind die Bilder, welche die NATO auf ihren Pressekonferenzen zeigt, stumm und beruhigend.
rosler: Diese Bilder sind vergleichsweise primitiv, aber natürlich adäquat. Sie haben schließlich nicht die Funktion, eine Erfahrung zu übermitteln, sondern die Bomben auf das Ziel zu lenken.
noack, buergel: Sie dienen der NATO aber auch zur Selbstdarstellung. Dazwischen eingeblendet kommen Slogans wie: »We are winning, he is losing.«
rosler: Überrascht Sie das?
noack, buergel: Die Rhetorik ist um so vieles platter …
rosler: Ja, ein infantiler Diskurs. Bei den Pressekonferenzen während des Golfkrieges skandierten General Schwartzkopf und Colin Powell: »Cut it off and kill it, cut it off and kill it, cut it off and kill it!« Mit diesem Bild der Kastration wurde damals der eigentliche Kampf völlig entpersönlicht.
noack, buergel: Dieser infantile Diskurs widerspricht in gewisser Weise der Vorstellung, die Massenkommunikation beruhe auf Mythen, die so schlau verpackt sind, daß ihr Konstruktionscharakter unsichtbar bleibt und die Leute dementsprechend passiv gehalten werden können. In diesem Fall transportiert die Massenkommunikation den Konstruktionscharakter …
rosler: Ja, aber die Leute glauben den Mythen. Wenn allgemeine Übereinstimmung darüber herrscht, daß Slobodan Milosevic ein Teufel ist, der die Albaner vertreibt, weshalb Belgrad bombardiert werden muß, und niemand fragt: »Wären nicht vielleicht ein paar mehr Erklärungen vonnöten, über das, was hier abgeht?« Was sollen die Leute dann anderes denken? Ein besonderes Problem ist sicherlich, daß keine Seite ernstlich einen Krieg erwartet hatte.
Aber noch einmal zurück zu dem, was Leute glauben. In meinen Seminaren über Dokumentarismus haben die Studierenden früher den Begriff Dokumentation mit der Anstrengung assoziiert, über eine Situation die Wahrheit zu sagen. In den letzten fünf Jahren sagen sie ausnahmslos, die Dokumentation sei eine vorurteilsbehaftete Darstellung, die lediglich vorgibt, die Wahrheit widerzuspiegeln. Gegen all diesen Relativismus müssen wir aber einen Diskurs setzen, der die Korruption aufarbeiten kann, um so mehr, als die Rechte die Sprache und Begriffe der Linken okkupiert hat.
noack, buergel: Könnte bei dieser Wiedergewinnung oder Neuschöpfung von Sprache und Kategorien auch die ästhetische Autonomie eine Rolle spielen?
rosler: Ich glaube nicht, daß wir ohne den Horizont einer politischen Utopie bestehen könnten. Man braucht ein imaginäres Ziel, auf das man zusteuert.
noack, buergel: Aber lassen Sie jetzt nicht einfach Kunst und Politik, Kunst und Gesellschaft zusammenfallen?
rosler: Naja, ich werde oft als eine gesehen, die für Kunst einen Gesellschaftsbezug einfordert. Das stimmt – aber es stimmt nicht ganz. Hätte ich während des Vietnamkriegs und bei meinen frühen feministischen Arbeiten zwischen den Bezeichnungen Künstlerin und Propagandistin wählen müssen, hätte ich mich für Propagandistin entschieden, obwohl ich nicht glaube, daß das, was ich tat, Propaganda war. Denn erstens hat mir niemand gesagt, was ich tun soll, und zweitens gab es keine vorfabrizierten Schubladen, in die meine Sachen hineinpaßten, nach dem Motto: »Da ist der Plan, das der Auftrag, darum geht‘s, du machst das und so weiter.« Dennoch – weil ich mein Werk als agitatorisch ansah, ein solches Konzept damals aber nicht vorlag – hätte ich die Bezeichnung Propaganda akzeptiert. Ich will aber keine Propaganda machen, und ich will auch nicht, daß sich KünstlerInnen irgendwo wie HandlangerInnen andienen. Das ist ein Fehler. Auch wenn ich nicht an ästhetische Autonomie glaube, würde ich doch so tun, als ob es sie gäbe.
noack, buergel: Und wie würden Sie ästhetische Autonomie positiv definieren?
rosler: Was das Prinzip für mich bedeutet? Daß es ein Subjekt gibt, das nicht völlig aufgesogen ist von den bürokratischen und institutionellen Zusammenhängen. Daß es Empfindlichkeiten gibt, die sich nicht integrieren lassen, wichtige Stimmen, die nicht gehört werden, die aber da sind. Bei der Clinton-Affäre waren das Frauen mittleren Alters, also die letzte Gruppierung, an die Umfrageinstitute und Meinungsmacher denken. Sie traten als geschlossener Chorus dissidenter Stimmen auf und sagten über Clintons Beziehung: »So wie die Dinge stehen, ist das nicht wichtig: Sex, ich bitte Sie.« Entscheidend sind solche Gesten, die in keiner Beziehung stehen zu den bekannten kulturellen Manövern, Gruppen oder Positionen, Gesten, die etwas von Fehlern an sich haben.
Mir ist bewußt, daß Sie mit ihrer Frage etwas viel Machtvolleres im Sinn haben und an Leute denken, die eine klare Konzeption besitzen von dem, was sie tun. Doch wenn ich die Sphäre ästhetischer Autonomie verteidige, dann muß ich auch lächerliche KünstlerInnen, die irgendwelches Zeug fabrizieren, verteidigen – und das stört mich auch gar nicht. Ich halte es sogar für wichtig, daß KünstlerInnen lächerliche Kunst machen, obwohl ich selbst nicht unbedingt als lächerlich gelten will.
1 »The Bowery in two inadequate descriptive systems« (1974-75), Foto-Text Installation
2 Siehe dazu Thomas Schunke: Kriegsfilm mit Überlänge. In: die tageszeitung, 8./9.Mai 1999, S.14.
3 »Fascination with the (Game of the) (Exploding) (Historical) Hollow Leg« (1983), Multimedia Installation