Heft 4/1999 - Netzteil


Digital Video im Überflug

Während die neue Videotechnologie Hollywoods herkömmliche Produktionsmethoden erschüttert, erproben KünstlerInnen die neue Ware im Kleinen - als Format mit vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten

Matthias Dusini


Kein Vierteljahrhundert war dem herkömmlichen Videoformat gegönnt, um sich innerhalb der künstlerischen Darstellungstechniken durchzusetzen. ähnlich wie die Fotografie wird Video nicht verschwinden. Was sich ändert, ist, wie Bilder aufgezeichnet und bearbeitet werden. So gibt es kaum ein Kunst-Video mehr, das nicht am Computer geschnitten wurde. Die digitale Kamera kann so viel wie die VHS/PAL-Kamera und noch viel mehr. Ein wesentlicher Punkt dabei ist - neben den technischen Möglichkeiten - der rasante Preisverfall der Geräte und der Software. Im selben Maße nimmt die Individualisierung des Gebrauchs zu. Das betrifft nicht nur den marginalen Bereich künstlerischer Filmbearbeitung, sondern auch den »makroästhetischen« Bereich vom Videospiel über das Fernsehen bis zum Kino.

Billige Kameras und Editierprogramme haben, so das Themenheft »Digital Hollywood« von »Wired«-Magazin im Oktober 1999, das »Filmemachen entmystifiziert und demokratisiert«. Mehr als ein Zufall ist es, dass Kinomachen gerade jetzt »leichter zugänglich, persönlicher und spontaner wird«, wo die dänische Dogma-Gruppe den Trend zum »Schneller-Einfacher-Billiger« setzt. Der Film »The Blair Witch Project« kostete $40.000 und spielte, nicht zuletzt dank gezielter Internet-Promotion, unglaubliche $150 Millionen ein. Digital Video lässt aber nicht nur alte Kostenkalkulationen kollabieren, sondern wertet aufgrund der Verbreitung im Internet das Kurzfilmformat auf. »Microcinema«, so der Begriff für das neue Mögliche im Filmbereich, umfasst kurze Animationsfilme ebenso wie impressionistische Videomanipulationen und Dokumentarfilme. Seit 1991 hat sich in den USA eine lebendige »Microcinema«-Szene (www.microcinema.com) entwickelt. Kommuniziert wird online. Prominente Sites wie AtomFilms(www.atomfilms.com), Bijou Cafe (www.bijoucafe.com), The Sync (www.thesync.com) bilden die virtuellen Schauplätze. Filmfestivals wie das »No Dance Film and Multimedia Festival« (www.6161.com) oder das ambulante Resfest (www.resfest.com) pflegen das nichtkommerzielle Pionier-Image des Mikrokinos.

»Landung« in Innsbruck

Abgesehen von Großveranstaltungen wie der Ars Electronica sind es in Österreich kleine, lokale Inititiativen, die ein Link zwischen den technologischen Umwälzungen und ihrer künstlerischen Aneignung und damit eine nichtkommerzielle Öffentlichkeit herstellen. Ein Beispiel dafür ist das Electronic-Culture-Project »Landing«, das am ersten und zweiten Oktober in Innsbruck stattfand. Die Karosserie eines ausrangierten russischen Jets stand am Eingang des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum. Es waren offenbar nicht jene MIGs gemeint, die im Winter 1999 die tschetschenische Hauptstadt Grosny bombardieren, sondern - allgemeiner - ein Monument für Flugtechniken in der ära der Netzwerke. Funkverkehr, Simulation und die Ortlosigkeit des Piloten dienten als thematisches Gerüst für eine Veranstaltung, die Videoschau, Sound-Installation und Clubbing in einem war. Der Kurator der Veranstaltung, Stefan Bidner, rückte diese Elemente im Innenraum einer MIG 15 zusammen. Sein mobiles Sound-, Video-, Videogame- und Computerequipment modellierte die Infrastruktur elektronischer Kultur. Eine gemischte Örtlichkeit der Neunziger, zwischen Club und Ausstellung, halb Personalcomputer und halb Kino.

Zur Veranstaltung erschien eine CD mit Tracks unter anderem von fon, Alois Huber und Franz Graf. Stefan Bidner und Thomas Feuerstein überarbeiteten in ihren Videos Found Footage aus Luftwaffenfilmen. Pomassl steuerte den Sound dazu bei. Eine ästhetik, die auf dem fließenden oder eben schwebenden ?bergang zwischen visuellen und akustischen Medien beruht. Die Medienkünstlerin Margarete Jahrmann machte mit einem Netzspiel das Fenster zum Cyberspace auf.

Christoph Hinterhuber kreuzte die Flugbahn des Themas mit einer Rauminstallation. Er kombinierte filmische Animationen geometrischer Raumelemente mit an der Decke schwebenden Ballons. Sie wirkten wie Modelle aus dem Einrichtungshaus Electronica. Hinterhuber, der im November gemeinsam mit N.I.C.J.O.B. im Wiener kunstbüro 1060 ausstellt, reduziert das Formenpotenzial digitaler Medien auf einfache Formen. In dem 3-D-Video klappt ein Rechteck aus der Fläche in die dritte Dimension und anschließend wieder in die Zweidimensionalität zurück. Es ist ein Loop, der auf beinahe meditative Weise die beiden Achsen virtueller Welten ineinander schiebt. Aus der Fläche in den Raum; weiter übersetzt von der grafischen Oberfläche in reale Gegenstände. Mit dem Grafikprogramm Strata-Studio erzeugt Hinterhuber Animationsräume, die er auf Ausstellungräume überträgt. Die verschiedenen Darstellungsebenen - Ink-Jet-Print, Kunststoffballon oder Animationsvideo - sind unterschiedliche Layoutierungsstadien. Die digitale Grundlage, die den Künstler vom Atelier an den Computerbildschirm versetzt, ist der Geist, der alles zusammenhält.

Copy and Paste

Stefan Bidner und Thomas Feuerstein sind die treibenden Kräfte des Büros für intermedialen Kommunikationstransfer »medien.kunst.tirol«, Tirols erster und so gut wie einziger Adresse in Sachen digitaler Kunst. Mit einer Videoperformance des Minus-Delta-t-Veteranen Mike Hentz setzte der Verein im Projektraum des Kunstraums Innsbruck seine Ausstellungsreihe »copy&paste - drag&drop« fort. Das Setting bildeten eine Videokamera, die über einem Schreibtisch montiert war, und ein Soundmix-Gerät. Mit einem Videoprinter wurden Stills ausgedruckt und an die Wand geklebt, während Hentz über Kopierverfahren parlierte, immer wieder unterbrochen von theatralischen Einlagen. Auf dem Schreibtisch entstanden Bilder aus bemalten und zerschnittenen Materialien. Fotos, Kopien, Plakate und Gegenstände, die Hentz neu arrangierte.

Das Video »99«, das Bidner gemeinsam mit Hans Weigand produzierte, folgt der gegenwärtigen Tendenz künstlerischer Videoproduktionen, digitale Kultur nicht nur produktionstechnisch zu implizieren, sondern - in diesem Fall indirekt - zu thematisieren. »99« zeigt Warenangebote in einem amerikanischen 99-Cent-Shop. Dazu ertönt ein Endlos-Sample aus Nenas »Neunundneunzig Luftballons«. Trash pur, offenbar. Vor dem Hintergrund des Millenium-Bugs zieht die billige Zahlenmystik jedoch einen zweiten Blick an. Cyberspace-typische Paranoia rund um den Jahreswechsel, der neue Marktplatz E-Commerce und die allgemeine Verfügbarkeit von Filmtechnologie werden angesprochen.

Die Produktionskosten für Filmbilder fallen, während deren Menge zunimmt. Umso schwieriger ist es, diskrete Merkmale, Wertigkeiten für das große Bildangebot zu finden. Das schnell geschnittene Video, das wie im Suchlauf die Zahl 99 ausspuckt, betont die Serialität der Bilder in ihrer Warenförmigkeit. Während sich die Warenwelt zusehends ins Internet verschiebt, bleibt Weigands und Bidners absurde Suggestion, dass das nächste Jahrhundert »1 Dollar« heißen wird.