Heft 4/1999 - Artscribe


Can You Hear Me? 2. Ars Baltica Trienniale der Photokunst.

3. November 1999 bis 12. Dezember 1999
Stadtgalerie Kiel / Kiel

Text: Jan Verwoert


»Can you hear me?« ist ein Projekt der »Ars Baltica«, einer Initiative zur Förderung des kulturellen Austausches zwischen den Ostsee-Anrainerländern. Die Ausstellung überzeugt vor allem dadurch, daß sie einen gemeinsamen internationalen Diskurs nicht angestrengt behauptet, sondern selbstverständlich voraussetzt. Das Gefühl eines Unterschieds zwischen »nord-«, »ost-«, oder »west-« europäischer Kunst kommt gar nicht erst auf. Das liegt zum einen an der stimmigen Präsentation der Arbeiten durch die Kuratorin Kathrin Becker - zum anderen daran, daß die Arbeiten von sich aus bereits einen recht homogenen Diskurs herstellen. Unabhängig vom Herkunftsland der einzelnen KünstlerInnen stehen durchgängig bestimmte Themen im Vordergrund: das Portrait des Individuums - bzw. die Erzeugung von Subjektivität durch Selbstinszenierung oder emotionale Projektionen.

Um subjektive Projektionen geht es z.B. bei Annica Karlson Rixon: Sie rekonstruiert in 284 Fotos von amerikanischen Trucks (alle himmelblau und verehrungsvoll von schräg unten geknipst) den Wunschtraum von der großen Freiheit auf der Route 66. Olafur Eliasson wiederum dient Natur als emotionale Projektionsfläche. Im Becher-Stil seriell gehängt, zeigt er Fotos von unbewohnten isländischen Inseln: romantisch individualisierte einsame Felsen im Meer. Die Projektionsfläche Nr.1, Fernsehen, behandelt dann Anatolij Shuravlev. Auf winzigen Fotos, die wolkenförmig zusammen gehängt sind, sieht man vom Fernseher abfotografierte Stars, Pos, Pistolen usw: Sexy TV international.

Selbstinszenierung thematisiert u.a. Arnis Balcus: Er posiert, halb Cindy Sherman, halb Hustler White, in diversen Fummeln vor der Kamera. Vladislav Mamyshew-Monro modelt durch Übermalungen drei Fotos von sich als Fee am Bergsee campy zum Jugendstil- Tryptichon um (Titel: »My Name is Trinity«). Vibeke Tandberg schließlich verfremdet ihre Selbst-Portaits digital durch das unauffällige Einkopieren von Gesichtszügen anderer Menschen: eine etwas spitzere Nase, ein leichter Bartschatten ...

Um die Darstellung individueller Realitäten geht es bei anderen Arbeiten: Heli Rekula portraitiert Sex-Workerinnnen in beruflichen und privaten Situationen. Annika von Hausswolff zeigt eine Reihe intimer Schnappschüsse - trashig überbelichtete Nachtaufnahmen von Frauen in exzentrischen Posen: eine kauert mit gesenktem Kopf vor einem Kakteen-Busch, eine andere macht auf herbstlich belaubtem Boden athletisch eine Brücke. Torbjorn Rodland dagegen idealisiert ihr Lebensumfeld im Stil glatter Fotofeatures. Alles sieht das kleine bischen zu perfekt aus: Freunde werden zu Models. Beverly Hills 90210 ist überall.

Extrem morbid wirkt im Kontrast dazu das Video von Jens Haaning & Peter Land über ein verlassenes Sanatorium. Leere Korridore, lichtdurflutete Fenster, ominöse Therapiegeräte, dazu aus dem Off momoton eine tieftraurige Geigenmelodie: Die ganze spätbürgerliche Hochkultur des tragischen Irrewerdens ist - ohne irgendeine Handlung - sofort präsent. Einen starken Eindruck hinterläßt auch das Video von Artur Zmijewski: Zmijewski hilft Bein-amputierten Männern beim Gehen, indem er sie von hinten stützt. Da beide Männer nackt sind, sieht es von vorne so aus, als ersetze das Bein des Stützenden das fehlende des Gestützten.

Es mag sein, daß eine solche thematische Konzentration auf das Menschliche, das Individuum etc. von einer entpolitisierten Weltsicht zeugt. In der Tat verhandelt auch nur eine einzige Arbeit das Thema "Identität" politisch: eine Dia-Serie der Academic Training Group aus Vilnius. Sie zeigt eine Gruppe asiatischer Migranten, die sich durch das Tragen lithauischer Tracht offensiv zu ihrer Diaspora bekennt. - Andererseits aber macht gerade der Umstand, daß die beteiligten KünstlerInnen sich über ihr Leben, ihre Wünsche etc. verständigen, sie zu gleich berechtigten Diskurs-Teilnehmern. Das Gefühl geteilter Realität und mitteilbarer Erfahrung überwiegt und hebt vor allem endlich das Stigma »exotische Ost-Kunst« auf. Man spricht jetzt miteinander. Zwar nur über sich. Aber das reicht vielleicht für den Anfang.

 

 

Kunsthalle Rostock: 6. 2. 2000 - 2. 4. 2000.

weitere geplante Stationen: Bergen, Dresden, Gdansk, Helsinki, Odense, Stockholm, Vilnius.