Heft 1/2000 - Modernism Revisited


Lacrimosa

»Dark Matters« – Shaheen Meralis Tableaus rassistischer Verhältnisse

Hito Steyerl


Das Requiem von Mozart hallt durch die Kunsthalle Exnergasse in Wien. Lacrimosa, jubelt der Chor: seliger Kitsch fällt in eins mit nacktem Tod. Lacrimae/crimen – Musik, gespannt zwischen Tränen und Verbrechen. In der Ausstellung namens »Dark Matters«, einer Personale des in London lebenden Künstlers Shaheen Merali, ist dieser musikalische Kommentar einer der dunkelsten Punkte. Dabei sind hier viele dunkle Dinge versammelt. Der Focus von Meralis Arbeiten: die in diesen schwarzen Objekten stattfindende Überschneidung von Populärkultur und Rassismus sowie die Sichtbarmachung ihrer wechselseitigen Dynamik. Es ist das Verhältnis zwischen rassistischem Begehren und Ekel, zwischen abjektem Konsumgut und Kunstfetisch, zwischen dem süßen Schmelz des Kitsches und brutaler rassistischer Gewalt, das von Merali in mannigfaltigen Variationen ausgelotet wird. Dazu verwendet er oft objets trouves, kleine Spielfiguren, die people of color darstellen, um Tableaus gesellschaftlicher Verhältnisse herzustellen. Am grellbunten Rassenkitsch verdichten sich brachiale, dumme Begierden in Serie. Dieses rassistische Verhältnis wird von Merali in stereotypen Szenen fixiert. Die kleinen tableaux vivants, in denen die rassifizierten Figurinen arrangiert werden, fassen das hasserfüllte Begehren in seiner maßlosen Unverhältnismäßigkeit auf. Es sind eher »tableaux morts«, geformt von der thanatoiden Logik multikulturalistischer Konsumption und neurotischer Wiederholung: ein ineinander verschränktes Set aus industrieller Reproduzierbarkeit der rassistischen Verhältnisse und weißer Träume von politischer Dominanz und sexueller Verfügung.

Meralis Arbeitsweise lässt sich durch zwei Begriffe charakterisieren: zunächst den der Konstellation. Adorno schreibt: »Der Konstellation gewahr werden, in der die Sache steht, heißt soviel wie diejenige entziffern, die es als Gewordenes in sich trägt.« 1 Das Spezifische eines Gegenstands sei nicht an ihm selbst abzulesen, sondern an den konstellationshaft um ihn arrangierten Begrifflichkeiten und deren Genealogie. Die Logik dieser Konstellation findet sich in Meralis Arbeiten als Set thematisiert, als Befragung der Bedingungen von Sichtbarkeit und Bedeutung speziell im Kunstbereich. Die Vitrine ist für Merali ein privilegiertes Objekt, das wiederholt als Repräsentationsort von Sets rassistischen Konstellationen fungiert. Die darin enthaltenen Objekte werden fetischisiert und zu rituellen Gegenständen erhoben. Auf der inhaltlichen Ebene wird jedoch genau diese Funktion in Frage gestellt. Die Arbeit »digNative« etwa umfasst ein Diptychon zweier Vitrinen, die, mit weißer Hautcreme beschmiert, den Blick auf die darin enthaltenen grotesken Büsten von Schwarzen eben nicht freigeben. Soviel die BetrachterIn auch daran herumschmiert, die den Blick trübende Weißheit verstellt die Sicht auf das Objekt negrophiler Begierde. Was dafür an der Vitrine sichtbar wird, sind die verwischten Spuren der voyeuristischen Begierde selbst, die Schmierigkeit neurotischen weißen Begehrens. Also eine Falle der Wünsche, eine Projektionsfläche, in die sonst unsichtbare exotistisch-rassistische Antriebe aktiv eingeschrieben werden.

Eine andere Konstellation war zeitgleich im NGBK Berlin ausgestellt.2 Unter dem Titel »Channels, Echoes and Empty Chairs« wird, diesmal auf Leuchtkästenfotografien, abjekter Rassentand zu absurden und teils auch ungemein lustigen Komplexen zusammengestellt. So wird mit Cocktailsticks, die grotesk-übersteigerte schwarze Köpfe tragen, ein nackter Rücken akupunktiert, auf den obendrein noch eine vorwurfsvoll dreinblickende südasiatische Dame projiziert ist. Der Begleittext vermeldet verschmitzt, dass an jenem Tag eine bestimmte astrologische Konstellation die Energieflüsse des Künstlers so nachhaltig blockiert habe, dass die westlich-saturnische Melancholie durch chinesische Medizin verflüssigt werden musste. Und plötzlich schwingt die abstruse Konstellation an diesem Tag gefundener Objekte in mehreren Dimensionen. Erinnert sei an den erbosten Aufsatz Adornos über die reaktionäre Kraft der Sternendeutung, die gesellschaftliche Verhältnisse als Schicksal verniedliche. Auch hier wird diese Frage aufgeworfen. Wodurch werden rassisitsche Konstellationen organisiert? Schicksal? Sterne? Private Befindlichkeit? Politik? Welche Kräfte sind am Werk und formieren Lüste, Schmerzen und Verbrechen?

Zurück nach Wien. Dort tönt, wie schon erwähnt, das Requiem von Mozart durch die Halle. Es ist Teil der Arbeit »Going Native«. Eine große Videoprojektion zeigt einen Zug schwarzgewandeter Jesuitenmönche 3, die am Strand der ehemaligen portugiesischen Kolonie Goa einherziehen, hinter ihnen, blau, das große Meer. Zu sehen ist der Film von Deckstühlen aus, die die BetrachterIn als Touristin positionieren. Ein wunderschönes Bild, das einen förmlich wie ein Strudel in eine zerfetzte und brutale Genealogie des portugiesischen Kolonialismus hineinreißt. Es waren zunächst die Portugiesen, die durch ihr fast schon skurril zu nennendes Kastenwesen aus Halb-, Viertel- und Fünf-Achtelportugiesen das physische Begehren zum Instrument rassistischer und kolonialer Unterdrückung machten. Geschichtlich gesehen ein direkter Kurzschluss zwischen Sex und der nackten Realität kolonialer Morde. Der Hinweis darauf ist in Meralis Arbeit vielfach verstellt, neben dem kitschigen Schmelz des Bildes etwa durch die Präsenz lustfeindlicher jesuitischer Inquisitoren. Auch in Goa loderte der Scheiterhaufen. Dazu singt der Chor. Merali bringt Mozarts Requiem über einen weiten Umweg nach Wien zurück, als selige Melange aus touristisch verkitschtem Fernweh und Tod. Lacrimosa heißt in dieser Konstellation: dunkle Dinge, die auf Tränen und Verbrechen weisen; die wie schmerzhafte Nadeln die geographischen, die ideologischen Punkte abstecken, an denen die Energie von Tod und Genießen unsichtbar zirkuliert. Auch in Wien, hier und jetzt: Am 28. Februar wurden auf dem Wiener Zentralfriedhof 11 Gräber im jüdischen Teil umgeworfen. »In vier der Gräber lagen Menschen, die in Buchenwald ermordet wurden«.4

Kitsch und Tod markieren, so Saul Friedlaender, auch die ästhetische Konstellation antisemitischen Hasses. Ausgerechnet der Nazismus werde zum »Zentrum der Entfesselung aller unterdrückten Affekte« 5, in dem Regression und Genießen ineinander stürzen. Die Konstellation zu lesen, heißt entziffern, was sie als Gewordenes in sich trage, so Adorno. Sie übersetzt sich in Österreich konkret in die Genealogie faschistischer Begehren und Verbrechen und deren fortwirkende Macht.

Zusätzlich zur Wiener Ausstellung sollte ein Symposion stattfinden. Es wurde abgesagt, da zwei der englischen Teilnehmer Österreich derzeit boykottieren. Dies ist angesichts etwa der Vorfälle am Zentralfriedhof sehr nachvollziehbar. Merali jedoch wählte einen anderen, meiner Ansicht nach produktiveren Weg: Er nutzte seine Anwesenheit, um nachdrücklich und unmissverständlich die Absenz von KünstlerInnen of color im österreichischen Kunstbetrieb zu kritisieren. Die Kunst der Stunde ist definitiv ein weißer Widerstand. Ihr Set ist weiß, ihre Konstellation implizit rassistisch. Das muss sich ändern.

 

 

1 Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, FfM1997, S165.
2 Crown Jewels, Britisch-Indische und Britsch-Pakistanische Kunst aus London. NGBK, Berlin, 5. Februar bis 12. März 2000.
3 Der Katalog spricht von Franziskanern. Sie tragen aber schwarze Kutten ohne Kordelstrick. Egal ob Jesuiten oder Franziskaner: die Inquisition in Goa wurde von beiden Orden mit Begeisterung betrieben.
4 Quelle: Forum gegen Antisemitismus, Wien.
5 Saul Friedlaender, Kitsch und Tod, S16