Heft 1/2000 - Lektüre



Silvia Eiblmayr (Hg.):

Michelangelo Pistoletto. Azioni Materiali.

Galerie im Taxispalais

Köln (Verlag der Buchhandlung Walther König) 1999 , S. 74

Text: Susanne Neuburger


1967 war ein in vielerlei Hinsicht wichtiges Jahr für die Arte povera, die Michelangelo Pistoletto einmal als »eine Art humanistisches Konzept« bezeichnete. Für ihn bedeutete es - nach den Erfahrungen der in den beiden Jahren davor entstandenen »Oggetti in meno« (Minus-Objekte) - mit den in diesem Jahr begonnenen »Aktionen im öffentlichen Raum« (Pistoletto) einen weiteren Angriff auf die Objekthaftigkeit seiner künstlerischen Produktion, die nun auch Theater, Aktionen, Performances und Musikaufführungen umfasste. Diese performativen Arbeiten sind jetzt Thema des vierten Bandes einer Publikationsreihe, die 1989/1990 anlässlich von Ausstellungen in der Kunsthalle Bern und in der Wiener Secession mit den »Oggetti in meno« begann und spezifischen Bereichen beziehungsweise Werkgruppen Pistolettos gewidmet ist. »Azioni Materiali« heißt der von Silvia Eiblmayr und Matthias Dusini anlässlich von Pistolettos Ausstellung in der Galerie im Taxispalais (August bis Oktober 1999) herausgegebene dreisprachige Band (Deutsch, Italienisch, Englisch), der eine chronologische Auflistung aller theaterbezogenen Arbeiten bis 1981 enthält - wobei die späten sechziger Jahre den Schwerpunkt bilden. Dazu bietet der Band verschiedene historische Textpassagen beziehungsweise Materialien, einen Essay von Matthias Dusini und ein Interview, das Silvia Eiblmayr mit Maria Pioppi führte. Die enorme Textmenge in drei Sprachen lässt manchmal zu wenig Platz für Fotomaterial, das an einigen Stellen sicher wünschenswert gewesen wäre, zum Teil aber von den Texten ersetzt werden kann.

Der sehr schön und klar strukturierte Band (gestaltet von Dorit Margreiter) greift eine weniger bekannte Werkgruppe heraus, die wie andere Arbeiten Pistolettos aktuelle Bezüge aufweist und nach mehr als 30 Jahren künstlerischer Praxis im öffentlichen Raum auch in dieser Hinsicht spannend ist. Seine »Aktionen« sah Pistoletto selbst ausdrücklich nicht als Performances, da es ihm nicht um den individuellen Ausdruck ging, sondern »um den Versuch von Begegnungen, von kreativem Austausch, von gemeinsamer Arbeit mit anderen Künstlern an Orten, die nicht speziell der Kunst zugedacht sind« (Pistoletto). Von 1968 bis 1970 realisierte Pistoletto diverse Aktionen mit der Theatergruppe »Lo Zoo«, die als wandernde Truppe unterwegs war und je nach Saison auf der Straße spielte. 1969 hielt sie sich von Mai bis Oktober in Corniglia auf, wo allabendlich das Spiel »Die Suche nach dem schwarzen Mann« unter großer Anteilnahme (und in einem späteren Stück auch Mitwirkung) der OrtsbewohnerInnen stattfand. Die »chorhafte, kollektive Kreativität« (Pistoletto) scheint von Anfang an an das elementare Anliegen gebunden, im Austausch mit anderen Öffentlichkeit zu bilden. Ging es also einerseits um eine gewisse Rückgewinnung demokratischer Prozesse, war andererseits authentische existentielle Erfahrung gerade im Gegensatz zu Massenmedien und Kulturindustrie wichtig. So ist ein Stück wie »Der verrückte Prinz« in eine Dimension existenzieller Erfahrung eingebettet, die eher an eine archaische »Wahrheit« anschließt, wie sie einem Märchen entspricht, als dass sie bei der Sprache aktueller gesellschaftlicher Diskurse ansetzen würde. Konsumkritik wird allerdings über die Ware ausgedrückt und meint mit den »armen Objekten« schlichtweg Widerstand, wie dies auch die Requisiten des »verrückten Prinzen« deutlich machen: Kerzen, Lumpen, Papier, Wasser, die Einfachheit des Körpers sollten die geforderte Einheit von Leben und Kunst aufzeigen. Eine Gleichsetzung von Alltag und künstlerischer Produktion stellte auch die Art der Verkleidung her, die gerade nicht Kostüm sein wollte, wie Maria Pioppi sagte: »Es gab keinen Unterschied zwischen den Alltagskleidern und den Bühnenkleidern.« Der »Zoo«, so Achille Bonito Oliva, wollte nicht mit der Exzentrik seines Äußeren und seinen Verkleidungen neugierig machen.

Wenngleich sich der »Zoo« bereits 1970 auflöste, sind seine Ideen in spätere Projekte ? etwa auch in das derzeit laufende »Progetto Arte« ? eingegangen. Auch die Verbindung zu Corniglia blieb bestehen, wo 1979 eine weitere Aufführung stattfand. 1981 wirkten seine BewohnerInnen schließlich bei »Anno Uno« in Rom, 1994 bei »Dall'Anno Uno all'Anno Bianco« 1994 in München mit.