»We`re sick and tired of this American century«, sagt die Filmemacherin Shirley Clarke in einer Sechzigerjahre-Doku über den New Yorker Kino-Underground. Obgleich vor gut 30 Jahren geäußert, konterkariert sie damit aufs Trefflichste den Titel, den das New Yorker Whitney Museum seiner Jahrhundert-Retro voranstellte und in deren Kontext die erwähnte Doku zu sehen war. Fast ein Jahr lang - ab März 1999 die erste Jahrhunderthälfte, ab September dann die zweite - präsentierten Chefkuratorin Lisa Philips & Co. den zu Kunst und Kultur geronnenen amerikanischen Traum und folgten dabei wohl zwei zentralen taktischen Erwägungen: erstens dem Konkurrenzunternehmen MoMA den Alleinvertretungsanspuch in bezug auf die künstlerische Moderne zumindest vorübergehend streitig zu machen - was angesichts der vergleichsweise zahmen Eigeninventar-Retro »MoMA Starts« auch gut gelang; und zweitens selbst noch einmal kanonbildend aufzutreten, bevor die zu erwartende globale - und multikulturelle - Dezentrierung des 21. Jahrhunderts vergessen lässt, dass selbst New York und die USA die Idee der modernen Kunst irgendwann einmal »stehlen« mussten.
An diesem Punkt, nämlich ziemlich genau bei Jackson Pollocks »Nummer 27« (1950), setzte die über sechs Geschosse ausgebreitete Schau an und ließ Dekade für Dekade gut abgehangene, mittlerweile kanonisierte Pop-, Konzeptkunst- und Minimal-Klassiker bis hin zur neuen Malerei der achtziger und neunziger Jahre sowie einigen Highlights der ehemals stilbildenden Whitney-Biennalen Revue passieren. Nicht viel Aufregendes also, sieht man - in negativer Hinsicht - vom fragwürdigen Anspruch ab, alle diese Entwicklungen und Praktiken in ein national verfasstes Paradigma einpassen zu wollen. Obgleich die Kunst der fünfziger Jahre durchaus legitim als Trägerin ideologischer Interessen (des liberalen Kapitalismus amerikanischer Prägung) betrachtet werden kann, ist es bei neueren Ansätzen - etwa der politisierten Postmoderne der letzten zwanzig Jahre - ungleich schwieriger, sie in mit nationalen Interessen in Verbindung zu bringen. Aber wies nicht auch schon Jasper Johns` Flagge aus den Jahren 1954/55 übelste Schrammen und Schmutzspuren auf, die ein ideologisches Back-up im amerikanischen Mythos suspekt erscheinen ließ?
Man tat also gut daran, sich von vornherein an den Brüchen und Überschüssen der präsentierten Arbeiten zu orientieren, um nicht gänzlich der hegemonialen Setzung zu erliegen, die da lautete: Die »great society« produzierte selbst in ihren tödlichsten »frontiers« die maßgeblichste Kunst und Kultur des zu Ende gegangenen Jahrhunderts. Zwei Faktoren vermochten diese Einengung ein wenig aufzusprengen: zunächst die Einbeziehung sogenannter »cultural sites«, die - anhand einzelner Leitmotive zu jedem einzelnen Jahrzehnt - komprimiert und oft ein wenig reduktiv Anschauungsmaterial aus dem kulturellen Umfeld der jeweiligen Kunstproduktion boten. Zeitschriften, Bücher, Schallplatten, Fernsehserien, Einrichtungsgegenstände - etwa ein slickes RCA-Fernsehmöbel aus den fünfziger Jahren als ideales Empfangsgerät für vorbeugende Atomkriegsverharmlosungen - ließen zumindest ansatzweise erkennen, dass die cirka 600 Werke der Ausstellung nicht in einem kulturellen Vakuum entstanden waren. Eine dieser »Sites« hatte die »culture wars« der letzten beiden Jahrzehnte zum Thema. Sie ging explizit von ihrem künstlerischen Vorläufermodell, der »AIDS Timeline« (1989-91) der Gruppe Group Material, aus, um mimetisch die wichtigsten Stationen des konservativen - und unter Bürgermeister Giuliani wieder aufgeflammten - Feldzugs gegen progressivere Kunstansätze ins Gedächtnis zu rufen. Viel weiter als bis zu David Wojnarowicz` visueller Abrechnung mit dem reaktionären, kunstfeindlichen Senator Jesse Helms aus dem Jahr 1990 wagte man sich aber auch hier nicht in die Gegenwart.
Schließlich war es aber das umfassende Film- und Videoprogramm - aus dessen Zusammenhang der eingangs zitierte Satz stammt -, das das amerikanische Kunstjahrhundert um nur selten zu sehende und vor allem auch USA-kritische Fundstücke aus fünf Jahrzehnten ergänzte. Hier bekam das »American Century« seine untergründige Kehrseite vorgeführt: das visuelle Gegenstück dessen, was weltumspannend den Triumph amerikanischer Kultur im zwanzigsten Jahrhundert befördert hatte, nämlich Hollywood, Popkultur, Medienindustrie, die allesamt auf Versuchslaboren aufbauen, welche selbst oft allzu leicht aus der gängigen Kulturökonomie herausfallen. Diese Labore und Teststationen des »visual turn« wurden in beinahe täglich wechselnden, dichten Programmen vorgeführt, von Bruce Conner zu Craig Baldwin, von Helen Levitt zu Leslie Thornton, von Robert Frank zu Sadie Benning (und zirka 300 weiteren Independent-RegisseurInnen). Am Ende stand - wohl symptomatisch - ein 19 Sekunden-Film der Künstlerin Liisa Roberts, »a drawing«, worin die Tinte einer abstrakten Zeichnung in das Fläschchen zurückfließt. Ob dies als nachträgliche Geste der Selbstbescheidung oder aber als Hinweis auf ein tatsächlich zu erwartendes Ende des amerikanischen Jahrhunderts zu werten war, blieb offen.