Spätestens seit vergangenem Oktober ist »Globalisierung« kein unschuldiges Thema mehr, sondern wird mit Bildern von Schlagstöcken, blutenden DemonstrantInnen und Menschenketten assoziiert. Die Publikationswelle zur Aufarbeitung der Ereignisse in und um Seattle ist für Herbst 2000 angekündigt; den Auftakt dafür wird Verso im kommenden Oktober mit dem sensationsheischenden Titel »Five Days That Shook the World. The Battle for Seattle and Beyond« liefern: Alexander Cockburn und Jeffrey Clair, beide Autoren von »The Nation«, versprechen Grassroots-orientierte Insiderinformationen.1
Publikationen aus der Prä-Seattle-Zeit fungieren nicht nur als wertvolle Impulse in einer breit angelegten Aufklärungskampagne, sie bieten auch eine Folie zur Rekonstruktion aktivistischer Taktiken im Aufbau sozialer Bewegungen, die inzwischen - so behauptet »The New York Times« - das Ausmaß der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg erreicht haben. Soeben erschienene Publikationen wie »The Challenge of Global Capitalism« oder »The Selling of Free Trade. Nafta, Washington, and the Subversion of American Democracy« liefern statistisch untermauerte Argumentationshilfen zur Herausforderung des Mythos der freien Marktwirtschaft.2
»No Logo. Taking Aim at the Brand Bullies« ergänzt diese wirtschafts- und politikwissenschaftlich orientierten Analysen durch seinen Fokus auf das Verhältnis von Globalisierung, »Branding« und jugendkulturellen Protestbewegungen. In der ausgezeichnet recherchierten Analyse bearbeitet die ehemalige »Village Voice«-Autorin Naomi Klein vier Bereiche, die von den Kräften des globalen Kapitalismus in besonderem Maße in Anspruch genommen werden: »No Space« beschäftigt sich mit der korporativen Aneignung jugendkultureller Räume (Phänomen wie »Coolhunting« und »University Branding«); »No Choice« rekonstruiert die über Synergien, Fusionierungen und Zensuren durchgesetzten Homogenisierungsprozesse; »No Jobs« evaluiert die Implikationen der Zeit-Raum-Verdichtung im Erwerbsbereich (Teilzeitbeschäftigung, Freiberuflichkeit etc.); »No Logo« beleuchtet Anti-Sweatshop-Mobilisierung, Arbeiter- und KonsumentInnenbewegungen, deren Erfolge (zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit, die Durchsetzung eines Verhaltenskodex in Hinblick auf die Produktionsbedingungen) und Problembereiche (verlängerter Imperialismus, Bevormundung).
Kleins Analyse ist weder ein Abgesang auf das Ende der Jugendkultur noch ein euphorisches Abfeiern der neuen Aktivismen. Primär, weil Klein Konzepte des Neoliberalismus und Anti-Establishments auf ihre Doppelbödigkeit, Spannungsfelder und Inkonsistenzen abklopft. So beginnt eine ihrer Erzählungen im Produktionszentrum des Grunge, das sich seiner Anti-Establishment-Rhetorik zum Trotz reibungsfrei an große Konzerne (aus-)verkaufte. Dieses Seattle nimmt Klein als Indikator der fatalen Anziehung zwischen Widerstandskulturen und Establishment, die seit ihrer Einführung in den siebziger Jahren nun auf der Produktions- wie Konsumptionsseite einen perversen Höhepunkt erreichte: Die Megakonzerne investieren einen Großteil ihres Budgets in (Anti-)Werbung (»I'm not a target/I am an athlete«), die umfassende soziale Konzepte wie Feminismus, Ökologie oder innerstädtische Selbstermächtigung für sich in Anspruch nimmt. Die Ausgaben, die in die Imagepolitik fließen, werden dafür im Produktionsbereich über die gänzliche Auslagerung der Produktion in »export processing zones« oder die Vergabe einzelner Services und Produktionsschritte an Subunternehmer eingespart - wodurch die Händler selbst für die Bedingungen nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können. Die Produktionsorte weisen alle, unabhängig von ihrer geografischen Lage, ähnliche Profile auf: Sechstagewoche, Vierzehnstundentage, Missbrauch, militärisches Management, stumpfsinnige Arbeit, lächerlich niedrige Löhne - Nike bezahlt beispielsweise derzeit in China $ 0,13 und 0,16 pro Stunde. Dass McDonald's, Disney, Reebock, Body Shop, Levi's, Starbucks und Nike populäre Angriffsflächen der Protestbewegungen darstellen, ist primär auf deren Dissonanz zwischen Image und Produktionspolitik zurückzuführen und dient - so der von Klein zitierte Bruder des ermordeten Shell-Aktivisten Ken Saro-Wiwa - der Motivationsbildung in der KonsumentInnenpolitik, »to let people have the feeling that they can at least have the moral force to make one company change.«
Auf der Seite der Protestbewegungen arbeiten mehr und mehr AktivistInnen mit dem Imagefokus ihrer politischen Gegner: Nicht nur kratzen ihre Taktiken am fragilen Image der Konzerne, sie zielen auch auf geradezu schmarotzerische Weise auf den Abzug des hippen Mehrwerts der Brands ab, der auf den eigenen Protestzusammenhang übertragen wird. Die Organisation einer Protestbewegung nach den Prinzipien eines alternativen Nischenmarketings ist, so Klein, eine gefährliche Gratwanderung, da auch kritische Inhalte sich im Zuge ihrer Verdinglichung leicht zur reinen Pose abschleifen.
Kleins Analyse der Inkorporation kommodifizierter Popelemente und -ästhetiken in aktivistischen Widerstandskulturen wirft auch für österreichische Protestgruppierungen interessante Fragen auf: T-Shirts transportieren Informationen, funktionieren als Kollektivierungsinstrument und Navigationshilfe. Wann diese ihre Funktion als Informationsträger verlieren und reines Distinktionsmittel eines »alternativen« Warenzusammenhangs werden, hängt vom jeweiligen Kontext ab. Diskussionen um T-Shirt-Slogans haben jedenfalls schon so manche Aktivismusgruppe zur Selbstauflösung getrieben.
1 Alexander Cockburn, Jeffrey St. Clair, Five Days That Shook the World. The Battle for Seattle and Beyond. Verso: New York (Oktober 2000).
2 Robert Gilpin, The Challenge of Global Capitalism. Princeton University: Princeton 2000; John MacArthur, The Selling of Free Trade. Nafta, Washington, and the Subversion of American Democracy. New York: Hill & Wang 2000.