Das Eintreten vom lichtdurchfluteten Treppenaufgang in den oberen Ausstellungsraum des Hamburger Kunstvereins ist wie im Kino. Doch anstatt einer großen Leinwand schweben viele kleine Projektionsflächen frei im Raum. Auratisch scheinen sie aus sich selbst zu leuchten. Ansonsten ist es dunkel. Gerade genug Licht, um mich zwischen den vielen anderen Kinos, die hier verschachtelt angeordnet sind, fortzubewegen. An den Wänden sind unterschiedlich große Videoprojektionen zu sehen. Vereinzelt stehen Fernseher im Raum. Begibt man sich in eine der Nischen, kann man vor einem nostalgisch inszenierten Heimkino Platz nehmen.
Auf den ersten Blick wirken die Arbeiten der 32jährigen Fiona Tan, einer Niederländerin chinesischer Herkunft, disparat. Erst nach längerem Hinsehen fügt sich die Fülle an unterschiedlichen Formaten und Herangehensweisen zu einem rhythmischen Gewebe, das vor allem durch die Person Fiona Tan und ihrer durchgängigen Fragestellung zusammengehalten wird.
Passage: Die Fernsehdokumentation »May You Live in Interesting Times« (1995-97, 60 min.) begleitet Fiona Tan auf der Reise zu ihren in alle Welt verstreuten chinesischen Verwandten. Vor dem Hintergrund der persönlichen Befragung ihrer kulturellen Identität breiten sich die Begegnungen auf der von ihr eröffneten Bühne wie ein freundlicher Reigen aus. Die Reise findet ihren paradoxen Höhepunkt, als sie in China das Dorf ihrer Vorfahren aufsucht. Alle BewohnerInnen heißen Tan. In der lang anhaltenden Einstellung eines »Familienporträts«, bei dem Tan zwischen den anderen Tans in die Kamera lächelt, offenbart sich ihre Doppelrolle: Sie ist Fremde und Zugehörige zugleich. Eine Befindlichkeit, die sich in ihrem Schluss - »an identity defined only by what it is not« - mit ausdrückt. Die Reise als gelebtes Bild für ihre Selbst-Suche vollzieht eine zirkuläre Bewegung, die auch in der nachträglichen filmischen Montage keinen Absschluss finden kann: »It started off as a search - now it feels like I'm in search of my search.«
Schlaufe: »Thin Cities« (1999-2000), das auf schwebende Leinwände projiziert wird, benutzt ethnologisches Archivmaterial und sondiert einen Moment, der schon im »Familienporträt« zum Tragen kommt und hier eine historische Wendung erfährt: der ins endlose geloopte Kamerablick auf ein oder mehrere fremde Gegenüber. Die vergangene koloniale Blickintervention changiert hier mit einem identifikatorischen Angebot, das der in die Länge gezogene Fokus auf die Por-trätierten für die aktuellen BetrachterInnen ermöglicht. Obwohl dieser Moment der Annäherung letztlich diffus bleiben muss, greift er die Doppelrolle zwischen Fremdheit und Zugehörigkeit auf einer anderen Ebene auf. An dieser Stelle wird nicht ganz klar, worauf die archäologische Blickuntersuchung hinaus will. Vor allem der medienhistorische Rekurs bleibt ungelöst im Raum stehen. Eine weitere Verbindung knüpft sich über eine zeitliche Metapher: Die Abgebildeten bleiben eingeschlossen in einem flüchtigen Szenario, in dem sie als Sterbliche vor der Kamera herumstehen. Der gegenwärtige Blick auf sie ist immer schon Vergangenheit.
Verschwinden: Eine ähnlich nachträgliche Bewegung kommt auch in dem Video-Liebesbrief »Linnaeus' Flower Clock« (1998, 20 min.) zum Ausdruck. Er beschwört die Er-innerung an eine gemeinsam verbrachte Reise. Die collagierte Abfol- ge von romantischen Vergänglichkeitsbildern und der beschworene Modus der Erinnerung verschränken sich hier mit der filmischen Produktion von Zeit: »The passing of these pictures is their nature.« Auch hier wendet Tan den flüchtigen Kamerablick auf sich selbst an: Auf der Rei- se lässt sie sich allmorgendlich von ihrem Begleiter porträtieren - jeden Morgen erscheint sie als eine andere. Die filmische Inszenierung des intimen Verhältnisses funktioniert, was sich durch ihre Adressierung des Geliebten, ihre gleichmäßige Stimme aus dem Off, verstärkt. Fiona Tan er-öffnet damit einen Sehnsuchtshorizont, in den ich mich am liebsten sofort einklinken würde. Hier ge-lingt ihr Versuch, die Selbst-Archäologie mit der filmischen Struktur in eins fallen zu lassen. Sie benutzt die Funktionsweisen des Mediums als Metapher für die eigene Fragilität und Unabgeschlossenheit in der Zeit. Indem sie dieser Zerbrechlichkeit Raum gibt - ohne sie auf einen akuten Moment zuzuspitzen -, kann sie ungestörte Bilder produzieren. »Scenario« weist somit über den rein konstruktiven Ansatz der Ausstellungsreihe »ICHMASCHINE« hinaus. Über die gesamte Ausstellung legt sich eine wohlige, beinahe melancholische Langsamkeit - angesichts einer Subjektivität, die sich ihrer Selbstreparatur als unaufhörliches zeitliches »Delay« hingibt.