Heft 2/2000 - Netzteil
Das Fernsehen bleibt eine mühsam zu beackernde Abspielfläche. Je mehr die Grenzen zwischen Bild und Ton im elektronischen Bereich schwinden, um so ratloser - oder gar nicht - reagiert das Format Musikfernsehen darauf. Immer öfter verschaffen nun Film-, Kunst- und Clubveranstaltungen den als sperrig geltenden digitalen Musikvideos ihre A-Rotation. Auf der diesjährigen Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, präsentierte die Sonderreihe »Sights and Sounds« unter anderem die neuesten Arbeiten dreier Videomacherinnen.
»Digitales muss nicht glatt ausschauen«, meint die Regisseurin Michaela Schwentner, die in der Wiener Bar rhiz den club »jade« veranstaltet: »früher habe ich raue Bilder nur mit Super 8-Material assoziiert.« Deshalb habe sie sich lange Zeit gegen das digitale Medium gesträubt. Schwentner hat das Bild eines Verschiebebahnhofes total und starr eingefangen und dann digital zu einer grobkörnigen schwarz-weißen Fläche verfremdet. Der hypnotisch minimalistische Stop-and-Go-Effekt, den sie in ihrem Videoclip »R4« zu dem Track der Wiener Halb-Electronica-Band Radian erzielt, setzt sich aus rund 8.000 händisch kopierten Frames einer Zugbewegung zusammen. In einer einzigen, 5 Minuten dauernden Einstellung rückt ein Zug zögerlich solange dem Zuschauerauge näher und näher, bis sich das Waggonmonster »erlöst« aus dem Bild schleppt. Dabei findet Michaela Schwentner Parallelen in ihrer Produktionweise zu dem musikalischen Kompositionsprozess von »R4«: »Sowohl Radian als auch ich arbeiteten vorerst mit vielen Schichten, die im Laufe der Bearbeitung des Stückes beziehungsweise Videos nach und nach immer mehr reduziert oder abstrahiert wurden, sodass eine relativ homogene Struktur und Ästhetik entstand.« Visuelle Strenge und eine Idee durchziehen auch ihren Clip zu »Transistor« von Radian: Spärlich durchbrechen zarte geometrische Raster eine dominierende weiße Fläche - ein ausgefranstes »digitales Ruinenfeld« ergibt eine raue Oberflächenästhetik.
»Weiß -«, sagt die Videokünstlerin Michaela Grill, »dazu kann man viele Assoziationen haben, etwa ... weißes Rausches ... die leere Leinwand ... weiß bietet viel Platz zum freischwebenden Schauen. Ich wollte dem digitalen Raum an Tiefe nehmen.« Ihr neuestes Musikvideo »KINGKONG«, das sowohl die Hörnerven (über harten, übersteuerten, minimalistischen Technosound von DJ Pure) und die Sehnerven der BetrachterInnen gleichberechtigt anspornt, spielt mit mächtigen, überlagerten Weiß-Segmenten. Unerwartet eingesetzte blaue Stör-Linien, die in verschiedenen Geschwindigkeiten durchs Bild huschen, zwingen die ZuschauerInnen, immer wieder nach neuen Orientierungen zu suchen. Michaela Grill arbeitet derzeit mit dem Musiker Christof Kurzmann an einem Live-Projekt. Wenn auch »live« dabei nicht heißt, dass Grill ihre Visuals in Echtzeit auf dem Computer generieren wird: »Das ist mir zu hip, und ich mag es nicht, wenn ich die Kontrolle über meine Bilder aus der Hand gebe.«
Billy Roisz holte sich die Idee für ihr letztes Video »oberflach.avi.« während eines gemeinsamen Auftritts mit dem Wiener Extrem-Turntablisten Dieb13. Daher die Methode, als Bildmaterial rein digital bearbeitete Oberflächen zu verwenden, die sie zuvor mehrmals »gescratcht« und durch den Videorecorder geschliffen hat. Der Sound zu »oberflach.avi« hat eine lange Remix-Geschichte: Roisz hat die Musik von Gerd Jan Prins mit Videosoftware bearbeitet. Dieb13 manipulierte weiter. Das Ergebnis landete wiederum in Roisz' Computer, auf dem sie den Ton nochmals »scratchte«: »Meine Videoarbeiten und die Musik unter meinem DJ-Namen 'gnu' entstehen im Ping-Pong-Verfahren. Ich mache nicht nur zu fertiger Musik ein Video.« Die Übersetzung von Ton in Bild und umgekehrt treibt Roisz weiterhin und konsequent voran: In ihrer Funktion als Live-VJ experimentiert sie mit ihrem Videomixer, ohne ihm Materialinput zu geben - ein Verfahren, zu dem sie ihre momentane Lieblingsmusikerin Sachiko M., die mit im leeren Sampler erzeugten Sinuswellen spielt, inspiriert hat.