Heft 3/2000 - Subkanäle - Archäologien
»Subkultur« - der Gebrauch des Wortes ist in der Debatte um Populärkultur beinahe zum Standard geworden, man hört es im Fernsehen und liest es in Zeitungen. Seinen Anfang nahm es jedoch als seriöser akademischer Begriff, ein bastardiertes intellektuelles Produkt der Chicago School in den USA der fünfziger Jahre und des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) an der Universität Birmingham in den Siebzigern. Seine größte Beliebtheit erreichte der Begriff in den siebziger Jahren unter der Ägide der »neuen Theorie der Subkulturen«, dann verfielen die akademischen Kreise in Schweigen. Heute erleben wir, wie das akademische Interesse angesichts von Phänomenen wie Rave und Cyberspace wieder auflebt. Was aber können wir aus den alten Subkultur-Studien als Grundlage übernehmen, was müssen wir kritisch sehen? Wie etwa passt das Konzept zu den Raves, die es seit den achtziger Jahren gibt und die in vielerlei Hinsicht die letzte Subkultur darstellen - die »jüngste« oder, wie manche sagen, die letzte.
Die achtziger Jahre: die Jahre der unsichtbaren Subkulturstudien?
Die wissenschaftliche Betrachtung von Jugendsubkulturen in den späten siebziger Jahren fasste »authentische« Subkultur als kollektiven kulturellen Widerstand mit sozialem Zusammenhalt auf. In den achtziger Jahren waren das Studieren von Subkulturen und ihre geistige Heimat, die Sozialwissenschaften im weiteren Sinn, ausgesprochen unmodern und galten im Großbritannien der konservativen Regierung Thatcher als wirtschaftlich unnütz; schließlich waren die Konservativen bestrebt, die »Exzesse« der politisch korrekten und liberalen Erziehungspolitik der sechziger und siebziger Jahre zu korrigieren. Gleichzeitig wurde Kritik am Gedankengut der Birminghamer Schule laut, teilweise von Seiten der AutorInnen selbst, von denen viele, wie etwa Dick Hebdige und Angela McRobbie, große Teile ihrer damaligen Theorien widerriefen. So drückte etwa Stanley Cohen, Autor des grundlegenden Werks über die Erfindung der Mods und Rocker durch die Medien in den sechziger Jahren, »Folk Devils and Moral Panics« (1970), in der Einleitung zur Neuauflage 1980 seine Bedenken über die - wie er sagte - »offensichtliche Faszination spektakulärer Subkulturen« aus und behauptete: »Es ist deprimierend, die Literatur über Straffälligkeit in den Subkulturen zu lesen.« Es gab noch andere Verschiebungen in der Theorie: So wurde Subkultur als krasser Gegensatz zur Postmoderne gesehen, die in der Soziologie als Nachfolgerin des Neomarxismus »in« geworden war.
Teil des Problems der Untersuchung von Subkulturen seit Punk sind diese großen Vorgaben und die daraus entstehenden Erwartungen. Als Nachfolger der Teds und Hippies waren die Punks per definitionem eine spektakuläre Subkultur, die von den selbsternannten »ExpertInnen« aus der Kulturwissenschaft mit sozialer Bedeutung aufgeladen wurde, indem man Erklärungen wie »Rockmusik der Arbeitslosengeneration« oder »Entfremdung« präsentierte. Alles, was nach Punk kam, wirkte dagegen wie eine Antiklimax, weil die Soziologen neue messianische Kräfte erwarteten und auf einen »neuen Punk« hofften - wie etwa Larry Grossberg (1986) oder Steve Redhead (1990), bei dem es heißt, die Bewegung sei »das beste Beispiel für Subkultur, Stil und Sound, vakuumverpackt für das Archiv der Popkultur. Es ist nicht das Ende der Verbindung aus Pop/Rock/Jugendkultur, sondern ihr vollkommenstes Produkt.«
Es dauerte jedoch nicht lange, bis Punk auf ein Postkartenmotiv reduziert war: Typen mit Irokesenschnitt wurden neben Beefeatern abgebildet, um die Fremdenverkehrsattraktionen von London zu bewerben, Punk wurde zu einer weiteren Ausdrucksform der britischen Exzentrizität. Der Beitrag der achtziger Jahre zur Sammlung an Jugendkulturen der Nachkriegszeit war »New Pop«, Human League und Culture Club, MTV und Live Aid. Passend zu diesem Post-Punk-Soundtrack verdrängte die Postmoderne im Bereich der Kulturwissenschaften die Perspektiven der Subkulturen. Sogar Leute wie Simon Reynolds, Paul Morley und Ian Penman, bekannt für ihre Kommentare über Subkulturen, konnten jede Menge Namen aus der zeitgenössischen Kulturtheorie wie Kristeva und Baudrillard fallen lassen. Während das akademische Interesse an den Subkulturen schwand, nahm sich in den achtziger Jahren die Zeitgeist-Presse, die in Stilfragen zugange war, ihrer an; Zeitschriften wie »The Face« und »ID« - mit dem Untertitel »International Manual of Style« - warteten mit einer neuen Generation von JournalistInnen auf, die sich der Pop-Anthropologie verschrieben hatten.
Die Neunziger: Das Jahrzehnt der Raves
Diese Verquickung von Umständen bereitete den Weg für die späten achtziger Jahre, die uns Acid House brachten, eine Erscheinung, die in den Neunzigern dann zu »Rave« mutierte. Eine neue »moralische Panik« machte sich angesichts der Verbindung aus jungen Leuten, Musik, Drogen und Tanz breit. Die Rave-Bewegung wurde oft mit den Begriffen des Punk beschrieben. John Lydon (alias Johnny Rotten) sagte: »Alles Betrug, verpackt als Jugendbewegung. Einen Dreck ist es das! Nichts als zwielichtige Organisatoren, die jeden nur möglichen Trick ausprobieren, keine Ordnung, aber riesige Profite.« (The Guardian, 2/11/92) War aber Kommerz letztlich nicht immer Teil des Kerns der Jugendkultur? Schließlich lautete der Titel des Films über Lydons Band, die Sex Pistols, auch »The Great Rock'n'Roll Swindle«.
Zwischen den beiden Erscheinungen lässt sich auch eine musikalische Verbindung herstellen, vielleicht nicht, was das Ergebnis anlangt, sehr wohl jedoch im Hinblick auf die Produktionsform. Das Ethos der Punks war der »Do-it-youself«-Kultur verbunden. Das Fanzine »Sniffin' Glue« aus den Siebzigern druckte eine Grafik ab, in der es hieß: »Das ist ein Akkord. Das ist noch ein Akkord, und hier noch einer. Schnapp' Dir eine Gitarre und gründe eine Band!« Die Botschaft lautete: Jeder kann ein Star sein, du brauchst nur eine Gitarre und ein paar Akkorde und mehr Begeisterung als Können. Bei der Ravemusik muss man in dieser Gleichung nur Gitarre und Akkorde durch alte Platten und Plattenspieler ersetzen.
Die akademischen ChronistInnen der Ravekultur werden immer mehr (Steve Redhead, Hildegonda Rietveld, Sarah Thornton, Ben Malbon, Jeremy Gilbert). Dazu kommen ein paar Insiderberichte, die anlässlich der 10-Jahres-Feier des »Summer of Love« publiziert wurden, wie Simon Reynolds' Buch »Energy Flash« oder Matthew Collins' »Altered State« - alles Hinweise auf eine Institutionalisierung der Raves, die damit in das Reich der Respektabilität eintreten, und das passt wiederum ins Bild dessen, was in den letzten 20 bis 30 Jahren mit der Popmusik im Allgemeinen passiert ist.
Rave ist als Vehikel für eine heterogene Blüte der britischen Jugendkulturen von wesentlicher Bedeutung. Rave ist das Event, die Musik kann alle möglichen Formen annehmen: Trance, Trip-Hop, Ambient, Jungle, Bhangra, Gabba, Hardcore, Hard House, Speed Garage, Happy House, Hardbag, Handbag und noch unzählige andere, die zu rasch entstehen, um in diese Liste aufgenommen zu werden. Die Verabschiedung eines neuen britischen Strafgesetzes, das die Veranstaltung von Open-Air-Raves bedrohte, galt als radikalisierender Faktor, der den Raves neben ihrer Botschaft des reinen Hedonismus auch ein gewisses Maß an Idealismus verlieh.
Nachdem die Theorie der Subkulturen als veraltet und zahnlos gilt, wurde sie in akademischen Kreisen durch die Postmoderne als modische Position ersetzt. Michel Maffesolis Begriff der »Neuen Stämme« etwa wird als Alternative beworben. Diese Theorie wurde als »Neo-Tribalism« gerade eben ins Englische übersetzt, und es ist mit heftigen Interessensbekundungen in der englischsprachigen Welt zu rechnen; Andy Bennett verwendet sie bereits. Gerd Baumann meint, dass die Neuen Stämme der zeitgenössischen Welt eher als Begriffe denn als integrierte gesellschaftliche Gruppen existieren. Sie sind unvermeidlich auf der Basis einer gewissen Unschlüssigkeit konstruiert. Man kann seine Zugehörigkeit zu einem Neuen Stamm leicht widerrufen, sie ist keine langfristige Verpflichtung. Auch Deleuze und Guattari, Bourdieu und Baudrillard werden von Rave-TheoretikerInnen herangezogen (Tim Jordan, Thornton und Redhead). Wenn man genau hinsieht, findet man auch Parallelen zu zahlreichen Theorien sozialer Bewegungen, wie etwa zur Betrachtung der ökologischen Bewegung bei Habermas, zum ästhetischen Gemeinsinn bei Kant, Tourraine etc., zum historischen Zusammentreffen vieler verschiedener Elemente, zu Gramsci, auf den sich Stuart Hall in »Policing the Crisis« (1978) berief. Es wäre aber wahrscheinlich besser, sich direkt mit der Jugendkultur zu beschäftigen, anstatt sie mit Theorien in Zusammenhang bringen zu wollen, die nicht immer hundertprozentig passgerecht sitzen. Auch die Sache mit den Stämmen ist nicht unproblematisch; der Begriff ist herablassend gegenüber jenen Menschen in der Dritten Welt, die in Stammesgemeinschaften leben - und das nicht aus freier Wahl. Die starke Selbststilisierung vieler Weißer als bärbeißige, Dreadlocks tragende Typen, die auf Bäumen leben, als eine Form des »Zurück zur Natur« oder des »einfachen Lebens«, erinnert an das, was die Sex Pistols sehr treffend »einen billigen Urlaub im Elend der anderen« nannten.
Viele Zielsetzungen der Jugendkultur waren immer immaterieller Natur, so etwa die Angst »sich zu verkaufen«oder der Wert, der dem »Hartsein« beigemessen wird. In der Rave-Bewegung kommen noch andere Widersprüche dazu. Obwohl die Maxime»Gier ist gut« in den achtziger Jahren sehr verbreitet war, sind die Kinder dieses Jahrzehnts, die »Free Party«-Raver mit ihrer Mischung aus Heidentum und High Tech, auf ein schlecht formuliertes, im weitesten Sinn antikapitalistisches Manifest stolz, zu dem auch Demos und Tierschutzaktionen gehörten. In den jüngsten Protesten in Seattle und anderswo finden sich ebenfalls Schnittpunkte mit dieser Philosophie.
Der Begriff Subkultur wird immer synonym mit «Jugendkultur« verwendet. Aber einer der wichtigsten Marktfaktoren des heutigen Musikmarktes sind Leute über vierzig mit eigenen Zeitschriften wie »Q« und »Mojo«, eigenen Radioprogrammen wie Capital Gold und Virgin FM, wo die Musik aus ihrer Jugend gespielt wird, und mit ihrer eigenen Musik, wie etwa Phil Collins. Die Vergangenheit des Pop ist auch heute präsent, wenn auch in radikal anderer Form, wie beim Techno-Sampling und bei Imitatoren-Bands. Mit Bill Clinton hatten wir einen Saxophon spielenden US-Präsidenten und mit Tony Blair einen britischen Premierminister, der in der Studentenzeit in einer Rockband spielte. Wie Steve Redhead meint, ist Popmusik nicht mehr nur die Musik der Jugend. Ganze Bände von Enzyklopädien und wissenschaftliche Werke untersuchen ihre Bedeutung, und Pop wird zu einer Art Kulturerbe-Industrie. Andererseits ist das alles unvermeidbar: Gesamtausgaben in Kartonhüllen unterstreichen, dass Pop nun eine reife Kunstform ist, die es verdient, ernst genommen zu werden.
2000 und danach: Neue Subkulturen statt der alten
Die Popkultur ist heute in zahllose Richtungen aufgespaltet, wie man das früher nie für möglich gehalten hätte. Der Begriff der Subkultur scheint nicht auszureichen, will man die vielfältigen Splittergruppen in diesem Strudel der Fragmente beschreiben. Es gibt nicht mehr eine einheitliche Jugendkultur, sondern viele: Raver, Techno-Freaks, Cyberpunks, Indie-Kids, Gothic- oder Jungle-Anhänger, Grunge-Fans, Bhangra- oder Raggamuffins, Internet-Junkies und sogar ... ganz normale Typen. Wie Simon Frith (1983) schrieb: »Die Struktur der Gesellschaft als Ansammlung subkultureller Schubladen macht es schwierig, Aspekte der sozialen Wirklichkeit zu verstehen, wenn man eine übertrieben statische und totalisierende Sicht der Welt hat.«
Außerdem wird jeder neue »Stil« - ein besseres Wort ist leider nicht vorhanden -, der von der Straße ausgeht, dadurch charakterisiert, in welchem Maß er im Schatten der eigenen Vergangenheit lebt, gerade eben, weil es jetzt eine Vergangenheit gibt: Es existiert eine lange, altbekannte Liste von subkulturellen Stereotypen, die von den Teddy Boys über die Hippies, Punks etc. zu den Ravern führt - immerhin über fünf Jahrzehnte. Die heutige Jugendgeneration weiß viel mehr über die Vergangenheit als alle anderen vor ihr. Neben Imitatoren-Bands wie Bjorn Again dient die Vergangenheit im Jahr 2000 als historischer Bezugspunkt. Hier geht es nicht mehr um den Blick zurück im Zorn, um eine Reaktion auf die vorige Generation, sondern darum, sie zu verwenden und sich ihrer im Rahmen dessen, was Ted Polhemus »das semiologische Pauschalangebot« nennt, zu bedienen. Die Folgen sind im Britpop - einer Neuauflage von Punk und des Mod-Sounds und -Stils der sechziger Jahre - klar erkennbar, ebenso wie in einigen der aufregendsten Musikrichtungen, die auf den Ruinen der Großreiche Europas entstanden, in den postkolonialen Ausdrucksformen des maghrebinisch-französischen Rap oder des britischen Asian Underground. Alle verwenden sie eine breite Palette von Ausgangsmaterial in neuen Zusammensetzungen.
Erst vor etwa zehn Jahren beklagte Banerji (1990), dass »die südasiatischen Gemeinden in Großbritannien für erstaunlich lange Zeit unsichtbar geblieben sind und ihre Musik nicht zu hören war.« In den Jahren 1997 und 1998 behaupteten die Sonntagsbeilagen der Tageszeitungen immer wieder in quasi-soziologischer Wortwahl und mit Phrasen wie »Asiatische Invasion« und »Hindi-pendence«, dass die jungen AsiatInnen Großbritanniens »von der Randposition in den Mainstream drängten«.1 Das galt in der Musikbranche - Cornershops »Brimful of Asha«, 1998, mit dem Tjinder Singh als erster Asiate Platz 1 in den britischen Charts erreichte2 - ebenso wie bei den KomikerInnen - »Goodness Gracious Me«, eine Serie der BBC - und in der Literatur (Bidisha 1997, Syal 1996). Drei Jahrzehnte nach der größten Einwandererwelle aus dem Commonwealth3 sind die meisten AsiatInnen in Großbritannien Angehörige der zweiten oder dritten Generation, im Land geboren, mit ganz anderen Erfahrungen und Haltungen als ihre Eltern. Einst galt es als überkommene Weisheit, dass »AsiatInnen in der Jugendkultur kaum vertreten sind« (Brake 1980), in jüngster Zeit haben die jungen AsiatInnen mit dem Aufkommen der »südasiatischen Studien« eigenständige akademische Anerkennung gefunden (Anwar 1998; Baumann 1996; Bhatti 1999; Brah 1997; Gillespie 1995; Hutnyk et al. 1996). In den populärwissenschaftlichen Medien und in den akademischen Paradigmen spiegelt sich wider, wie Bhangra und neue, spätere Formen der neuen asiatischen Tanzmusik mit den jungen AsiatInnen in der Zeit von Postkolonialismus, Postdiaspora, Postmoderne und vielleicht sogar Post-Bhangra zusammenhängen. Man kann nur hoffen, dass das neu entstandene Interesse nicht nur einfach Teil der alten Medienstrategie »Aufbauen und Abreißen« ist, auf Grund derer sich die Medien zyklisch mit erfolgreichen Jugendkulturen beschäftigen, weil sie den»nächsten Hit« suchen.
Parallel dazu wurde auf der anderen Seite des Ärmelkanals Frankreich zum weltweit zweitgrößten Markt für Rapmusik - vielleicht eine etwas zweifelhafte Errungenschaft in einem Land, das sich immer schon seine Tradition der Hochkultur zugute gehalten hat. Der zeitgenössische französische Rap hat heute politisch, musikalisch und kulturell mehrfache Bedeutung (Bazin 1996; Lapassade 1996). In vielerlei Hinsicht ist Rap in Frankreich Ausdruck der postkolonialen Gegenwart des Landes, die dort für arabische und afrikanische Jugendliche der zweiten Generation von Einwanderern dieselbe Bedeutung hat wie der Asian Underground für die jungen Briten vom indischen Subkontinent, die in der Diaspora in Großbritannien leben. Widersprüche finden sich jedoch an allen Ecken und Enden. Die Musik erfreut sich großer Beliebtheit bei einem breiten Publikum aus der weißen Mittelschicht und profitiert unerwarteterweise von der Quotenregelung zur Erhaltung der französischen Sprache im nationalen Radio. Mit Rap wurde die Subkultur gefeiert und für sie gekämpft, wie sich das in den Ereignissen des Jahres 1996 (Huq 1999) äußerte. Damals gab es das »Université du Hip Hop«-Festival in Straßburg, das von der Stadtverwaltung subventioniert wurde, und im Herbst desselben Jahres fiel die Gruppe NTM wegen ihrer polizeifeindlichen Aktionen der Zensur zum Opfer - zwei Ereignisse, welche die Extrempositionen der »Kontrolle« oder Eindämmung des Hip-Hop durch Institutionen und der Regulierung der Jugendkultur widerspiegeln. Der Vergleich mit Großbritannien und dem Criminal Justice and Public Order Act 1994 mit seinen Auswirkungen auf die Rave-Szene bietet sich an. Rap gilt allgemein als Musik der Straße, aber der französische Rap entwickelte sich auf einer anderen Straße, einem anderen Boulevard als sein Gegenstück in den USA.
Die Subkultur in der Spielart der siebziger Jahre ist vielleicht nicht die Antwort, und es ist sicherlich richtig, dass nur wenige der Skinheads oder Teddy Boys, die in den Birminghamer Arbeiten porträtiert wurden, sich dort jemals wiedererkannt hätten. Eine Theorie alleine reicht nicht aus, um die periodische Wiederkehr der alten und neuen identifizierbaren und identitätsstiftenden Gruppen zu beschreiben. Worum ging es aber eigentlich? Wenn wir von Subkulturen und Musik sprechen, dann sollte man auch darauf hinweisen, dass die Industrialisierung der Musik und ihre Transformation vom Medium des Volkes zum Massenmedium auch die Bedeutung, die sie aufgrund ihrer Verwendungsform für Produzenten, Interpreten und Konsumenten haben kann, verändert hat. Früher existierte Musik in einer weitreichenden Privatsphäre, heute ist sie in großem Stil öffentlich oder dient als Hintergrund für andere Aktivitäten. In allen diesen Kontexten kann sie aber ein Phänomen bleiben, um das sich kulturelle Identitäten herausbilden. Das Downloaden von Musik aus dem Internet wird eine von vielen Entwicklungen in diesem Bereich sein, die zu beobachten interessant sein wird - siehe auch die jüngsten Kontroversen um MP3 und Napster.
Steve Redhead (1990) schreibt, dass »zeitgenössische Musikrichtungen und Erscheinungsformen wie Musikvideos und Jugendprogramme die Geschichte des Pop mit derselben Mischung aus Sehnsucht und Abscheu zurückspulen wie der zeitgenössische Stil der Straße die verschiedenen Erscheinungsformen der Jugendkultur aus der Vergangenheit feiert - und beide tun es, als gäbe es kein Morgen.« Wir sollten diese Tatsache eher als Grund zum Feiern und nicht als Anlass zur Trauerüber den Tod der Jugendkultur sehen. Die Theorie der Subkultur mit ihrer Analyse der Abfolge von relativ eng geknüpften, sichtbaren Subkulturen der Arbeiterklasse, mit den Charakteristika der Randständigkeit und Kriminalität - Teds, Mods, Skins, Punks - ist keineswegs problemlos. Die AkademikerInnen sollten lieber ihre Bibliotheken verlassen, wenn sie den Ursprung der Jugendkultur untersuchen wollen, und sich auf der Straße umtun, anstatt ex cathedra zu theoretisieren. Bis dahin, wie die Happy Mondays mit ihrem Hit aus dem Jahr 1990 sagten: »Rave on!«
Übersetzt von Elisabeth Frank-Großebner
1 Siehe »British, Asian and hip«, Independent on Sunday 1/3/98, »Asian Wave«, The Times 23/8/97. Choque Hussien, Leadsänger der Asian Underground-Gruppe Black Star Liner aus Leeds, beklagte sich bei mir, dass »alles jetzt im Independent und in der Sunday Times steht. Der Daily Mirror sollte um Himmels Willen darüber schreiben« (Gespräch mit der Autorin im Roadhouse, Manchester, Februar 1999, veröffentlicht in »Not so Quiet on the Eastern Front«, City Life 3/3/99).
2 »Spaceman« von Babylon Zoo (Frontmann Jas Mann) erreichte 1997 Platz 1, allerdings eher, weil die Nummer in einer Levis-Fernsehwerbung vorkam. Wie The Guardian (2/2/96) meinte, »waren die Möglichkeiten der Fusion-Gruppe Monsoon mit Frontfrau Sheila Chandra in den frühen Achtzigern ebenso wie die des Bhangramuffin-Hitsängers Apache Indian im Mainstream beschränkt, weil es ihnen nicht gelang, ihre ethnische Zugehörigkeit von ihrer künstlerischen Arbeit zu trennen.« Mann hatte Glück, weil er »auftauchte, bevor diese Einschränkung angewendet werden konnte.« Die Identität des Interpreten von »Your Woman«, einem Hit aus dem Jahr 1997, mit dem White Town Platz 1 erreichte, blieb anfangs ebenfalls in mysteriöses Dunkel gehüllt. Es stellte sich später heraus, dass es ein »fetter asiatischer Typ« war (so beschrieb er sich in The Guardian vom 3/10/98 selbst). Dieser Joyti Mishra, ein Computerprogrammierer, der die Platte in seinem Schlafzimmer produziert hatte, meinte rückblickend: »Ich werde nie ein Pin-up für Teenagerzimmer sein, wenigstens habe ich Platz 1 nur wegen meiner musikalischen Fähigkeiten geschafft.« Beide Interpreten verschwanden nach kurzer Zeit von der Bühne. Die Kategorisierung »Out« ist weder auf Freddie Mercury noch auf den in Indien geborenen Cliff Richard anzuwenden.
3 Wie nachstehend erörtert, bin ich mir bewusst, welche Schwierigkeiten die Verwendung dieses Begriffs mit sich bringt. Ich bin mir auch bewusst, dass es in Großbritannien schon vor den größeren Wellen der Ansiedlung in der Nachkriegszeit lange Jahre asiatischer Präsenz gab.
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