Heft 3/2000 - Netzteil
Der Bereich der Medien lässt sich nicht leicht in den akademischen Fächerkanon einordnen. Sein breit gestreutes Themenspektrum wird oft in reduzierter Form in den engen Rahmen der Soziologie, Filmstudien, Kunst, kulturellen Anthropologie etc. gezwängt; nur selten wird irgendwo ein umfassendes Medienstudium angeboten.
Gerald O`Grady ist ein Pionier dessen, was heute als »Medienstudien« bezeichnet wird. Keine Universität hatte je versucht, MedienwissenschaftlerInnen und KünstlerInnen in einem so extensiven Ausmaß zusammenzubringen, bevor er 1972 das »Center for Media Study« und das »Department of Media Study« an der State University of New York - Buffalo gründete. Er lud KünstlerInnen wie Hollis Frampton, Paul Sharits, Tony Conrad, James Blue, Woody und Steina Vasulka sowie Peter Weibel ein, die dort regelmäßig unterrichteten. Während der fast zwanzig Jahre, in denen O`Grady die Leitung innehatte, wurden dort strukturalistische, materialistische oder minimalistische Filme, Videos und Musik und andere Experimente realisiert. Seine beiden »Media Study«-Gründungen spielten eine Vorreiterrolle für viele heutige Medienkunstzentren. Ihre Ausstrahlung hält bis heute an, auch in den Personen von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, die dort studiert haben, wie Arnold Dreyblatt, der heute archivarische Kunstprojekte macht, Brian Springer, der politische Projekte mit Hilfe von Satellitenübertragungen organisiert, oder den Videokuratoren Chris Hill und Steve Gallagher. Typischerweise beschäftigen sich die meisten von ihnen mit unkategorisierbaren, grenzüberschreitenden Praktiken, die zusammenfassend auch als die »postmodernistische Schule von Buffalo« bezeichnet worden sind.1
1974 organisierte O`Grady die bahnbrechende internationale Konferenz »Open Circuits: The Future of Television«, bei der erstmals in den USA TheoretikerInnen und KünstlerInnen der neuen Medien und Technologien zusammentrafen. In späteren Jahren war er Fellow an der Harvard University, wo er über die Filme der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung arbeitete; gegenwärtig ist er als Gastwissenschaftler am ZKM in Karlsruhe.
In den siebziger Jahren war seine Idee eines Zentrums für Medienstudien so visionär, dass seine Kollegen an der Universität sie kaum verstanden. Zwanzig Jahre später begreift er sich noch immer vor allem als Anwalt der KünstlerInnen, die er bewundert. Wir fragten Gerald O`Grady nach den Grundideen des »Medienstudiums«, das er konzipierte und in die Praxis umsetzte, nach den KünstlerInnen, den Ausbildungsmöglichkeiten, den örtlichen Zentren und den Organisationen damals und heute.
Keiko Sei: Ihre Aktivitäten verteilen sich auf ein breites Spektrum, was es schwierig macht, Sie mit irgendeinem Beruf zu identifizieren. Ich möchte Sie als einen »Mediaevalist« ansprechen. Als solcher haben Sie versucht, den Prototyp des heutigen Medienkünstlers in historischen Persönlichkeiten zu entdecken, von Comenius bis zu Malcolm X.
Gerald O`Grady: Ich sehe mich immer als einen Amateur, im ursprünglichen Sinn des Wortes - vom lateinischen »amare« (lieben) - ich liebe, was ich tue. Ein »Mediaevalist« ist eigentlich jemand, der alles studiert, was in den 2000 Jahren zwischen 500 v. Chr. und 1500 n. Chr. in vielen verschiedenen Sprachen geschrieben wurde. Das Wort »mediaeval« - von »media« und »aevum«, die »mittlere Zeit«, also das Mittelalter - war nur ein Konzept, und später habe ich einmal kalauert, ich hätte jetzt das »evil« (das »Böse«) aufgegeben und würde meine Zeit nur noch mit den Medien verbringen.
Man könnte auch sagen, dass ich ein »philosophischer Anthropologe« bin. Mein zentrales Thema war immer das Bewusstsein von Individuen und die Art, wie es sich in verschiedenen Formen manifestiert. Soziale Werte und Anliegen sind mir sehr wichtig, aber die Würde des individuellen Impulses stand und steht für mich an absolut erster Stelle. Ich habe die erste Konferenz über »autobiografische Filme« organisiert. Ich habe schon früh praktiziert, was heute »Cognitive Studies« und »Cultural Studies« genannt wird, aber was ich mache, geht über Inter- und Multidisziplinarität hinaus.
Als ich 1990 eine Retrospektive von tschechoslowakischen Filmen organisierte,2 bedeutete das für mich Václav Havel, Andy Warhol und Comenius. Ich hatte Havel 1969 als Theaterautor in die USA eingeladen. Comenius interessierte mich als Denker, nicht als Vertreter der Renaissance. Comenius verbrachte fast sein gesamtes Leben im Exil; Havel war in einer Art innerem Exil, etwas, das der polnische Dichter Milosz das »gefangene Denken« genannt hat.
Was Malcolm X angeht - ich sammle alle Filme, die es über ihn gibt. In Tunesien entdeckte ich einen Film über ihn aus der Zeit, als er 1964 seine Hadsch, die Pilgerreise nach Mekka, machte; dieser Film war nie in den USA gezeigt worden. Ich betrachte Malcolm X als einen »inneren« und »äußeren« Exilanten zugleich. Er war wie Comenius ein Missionar mit einer globalen Botschaft; er verfolgte aufmerksam die Ereignisse in Kuba, Lateinamerika und allgemein in der Dritten Welt. Für mich war er jemand mit echter Würde, Integrität und Mut. Früher hatte ich gewünscht, dass man ihm die Möglichkeit gegeben hätte, ein Amerikaner zu sein. Heute ist mir das nicht mehr so wichtig, da ich selbst nicht so viel Wert darauf lege, mich als Amerikaner zu identifzieren.
Keiko Sei:Als McLuhanist arbeiten Sie derzeit an einer neuen McLuhan-Interpretation. Könnten Sie erklären, was an McLuhan heute, im Jahr 2000, von Bedeutung ist, wo es gerade diesen Hype neuer McLuhanisten gibt, man denke nur an Arthur Kroker.
Gerald O`Grady: Meiner Ansicht nach liegt McLuhans Bedeutung nicht darin, dass er der Prophet des Internet gewesen sei, als der er in »Wired« gerne dargestellt wird. Er ist zu Lebzeiten und auch danach völlig missverstanden worden. Seine zentrale Bedeutung besteht darin, dass er das Konzept des Mediums weit über den Bereich der Kommunikation hinaus erweitert hat, dass er das Medium als einen beliebigen materiellen Gegenstand definiert hat - eine Sprache, eine Eisenbahnlinie, eine Bombe, ein Aschenbecher - und dann fragte, wie es mit allen anderen Dingen in seiner Umgebung interagiert und so auf die sensorische Organisation von Menschen einwirkt. Die primäre Organisation seines Denkens ist spiralförmig, vortizistisch oder, wie er selbst es nannte, galaxial. In jedem seiner Bücher gibt es eine Erklärung, dass man die einzelnen Abschnitte in jeder beliebigen Reihenfolge lesen kann.
Wenn McLuhans Denken global ist, dann nicht wegen irgendwelcher elektronischer Verbindungen, sondern wegen seiner anthropologischen Interessen, zum Beispiel an der Einführung des phonetischen Alphabets in Griechenland oder der Einführung des Films in Afrika 2500 Jahre später.
Sein Leben lang hat er sich mit Lehr- und Lernsystemen beschäftigt, und sein erstes Buch, das nie veröffentlicht wurde, war eine Geschichte des Grammatik-, Logik- und Rhetorikunterrichts von Aristoteles bis zu Francis Bacon, dem Gelehrten des 16. Jahrhunderts. Er schrieb mehr als dreißig Essays über Lehr- und Lernprozesse, und meine Arbeit über ihn wird sich als erste auf seine Briefe, Tagebücher und unveröffentlichten Schriften stützen.
Was Arthur Kroker betrifft, denke ich, dass er in »Technology and the Canadian Mind« zu sehr die Technologie betont und zu wenig auf McLuhans Interesse an der Struktur des Gehirns eingeht; außerdem erzeugte das Buch den irreführenden Eindruck, dass es so etwas wie eine kanadische Schule der Kommunikationstheorie gäbe.
Keiko Sei: Sie sagten, dass KünstlerInnen wie Blue, Frampton, Sharits, die Vasulkas und Conrad, die Sie als DozentInnen nach Buffalo geholt haben, oft falsch repräsentiert werden. Sie alle passen offensichtlich nicht in irgendeine festgelegte Kategorie von KünstlerInnen. Könnten Sie spezifizieren, inwiefern sie missrepräsentiert werden und wie Sie das richtigstellen würden?
Gerald O`Grady: Es gibt einfach keine Bücher oder Monografien über irgendeinen dieser Künstler. Sie alle werden meiner Ansicht nach missrepräsentiert, indem sie, erstens, regelmäßig so dargestellt werden, als würde jeder von ihnen in nur einem Medium oder nur einem Stil arbeiten, zum Beispiel nur sogenannte »strukturalistische Filme« oder »prozessuelle Videos« machen. Zweitens haben alle viel über ihre ästhetischen Zielsetzungen geschrieben, aber die KritikerInnen und KommentatorInnen haben im allgemeinen nichts davon gelesen. Drittens ist, anders als in der visuellen oder der akustischen Kunst, auch mir kein lebender Kritiker bekannt, der über ein adäquates Wissen um den Kontext all ihrer Arbeiten in den verschiedenen Sparten von Film, Video, Fotografie, akustischer Kunst, digitaler Kunst etc. verfügt - zum Beispiel über die Arbeiten von Bruce Baillie, Stan Brakhage, Alvin Lucier, Lejaren Hiller, Ernie Gusella, Kurt Kren, Peter Kubelka, Johan van der Keuken, Chris Marker. Peter Weibels Konzept einer Ausstellung aller Arbeiten dieser Künstler und eines Katalogs mit ihren Schriften, mit dem vorläufigen Arbeitstitel »Mind Sets«, würde eine vielversprechende Gelegenheit eröffnen.
Keiko Sei: »Media Study/Buffalo« und das »Department of Media Study« an der SUNY-Buffalo deckten ein erstaunlich breites Spektrum ab: Film, Video, Fotografie, Musik, digitale Ästhetik, aber auch öffentliche Medien wie zum Beispiel offene Fernsehkanäle. Andererseits muss ein »Medienstudium« wohl so sein, weil die Medien selbst so sind. Warum ist es für die Universitäten so schwierig, damit klarzukommen? Was war für Sie das größte Hindernis, als Sie »Media Study« aufbauten?
Gerald O`Grady: Als ich den Namen »Media Study« wählte, habe ich bewusst nicht den Plural »Studies« genommen, sondern den Singular, im ursprünglichen Sinn des Wortes von Eifer oder konzentriertem Arbeiten. Es ist auch verwandt mit dem Wort »Studio«, das in der italienischen Renaissance den Ort bezeichnete, wo angehende Maler und Bildhauer ihre Praxis lernten. Als Radio, Film und Fernsehen aufkamen und einen schalldichten Ort brauchten, um ungestört zu arbeiten, wurde die Bedeutung des Wortes nochmals ausgedehnt. Mich interessierte diese Art von Intensität und nicht, ob ihre MacherInnen Stacheldraht oder Kaugummi benutzten. Max Horkheimer sagte einmal: »Nicht dass der Kaugummi der Metaphysik schadet, sondern dass er im Gegenteil selbst Metaphysik ist, gilt es klarzumachen.« Die Organisationsform, die mir von der akademischen Welt in Buffalo und anderswo aufgezwungen wurde, war so, dass einige Fächer oder Arbeitsfelder bereits in traditionellen »Departments« organisiert waren, wie zum Beispiel Malerei und Skulptur (Kunst) oder die Sprachen (Literatur); und ich besetzte einfach die Bereiche, die übrig geblieben waren. SUNY-Buffalo war eine der ersten Universitäten, die praktizierende KünstlerInnen als DozentInnen einlud, zum Beispiel Robert Creeley und John Barthes in der Literatur oder Morton Feldman und Lucas Foss in der Musik. Film- und Videostudien waren damals praktisch nicht existent, mit Ausnahme der Feature-Produktion an einigen Orten wie der University of Southern California, der University of California at Los Angeles oder der New York University, und es gab keine WissenschaftlerInnen, die in diesem Bereich ausgebildet waren, ich selbst war es ja auch nicht, und die einzigen Personen, die ich fand, die diese neuen Medien erklären konnten, waren die PraktikerInnen. Das größte Hindernis war, dass alle unsere KollegInnen in anderen Fächern - Physik oder Anthropologie oder Musik - überhaupt nichts von unserem Arbeitsfeld wussten und es eher mit Hollywood oder mit kommerziellem Fernsehen assoziierten, für das sie nur Verachtung übrig hatten - und sie merkten nicht, dass wir das genauso verachteten.
Keiko Sei: Was hat die Konferenz »Open Circuits: The Future of Television« bewirkt?
Gerald O`Grady:1974 zeigte ich in Knokke-Heist auf Einladung von Jacques Ledoux, dem Direktor des Königlichen Belgischen Filmarchivs, die erste Ausstellung von kanadischen und amerikanischen VideokünstlerInnen. Ein paar Wochen später veranstalteten wir die erste internationale Konferenz über Videokunst im New Yorker Museum of Modern Art. Nam June Paik sagte mir später, wir hätten sie »Closed Circuits« nennen sollen, denn nur wenn der Kreis geschlossen ist, kann der elektrische Strom fließen. Meine wichtigste Erinnerung ist das Treffen mit Vilém Flusser und René Berger, die ich aus Brasilien und Frankreich eingeladen hatte. Politisch war es sehr wichtig, weil damit ein großes Museum Video als eine Kunstform anerkannt hatte. Es gab noch keinen Kurator dafür; Barbara London kam erst später. Und daraus entstand auch das wichtige Buch »The New Television: A Public/Private Art«, das Douglas Davis herausgegeben hat.
Keiko Sei: Ich fand Ihre Beziehung zu Andy Warhol sehr interessant, auch wegen der unmittelbaren Assoziation der Beziehung zwischen »Medien« und »Kunst«. Und es ist eine sehr amerikanische Geschichte.
Gerald O´Grady: Okay, ich erzähle Ihnen die audiovisuelle Geschichte über Warhol. An demselben Tag, an dem Robert Kennedy erschossen wurde, schoss Valerie Solanas auf Warhol. Ich telefonierte mit Warhol kurz nach seiner Operation, als er noch unter dem Einfluss der Narkose stand, und er bat mich immer wieder, weiterzureden, obwohl er sehr geschwächt war. Monate später erzählte er mir dann, dass er, als er ins Krankenhaus gebracht worden war und unter heftigen Schmerzen durch die Flure gefahren wurde, auf einem Fernseher sah, dass jemand auf Kennedy geschossen hatte. Am Telefon hielt er mich für Kennedy, weil ich einen ähnlichen New England-Akzent habe, und er dachte, solange ich (das heißt, Kennedy) reden würde, wäre auch er noch am Leben.
Was Warhol als Künstler betrifft, so bewunderte ich seine Fähigkeit, den BEGRIFF der Kunst zu verändern, ähnlich wie Nam June Paik dies tat. Mein Interesse beschränkte sich auf seine Gemälde und Siebdrucke; seine Filme interessierten mich weniger, und Videos hat er nie gemacht, obwohl er in seiner Wohnung eine Überwachungskamera installiert hatte, die alles »dokumentierte«. Ich bewunderte ihn zwar, aber er hatte kaum etwas mit meiner intellektuellen Entwicklung zu tun, außer vielleicht im Bereich des Dokumentarfilms ohne professionelle SchauspielerInnen. Shirley Clarke, Stan Vanderbeek, Ed Emshwiller, Peter Campus und viele andere waren für mich weitaus wichtiger.
Keiko Sei: Sie waren auch einer der ersten, der an einer Universität »Queer Study« unterrichtete.
Gerald O`Grady: Das war eine ungewöhnliche Sache. Den Namen »Queer Study« gab es noch nicht so lange, als ich ein Seminar über »Que(e)ry Theory« ankündigte - womit ich das Hinterfragen einer »Disziplin« meinte, die gerade erst am Anfang ihrer Entwicklung stand. Ich hatte mich immer für die radikale Würde des Individuums engagiert, wie ich vorhin schon sagte, und ich bewunderte die Schwulen-, Lesben- und Transsexuellen-Bewegungen, die nach der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Frauenbewegung der sechziger und siebziger Jahre entstanden waren. Aber ich hatte allmählich das Gefühl, dass diese Gruppen sich mit dem Insistieren auf ihrer sexuellen Ausrichtung als einer ausschließlichen Identität selbst in ein Getto einschlossen und, was noch schlimmer war, ihr eigenes inneres Selbst einschränkten, so dass sie darin keinen Platz mehr dafür hatten, dass sie auch Töchter und Söhne waren, Chemiker und Maler, Amerikaner und Franzosen, Katholiken und Muslime, junge und alte Menschen, etc. - die ganze Mannigfaltigkeit des »Lebens«, dessen ganze chaotische, überlappende, explosive Vitalität ich genauso engagiert betonen möchte. So hielt ich es einerseits für wichtig, dieses »Feld« anzuerkennen und seine Standpunkte in den Universitäten und den Medien und überall sonst ernsthaft, offen und informiert zu diskutieren; andererseits meinte ich aber auch, dass die VertreterInnen und AktivistInnen der »Queer Theory« über ihre eigene grundsätzliche Haltung nachdenken sollten.
Keiko Sei: Das Klima im Medienbereich hat sich seit der Zeit, als Sie das Department of Media Study leiteten, verändert. Obwohl ich den Eindruck habe, dass die Tendenz in Kunst und Medien dem immer näher kommt, was Sie in den siebziger Jahren vorhersahen - eine Art Grenzenlosigkeit, wenn man so will -, scheint mir, dass die Autorität der neuen Medienpraxis immer mehr verloren geht. Statt dessen breitet sich eher eine Einstellung des »Demo or Die« aus. Peter Lunenfeld vertritt die Idee, dass das Demo das entscheidende Moment der künstlerischen Praxis am Ende des Jahrtausends ist. In Buffalo gab es in diesem Frühjahr sogar ein Medienkunstfestival unter dem Titel »Demo or Die!« Gegenüber dieser Idee verliert der klassische Typ des ego-zentrischen Künstlers, wie es die KünstlerInnen waren, die Sie ans Center for Media Study holten, an Boden. Wie würden Sie heute das Center for Media Study leiten, wenn Sie ähnliche Möglichkeiten hätten wie damals?
Gerald O`Grady: Die wichtigste strukturelle Veränderung im Media Study-Bereich in den letzten dreißig Jahren ist die Verschmelzung der unterschiedlichen Medien im digitalen Code. Wie ich 1980 schrieb: »Im Gegensatz zu Film und Video ermöglicht die digitale Bildverarbeitung eine Trennung zwischen der primären Bildherstellung und den syntaktischen Prozessen, durch die das Bild modifiziert und reflektiert wird. Wir können Bildinformationen (Daten) abspeichern und wieder aufrufen, um diese Informationen so zu bearbeiten, wie wir wollen, mithilfe eines Programms, das selbst abgespeichert, wieder aufgerufen und modifiziert werden kann.«
Wir waren zwar das erste Programm in den USA, das ein eigenes Labor für digitale Kunst hatte, gegründet von Frampton und Woody Vasulka, aber wir konnten uns das ganze Ausmaß der Konsequenzen damals noch nicht vorstellen. Ein Problem war, dass der Computer im Gegensatz zur Filmkamera oder zum Videoschnittpult ein Instrument ist, das zu den verschiedensten Zwecken gebraucht werden kann, das überall von Leuten allen Alters benutzt wird und das im Miniaturformat in Autos und Kühlschränken und auch in Kameras und Schnittpulten selbst eingebaut ist. Der Computer hat also kommerzielle Anwendungen, die den Film- und VideokünstlerInnen, die ich in den frühen Jahren nach Buffalo einlud, noch unbekannt waren. Dieser Kommerzialismus und die spezifische Denkweise der Computerprogrammierer ist eine schwere Belastung für die heutigen digitalen BildkünstlerInnen. Zum Beispiel erzählte mir neulich ein Programmierer aus Amsterdam, dass er alle Arbeiten aus dem ZKM erkennen würde, egal von welchem Künstler, weil er die Arbeitsweise des Programmierers erkennt. Woody Vasulka unterscheidet bei elektronischen KünstlerInnen zwischen den »Blue Collar«-Typen, die die Programme für ihre Bilder selbst schreiben und auch ihre Hardware selbst reparieren können, und den »White Collar«-Typen, die dafür spezialisierte Programmierer und Techniker hinzuziehen müssen.
In den letzten dreißig Jahren habe ich sechs »Positionspapiere« über Medienstudien geschrieben, und sie unterscheiden sich alle deutlich voneinander, aber mein hauptsächliches Interesse gilt noch immer der Frage, in was für einem Verhältnis die neuen Medien (in McLuhans Sinn) zu unserer physischen und sozialen Umgebung stehen und welche Veränderung in unserer kognitiven Organisation sie bewirken. Ich würde auch heute noch KünstlerInnen suchen, denen es darum geht, die Möglichkeiten dieser Materialien zu erforschen - in Buffalo unterrichtete Frampton, ein Filmemacher, digitale Kunst; Conrad, der ursprünglich auch Filmemacher war, unterrichtete Video; und Vasulka unterrichtete eigentlich nicht Video, sondern elektronische Schnittstellen. Sie hatten Freude daran, fortwährend dazuzulernen, und ich auch.
Übersetzt von Christoph Hollender
1 Richard Herskowitz im Katalog »Media Buff: Media Art of Buffalo, New York«. Ithaca, New York 1988.
2 »The Banned and the Beautiful: A Survey of Czech Filmmaking, 1963 - 1990«. New York 1990.