Heft 2/2001 - Lektüre
»Anxious Modernisms« versammelt zwölf monografische Aufsätze zu Positionen, die für das Feld der Architektur der Nachkriegsjahre kritische Auswirkung hatten. Alle Recherchen bauen auf Archivmaterial auf und wurden letztes Jahr im Rahmen einer Konferenz zum selben Schwerpunkt am Canadian Center for Architecture in Montreal präsentiert. Die einzelnen Themen sind breit gestreut, stilistisch teilweise inkompatibel und werden von den einzelnen AutorInnen methodisch äußerst unterschiedlich angegangen.
Was sich auf den ersten Blick wie eine von vielen in den letzten Jahren publizierten Aufsatzsammlungen zu Architektur und Stadt anlässt (divers, inkompatibel, divergent), entpuppt sich bei genauerer Durchsicht als eine der interessantesten Kompendien in diesem Feld. Die Herausgeber und KonferenzorganisatorInnen Sarah Williams Goldhagen und Réjean Legault haben eine Gruppe von jungen, großteils wenig bekannten AutorInnen versammelt, die ihre kritischen Werkzeuge an methodischen Zugängen, wie sie unter anderem von Beatriz Colomina und Mark Wigley entwickelt wurden, geschärft haben. Architektur wird hier als Diskurs verstanden, der im wechselseitigen Austausch von Medien, sozialen und kulturellen Strömungen, politischen Konstellationen und ökonomischen Realitäten produziert wird.
In den dargelegten Positionen und Praktiken manifestiert sich die Überzeugung, dass weder der Modernismus, wie dieser von Nicolaus Pevsner, Siegried Giedeon und anderen kodifiziert wurde, noch der Internationale Stil eine entsprechende Antwort auf die Herausforderungen der Nachkriegsgesellschaft und -kultur bereithielt. Ökonomischer Aufschwung, Konsumeuphorie und Populärkultur, überschattet von Ernüchterung, Kaltem Krieg, nuklearer Bedrohung und der Instabilität der noch jungen Demokratien, etablierten eine gesellschaftliche Situation, die von Widersprüchen geprägt war und eine generelle Unsicherheit oder eben Ängstlichkeit produzierte, welche sich wiederum in der gebauten Realität manifestierte.
So beleuchtet etwa Cornelis Wagenaar in seinem Aufsatz »Jaap Bakema and the Fight for Freedom« die kritische Praxis des holländischen Architekten Baakema und setzt sie in Beziehung zu dessen tiefgehender Überzeugung, dass im Zusammenhang mit antidemokratischen Totalitarismen moderne Architektur trotz ihrer sozialen Ideale zu einem potenziell repressiven Instrument mutieren kann. Bakemas Tätigkeit war von folgenden Fragestellungen geleitet: Wie baut man für eine demokratische Gesellschaft, wie arbeitet man gegen die homogenisierenden Qualitäten der Nachkriegsmassenkultur und wie kann im Rahmen einer architektonischen Praxis individuelle Bewegungs- und Gedankenfreiheit unterstützt werden? Solche Fragen waren zum Zeitpunkt ihrer Artikulation unmittelbar nach dem Krieg eine politische Herausforderung, da der etablierte Kanon des Modernismus (Giedeon, etc.) von einem profunden Glauben an die Verbindlichkeit einer Verschmelzung von Demokratie und Kapitalismus dominiert wurde.
Felicity Scott untersucht in »Anxious Modernisms« Bernard Rudofskys Ausstellung »Architecture without Architects«, welche dieser nach jahrelangen Verhandlungen 1964 am Museum of Modern Art in New York präsentierte. Im Stile der Fotoausstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit versammelte Rudofsky eine Fülle von Fotografien von Alltagsarchitektur rund um die Welt. Über Jahre hinweg beschäftige sich der in Südamerika lebende Wiener Emigrant mit verschiedensten lokalen Idiomen, die er in der Ausstellung nach losen formalen Kriterien und Analogien zusammenstellte. Rudofskys kritisches Argument, das in der spektakulären Installation nur implizit aufblitzte, richtete sich gegen die kontextuelle Ignoranz des Internationalen Stils. Was der Architekturkritiker Reyner Banham damals als »Orgie professioneller Selbsterniedrigung vor der >Spontaneität< der >inspirierten Amateure<« bezeichnete, hinterließ bei Publikum und junger Architektenschaft einen nachhaltigen Eindruck. Die organisch gewachsenen Bauten und Strukturen aus teilweise exotischen Zusammenhängen stellten einen starken Kontrast zum globalen und universalistischen Anspruch der internationalen Moderne dar. Scotts Aufsatz analysiert Rudofskys jahrzehntelanges Interesse an dem Thema und führt vor, wie die von der Ausstellung propagierten Konzepte >Improvisation<, >nomadisches Leben<, >organischer Zusammenhang<, >historisch-kultureller Kontext< und >Regionalismus< zu Diskussionsthemen wurden, die weit über diese Debatte hinaus Wirkung zeitigten.
Die Mitherausgeberin von »Anxious Modernisms«, Sarah Williams Goldhagen, liefert einen Beitrag zu Alison und Peter Smithsons »aggressiv-ehrlichem Gebrauch von Alltagsmaterialien« und analysiert deren Projekte in Zusammenhang mit ihren Theorien über die soziale und psychologische Befreiung des Durchschnittsbürgers. Weiters finden sich in »Anxious Modernisms« Reinhold Martins Essay »Computer Architectures: Saarinen`s Patterns, IBM`s Brains«, in welchem die Beziehung der Architektenposition zu korporativer Auftraggeberschaft beleuchtet und dabei Saarinens Rolle als »Komplize« der globalen Wirtschaftsstrategien von IBM herausgestrichen wird. In »Cybernetic Theory and the Architecture of Performance« konzentriert sich Mary Louise Lobsinger auf eines der oft zitierten, aber sehr selten analysierten Projekte der Architektur der sechziger Jahre, nämlich Cedric Prices Fun Palace. Price versuchte in dem Projekt für ein Kulturzentrum in Nord-London, die Grenzen zwischen Konsum, öffentlichem Display und privater Reflexion aufzubrechen. Obwohl nie realisiert, beeinflusste Fun Palace eine ganze Generation jüngerer britischer Architekten von Archigram bis zu Richard Rogers und Norman Foster.
Aufsätze über ATBAT-Afriques Wohnkomplexe in Casablanca, die postrevolutionären Utopien der japanischen Metabolisten oder Paul Rudolphs Art Center am Wellesley College komplettieren die Sammlung. Was die einzelnen Essays verbindet, ist deren methodisch-politische Prämisse und ein daraus resultierendes, nicht minder politisches, historiografisches Argument. Die hier vorgeführte Konzeptualisierung von architektonischer Praxis als Ausdruck weitreichender kultureller, politischer und sozialer Prozesse ermöglicht für den zeitlichen Untersuchungsrahmen eine Konfrontation der traditionellen Heroisierung von Architektur mit den Aspekten Unsicherheit, Offenheit und nicht zuletzt Angst. Eines der Probleme der vor allem anglo-amerikanischen Kanonisierung von moderner Architektur ist deren Definition auf der Basis von Stil, im Rahmen derer der formale Apparat der frühen Moderne als Phänomen der Moderne selbst konzeptualisiert wurde. Der »Mangel an neuen Formen« in der unmittelbaren Nachkriegsarchitektur führte diesbezüglich zur Rede von einem Interregnum und der immer wieder gestellten Frage, ob in den Jahren zwischen 1930 und 1965 lediglich die Grundlagen für die Postmoderne gelegt wurden. Modernismus wird hier aber als dynamischer Apparat verstanden, der ständig mutiert, und die in diesem Reader versammelten und bisher wenig besprochenen Projekte werden zu brisanten Motiven, die vielleicht weitreichendere Konsequenzen hatten als Mies van der Rohes Stahl- und Glasmonumente.