Joan Jonas gehört zu einer Generation von KünstlerInnen, die Ende der sechziger Jahre den Körper als skulpturales Material einsetzten und ihn Choreografien durchlaufen ließen. Gleichermaßen beeinflusst von Land Art und dem Judson Church Theater, entwickelte sie komplexe Interaktionen zwischen PerformerInnen und Publikum, die deren räumliche Trennung auflösten. In der Mehrzahl ihrer Projekte kombinierte Jonas nicht nur Installation und Performance mit Film beziehungsweise Video, sondern arbeitete verschiedene Aspekte in den einzelnen Medien unterschiedlich aus und integrierte sie schließlich in ein gemeinsames Setting. In ihren Performances und Installationen verwendete Jonas Monitore und Projektionsflächen, auf denen vorher gefilmte Szenen abliefen oder gerade vollzogene Handlungen in Echtzeit dem Publikum oder der selbst agierenden Künstlerin zur Selbstkontrolle gezeigt wurden. Umgekehrt organisierten ihre Filme und Videos Bewegungsabläufe und räumlich-zeitliche Konstellationen, die sie in den Installationen und Performances erprobt hatte, neu.
Die Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin, die in Zusammenarbeit mit der Galerie der Stadt Stuttgart entstand, fokussiert diesen Zusammenhang, in dem Jonas' Werk steht. Sie zeigt fünf zentrale Arbeiten aus verschiedenen Werkphasen der Künstlerin, die in unterschiedlicher Weise diese künstlerische Praxis repräsentieren. Die AusstellungsbesucherInnen durchlaufen die Werkchronologie in umgekehrter Reihenfolge. Die Monitorinstallation »My New Theater« von 1997 im ersten Raum ist eine Modellarchitektur, die Miniatur eines Theaterraums, die das Wahrnehmungsschema der perspektivischen Guckkastenbühne als konstruktiven Sehvorgang fasst und auf die Rezeptionssituation des Kinos überträgt. Auf seiner Bühne sind Schrittfolgen zweier Stepptänzer zu sehen: Die Kamera ist auf die Füße der Tänzer gerichtet und alterniert zwischen beiden, um ihre unterschiedlichen Tanztechniken sichtbar werden zu lassen. Die Szenen erinnern an die Frühzeit des Films, als vor allem nicht-narrative Bewegungsstudien einem staunenden Publikum als Sensation vorgeführt wurden. Diese kammerspielartige Installation gestattet den ZuschauerInnen wie in Theater und Kino nur eine Position: Sie sind gezwungen, wie vor einem Kameraobjektiv zu verharren. Eine zweite Monitorinstallation, »Woman in the Well« (1996/2000), und die Installation »The Juniper Tree« (1976), auf die die Dramaturgie der Ausstellung zunächst hinführt, richten den Fokus auf den narrativen Kontext von Mythen und Märchen verschiedener Völker, in den Joan Jonas ihre Arbeiten zunehmend stellte. Im Zentrum ihrer Narrationen stehen stets mythische Frauenfiguren. Dabei vertauschte die Künstlerin mehr und mehr die Rolle der Performerin mit der der Regisseurin.
Schließlich gelangt man in einen abgedunkelten Raum, in dem Jonas' 18-minütiger Film »Song Delay« von 1973 gezeigt wird. Erst dieser Film, der auf die 1972 aufgeführte Performance »Delay, Delay« zurückgeht, entfaltet das ganze Repertoire ihrer künstlerischen Strategien. Jonas arbeitete in dieser Performance wie bereits in »Jones Beach Piece« von 1970 mit dem räumlichen Abstand zwischen PerformerInnen und Publikum und deren Wahrnehmung weit entfernter Aktionen und Töne. In »Delay, Delay« konnten die ZuschauerInnen die Aktionen vom Dach eines Hauses aus beobachten: Die PerformerInnen bewegten sich in geometrischen Formationen, Kreisen und Diagonalen, die ihnen flächig erschienen, und erzeugten mit Holzklötzen rhythmische Geräusche, die sie wiederum nur zeitlich verzögert und interferierend hören konnten. Dieses performativ erprobte Modell der zeitlichen Verzögerung und des flächigen Sehens weit entfernter räumlicher Gebilde übertrug Jonas auf das Medium Film. Hier trat besonders die Asynchronizität von Ton und Bild sowie die repetitive Struktur der Aktionen in den Vordergrund, die durch filmische Montage erzielt wurden.
Am Ende der Ausstellung steht der Nachbau von Jonas' Set für »Organic Honey's Visual Telepathy« und »Organic Honey's Vertical Roll«. In dieser komplexen Installation sind die Kostüme, Masken und Requisiten, die sie für ihre Inszenierung dieser Rolle einer weiblichen Verführerin verwendete, aber auch alle »Gerätschaften« wie Spiegel, Kamera und Monitore versammelt, mit denen Jonas den performativen Raum durchdrang und kontrollierte. In Performance und Video erreichte Jonas durch parallele Aktionszentren, die durch Projektionsflächen, Wände, Spiegel und Monitore definiert waren, eine Dislozierung der räumlichen und zeitlichen Wahrnehmung, die selbst in der statischen räumlichen Nachbildung nichts von ihrer Faszination verloren hat.