Heft 3/2001 - Artscribe


Dierk Schmidt: Ich weiß was ... was du nicht weißt

23. Juni 2001 bis 3. September 2001
objectif [...] / Antwerpen

Text: Raimar Stange


Mit dem Schlagwort »Politainment« versucht man derzeit ein Phänomen zu beschreiben1, das sich vor allem durch eines auszeichnet: die mediengerechte Verhandlung von Politik als Entertainment. Einschaltquote und Auflagenhöhe geben dabei den Ton an, genauso wie Personalisierung, Dramatisierung und Visibilität. Mit diversen Polit-Krimis und -Talkshows feiert das Politainment derzeit überaus profitable Erfolge. Im deutschen Fernsehen hat Sabine Christiansen mit ihrer Sendung letzteres Genre fest etabliert und, wie Kritiker befürchten, dafür gesorgt, dass PolitikerInnen die besten Argumente bei ihr und nicht mehr im Bundestag den zu Regierenden offenbaren. Dierk Schmidt hat mit seiner Installation »Ich weiß was … was du nicht weißt … when opinion becomes an occasion for calculation« eben diese Sendung als Ausgangspunkt für eine ästhetische Untersuchung der Komplizenschaft von Malerei und Fotografie mit besagter Personalisierung und Visibilität genommen, gleichzeitig aber die differenzierteren Qualitäten schriftlicher Argumentation ins Spiel gebracht.

Die Installation stellt mit den für Dierk Schmidt typischen ästhetischen Mitteln eine fiktive Sendung von Sabine Christiansen nach, eine Sendung, die zum »Thema der Woche« Edwin Blacks Buch »IBM und der Holocaust« und dessen Folgen auf die aktuelle Entschädigungsdebatte hat. In dem Buch zeigt Black, dass der Holocaust ohne die von IBM an die Nazis gelieferte Computertechnik so nicht möglich gewesen wäre. Schmidt hat zunächst auf kleineren Formaten eine Bilderfolge in den Ausstellungsraum gehängt, die, dem thematischen Trailer der Sendung vergleichbar, einführt in die Problematik: eine der frühen IBM-Computerkarten ist beispielweise zu sehen, oder eine »typische« Zwangsarbeitersituation. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen dann zwei großformatige PVC-Folien, auf denen Schmidt mit Ölfarbe fast schon fotorealistisch die typische Gesprächssituation der Talk-Show vorstellt. Da sitzt im Zentrum die Moderatorin, um sie herum die Gäste wie Otto Graf Lambsdorff, der Regierungsbeauftragte für die Zwangsentschädigung, und Volker Beck, der Rechtsexperte von den Bündnis/Grünen. Black selbst ist über Monitor aus den USA zugeschaltet. In der linken unteren Ecke des zweiten Bildes zerplatzt spannungsvoll ein grüner Farbbeutel, der aus den Zuschauerreihen auf das Podium geworfen wurde. Gleich gegenüber schließlich hängen quer über die Ecke gespannt zwei bemalte Spiegelfolien, die Einblick in einen TV-Schnittplatz geben, zudem spiegeln sich Momente der Talk-Situation in den Fenstern des Studios. Beinahe nebenbei zitiert Schmidt zudem im Bildaufbau Elemente von Edouard Manets (Spiegel)Bild »Bar in den Folies-Bergere« aus dem Jahr 1892.

Was leisten diese bildlichen Repräsentationen? Bleiben sie nicht gefangen im »alles ist so schön bunt hier« (Nina Hagen) der alltäglichen Medienästhetik? Und ist nicht längst das einst so ideologiekritische Aufdecken der Produktionsbedingungen ein gefragter und geschickt inszenierter Bestandteil – Stichwort: »making of« – der Unterhaltungsindustrie? Schmidt dreht den Spieß jedoch geschickt um: Die Lautlosigkeit der von ihm abgebildeten Talkshow nämlich initiiert eine Wahrnehmungslücke, die nach Deckung schreit. Und eben diese leistet die Installation mit ausgelegten Papieren, auf denen der Diskussionsverlauf auszugsweise nachzulesen ist. Thesen aus Blacks Buch sind ebenso zu finden wie Originalzitate aus besagter Entschädigungsdebatte. So versucht Dierk Schmidt nicht nur, Text und Bild im Gleichgewicht zu halten, sondern die mediale Situation des Politainment wird außerdem in der Konfrontation unterschiedlicher, sich auch historisch rückversichernder Zeichensysteme gebrochen. Und im selben Moment werden die Spannungsmomente der Talkshow genutzt als Köder für die gute alte Aufklärung.

 

 

1 Vgl. etwa Andreas Dörner: Politainment – Aufklärung durch Unterhaltung.
Frankfurt a. M. 2001