Heft 3/2001 - Global Players
Fade-In Intro: Die kulturelle Auflösung
Damit kulturelle Produktion mehr als reines Symptom, Artefakt oder eingeschränktes Werkzeug (agent) sein kann, muss sie ein Aktionsfeld haben. Andernfalls würden ihre Vorstellungskraft und ihr Spekulationsmoment losgelöst und ohne Bezug zur Welt zirkulieren. Allerdings wird durch die Generalisierung von Kultur innerhalb der Theorie des Globalismus der Kulturbegriff so dehnbar, dass er andere Kategorien überschattet. Kultur dient nicht nur dazu, andere soziale und wirtschaftliche Beziehungen zu verschleiern, sondern kann dann selbst nur innerhalb der abgegrenzten Logik eines kulturellen Felds agieren ohne Auswirkung auf das Soziale.
Als ob alleine das Ausmaß des Globalismus bereits einen totalisierenden Zugang erforderlich machen würde, um seine Reichweite erfassen zu können, wird der Globalismus als eine Menge von Auswirkungen betrachtet, die gleichmäßig über die Welt verteilt sind. Wie aber Peter Hitchcock bemerkt, »sind alle unsere Ursachen heute Wirkungen« (1996, S. 71). Dieses Vertauschen von Ursache und Wirkung hat Kultur als die »Ursache« positioniert, die innerhalb des globalen Zeitalters oder der gegenwärtigen Ausformung des Globalismus andere aufhebt. Wie aber hat sich dieser Wandel vollzogen – ein Wandel vom ursprünglichen Verständnis der Kultur als Wirkung zum jetzigen der Kultur als Ursache? Wie konnte der Prozess der Kulturalisierung sowohl im theoretischen wie im populären Diskurs Fuß fassen? Wodurch werden vormals soziale, ökonomische und politische »Ursachen« plötzlich als kulturelle Auswirkungen verstanden? Und kann das Kulturelle als ein Wirkungsbereich innerhalb des Sozialen von der Kulturalisierung zurückgefordert werden?
Die Ursachen für die Kulturalisierung oder die diskursiven Formationen, die es der Kulturalisierung ermöglichten, sich in den populären Medien einen Platz zu verschaffen, sind offensichtlich in einige theoretische Formulierungen eingebunden. Aber nicht nur das Favorisieren von Kultur als Schlüssel zum Verständnis der Welt treibt die Kulturalisierung voran, sondern auch eine Erweiterung des Begriffs Kultur und ihre Verschmelzung mit dem Ökonomischen. Diese Entwicklungen sind aber kein Diskurs, der Kultur aus einer autonomen Position zurück in eine komplexere Beziehung mit dem Sozialen und dem Ökonomischen holen, eine Aufhebung der Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur ermöglichen und dann Kultur irgendwie demokratisieren würde, indem sie in den menschlichen Alltag integriert wird. Es ist kein Diskurs, der sich zwischen Basis und Überbau, durch Moderne und Postmoderne bewegen würde. Stattdessen gibt es eine entgegensetzte Tendenz der Disartikulation oder Separation des Kulturellen vom Sozialen, was dazu führt, dass Kultur das Soziale absorbiert, um gleichzeitig mit dem Ökonomischen zu verschmelzen.
Eine wichtige Person in diesem Wandel ist Fredric Jameson, der während der letzten zehn Jah-
re die These vertrat, dass »das Kulturell-Werden der Wirtschaft und das Wirtschaftlich-Werden des Kulturellen häufig als eines der charakteristischen Merkmale der landläufigen Idee von Postmodernität identifiziert wurde« (2000, S. 60). Gayatri Spivak und andere TheoretikerInnen »nicht-dominanter« Kulturen sind allerdings anderer Meinung. Für Spivak ist »die Neukodierung eines durch das Kapital bestimmten Wandels als kulturellen Wandel ein beunruhigendes Symptom der Cultural Studies, im besonderen der feministischen Cultural Studies. Alles wird ?kulturell? gemacht.« (2000, S. 412) Der Unterschied, so betont Spivak, liegt auf dem Verb »gemacht«, anders als bei Jameson, wo alles zu Kultur »wird«. Für Spivak ist es ein Symptom von Jamesons Methodologie, dass alles zu Kultur »gemacht« worden ist, anstatt es als soziales Faktum in die Analyse einfließen zu lassen. Sogar in Jamesons jüngster Arbeit bleibt es unklar, ob die »Ent-Differenzierung« des Kulturellen, Ökonomischen, Sozialen und Politischen eine Analyse der Struktur von Globalisierung ist oder eine Projektion, die Kultur konsequent sowohl als Vorreiter als auch als Symptom sieht. Allerdings zeigen die wiederholten Anfechtungen der USA von existierenden internationalen Handelsgesetzen, die innerhalb der NAFTA eine ziemlich klare Trennlinie zwischen Kultur und rein wirtschaftlichem Handel beibehalten, dass der Prozess des »Wirtschaftlich-Werdens des Kulturellen« noch
im Gange ist.
Diese Veränderlichkeit von Kategorien und Effekten signalisiert sowohl ein Oszillieren und Überlappen von Begriffen als auch eine Bewegung der Absorption und Disartikulation. Die gegenläufige Bewegung in der Beziehung zwischen dem Kulturellen, ökonomischen und Sozialen, die ich hier umreiße, setzt sich aus drei Teilen zusammen:
1) einem Wirtschaftlich-Werden des Kulturellen;
2) einem Kulturell-Werden des Wirtschaftlichen;
3) einem Kulturell-Werden des Sozialen. Und es besteht die Möglichkeit – wenn auch minder geachtet und vernachlässigt – einer vierten reziproken Bewegung; das Sozial-Werden des Kulturellen. In den Prozessen der Artikulation und Disartikulation kann dieser Wandel des Sozial-Werdens des Kulturellen auch als eine Neuschaffung des Kulturellen als das Soziale verstanden werden.
Diese ersten drei Bewegungen führen zum eingeschränkten Status, die dem Kulturellen im Zuge der Globalisierung zugesprochen wird, während die vierte potenzielle Bewegung der Kultur eine klare Rolle innerhalb des Globalisierungsprozesses eröffnet. Und dieser Prozess der Disartikulation und anschließenden Absorption schafft eine derart erweiterte Kategorie von Kultur, dass sie sich über das Soziale hinwegsetzt und soziale Beziehungen als kulturelle Auswirkungen gelesen werden. Alle Ursachen werden zu kulturellen Ursachen.
Wo und wie findet also Kulturalisierung statt? Neil Smith ortet Kulturalisierung sehr umfassend, aber doch präzise als einen Mechanismus, der einerseits bedingt wird, andererseits eine Ursache ist von »spezifischen Globalisierungsstrategien, die bei sozialen Konflikten vorzufinden waren, welche aus kolonialer und postkolonialer Verwaltung hervorgingen« (1997, S.182). Als Mechanismus der Globalisierung verbarg die Kulturalisierung Smith zufolge die Ursachen der »sogenannten Stammsfehden« während des Genozids in Ruanda. Trotz der Warnungen vor möglichen Folgen brachte die Kulturalisierung – als eine Ideologie – die Weltbank dazu, Projekte in Ruanda zu finanzieren, die zu Bedingungen und Gegensätzen führten, welche letztendlich den Genozid auslösten.
Auf ähnliche Weise verschleiert die Kulturalisierung durch das Vertauschen von Ursache und Wirkung den Ort des »kulturellen Widerstands« oder des »culture jamming«. Naomi Kleins »No Logo«, eine populärwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Globalisierung, das gleichzeitig in der Bestenliste des »Rolling Stone« empfohlen wurde und Gewinner des Canadian Business Book Award war, ist ein Beispiel dieser Vertauschung, indem es behauptet, dass der Anstieg des Werbebudgets für Konsumgüter und die Betonung von »Cultural Branding« die Ursache der Ausbeutung der Arbeitskraft seien. Indem sie dem Marketing einen größeren Stellenwert als der strukturellen Geschichte der Globalisierung einräumt, präsentiert Klein die Globalisierung als ein neues Phänomen, welches von amerikanischen Marketing-Techniken unterstützt wird und eine amerikanisierte kulturelle Homogenität vorantreibt, die als »Vielfalt« getarnt ist. Diese Betonung des Brandings als Motor des aufkommenden Globalismus schafft den Eindruck, dass Nike die Ursache dessen ist, was Spivak die »Feminisierung der Über-Ausbeutung« nennt. Anstatt es als ein strukturelles Element des gegenwärtigen Kapitalismus zu verstehen, das durch die ungleiche historische Entwicklung der Globalisierung beschleunigt wurde, verweist Klein auf eine Wirkung – Werbung – und bezeichnet diese als Ursache.
In einem ziemlich erstaunlichen Tausch, bei dem Politisches für Kulturelles gehandelt wird, preist eine »New York Times«-Rezension die Ausstellung »Jaqueline Kennedy: The White House Years« diese Präsentation von Jackie O.s Garderobe (mit dazugehörigen Fotos und Zeitungsausschnitten) als »eine erstklassige Show politischer Kunst, vielleicht das beeindruckendste Beispiel dieses Genres seit das Metropolitan Museum 1968 die Ausstellung >Harlem on My Mind< zeigte.«
Das Gipfeltreffen in Wien 1961 zwischen Chruschtschow und JFK wäre vielleicht nicht so ein Flop gewesen, so spekuliert der Autor, wenn sich Jackie mit Chruschtschow über Mode unterhalten hätte. Ein paar Modetipps und man kann sich vorstellen, dass der Kalte Krieg zu einem Ende gebracht worden wäre. Die politischen Aspekte der amerikanischen Kulturpolitik während des Kalten Krieges zu untersuchen und die »First Lady« als Teil des »Arsenals« zu betrachten, ist eine Artikulation von Kultur und Ideologie, aber diese Artikulation neigt auch zu einem übertriebenen Ansatz der Cultural Studies, der Ideologie kulturell liest, statt Kultur ideologisch zu lesen. Die Behauptung, dass die kulturellen und klassenspezifischen Signifikanten von Jackies Garderobe die effektivste Darstellung politischer Kunst der letzten drei Jahrzehnte darstellen könnten, lässt die Kategorie des Kulturellen diffus werden. Noch problematischer ist es, dass einer politisierten kulturellen Produktion, die einen oppositionellen Standpunkt gegenüber der amerikanischen Außenpolitik einnimmt, ein geringer Wert und wenig Wirksamkeit zugesprochen wird; in diesem Sinn kann die Jackie-Show für eine politisierte Kunstpraxis stehen.
Offensichtlich sind diese Beispiele von Effekten innerhalb der Konsumkultur und des nationalen Stils auch Ursachen anderer Wirkungen – Ursachen und Wirkungen sind also nicht streng voneinander getrennt –, aber es gibt einen gewissen neo-liberalen Triumph im Diskurs über die Fähigkeit der Globalisierung, einerseits ihre Auswirkungen überall simultan zu orten, anderseits selbst sowohl undurchsichtig als auch natürlich zu wirken.
Die Entstehung einer globalen Kultur
Wenn ich sage, dass alle Ursachen kulturelle Ursachen »geworden« sind, dann verweise ich damit auf einen Prozess innerhalb der Theoretisierung von Kultur. Die Globalisierung provoziert folglich eine Krise in der Methodologie des Lesens von Kultur. Es ist im Speziellen das eingeschränkte Rollenmodell der Kultur in der Globalismustheorie, welche sich erstere für eine expansive Inbesitznahme offen lässt, die wiederum das Soziale gleichzeitig verdunkelt und absorbiert. Dieses geschwächte Konzept der Kultur, wie die Gerichtshöfe für internationalen Handel auch, ist unfähig, auf ihre eigene Positionierung zu reagieren.
Während das Lokale, das Nationale und das Globale häufig miteinander verknüpft werden, um so eine erweiterte Bahn der Verbreitung von Kultur zu formen, ist dieser Prozess jedoch auch in der Lage, die Illusion eines nahtlosen Weltsystems zu erschaffen, in dem die Kultur – zusammen mit dem Kapital sowie ethnisierten und verdinglichten Körpern – durch durchlässige Grenzen fließt und dabei Bedeutungen verliert und wiedererlangt, und zwar durch die erneute »Produktion« lokal handelnder Konsumenten. Innerhalb dieses Modells von Globalismus als Fluss und Bewegung sieht man nationale und lokale Kulturen entweder als bedroht oder bereits vollständig von einer homogenisierenden Globalkultur vereinnahmt, welche von transnationalen Unternehmen definiert und verwaltet wird (daher auch Positionen wie die von Jameson und Ausdrücke wie »Disneyfizierung« und »Amerikanisierung«). Der Kultur wird eine eher trostlose Rolle in dieser Erzählung (mit ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu Sci-Fi-Filmen) zugesprochen; sie erscheint entweder als kultureller Agent der wirtschaftlichen Mission des Globalismus oder aber als etwas, das den universalisierenden Kräften des expandierenden Weltkapitalismussystems durch die Verteidigung von speziellen nationalen und lokalen Kulturen entgegensteht. Die Kultur fügt sich oder sie übt Widerstand. In diesem Fall wird die marxistische Reflexionstheorie der Kultur um eine Deflexionsfunktion erweitert. Reflexion oder Deflexion ergibt sich als mögliches Modell.
Deshalb verkörpert John Tomlinsons Aphorismus »Globalisierung ist zentral für moderne Kultur; kulturelle Praktiken sind zentral für die Globalisierung« (1999, S. 1) eine allgemeine Position in Bezug auf die Rolle der Kultur im Globalismus: entweder als Nomen (Kultur) oder als Adjektiv (kulturell). Während die Kultur früher vielleicht als ein verstrickter und interaktiver Prozess innerhalb eines sozialen Ganzen verstanden wurde, oder umgekehrt in einem gewissen Maße als unabhängig vom Sozialen, wird sie heute als strukturelles Merkmal des Globalismus »synchronisiert« und überwiegend durch die Interpenetration des Wirtschaftlichen in das Kulturelle definiert. Die Kultur wird in den wirtschaftlichen Kampf der Expansionspolitik und des Universalismus (Globalkultur, Verdinglichung, Marktexpansion) gegen Partikularismus und Grenzerhaltung (lokaler Gebrauch der Globalkultur, Erhaltung der lokalen Kulturen, Verteidigung der Identität) hineingezogen. In dieser »skalaren Dynamik« zwischen dem Globalen und dem Lokalen (mit dem Nationalstaat als einem ambivalenten Vermittlungsraum) isoliert Arjun Appadurai in seinem Buch »Modernity at Large« eine bestimmende Spannung, die heute bereits als Slogan widerhallt: »Die zentrale Spannung der heutigen globalen Interaktionen ist die Spannung zwischen kultureller Homogenisierung und kultureller Heterogenität« (1996, S. 32). Doch wenn die Kultur im Zentrum des Prozesses und der Spannung der Globalisierung steht – oder wenn sie das »ideologische Schlachtfeld des modernen Welt-Systems ist«, wie Immanuel Wallerstein vorschlägt –, dann muss sie auch als interaktiv und wesentlich für die Globalisierung verstanden werden, und nicht nur als ein Vehikel (gewollt oder ungewollt) oder als Kampfzone, in der die Globalisierung ausgetragen wird. Das heißt, dass es eine Sozialwerdung des Kulturellen geben muss.
Der langsame Wandel der Kultur
Wenn es so etwas wie eine Verschiebung oder einen Austausch zwischen Begriffen – des Kulturellen, des Wirtschaftlichen und des Sozialen – gibt, wie haben sich dann ihre Bedeutungen verändert? An dieser Stelle möchte ich kurz den Begriff Kultur klären, indem ich seinem Wandel folge. Kultur hat sich als ein notorisch ungreifbares Konzept herausgestellt, insbesondere seitdem sie multiple Bedeutungen trägt, die über die Jahre verschieden eingesetzt wurden. Ein zentraler Punkt in Raymond Williams’ Definition von Kultur ist, dass sie in der Tat ein historisch bedingter und sich verändernder Ausdruck ist. Williams verfolgt den Kulturbegriff »von gleichbedeutend mit >Zivilisation< (mit ihren hochkulturellen Konnotationen)« und einer »allgemeinen Klassifikation >der Künste<, Religion, sowie der Institutionen und Praktiken der Bedeutungen und Werte«, hin zu »einer Metaphysik der Subjektivität und einem Vorstellungsprozess« und schließlich zu einem eher »sozialen Konzept« (1977, S. 14-16). Williams’ bekannte Aussage lautet: »Also würde ich die Theorie der Kultur als eine Untersuchung der Beziehungen zwischen Elementen eines ?whole way of life? definieren« (1961, S. 46). Dieser »whole way of life« ist nicht bloß eine Anordnung oder Summe von Aktivitäten oder Beziehungen, sondern er wird eher als »tatsächliche Erfahrung, durch welche diese gelebt werden« definiert. Um die Vorstellung von Kultur als einem Ideal zu widerlegen, wird Kultur aktiver dadurch definiert, dass sie eine Rolle in der Konstruktion der Gesellschaft als einem Ganzen spielt und nicht einer ökonomischen Basis als spiegelnde überbauliche Kapazität entgegengesetzt wird.
Die Betonung der Kultur als eine Form der Praxis, die mit anderen sozialen Praktiken verwoben ist, verschleiert nicht die Unterscheidung zwischen dem Kulturellen und dem Sozialen, da die Kultur (als Praxis) eher auf das Soziale wirkt anstatt nur von ihm bestimmt zu sein. Durch einen feinen Kontrast, der jedoch eine spezifisch anthropologische Bedeutung von Kultur beschwört, bewegt sich Appadurai vom Nomen Kultur zum adjektivischen »kulturell«. Appadu-
rai gibt »kulturell« den Vorzug, da »das Adjektiv einen in den Bereich des Kontrasts, der Unterschiede und Vergleiche führt« (1996, S. 12), »Kultur« hingegen eher als ein Ding oder als eine Substanz verstanden wird. »Indem man die Dimensionalität (und nicht die Substantialität)der Kultur betont«, schreibt er, »ermöglicht es, über Kultur weniger als Eigentum von Individuen und Gruppen zu denken, sondern eher als heuristisches Werkzeug, das wir benützen können, um über Unterschiede zu reden.« (S. 12-13) Mit dieser Unterscheidung von Kultur und Kulturellen versucht Appadurai das Verhältnis zwischen Kultur und Ethnizität dahingehend zu komplizieren, dass Ethnizität nicht »ursprünglich« und von einem »unidirektionalen Pro- zess« abhängig, sondern eher instrumentell ist; Ethnizität (sowie Williams’ »way of life«) geriert sich aus einer Zusammensetzung kleiner Praktiken.
Was steht mit diesen Definitionen von Kultur auf dem Spiel? Williams weist zwei dominante Bedeutungen der Kultur zurück, um sie mit dem Sozialen anzureichern und um aus der Kultur eine Form der Praxis zu machen. Appadurai sieht die Kultur (und das Kulturelle) als einen Prozess, der »die Grenze des Unterschieds artikulieren« kann, und setzt sich gegen eine Verwendung von Kultur als fertiges Produkt ein, das auf einer nationalen Ebene allgemein als »gemeinsames Gut« angesehen wird. Folglich entfernt sich in Appadurais Arbeit die Kultur und das Kulturelle vom Sozialen; vereinfacht ausgedrückt neigt das Kulturelle zur bloßen Arbeit an der Kultur, es markiert die Grenzen jener Unterschiede, die dazu verwendet werden können, die Identität einer Gruppe zu artikulieren. Was an Appadurais Arbeit merkwürdig unklar anmutet, ist die Bezeichnung der Kultur als eine Form von Praxis, die auf das Soziale einwirkt. Ich sage deshalb merkwürdig, da Appadurai ein sehr flexibles und fließendes Modell der Kultur, basierend auf globalen Strömungen, konstruiert; doch so flüssig, »unregelmäßig« und komplex diese Strömungen auch sein mögen, so bleiben die sechs globalen »Profile« (-scapes), die er definiert, dennoch kulturell und relativ unabhängig voneinander. Ohne die »Differenz« und die Anwendung von Differenzen vom Sozialen loszulösen oder sie zur Abschreckung gegen soziale Zusammenschlüsse einzusetzen, beinhaltet Appadurais Formulierung die Möglichkeit, dass Kultur nicht auf das Soziale reagiert, sondern eine differenzierendere Rolle innerhalb und zwischen den Kulturen annimmt. In diesem Sinn kann sie als eine Form von Multikulturalismus fungieren.
Appadurais Position riskiert damit – um hier einen weiteren Blickwinkel auf das Verhältnis zwischen Differenz, dem Kulturellen und dem Sozialen einzubringen –, selbst als ein Symptom des Kulturalismus ausgelegt zu werden. Für Slavoj Zizek ist die Betonung der Differenz ein Resultat der Einschränkung der sozialen Imagination innerhalb der Globalisierung: »Tatsächlich ist es so – da der Horizont der sozialen Imagination es uns nicht länger erlaubt, an ein etwaiges Ende des Kapitalismus zu glauben –, als ob die kritische Energie eine Alternative gefunden hätte, mit der sie für kulturelle Unterschiede kämpfen kann, die die grundsätzliche Homogenität des kapitalistischen Weltsystems unangetastet lässt.« (1997, S. 48) Obwohl Zizeks Position einer Vereinnahmung des Primats der Arbeiterklasse durch die Mikropolitik eines nicht ortsgebundenen Multikulturalismus selbst ein Symptom des Globalismus sein könnte, ist sein eigentlicher Punkt, nämlich der, dass der »kulturelle« Unterschied das Wirtschaftliche und das Soziale überholen kann, hervorstechend und signalisiert die Expansion der Kategorie Kultur und ihre Disartikulation vom Sozialen, gemeinsam mit ihrer Absorption des Sozialen in Form eines Feldes. Judith Butler widerspricht dem, indem sie vorschlägt, dass »kulturelle Unterschiede« niemals »bloß kulturell« sind. Butler stellt die Frage, warum neue soziale Bewegungen als »bloß kulturell« abgewertet werden. Hinter ihrer und Spivaks Fragestellung liegt die Annahme, dass etwas, das über das Kulturelle (in diesem Fall das Soziale, Politische und Wirtschaftliche) hinausgeht, kulturell »gemacht« wird.
Die Gegenbewegung der kulturellen Produktion
Eine Theorie der Globalisierung kann durch Williams’ anfängliche Verschmelzung von Kultur und sozialen Praktiken bestärkt werden, und zwar indem man sich die Kultur als eine Form der Praxis vorstellt, die nicht auf das kulturelle Feld beschränkt ist. Das heißt, dass es Möglichkeiten geben muss, sich eine Gegenposition des Kulturellen vorzustellen – eine, die gegen die Kulturalisierung arbei-
tet und die Artikulationen des Sozialen, des Wirtschaftlichen, des Kulturellen und des Politischen sichtbar macht. Gleichzeitig müssen wir Acht geben, dass wir nicht potenzielle Rollen des Kulturellen durch eine Methodologie abblocken, die nur die wirtschaftlichen Determinanten einer symptomatischen Kultur lesen kann, oder Kultur bis zu dem Punkt erweitern, wo sie merkwürdigerweise das Soziale durch seine Absorption disartikuliert. Das heißt, dass wir das Kulturelle nicht einfach nur wirtschaftlich machen dürfen, genauso wenig wie wir es nicht als ein ganz und gar autonomes Feld der Produktion mit immanenten Regeln und Gesetzen ansehen dürfen.
Die Globalisierung ist in dieser Hinsicht ein besonders vages Ziel. Die Globalisierung sagt nicht, um Althusser zu paraphrasieren, »ich bin ideologisch«, sondern eher, »ich bin neutral, unvermeidlich«. Diese Ideologie führt selbstverständlich dazu, dass Ideologie als etwas Natürliches angesehen wird und Widerstand zwecklos erscheint (get with the game). Wenn die Ideologie der Globalisierung den Globalismus als die einzig mögliche Form, in der die Welt existieren kann, naturalisiert, bleiben die Widerstände auf lokaler Ebene ortsgebunden, oder sie werden als die endlose »Produktion des Lokalen«, nicht aber der gesamten Welt absorbiert. Dieses Modell des Widerstands sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob die Produktion und Reproduktion des Lokalen noch eine Vorstellung der Welt zulässt.
Die Verschmelzung des Globalen mit dem Lokalen in eine gegenseitig konstitutive Beziehung hat vom Managementdiskurs bis hin zur Kulturdebatte zu einer Übernahme des Sackgassen-Slogans »das Glokale« geführt. In dieser Zusammensetzung fällt der Nationalstaat weg – trotz seiner Rolle als Motor des Globalismus und als vorherrschender Rahmen des Kulturellen (im besonderen auch bei Kunstausstellungen) – und wird als designierter Ort des kulturellen und wirtschaftlichen Widerstands durch das Lokale ersetzt. Was passiert jedoch, wenn sich auch das Lokale als eine dumme, repressive Struktur erweist? Was ist, wenn, um es mit den Worten des kanadischen Poeten Kevin Davies zu sagen, »Heimatstädte reformistische Idioten sind«? Kann es bei der Vertauschung des Nationalen und des Lokalen, um Wallersteins Bezeichnung der Nationen zu verwenden, weder »Orte der Dominanz« noch »Orte der Befreiung« geben?
Die skulpturalen Arbeiten des aus Vancouver stammenden Künstlers Brian Jungen mit dem Titel »Prototype for New Understanding« gehen von der Kritik der Lokalität als Ort der Authentizität aus. Dadurch behaupten sie sich im Globalen, um sich auf die Auseinandersetzung mit dem Raum-Zeit-Gefüge und dessen Repräsentation einzulassen.
Die Prototypen sind in ihre Bestandteile zerlegte Nike Air Jordans (ein Modell aus den späten Neunzigern). Aus diesen Prototypen werden anschließend zeremonielle Masken gefertigt, die denen der klassischen Nordwestküstenindianer (oder First Nations, wie sie heute häufiger genannt werden) auf bemerkenswerte Weise gleichen. Dennoch, so zeigt der Kurator Reid Shier auf, ist der formale und materielle Bruch von »globalen« Schuhen hin zu »lokalen« Masken nicht so groß wie er auf den ersten Blick erscheinen mag; die abgestufte Kurve des markenrechtlich geschützten Nike-Logos (swoosh) und das weiß-schwarz-rote Farbschema entsprechen den existierenden Semiotiken der Nordwestküsten-Kunst. Eigentlich beziehen sich die von Jungen redesignten Nike-Masken auf die historischen, figurativen Masken, mit denen man aus anthropologischen Lehrbüchern und aus Ausstellungen in anthropologischen Museen vertraut ist: Killerwal, Rabe, D’sonoqua (Kannibalin) und Frosch.
Jungens Prototypen verwandeln dieses, mit einem hohen Wiedererkennungswert ausgestattete, globale Produkt (und Symbol der konsumorientierten kulturellen Logik der Globalisierung) in »postmoderne« indianische Nordwestküsten-Kunst, wie sie üblicherweise eher in einer Galerie (da gegenwärtig und urban) als in einem Museum zu sehen ist. Dies stellt das Bild der Anthropologie grundsätzlich in Frage, welches auf andere Diskurse übergegriffen hat und das in der Vergangenheit die Kultur der First Nations als eine Kultur ansah, die ihren Höhepunkt vor dem Zusammentreffen mit der westlichen Zivilisation (»precontact«) oder kurz danach hatte. In Jungens Zusammenstellung wird das Raum-Zeit-Management des Globalismus durch seine eigenen komplexen Zusammenhänge kurzgeschlossen. Das Globale – dargestellt als die dominante und unausweichliche Form der Zukunft – wird in das Lokale eingebracht, jedoch nur in ein Lokales, das man sich als das Vergangene vorstellt, von der Modernisierung übergangen und Teil einer nicht konsumorientierten »Geschenk«-Ökonomie. Von der anderen Seite betrachtet wird die Kultur der First Nations geradewegs in den homogenisierenden globalen Fluss von Nike lanciert, aus einer begrenzten Authentizität heraus, die ihre räumlichen Forderungen beschränkt, indem sie mit dem Lokalen verschmilzt und ihre gegenwärtigen dialogischen und dialektischen kulturellen und sozialen Einflüsse durch einen Verweis auf die Vergangenheit leugnet. Dies ist weniger eine Widerstandstaktik auf der Suche nach einem Weg aus der Globalismusideologie oder eine Konkretisierung des Lokalen, sondern eher eine starke Strategie, welche die Kultur der First Nations auf einer symbolischen Ebene in den Globalismus einfügt, um die räumlichen Beziehungen innerhalb des Globalisierungsdiskurses neu zu artikulieren.
Indem sie das Globale und Lokale als zeitlich und räumlich konstruiert betrachten, zielen die »Prototypes for New Understanding« durch die verschiedenen Formen der Arbeit, wie sie ent-
und rematerialisiert in den Skulpturen aufscheint, auf das, was David Harvey die »versteckte Räumlichkeit« in der Geografie des Kapitalismus bezeichnet. Auf Armaturen und in Glasvitrinen ausgestellt, enthüllen die Prototypen Jungens dekonstruktivistische Arbeit (die abgeschnittenen Säume, die Klebestellen) gemeinsam mit dem Schaf-
fen der Arbeiter, die ursprünglich die Air Jordans in der südkoreanischen Nike-Fabrik herstellten. Durch die Transformation der Air Jordans in ein Kulturgut, das sowohl die Arbeit als auch die versteck-
ten globalen räumlichen Beziehungen der Schuhe anerkennt, wird der existente Warenfetischismus dieser Nike-Schuhe verdeutlicht. Hier verschmilzt das Kulturelle nicht hilflos mit dem Wirtschaftlichen, wie es gewöhnlich in den Globalisierungstheorien geschieht, sondern das Kulturelle bietet der Ideologie des Ökonomischen Paroli.
Die »Prototypes for New Understanding«
sind bemerkenswert in ihrem Widerstand gegen die Absorption durch den liberalen Diskurs und gegen den Prozess der Kulturalisierung. Diese schönen und eigenartig überzeugenden Skulpturen können nicht bloß als die Arbeit eines globalen kulturellen Dialoges oder einer hybriden Subjektivität »verstanden« werden. Ebenso wenig präsentieren sie Kultur jenseits der politischen Ökonomie und globaler sozialer Beziehungen. Auf er-
staunliche Weise erlauben diese Masken Spekulationen über die Beziehungen zwischen dem Globalen und dem Lokalen im Sinne von Prototypen eines neuen (räumlichen und zeitlichen) Verstehens: Einerseits verweigern sie die räumlichen und zeitlichen Beziehungen des Globalismus, andererseits die kulturelle Bestimmung der Kultur der First Nations als etwas Vergangenes. Zu einem Zeitpunkt, an dem First Nation-Gruppen am Obersten Gerichtshof Kanadas über die Selbstverwaltung großer Teile Britisch Kolumbiens verhandeln – was einer massiven räumlichen, historischen und politischen Neuordnung gleich käme –, sind diese Prototypen exemplarisch für eine soziale und politische Wendung von Kultur hin zu dem, was Edward Soja »räumliche Gerechtigkeit« nennt.
Übersetzt von Beatrix Kaiser-Gnan, Brandon Walder
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