Über 30 Jahre lang traf sich jeden Sonntag während der Sommermonate eine Gruppe von lateinamerikanischen ImmigrantInnen im New Yorker Central Park, um ihre Musik, den Rumba, zu spielen. Doch vor drei Jahren war plötzlich Schluss: Mit unterschiedlichen Begründungen versuchte die Polizei, die Treffen aufzulösen. Einmal schob sie Reklamationen von ParkanwohnerInnen vor. Ein anderes Mal wurde ein Gesetzesartikel aus der Zeit der Prohibition zitiert, demzufolge Versammlungen von mehr als zwanzig Personen bewilligungspflichtig seien. Schließlich verhinderte die Polizei die Zusammenkünfte, indem sie den traditionellen Treffpunkt der lateinamerikanischen Community besetzte: Demonstrativ okkupierten die PolizistInnen gruppenweise die Bänke, auf denen die »Rumberos« zu spielen pflegten – eine Form des »passiven Widerstands«, unter umgekehrten Vorzeichen allerdings. Gleichzeitig begann die Regierung Giuliani, Teile des Parkes an wohlhabende AnrainerInnen zu verkaufen. Der Park als genuin öffentlicher Platz wird so Schritt für Schritt privatisiert.
In ihrer Videoinstallation »Conflict-o Rumba & The Persistence of Memory« thematisiert Berta Jottar den Ausschluss einer minoritären Gruppe aus der Öffentlichkeit und damit die Unterdrückung deren kultureller Identität. In einer wandfüllenden Ansicht zeigt sie den mit statischer Kamera gefilmten Ort, wo sich die »Rumberos« jeweils trafen – eine Bank, direkt am See gelegen, an der gelegentlich SpaziergängerInnen vorbei schlendern. Als BetrachterInnen haben wir die Möglichkeit, uns auf eine Bank im Ausstellungsraum zu setzen, deren Schatten mit der gefilmten Bank im Bild zusammenfällt, sodass wir – als Schatten – Teil des Geschehens werden. Links und rechts der Großprojektion zeigen zwei Videos Ausschnitte aus Rumba-Performances, aber auch Szenen der Vertreibung der Latinos durch die Polizei.
»Belonging – Sehnsucht und Zugehörigkeit« ist der Titel der Ausstellung in der Shedhalle Zürich, die anhand von fünf künstlerischen Beiträgen – unter ihnen die Arbeit von Berta Jottar – das Thema Identität und Heimat aufgreift. »Belonging fragt nach neuen Bezugssystemen und beschäftigt sich mit den wankenden, sich immer wieder verändernden Formen von Identität, greift dabei das Schwanken von Identitäten und Zugehörigkeiten auf«, kündigt der Pressetext an. So breit, wie es diese Ankündigung vermuten ließe, wird das Thema allerdings nicht abgehandelt. Die Ausstellung konzentriert sich vielmehr auf eine spezifische Form der Identitätsproblematik, wie sie von Leuten erlebt wird, die einen (oder mehrere) Kulturwechsel hinter sich haben. Said Adrus zum Beispiel hat seine ersten Lebensjahre als Sohn indischer Einwanderer in Uganda verbracht, bevor er mit seiner Familie in die Schweiz weiter gezogen ist. Heute lebt Adrus in England. Überraschenderweise wird in seiner Arbeit die Frage des »Fremdseins« am wenigsten explizit thematisiert und ist nur noch in der Überblendung unterschiedlich konnotierter Materialien und Techniken – Video, abstrakte Malerei, Jutesäcke – greifbar. Die 26-jährige georgische Künstlerin Tamuna Karumidze kam 1996 nach Berlin, um ein Kunststudium zu absolvieren. In ihrem Film »ZAHESI 708« begleiten wir sie auf ihrer Reise zurück in die Heimat. Wir treffen ihre Familie, sehen sie zusammen mit Freundinnen im Coiffeursalon oder bei einem Ausflug. Durch den privaten Charakter des Videos wird das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit auf uns, die BetrachterInnen, übertragen. Ebenfalls sehr persönlich ist die Videoarbeit »More« (kroatisch für Meer) der in Basel lebenden Kroatin Marica Gojevi*, in der wir ihr Gesicht in Großaufnahme sehen, während sie wehmütige Lieder aus ihrer Heimat singt. Der besonderen Erfahrung von Fremdheit im eigenen Land stellt sich die Ostberliner Künstlerin Ulrike Kuschel. Seit 1989 hat sich ihre Heimat, die ehemalige DDR, derart verändert und verwestlicht, dass die Suche nach Reminiszenzen sie schließlich nach Russland führte, wo sie die verlorene Vertrautheit wieder zu finden hoffte. Die Fotos, die auf dieser Reise entstanden sind, lassen jedoch kaum auf ein solches Wiederfinden schließen. Denn die Orte, die sie fotografiert hat, sind anonyme »Nicht-Orte«, wie sie überall auf der Welt angetroffen werden können.
Im Lauf des letzten Jahres hat sich das Programm der Shedhalle unter der Leitung von Elke aus dem Moore und Frederikke Hansen auffallend verändert. Der Themenkomplex Gruppenzugehörigkeit, seien es nun Freundschaften (»The Colour of Friendship«, Mai/Juni 2000), »Pedigree Pal – Neudefinition von Famile« (September/Oktober 2001) und nun »Belonging« – steht zur Zeit im Vordergrund. Nicht nur der politische Biss, sondern auch die innovative Ausstellungspraxis sind dabei auf der Strecke geblieben. In »Belonging« werden mit Ausnahme der Arbeit von Berta Jottar gesellschaftspolitische Zusammenhänge gänzlich ausgeblendet; die Auseinandersetzung mit dem Thema Identität findet vorwiegend auf einer persönlichen Ebene statt. Dieser Vereinzelung respektive Privatisierung entspricht auch die Präsentation der einzelnen Arbeiten in abgeschlossenen Kojen. Zwar werden die Ausstellungen nach wie vor durch Filmprogramme und Diskussionsrunden ergänzt, aber der Unterschied zu anderen Kunstinstitutionen ist nur noch schwer auszumachen. Nicht zufällig hat auch das Zürcher migros museum kürzlich die Themen Familie und Freundschaften aufgegriffen. In der viertägigen Veranstaltung »Never look back« im Juni dieses Jahres wagte die Shedhalle einen Rückblick auf ihre eigene Geschichte und eine aktuelle Standortbestimmung kritischer kultureller Praxis – ein deutlicher Hinweis auf eine Art »Identitätskrise« nicht nur der politischen Kunst, sondern auch der Institution Shedhalle selbst.