Heft 1/2002 - Artscribe
Von einem unerwarteten Todesfall zu erfahren, ist immer eine Überraschung, manchmal erschütternd. Oft ist dieser Todesfall Grund dafür, unsere logischen Denkstrukturen, mit deren Hilfe wir versuchen, die Wirklichkeit zu erklären und zu verstehen, in Frage zu stellen.
Der viel zu frühe Verlust Alexander Melkonians - einer der bedeutendsten armenischen Gegenwartskünstler - schockierte nicht nur die armenische zeitgenössische Kunstszene, sondern wurde auch zum Anlass für die Analyse der Logik dieses jähen Ablebens.
Die Vorgänge, die seit beinahe 20 Jahren innerhalb der armenischen Gegenwartskunstszene zu beobachten sind, entwickelten sich parallel zu den gravierenden und intensiven sozialen und politischen Veränderungen in Armenien. Neue Lesarten des Ästhetischen, wie sie von der so genannten armenischen Avant-Garde hervorgebracht wurden, hatten die romantische Phase des Kampfes für Demokratisierung und Unabhängigkeit ebenso durchschritten, wie das Wiederaufleben nationalistischen Gedankenguts, Kriege, schwere wirtschaftliche Krisen und in der Folge die Liberalisierung der Gesellschaft, indem sie durch Perspektiven des Individuums die vorherbestimmte Krise eben dieser Prozesse mitvollzogen und reflektierten.
Alexander Melkonians Biografie und seine künstlerische Arbeit eignen sich dazu, die komplexe Beziehung zwischen der ganz persönlichen Lebensgeschichte und dem intensiven Fortschreiten jener sozialen Transformationen der letzten beiden Jahrzehnte glänzend zu illustrieren. In Armenien manifestierte sich der romantische Revolutionsgeist der 80er je nach sozialer Schicht in unterschiedlicher Art und Weise; Spannungen zwischen sozialer und kultureller Wahrnehmung entstanden. Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion bekamen diese internen Differenzen externen Charakter. Schon zu Beginn des Krieges zog sich Alexander Melkonian aus der Kunstszene zurück, meldete sich freiwillig zur Karabakh Verteidigungstruppe als Offizier. Erst kurz vor dem Waffenstillstand verließ er die Armee auf Grund einer Kriegsverletzung.
Seine Rückkehr in die Kunstszene im Jahr 1995 kennzeichnete den Beginn einer neuen, intensiven und kreativen Periode des Künstlers. In seinen Aktionen und Installationen betonte Melkonian den dramatischen Aspekt der ohnehin erstarkenden Fokussierung der Kunstszene auf den Ästhetizismus und auf eine Philosophie des isolierten, durch ideologische und soziale Zwänge frustrierten Individuums. Er bezeichnete seine Kunst als »art-military«, da seine Arbeiten neben militärischen Motiven auch streng dem Konzept und der Struktur einer »Kunst des Krieges« gehorchen sollten.
Der grundlegende Unterschied zwischen seiner Kunst und der militärischen »Kunst des Krieges« war eine Verlagerung der Konzentration fort von den Zielen des militärischen Systemcharakters hin zu den Subjekten des Systems, welche in einem irrationalen Streben nach dem Objekt verharren. Diese dramatische, widersprüchliche Korrelation zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen blieb sowohl in seinen acht Meter hohen Säulen, die übergroße Militärmäntel darstellende »Royal Infantry«, als auch in der wandelbaren Installation »The Birthplace and Grave of the Great Viking« (Geburts- und Grabstätte des großen Wikingers), in »Mimikry«, seinen »Super-mobile object«-Aktionen und ähnlichen installativen und performativen Arbeiten erhalten.
Im Jahr 2000 wurde Alexander Melkonian der europäischen Kunstszene bei der Manifesta 3 in Ljubljana mit seiner Installation »Emotional, Logical Victorious, Instinctively Suicidal Ancient Urban Anti-Armenian Archetype« vorgestellt. Das hier vorgeschlagene Modell einer urbanen Struktur beruhte auf dem Prinzip der harmonischen Koexistenz verschiedener, voneinander unabhängiger Situationen (Objekte), trotz ihrer individuellen Inkohärenz und ästhetischen Unvereinbarkeit.
Die Auseinandersetzung mit dem inneren Kampf und die Darstellung desselben als Bestandteil oder, wie Alexander gesagt haben würde, Essenz der menschlichen Existenz blieb bis zum Ende seiner Karriere Leitmotiv des Künstlers. In seinen letzten Werken ist es jedoch möglich, den verstärkten Hang des romantischen Pathos zum Fatalismus nachzuvollziehen. Das Gefühl des Nicht-anerkannt-Werdens einerseits und die formale Anpassung der Ideen an die Weltanschauung einer pragmatischen Konsumgesellschaft andererseits, verwandelten die zeitgenössische armenische Kunstszene allmählich in eine autonome, von der Gesellschaft isolierte.
In zwei seiner letzten Installationen präsentierte Alexander die dramatische Essenz seiner Philosophie: Er reflektierte das mit dem Ende des romantischen Geistes verbundene Gefühl und den Wandel der sozialen Wahrnehmung, welche für ihn verständlich und unerträglich zugleich waren. Die Installation »The Spirit of Bellicosity« wurde letztes Jahr im Rahmen der Wiener Festwochen in der Ausstellung »du bist die welt« im Künstlerhaus vorgestellt.
Der »Wille zum Krieg« wurde unter dem Aspekt der Geschlechterdifferenz bis zur Banalität reduziert. Der feminine Kimono und der brachiale Militärmantel, ausgebreitet auf einem Eisenbett, verhüllt mit Tarnnetzen und Spitzenvorhängen, verschwinden unter den überall verstreuten Spielzeugsoldaten, Spielzeugtöpfen und anderem Flitter und in dem von unten sprießenden »Gras des Vergessens«. Wenige Monate später präsentierte der Künstler in der Armenischen Nationalgalerie eine andere Installation. Sie sollte sein letztes realisiertes Projekt werden: Riesige Widderhörner, an den Enden zugespitzt, mit Fuchsschwanzsägen bestückt und auf zwei im Empirestil gehaltenen Podesten drapiert, symbolisierten den »befriedeten Willen zum Krieg«.
Jener Wille, der von Zeit zu Zeit aus dem sozialen Denken einer Gesellschaft hervorgeht, mit dem Ziel, einen Weg aus der verfahrenen Situation zu finden, die überhaupt erst durch die Rationalität dieses Denkens entstanden ist, zerstört sich im Nachhinein selbst und erscheint für eben diese Gesellschaft als gespalten und fragmentiert.
Übersetzt von Beatrix Kaiser-Gnan & Brandon Walder