Heft 2/2002 - Netzteil


Koordinierte Taktiken

Über widerständige Websites in Zusammenhang mit der Israel-Palästina-Krise

Vera Tollmann


Die nettime-Teilnehmer Andy Garcia und Geert Lovink schrieben 1997 in ihrem »Tactical Media Manifest«: »Tactical Media are media of crisis, criticism and opposition. This is both the source of their power (›anger is an energy‹ - John Lydon), and also their limitation.«1 Peter Lamborn Wilson antwortete damals, dass sich die Lücken, in denen diese Taktiker agieren, zu einem »network of castles« entwickeln könnten, und: »this would constitute not only (in itself) a pleasurable act of autonomy and self-organization, but also a ›strategic‹ structure«2.

Zweieinhalb Jahre später, im Herbst 1999, begannen sich sukzessive zahlreiche Indymedia Center3 zu gründen, deren internationaler Verbund als ein strategisches »network of castles« im Sinne Wilsons zu verstehen ist. Denn mit Indymedia als kontinuierlicher Widerstands-Instanz der Antiglobalisierungsbewegung wird eine neue Protestkultur manifest, die sich das Potenzial des Internet »as a medium for dissident news«4 aneignet. Seitdem erstarkt eine neue Form des Aktivismus im Sinne globalisierungskritischen »Widerstandes«, bei dem die strategischen Orte der Websites mit den taktischen Räumen entsprechender Mailinglisten ein in dieser Konsequenz zuvor nicht gekanntes Netzwerk ausbilden, das sich zuletzt in Reaktion auf den 11. September 2001 bewährt und erweitert hat, Gegenwärtig werden die Ereignisse rund um die Israel-Palästina-Krise in demselben medialen Set-up dokumentiert und kritisiert, indem die digitalen Ressourcen der Antiglobalisierungsbewegung genutzt und Allianzen mit Initiativen (wie etwa dem palästinensisch-israelischen International Solidarity Movement in Palestine5 und anderen alternativen Nachrichtensites6) gebildet werden, die sich explizit in den Konflikt einzubringen versuchen.

Auf der Indymedia-Site Jerusalem7, die am 28. März 2002 als unmittelbare Reaktion auf die Situation in Palästina initiiert wurde, belegen etwa Videos von Solidaritätsdemonstrationen aus Athen, Buenos Aires, San Francisco das Funktionieren des Netzwerks. Die Austauschverhältnisse der beiden lokalen Indymedia-Sites bestehen aus wenigen Links zu einzelnen Dateien - auf beiden treten die Statements und Artikel für ein Ende der Besatzung ein, auch wenn auf israelischer Seite mehr auf die eigene Position reflektiert wird, auf palästinensischer Seite hingegen direktere Forderungen erhoben werden. Beide Sites listen die Zerstörungen durch die israelische Armee auf. Israels Indymedia-Website8 bietet zudem ein PDF-File des vom Center herausgegebenen Magazins »Khan« an, in dessen April-Ausgabe Augenzeugenberichte von israelischen SoldatInnen wie auch von Palästinenserinnen in den Flüchtlingslagern versammelt sind: persönliche Beschreibungen, wie sie während der Kosovo-Krise im Frühjahr 1999 insbesondere auf der Mailingliste Syndicate zirkulierten. Die im Umfeld von Indymedia organisierten widerständigen Aktionen sind nicht verklausuliert, sondern werden konkret umgesetzt, wie etwa das Grenzcamp »Tents for Resistance« im Libanon, eine Unterschriftensammlung zur Aberkennung des Friedensnobelpreises von Yassir Arafat9, der Ruf nach freiwilligen Helferinnen in Palästina sowie Boykottaufrufe gegen israelische Produkte.10

Naomi Klein11 beschreibt die Rolle der internationalen Vernetzung für eine diversifizierende Betrachtung möglicher Haltungen. »Nothing is going to erase anti-Semitism, but Jews outside and inside Israel might be a little safer if there was a campaign to distinguish between diverse Jewish positions and the actions of the Israeli state.« Von symbolischer Bedeutung ist hier etwa die Verweigerungshaltung der »Refuseniks«,jener, israelischen Soldatinnen12, die ihren Dienst in den besetzten Gebieten verweigern und mit den Friedensaktivisten koalieren.13

Zentral ist schließlich nicht der »eine Widerstand«, sondern das Netzwerk diverser Websites als Plattform für einen multiplen Widerstandsbegriff, also Medien, die in einem taktischen Widerstandsraum operieren und in der Kombination von Online- und Onsite-Aktivitäten funktionieren. Widerständigkeit findet sich in einer umfangreichen Informationsakquise, in effizienter Informationsverbreitung und ausdifferenzierter Kommunikationskultur, die der Produktion kritischer Perspektiven dient.