Heft 2/2002 - Lektüre



Ileana Pintilie:

Actionism in Romania During the Communist Era

Cluj (Idea) 2002 , S. 88

Text: Georg Schöllhammer


Dreizehn Jahre nach dem gesellschaftlichen Umbruch hat die Kunst aus dem Osten Europas aufgehört, sich darauf fixieren zu lassen, eine Kunst Osteuropas zu sein. KünstlerInnen in den postsozialistischen Ländern, die am Anfang des Jahrzehnts ihren Anspruch auf eine lokale und internationale Stimme hoffnungsvoll definiert hatten und die sich dabei über ihre neue Rolle erst selbst »klar zu werden« - oder sie zu erfinden - begannen, sehen sich heute in einer paradoxen Situation erneuten Selbsterklärungsbedarfs: Hatten sie sich zuerst mit dem Auftritt des Westens auseinander zu setzen, der begann, sich von außen über sie »klar zu werden« - das heißt, sie als das Andere zu erfinden -, erscheint es ihnen gegenwärtig oft schwer, sich in Arbeiten auf ihre spezifische lokale Situation und deren Traditionen zu beziehen. Denn gerade solche Anschlüsse bleiben im globalistischen Ausstellungsbetrieb zumeist unlesbar. Das wiederum hängt oft mit der fehlenden Kanonisierung lokaler »Modernen« zusammen. Für ein Feld gilt dies verschärft: für das der Performance-Art, der Aktionismen, der Body-Art.

Gerade hier verschwanden hinter einer gängigen Zuschreibung - im Osten habe radikale Gestenkunst und performative Arbeit mit Körpermetaphern im Gegensatz zu konzeptuellen Strategien immer Konjunktur gehabt - die Vielfalt und Verschiedenheit der Realitäten, die lokale Praxen informierten und formierten.

Die Ausschlüsse, die die großen kartografischen Ausstellungen und Darstellungen zum Thema - von der MOCA-Schau »out of actions« 1998 bis zu Amelia Jones Buch »Body Art« aus demselben Jahr - produzierten hatten, wurden 1999 zwar durch Zdenka Badinova?s Ausstellung »Body and the East« teilweise aufgehoben. Dennoch bleibt vieles aus der verzweigten Geschichte performativer Bildkunst, vor allem für Regionen wie das Baltikum oder Südosteuropa, schwer zugänglich, da es nur verstreut publiziert und kaum in öffentlichen Bibliotheken gesammelt ist.

Die an der West University in Timisoara lehrende Kunsthistorikerin und Kuratorin Ileana Pintilie war bei »Body and the East« für die Auswahl rumänischer KünstlerInnen verantwortlich. Mit »Actionisms in Romania during the Communist Era«, einer reich bebilderten Studie, die sowohl als kontextualisierte Chronologie wie auch als monografische Anthologie aufgebaut ist, hat Pintilie nun ein (in Englisch publiziertes) Standardwerk vorgelegt, das man als geradezu mustergültige Regionalstudie bezeichnen muss.

In Pintilies Darstellung wird evident, wie sich formale Generalthemen jeweils in lokalen Kontexten etablieren konnten und auf welche Weise gerade während der kommunistischen Periode körperbezogene respektive theatralische Arbeit zum Hauptexperimentierfeld zweier KünstlerInnengenerationen geworden war.

In den späten 60ern und frühen 70ern legten sich die wesentlichen Linien fest, entlang derer sich bis in die 90er hinein Arbeiten entwickelten: in den konzeptuellen Stadtvermessungen Andrei Caderes, den ökologiekritischen Land-Art-nahen Performances der Gruppe »Sigma«, den modernismuskritischen Materialaktionen Peter Jacobis, dem rhetorischen Körpertheater von Paul Neagu und den feministischen Installationsperformances von Ana Lupas sowie in Ion Grigorescus singulären, von gebrochenem Pathos genährten Körperexperimenten und Mikroanalysen von Alltagsritualen.
Pintilie verfolgt diese Themen und ihre Transformation ohne explizit zu typologisieren. Dadurch wird in ihrer Darstellung nachvollziehbar, wie Generationswechsel, Perspektivverschiebungen und Politisierungen das Feld in den 80ern veränderten, wo dann etwa mit Dan und Lia Perjovschi jene Akteure auftraten, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als osteuropäische Avantgarden konstituiert wurden.