Heft 2/2002 - Netzteil
Nordwestlich von Los Angeles. Vorbei an Woodland Hills und Thousand Oaks, entlang der Route 23 in das Simi Valley, wo sich am Presidential Drive die »Ronald Reagan Presidential Library« befindet. In den Räumen des mittlerweile zum Museum umfunktionierten Anwesens ist bis zum 14. Juli 2002 die Geschichte der US-amerikanischen Überwachungs-Intelligenzija zu begutachten. Unter dem Titel »Spies: Secrets from the CIA, KGB, and Hollywood« wird hinter die Kulissen des Big-Brother-Apparates geladen. Einblick soll nicht nur in die Sammlungen der CIA (die National Archives) und der Spionage-Autorität Keith Melton gewährt werden, sondern auch in die fiktiven Versionen von Staatssicherheit aus der Traumfabrik. Da dürfen natürlich die 007-Errungenschaften eines Ken Adam genauso wenig fehlen wie »Spy-Fi«, eine Sammlung von Cold-War-Memorabilia des Hollywood-Drehbuchautors Danny Biederman. Besonders beachtenswert scheint ein Gadget aus der TV-Serie »Get Smart«: Ein Schuhtelefon (»Shoe phone hold button«), das der Schauspieler Don Adams auf einem der Publicity-Fotos dicht an sein Ohr legt, um den mobilen und selbstredend auch schnurlosen Kommunikationsvorgang zu simulieren. Damals gehörte das Mobiltelefon zur Klasse der Obstschalenspionagemikrofone und der Tonüberwachungstoaster. Es war konspirativ.
Inzwischen erscheint die individualisierte Agentenüberwachung mit Spezialwerkzeugen als Idyll. Das nach dem Zweiten Weltkrieg erfundene Handy ist spät, aber erfolgreich zum Massenkommunikationsmittel geworden, und die mobile Konspiration besteht nicht mehr im heimlichen Telefonieren, sondern in den flächendeckenden Überwachungsmöglichkeiten, mit denen Global Player wie Staaten und transnationale Konzerne Informationen über die Masse der Telefonierer gewinnen. Mobiltelefonierer lassen sich orten, als würden sie elektronische Fußfesseln tragen. Sie sind Gefangene der Funknetze, in die sie sich einwählen, und auch wenn sich demnächst noch weit mehr Informationen per Handy übertragen - und überwachen - lassen, hinterlässt das mobile Telefonieren schon jetzt eine öffentliche Spur.
Militarisierung der urbanen Sphäre
Diese Aussicht verleitete den Sci-Fi-Schriftsteller Bruce Sterling zu der folgenden absurd-dystopischen Vision: »Wenn man sich anschaut, was am 11. September passiert ist, entdeckt man in diesen ersten Kriegsscharmützeln einen amerikanischen Sieg - nämlich den Flug, auf dem die Passagiere sich gegen die Entführer aufgelehnt hatten. Und warum? Wegen ihrer Mobiltelefone! Es handelte sich um eine Schlacht zivilistischer Mobiltelefone gegen terroristische Teppichmesser. Ich habe den Verdacht, dass sich diese Episode als die Generalprobe des Gesamtkrieges erweisen wird. Die gute Nachricht dabei ist, dass Teppichmesser militärisch nicht sonderlich verbesserungsfähig sind, während das Mobiltelefon sprunghaft steigerungsfähig ist. Das empfiehlt uns die Erfindung eines bewaffneten und gehärteten GI-Handys. Man kann es sich als >ungeflügelten Engel< vorstellen, wie man nach dem 11. September gerne sagte - und als eine Art persönlichen Black Box-Rekorder für den gefährdeten Bürger. Ein solches Mobiltelefon würde vom Bund hergestellt und massenhaft als sicherheitstechnische Generalausstattung vertrieben. Entscheidend bei diesem Gerät wäre es, die Bevölkerung für die Überwachung und Aufzeichnung unkonventionell geführter Kriegsakte zu rüsten. Man schießt damit auf niemanden, aber sofern einem etwas Eigenartiges, Verdächtiges oder Asymmetrisches auffällt, verhält man sich als Vermittlungszeuge: Man hält das Gerät hoch und beginnt zu schauen und zu reden. Und all diese Sicherheitsdaten werden unverzüglich ausgestrahlt und in Fort Knox und Fort Meade eingelagert.«
Die Industrie ist dieser allumfassenden Technik jedoch längst auf der Spur. »Pervasive Gaming« ist das Schlagwort, mit dem die »It`s Alive Mobile Games AG«, Kooperationspartner unter anderem von Ericsson, Spiele vermarkten will, die die TeilnehmerInnen im öffentlichen Raum umgeben, »24 Stunden, überall«. »Encompassing, always present« ist etwa »Botfighter«, eine Mischung aus Action- und Rollen-Spiel, das eine virtuelle Spielgemeinschaft in den realen Raum überträgt. Das Spielkonzept ist simpel: Die angemeldeten SpielerInnen »schießen« mit ihren Mobiltelefonen aufeinander, wobei der Server des Anbieters als Informationsbasis, Vertragspartner für virtuelle Söldneraufträge und Ortungssystem dient. Die mobile Ortung entscheidet darüber, ob der Gegner in Schussweite ist oder nicht. Mit SMS-Abfragen lassen sich die »Ziele« im Raum lokalisieren, aufsuchen und innerhalb der Schussweite mit »fire SMS« attackieren und bekämpfen. »Der entstehende Schaden«, teilt »It`s alive« mit, »hängt vom Typ der simulierten Waffe, der Wirksamkeit gegnerischer Abwehrschilde und anderen Voreinstellungen ab«. Das Telefon als Radar und Schusswerkzeug. Das Gefechtsfeld als konspiratives Netzwerk.
Wer aber konspiriert hier gegen wen? Man muss nicht ausführlich die Simulationstechniken und elektronischen Hilfsmittel auf modernen Schlachtfeldern analysieren und auch nichts von Amoktätern wissen, um über die Durchdringung des urbanen Raums mit militärischer Fiktion zu erschrecken. Schließlich zeichnet sich hier nichts anderes als die Unterwanderung der Haager Landkriegsordnung mit den Mitteln der Unterhaltungsindustrie ab. Der Bürgerkrieg ist »...alive«, zumindest nicht mehr als einen Knopfdruck entfernt: »Dial SMS for war.« Weit einflussreicher als die konspirativ-militärische Unterhaltung ist aber womöglich die Veränderung der mobilen Kommunikation und damit der kommunikativen Öffentlichkeit. »Botfighter« funktioniert als untergründige Gemeinschaftsbildung, als verborgenes urbanes Netzwerk, eine geschlossene Nebenöffentlichkeit mitten unter uns.
Alleskönner-Hardware als Herausforderung
Medientheoretiker wie David Bennahum hatten Ende der 1990er bereits den skeptischen Begriff des »cell space« eingeführt. Gemeint war damit jener sphärische Raum, der beim Handy-gestützten Kommunikationsakt entsteht und den Sprecher wie ein Duschvorhang umschließt. Was ihn derart isoliert und der unmittelbaren Umgebung entreißt, habe zur Folge, dass gemeinschaftlich genutzte öffentliche Räume parzelliert und letztlich vorübergehend privatisiert würden, »cancer of cell space«, als Metastase der Öffentlichkeit. Bennahum aber visierte mit seinem kritischen Begriff die Masse der parallel Vereinzelten an. Das »cell-net« als sozialer Metaraum kam in seiner Analyse nicht vor.
Die Entwicklung zu solchen mobilen Metagemeinschaften ist allerdings schon in vollem Gang. Begünstigt zunächst durch die Absichten der Mobilfunkindustrie, durch multiple Anwendungsmöglichkeiten ihre Gerätschaften attraktiver zu machen. Das Nokia 5510 etwa kann noch telefonieren, führt aber als digitaler Musik-Player und UKW-Stereoradio die sozial-räumliche Logik des Walkmans fort. Es muss ironisch wirken, dass die Werbefigur, die als apathisch introvertierte Mitsumm-Straßenmusikerin dargestellt wird, im Werbespot den Beifall der Öffentlichkeit wie für eine konzertante Leistung erntet. Doch die Vermarktungsstrategie des Telefons als Spiele-Konsole und so genannte »SMS-Maschine« kann als Indiz für eine Konvergenztheorie dienen. »Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen«, sagt die Werbung, »das neue Nokia 5510 ist äußerst vielseitig« - und appelliert wie die »Botfighter«-Erfinder von »It`s alive« an die »neue Generation« von MobilfunknutzerInnen, für die interaktive Unterhaltungsangebote »jeden Tag wichtiger« würden. Auf der deutschen Elektronikmesse CeBIT etwa wurde der »People Finder« vorgestellt, der auf Java-fähigen Smartphones läuft: Mit dieser Anwendung für das aktive und passive Lokalisieren von Personen lässt sich feststellen, ob Freunde in der Nähe sind, um sich dann spontan mit ihnen an bestimmten Orten verabreden und gemeinsame Aktivitäten planen zu können. Über Profile und Opt-out-Funktionen haben die BenutzerInnen jederzeit die Kontrolle darüber, ob und von wem sie geortet werden können - ein empfehlenswertes Exponat für die »Ronald Reagan Presidential Library«.
Entsteht also nach der privaten Zersetzung des Kommunikationsraums eine neue vernetzte Öffentlichkeit, deren Merkmal ihre selektive Verknüpfung wäre? Und ist »Multitasking«, die umschaltbare Nutzung des Mobiltelefons als Wort- und Sprachmaschine, als Schaltoption zwischen eher privaten und eher halböffentlichen Kommunikationsformen zu interpretieren?
Zwischen den Schaltoptionen
Als die akademische Welt das Handy ins Visier nahm, wurden die SMS-Nachrichten sogleich als konzeptionelle Mündlichkeit beschrieben, wie die Autorin Alex Bohn auf dem transmediale.02-Panel »SMS-Encounters« referierte. Elemente der oralen Kommunikation wie sarkastische Tonlagen, relativierende Gesten und widerrufende Grimassen fänden mit Hilfe grafo-stilistischer Mittel Ausdruck, etwa durch mehr oder weniger stereotype »Emoticons« und »Smileys«, Buchstabenanordnungen als standardisierte mimische Embleme. Was im Brief »zwischen den Zeilen« zu lesen war, nehme im Format der SMS konkrete Codes an, deren Alphabetisiertafeln überall im Internet kursieren. Der wichtigste hochkulturelle Anwendungsversuch der SMS war demgemäß das literarische Fragment, eine Zusammenhangsverdichtung der mündlichen Ausrufe zu koordinierten Fortsetzungsfolgen. Durch Eingaben unzähliger NutzerInnen sollten SMS zu Fortsetzungsromanen akkumuliert werden, oder umgekehrt als privates Radiosystem des Autors die HandynutzerInnen erreichen. Noch deutlicher zeigen Beispiele öffentlicher Messageboards das Bemühen, den privaten SMS gerade dadurch kulturelle Sichtbarkeit zu verschaffen, dass ihnen ein gemeinsames Publikum vermittelt würde. Die Verschmelzung der vereinzelten Zellen zu einer gleichgerichteten Rezeptionsgemeinschaft scheint freilich gegen die Logik des SMS-Systems gedacht und zeugt vielleicht eher vom homogenen Öffentlichkeitsbegriff der KulturanbieterInnen als von einem wirklichen Bedürfnis der tippenden Massen.
Oder verweist die Langlebigkeit der uralten Chat-Systeme aus den frühen neunziger Jahren, etwa des rein textbasierten Internet-Relais-Chat (IRC) und seiner Nachfolgedienste, auf ein Grundbedürfnis nach archaischer Textkommunikation? Es war auch die archaische Visualisierung, die eine SMS-Fassadengestaltung des Chaos Computer Club (CCC) zu einem überaus erfolgreichen Kunstspektakel avancieren ließ. Die CCC-Programmierer hatten hinter den Fenstern einer Berliner Hochhausfront simple Glühbirnen installiert. »Blinkenlights« zeigte schlichte geometrische Muster wie sie der Computer-Ästhetik der achtziger Jahre entsprachen, unterbrach dieses Programm aber, sobald zwei Mobiltelefon-NutzerInnen über eine eigens geschaltete Nummer die Fassade für ein Pingpongspiel nutzten. Nicht der skulpturale Coup machte »Blinkenlights« zur medienwirksamen nächtlichen Attraktion bis in die Kunstszene hinein, sondern die einleuchtende Einfachheit der Kommunikation. Wie im SMS-Medium erzeugen Universalität und Reduktion den Reiz, formalisierte Vorgaben mit einfachen Mitteln für Individualisierungen zu nutzen. Die ausgeprägte Angst der Industrie, die den Fehlschlag der teuren, neuen Mobilfunktechniken fürchtet, veranschaulicht die Ungewissheit bezüglich der Interessen des Publikums.
Bleiben also die neuen selektiven Spieler-Gemeinschaften, die Schlachtfelder der Vernetzung, ein Spezialmedium für Büroflüchtlinge, oder entstehen hier die Schnittstellen für eine neue Öffentlichkeit?
»Wow - whatta night! Das Adrenalin schoss auf ... drive-by time! Hatte den ganzen Tag in diesem verstopften Büro-Komplex gesessen. Aber jetzt war es soweit. Ins Auto gesprungen, um die Top-Spieler ausfindig zu machen. >Silver< war im Krankenhaus, >Webpoet< im Nacka-Stadtteil. Ich entschied mich für >Webpoet<, der mich an dem Tag schon mal geschlagen hatte. Ein Fiasko ... Ich bin froh, dass ich die Begegnung überlebt habe. Wenn Du Deinen Gegner sechsmal ohne ersichtlichen Schaden triffst, bist Du ein bisschen besorgt. Ich konnte nichts anderes mehr machen als wegzurennen und den Robot in Ordnung zu bringen. Aber trotzdem - Danke für den großartigen Kampf.« (Spieler-Statement auf einer Werbeseite von »It`s Alive Mobile Games«)
Links:
http://www.itsalive.com/games/index_games.htm
http://www.nokia.com/phones/5510/index.html
http://www.nokia.com/phones/5510/demo/spindemo.html
Studien:
http://www.websprache.uni-hannover.de/networx/index2.htm
http://www.inter-nationes.de/d/frames/schulen/laku/sms-sprache.html
www.uni-frankfurt.de/fb03/K.G/B1_2001_Hoeflich.pdf
http://netzberater.de/emoticon/arbeit/emotionstransfer.html#begin