Heft 2/2002 - Artscribe


Kapital & Karma: Aktuelle Positionen Indischer Kunst

29. März 2002 bis 9. Juni 2002
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Stefan Römer


Mit grell-poppigen Farben leuchtete das Plakat der Ausstellung und des Symposions »Kapital & Karma - Aktuelle Positionen indischer Kunst« im Wiener Stadtraum. Zwei Dinge wurden durch diesen Ausschnitt eines Gemäldes von Atul Dodiya sofort bestätigt: Erstens die Wichtigkeit auffälliger Plakate für die Wahrnehmung von Kunst, und zweitens, dass diese Form von Öffentlichkeitsarbeit durchaus dem Klischee der Wiener Kunsthalle entspricht. Doch in diesem Fall hielten sich die beiden GastkuratorInnen Angelika Fitz und Michael Wörgötter, die auch unter dem Gruppenlabel DeEgo firmieren, nur oberflächlich an das Image der Kunsthalle; die Ausstellung lieferte sehr differenzierte Einblicke in die indische Gegenwartskunst. Damit relativierte diese Unternehmung frühere, sehr kritisch zu bewertende Kunsthallenausstellungen wie beispielsweise »Flash Afrique«, die vor allem einen spezifischen Exotismus im Zuge der Globalisierung bediente.

Begrüßenswert erschien vor allem die Einladung von indischen Intellektuellen mit sehr unterschiedlichen Ansätzen zu dem begleitenden Symposion »Indische Dialoge mit Europa« (26. bis 28. April): »Im Mittelpunkt stehen die radikale Transformation traditioneller Konzeptionen von Staatsbürgerschaft, die Hinterfragung der Konstitution von Lokalität, die veränderten Bedingungen für politische Souveränität und kulturelle Identität« - so die hochgesteckte Konzeption der leider schwach besuchten Konferenz. Vermutlich spielt die Kunsthalle innerhalb der Kartografie der Wiener Intellektuellen eine andere Rolle als jene, fundierten Cultural Studies-Diskussionen als Rahmen zu dienen. Trotzdem muss dem abwechslungsreichen Themenangebot von Hauptvorträgen und den jeweils anschließenden Präsentationen von österreichischen KulturproduzentInnen eine hohe kulturpolitische Reflexivität attestiert werden: von historisch-politischen Untersuchungen wie Shahid Amins Lokalisierung des Ursprungs des »mittelalterlichen Konflikts zwischen Muslimen und Hindus« im 13., 17. und späten 19. Jahrhundert, über vornehmlich kulturelle Themen wie Vivek Narayanans Untersuchung diasporischer Bewegungen anhand von Ikonografien und der Verbreitung von Dichtungen bis hin zu Ramachandra Guhas Beschreibung individueller europäischer Einflüsse auf indische Kulturen. Dabei wurde schnell deutlich, dass interessanterweise für die indischen TheoretikerInnen die Säulenheiligen der Kritischen Theorie wie Walter Benjamin eine vergleichbar wichtigere intellektuelle Rolle spielen als beispielsweise Mahatma Ghandi.

Der Vizechef der »Times of India«, Siddharth Varadarajan, analysierte die neuesten Entwicklungen der Medienöffentlichkeit anhand der ökonomischen Reformen und der Ausschreitungen in Gujarat gegen Muslime, beispielsweise anhand der Codes der gezeigten Bilder und mit der Feststellung, dass die Meinung der Zeitung selbst nicht auf dem Titelblatt erscheinen darf. Zwar wies er damit sicher auch auf vergleichbare Erscheinungen in anderen kapitalistischen Staaten hin, ließ aber die nationalistische Verfasstheit der indischen Öffentlichkeit sehr deutlich werden. Jedoch war auch den übrigen Vorträgen meist ein Aspekt eingeschrieben, der in den Diskussionen unbeachtet blieb, nämlich welche wichtige integrative Rolle auch für KritikerInnen des indischen Systems die Nation spielt, die die politische Struktur des Subkontinents überhaupt erst konstituiert; darüber gibt jedoch im Katalog das Interview mit Robin Archer, »Ideen einer Nation«, Aufschluss. Zum Teil wurden in den Symposionsbeiträgen modernistische Gedanken der Integration und der Demokratie adaptiert, ohne dabei jedoch die selbstherrliche Gönnerhaftigkeit des eigenen hochkastigen Status zu relativieren, was etwa bei den vorgestellten Entwürfen und Projekten des Architekten Rahul Mehrotra auffiel. Doch ist immer zu bedenken, dass soziales Engagement und Kritik der politischen Bedingungen in Indien ein Privileg der Reichen darstellt; GewerkschaftsführerInnen, die nicht in einer Gated Community wohnen, wird schon mal nachts das Haus angezündet.

Die Kunstkritikerin und Dokumentarfilmerin Nancy Adajania kritisierte in ihrem Beitrag »Links and Lacunae: Mapping a New Strategics of Resistance« eindeutige eine Geschichtsschreibung und einen Ethnosynkretismus, wie er in groß angelegten westlichen Ausstellungsprojekten herrscht. Dagegen setzte sie den Begriff der »folkloristischen Imagination« als eine permanente Erfindung lokaler und individueller Kunstpraktiken, die sie eher von der »Kunst der Straße« als ästhetisch kalkulierter Institutionskunst ableitet.

Die beiden KuratorInnen Fitz und Wörgötter, die sich seit Jahren durch längere Reisen auf dieses Projekt vorbereitet hatten, zeigten mit ihrem Film »Boxwallahs« solche spezifische, in der indischen Gesellschaft situierten Blicke, gerade weil sie nicht dem Exotismus erliegen oder mit ihrem westlichen Status fremde High-Art-Künstler mimen. Stattdessen initiierten sie zusammen mit indischen KünstlerInnen ein Ausstellungsprojekt, mit dem sie an dem ungewohntem Ort einer Tankstelle einem kunstfremden Publikum andere Erfahrungen ermöglichten. Mit diesem Ansatz entzieht sich auch die Ausstellung einer einfachen ethnizistischen Kategorisierung, sie präsentiert vielmehr von der am Markt erfolgreichen Malstrategie von Atul Dodija über die körperorientierte Performancearbeit von Sonia Khurana und die schmerzhaft an die Grenze indischer Tabus reichenden Fotoarbeiten von Subodh Gupta bis zu einer selbstreflexiv konzeptuellen Installation von Vivan Sundaram eine sehr sensible Auswahl unterschiedlichster indischer Praktiken.