Heft 2/2002 - Nahost
Letztes Jahr wurde ich von der documenta 11 eingeladen, mein Projekt von 1999 »From/To« (vgl. springerin 2, 1999), das »einen zeitgenössischen Topos - Palästina - kartografierte«, für die diesjährige Ausstellung zu überdenken. Vor allem aber hatte dieses Projekt auch einen Rahmen geboten, die Weiterentwicklung meiner früheren, eher recherche-orientierten textuellen Arbeiten in Richtung von »Scripts/Drehbüchern«, räumlichen Narrativen und Performativen zu reflektieren. Meine früheren Projekte fokussierten die Wichtigkeit, kulturelle Repräsentationen entlang einer Identitätspolitik modellhaft vorzustellen. Meine Perspektive ist die eines in den USA geborenen Sohnes palästinensischer und libanesischer Emigrantinnen und folgt einer Logik, die Musikmagazine ebenso wie Ausstellungen über die Auseinandersetzung mit orientalistischen Diskursen miteinander in Verbindung brachte. Der Begriff der »Identität« wurde anhand von »Passagen« entlang der Bruchlinie zwischen idealistischen und essentialistischen Positionen kartografiert (etwas, das immer dann am evidentesten wird, wenn zeitgenössische kulturelle Institutionen zuerst imaginiert und dann gesellschaftlich realisiert werden). Ich blieb dabei einer Konstellation changierender Korrespondenzen verpflichtet, deren Potenzial dem Raum diasporischer Projektionen inhärent ist. Wie Stuart Hall bemerkt, liegt die Möglichkeit der diasporischen »Passage« dort, wo »die Wurzeln zu Wegen werden« (»roots becoming routes«), also keine Einbahnstraßen, die in Nostalgie verankert sind.
Angesichts der Umstände im Jahr 2002 und der documenta 11 dachte ich, »From/To« sollte noch deutlicher auf einen Dialog hin aus gerichtet sein, insbesondere mit einem Beteiligten, der den ersten Entwurf des Projekts von 1999 und meine Auffassung von »scripting« unterstützt hatte. Deshalb dehnte ich meine documenta-Einladung aus, um mit dem in Ramallah lebenden Filmemacher Rashid Masharawi (geboren 1962 im Flüchtlingslager Shati) zusammenzuarbeiten. Masharawis Diskurs verbindet Filmemachen mit der Gründung kultureller Institutionen in Ramallah - dem »Cinema Production Center« und dem »Mobile Cinema« für Flüchtlingslager. Während seine Spielfilme (»Curfew«, »Haifa«) und seine Dokumentationen (»Live from Palestine«) kritische Anerkennung und diverse Preise erhalten haben, liegt ihr Wert für Masharawi primär in der Stärkung seiner eigenen Position als dem einzigen palästinensischen Filmemacher der letzten Jahrzehnte, der noch immer in den besetzten Gebieten lebt und arbeitet. Sein Werk beruht gleichzeitig auf seinem Wissen um das Leben in Flüchtlingslagern unter israelischer Besatzung und auf seiner ständigen Reflexion kinematischer Narrative. Die Drehbücher sind von äußerst ökonomischen Storylines gekennzeichnet, die dennoch Beziehungen innerhalb komplexer (Macht-)Diagramme ausloten, die aus der Reflexion der harschen Limitierungen tatsächlichen Eingesperrtseins hervorgehen.
Zusätzlich zu »From/To« wird Masharawis Werk auf der documenta ii im Kinoprogramm präsentiert: Zu sehen sind »Live from Palestine«, »Tension« und sein neuester Spielfilm, »A Ticket to Jerusalem«, der am 13Juni in Kassel Weltpremiere hat.
Fareed Armaly: Deine Arbeit in Ramallah verbindet die Anliegen und Inhalte des dokumentarischen und Spielfilm-Kinos, deren Produktion und Rezeption, mit der Gründung eines ganz bestimmten kulturellen Raums - dem Cinema Production Center und dem Mobile Cinema für Flüchtlingslager. Was
sind die genauen Intentionen dabei?
Rashid Masharawi: Ich habe mir nach dem Erfolg meiner ersten Spielfilme überlegt, ob ich nicht im Ausland leben sollte, um näher an den Orten zu sein, in denen mich Produtionsfirmen unterstützen könnten, und auch das Fernsehen benötigt immer wieder arabische KoordinatorInnen. Ich entschied mich aber dafür, in Palästina zu bleiben. Trotzdem wollte ich nicht in einer Wüste leben, Ich brauche eine Umgebung, um Filme machen zu können, andere FilmemacherInnen um mich, Musik, Ausstellungsbesuche und eine aktive Beziehung zu Kino und Kultur. Um dies zu erreichen, dachte ich, müssen wir zunächst hier die Möglichkeit haben, Filme zu sehen und zu produzieren.
Es gibt einige international bekannte FilmemacherInnen, die im Ausland leben - um Filme zu produzieren, habe ich also Workshops eingerichtet, eine Ausbildungssituation, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, in Zukunft mit dem Cinema Production Center (CPS) Filme zu produzieren. Das CPS ist in Ramallah sehr bekannt und aktiv: ein Produktionszentrum, an das eine Galerie angeschlossen ist, ein Versammlungsraum, in dem KünstlerInnen sich treffen können. Ich hatte das Gefühl, das könnte zumindest eine Hilfe sein, jene Leute an uns zu binden, die draußen Film studieren und zurückkommen und hier dann noch eine Adresse, einen Ort haben und nicht einfach weggehen. Sie können miteinander diskutieren, sich Filme ansehen, genauso wie sie versuchen können, selber Filme zu machen. Wenn sie keine unmittelbare Produktionsmöglichkeit haben, können sie auf verschiedenen Ebenen einbezogen werden. Das Mobile Cinema zeigt Filme in verschiedenen Flüchtlingslagern, in denen keine Kinos existieren.
Am Anfang hatten wir zwei 16mm-Projektoren und führten in Schulen, Kultur- und Sportzentren vor. Heute haben wir sogar einen 35mm-Projektor. Einmal im Jahr veranstalten wir ein Kinderfilmfestival in vier verschiedenen Städten. Das letzte Mal belief sich die Gesamtbesucherzahl auf 90.000. Das alles habe ich initiiert, erstens, weil ich selber dort bleiben will, und zweitens, weil ich das Kino liebe. Und das ist es, was meinen Wunsch, hier Filme zu machen, am Leben hält.
Farred Armaly: Wir haben oft darüber diskutiert, wie prägend die Kindheit ist, im Hinblick auf Dislozierung und Erinnerung. Kannst du uns das kulturelle Selbstverständnis beschreiben, das im Alltag eines Flüchtlingslagers - wie er in deinen Filmen porträtiert wird - herrscht?
Rashid Masharawi: Die Kindheit ist für jede Person wichtig; etwas, nach dem man sich später vielleicht zurücksehnt - aber was kann ich an einem Flüchtlingslager vermissen? Die israelische Okkupation? Diese Unterkünfte? Der Unterschied zwischen meiner Generation und der unserer Eltern ist, das sie Jaffa vermisst haben - richtige Häuser, richtige Gärten. Viele Leute kamen aus anderen Städten nach Jaffa, um dort Urlaub zu machen, shoppen zu gehen, Cafés zu besuchen. Mein Vater ging dort ins Kino. Das war ihre Kindheit, und deshalb sehnten sie sich danach zurück. Aber das, was wir in meiner Generation vermissen, gehört nicht uns - es ist nur das, was uns die UN gegeben hat.
In Jaffa konnten sie es sich noch aussuchen: ihren Lebensstil, die Farben ihrer Kleidung, ihren Haarschnitt, Essen, ihren Ausbildungsweg. Im Flüchtlingslager konnten wir uns nichts aussuchen. Ich trug für gewöhnlich die Kleider, die die UN uns gab, und studierte an ihren Schulen, aß ihre monatliche Essensrationen. Wenn ich das Essen meiner Mutter vermisse, so es nicht IHR Essen: Meine Mutter war durchaus fähig zu kochen, aber im Lager hatte sie nur jene Zutaten zur Verfügung, die sie als UN-Hilfsleistung erhielt. Wir sprechen hier über Kultur - Essen, Schule oder die Architektur der Hauser. Die Lager produzieren eine Kultur, die nicht die unsere ist. Und das ist genau das, was auf allen Medienbildern zu sehen ist und die Leute veranlasst zu sagen: »Das sind Palästinenser«. Aber das sind nicht wir - was darauf zu sehen ist, ist die politische Situation, die uns diese Kultur aufgezwungen hat.
Fareed Armaly: Es ist ein großer Unterschied, Mitte der achtziger Jahre eine Kamera zu nehmen und damit in den besetzten Gebieten zu filmen, und dasselbe jetzt zu tun. Wie hast du das damals gesehen?
Rashid Masharawi: Wenn mich in den achtziger Jahren eine/r meiner Freundinnen oder Nachbarinnen gefragt hat, was ich tue, erzählte ich ihnen von meinem Alltagsjob, und nicht, dass ich Filme mache. Weil sie darauf nur gesagt hätten: »Du willst Filme machen? Hier herrscht das Kriegsrecht! Du musst verrückt sein, daran auch nur zu denken.« Jeder hatte damals Angst vor Israel, und Filme bestehen aus Bildern, visuellen Repräsentationen, und das war gleich bedeutend mit »politischer Aktivität«. Filmen war daher nicht erlaubt. Sicher, wenn du etwas willst, erreichst du es auch; aber selbst wenn ich herausfinde, dass es irgendwie möglich ist, macht das die anderen nervös.
Weil das Gesetz damals immer noch der israelische Soldat auf der Straße war; die können dich aufgreifen, dich ins Gefängnis stecken, und es ist dir nicht einmal gestattet, zu fragen warum. Die können dich da drinnen vergessen. Aber ich erkannte auch früh die Macht des bewegten Bildes: Unsere Situation mittels Kunst darzustellen, und nicht mit Gewalt oder Schießereien. in dieser Sprache kann ich meine Geschichte erzählen - unsere Geschichte; in diesem Medium bringt uns das weiter.
Fareed Armaly: In vielen Diskussionen über diasporische Identitäten oder die Identität von Flüchtlingen blendet der Wunsch nach einem Gefühl der Kontinuität die Signifikanz der Unterschiede zwischen den Generationen aus, etwas, das besonders auf die Situation in Flüchtlingslagern zutrifft.
Rashid Masharawi: Ja - zwischen meiner Generation und der darauf folgenden gibt es zwei verschiedene Realitäten. Als Kinder wollten wir Freiraum, also spielten wir, indem wir über die Dächer in der Nachbarschaft rannten und dabei Blicke in die Höfe erhaschten,
und von den Szenen des Lebens in ihnen. Heute haben wir zuhause VHS und können zumindest im Kulturcenter ins Internet. Als ich fünf war, beeinflusste mich der Krieg von 1967. Eine Generation, die, sagen wir, 1987 fünf Jahre alt war, ist beeinflusst vom Beginn der Intifada - und jetzt, als Erwachsene, arbeiten sie vielleicht als Sicherheitskräfte oder sogar als Beschützer Arafats, Wenn du in meiner Generation mit einem Bild Arafats erwischt wurdest, wäre dein Haus zerstört worden. Mit 15 wurde ich von israelischen Soldaten zusammengeschlagen, nachdem sie mich fragten, ob ich Arafat kenne, und ich bejahte. Unmöglich, dass irgendein Palästinenserin den Flüchtlingslagern nicht weiß, wer Arafat ist! Obwohl meine Generation jetzt auch in der Selbstverwaltungsbehörde arbeitet, sind wir diejenigen, die die ersten Erfahrungen mit dieser Idee von Flüchtlingslagern, UN-Schulen und Kleiderspenden gesammelt haben. Für die nächste Generation der Intifada ist die Flüchtlingskultur wieder eine andere, sie verändert sich. Die Einwohnerinnen müssen sich jetzt ausbreiten; sie versuchen, ihren Raum zu vergrößern; sie versuchen, Dinge zu kaufen, und so gut wie möglich ein normales Leben anzustreben.
Fareed Armaly: Deine beiden Spielfilme »Curfew« und »Haifa« zeigen das Leben in den Flüchtlingslagern, mit Frauencharakteren in Schlüsselrollen. Wie siehst du diese beiden Filme im Hinblick auf diese Rollenentwürfe?
Rashid Masharawi: »Curfew« basiert auf dem Faktum, dass ich viele Male unter Ausgangssperre stand und dass Frauen, die unter Ausgangssperre stehen - anders als Männer - viel aktiver bleiben, da sie hinaus können: Alle paar Wochen erlaubt die israelische Armee Frauen den Ausgang, um Essen für ihre Familien zu kaufen. Für »Curfew« habe ich oft während der Ausgangssperre draußen gefilmt, indem ich neben Frauen arbeitete, die mir als Späherinnen dienten und mich warnten, wenn sie irgend jemanden aus der Armee kommen sahen, sodass ich mich rechtzeitig verstecken konnte. Auch meine Mutter half mir: Wenn sie einkaufen ging, versteckte sie Videobänder an ihrem Körper oder unter Gemüse und Früchten.
Aber ich sehe in der palästinensischen Gesellschaft eigentlich keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen. In meiner Familie gab es eigentlich niemals eine Macho-Helden-Vorstellung von Männern. Ich glaube, dass die jungen Männer in unserer Gesellschaft mehr Freiheit haben als die Frauen. Also habe ich das in »Haifa« durch die Rolle des Mädchens, wie es damals so im realen Leben nicht existierte, thematisiert. Ich versuchte, anhand ihrer Rolle dem Publikum die Möglichkeit näher zu bringen, ihre Lebensweisen selbst zu wählen, ihre Ausbildungen fortzusetzen, jemanden zu heiraten, den sie lieben, und sich arrangierten Heiraten zu widersetzen. Ich versuchte, sie als deutliches Vorbild für Mädchen ihres Alters darzustellen, das sie dann beneiden und versuchen würden, ihrem Beispiel zu folgen und wie sie zu sein, In »Haifa« habe ich auch andere Erwartungshaltungen unterlaufen: Das Mädchen war mit der Hauptfamilie verwandt, und ich benutzte ihren Freund, um ihre Geschichte zu erzählen, nicht umgekehrt.
Fareed Armaly: Wie in deinen anderen Filmen auch erzählst du in »Haifa« die Geschichte anhand von Beziehungen, die im Lauf des Films unsere Erwartungen im Hinblick darauf, wer der Hauptdarsteller oder die Hauptdarstellerin ist, verändern. Die Darstellung des jungen Mädchens und ihrer Geschichte werden in den Mittelpunkt gerückt, während Haifa, der dem Film den Namen gibt, nur als Vorwand dient, damit die Ereignisse miteinander verknüpft werden können. Wie wurde die Rolle des Haifa entwickelt?
Rashid Masharawi: Die Figur des Haifa ist ganz deutlich eine, die ich erfunden habe. Es ist nicht alltäglich, einen Flüchtling aus Haifa in den Flüchtlingslagern in Palästina zu finden - sie sind an anderen Orten der Welt verstreut, in Beirut, etc. Nicht in Gaza, im Westjordanland oder in Jericho, wo das Lager im Film angesiedelt ist. Haifa war ein »Konstrukt«, das dem, was gerade geschieht, ins Auge blickt, die Vergangenheit auf sich genommen hat und sich der Zukunft zuwendet. Ich versuchte, ihm eine Geschichte zu geben, auch wenn diese nirgendwo hinführt. Dieser Film stand in Zusammenhang mit dem Friedensprozess und mit mir selbst als einem Flüchtling aus Jaffa. Der Ort kann also als Haifa gelesen werden, nur eben in einem Lager in Gaza angesiedelt. Nach dem Friedensabkommen fühlte ich zum ersten Mal, dass Jaffa für mich verloren war. Selbst wenn ich mein ganzes Leben in diesem Lager bleiben werde, stehe ich darin auf iaffa'schem Boden, weil ich ein Flüchtling mit einem Problem bin und wir daran arbeiten, dieses Problem zu lösen. Selbst wenn wir es, wie es momentan aussieht, noch nicht gelöst haben, existiert das Problem immer noch. Wenn also Friedensverhandlungen geführt werden, fühle ich, dass mir jemand diesen Boden - der Jaffa ist - unter meinen Füssen im Lager wegzieht. Ich bin immer noch im Nirgendwo in diesem Lager, und diese Verbindung zwischen mir und Jaffa - sie haben sie gekappt. Es ist klar, dass für jedes weitere Abkommen nicht über Jaffa gesprochen wird, also ist auch klar, dass die Flüchtlinge Flüchtlinge bleiben werden. Sie werden nirgendwohin gehen. Sie werden die Bezeichnung ändern, nicht die des Hauses, der Familie oder der Nachbarschaft - es wird dann eben nicht mehr »israelische Okkupation« heißen, sondern »palästinensische Selbstverwaltung« oder zukünftig auch »Staat«. Aber das alles ist nicht Jaffa.
Das war also gleichzeitig auch das Dilemma der Figur Haifa, der versucht, diesen Friedensprozess zu verstehen, den in Wirklichkeit niemand verstehen kann. Und ich versuchte nur, diesen Friedensprozess zu überleben, nicht ihn zu verstehen. Wenn man ihn nicht versteht, hat man viele Probleme und soll trotzdem überleben.
Farid Armaly: In »A Ticket to Jerusalem« konzentriert sich der Plot auf den Akt, einen riesigen Filmprojektor aus einem Flüchtlingslager nach Jerusalem zu bringen, damit dort eine Filmvorführung stattfinden kann. Aber man bemerkt unweigerlich, dass sich innerhalb des Settings vieles andere abspielt, die tatsächlichen Umstände rundherum, die vielen Checkpoints, Umleitungsstraßen, vorbeifahrende Panzer, israelische Soldaten, die im Drehbuch gar nicht vorgesehen sind - alles das vermischt sich zu gleichen Anteilen mit den Schauspielerinnen. So wie du Haifa beschreibst, erweckt dies einen Eindruck, dass der »Hauptdarsteller« nicht der Filmvorführer ist, sondern die Chronik des Filmprojektors selber die Handlung ausmacht, die eine Überschneidung verschiedener Sichtweisen - fiktionaler und realer, abgeleitet aus deinem Leben zulässt und diese aktualisiert, indem sie sich langsam mit der Zeit entwickeln. Es scheint also, dass dein neuester Spielfilm eine Art zeitgenössische Pilgerfahrt ist.
Rashid Masharawi: Der neue Spielfilm »A Ticket to Jerusalem« ist eine Fiktion, in der ich persönlich viele Dinge über Flüchtlinge im Ausland und hier zu sagen habe; über Siedlungen; über das Kino in Palästina. Er kann wie die »Differenz« zwischen meinen anderen beiden Spielfilmen »Curfew« und »Haifa« gesehen werden. »Curfew« behandelt eine dokumentarische Situation, aus der ich einen Spielfilm gemacht habe. Ich habe einen Teil des Lebens auf Film gebracht und versucht, das so präzise wie möglich zu tun, so präzise, wie dieses Stück Leben für mich ist. Er enthält also auch Dialoge, die aus dieser Situation stammen. In »Haifa« habe ich viele Dinge zu sagen, also habe ich ein Drehbuch geschrieben, das genau vorschreibt, was gesagt werden soll. Was »A Ticket to Jerusalem« betrifft: Die Realität, mit der wir heute in Palästina konfrontiert sind, ist sehr viel stärker als jede Fiktion. Wir existieren überall auf der Welt in den Medien. Das Publikum hat also bereits ein Image, eine Vorstellung von uns. Ich kann also nicht zu diesem Zeitpunkt mit etwas daherkommen, das vorgibt, sich mit dem Heute zu beschäftigen, und dabei den Kontakt mit jener Realität verloren hat, die man auf allen Fernsehern der Welt tagtäglich zu sehen bekommt. Ich entschloss mich also dazu, eine Geschichte zu drehen, die während der zweiten Intifada in Palästina spielt. Die Methode, sich mit der Kamera an einem realen Drehort zu bewegen, war absichtlich gewählt und erlaubte mir, die Geschichte, die ich erzählen wollte, dadurch viel eindringlicher zu machen, indem ich zeige, wie sie diese Wirklichkeit berührt, sich mit ihr verbindet. Alle fiktionalen Elemente sind aus einer dokumentarischen Form heraus entwickelt. Der Film nimmt darauf Bezug, worüber ich Bescheid weiß: Im CPC betreiben wir ein mobiles Kino; wir haben Schwierigkeiten hinauszukommen, die israelischen Panzer stehen gleich neben unserem Büro; ich habe Schwierigkeiten, irgendwohin außerhalb von Ramallah zu reisen. Das ist es, was mich persönlich interessiert - mich mit Film zu beschäftigen, die politische Situation zur Zeit, Jerusalem, und in dem Film einige dieser Themen aufzugreifen und zu behandeln. Es ist offensichtlich, dass ich über die palästinensischen Flüchtlinge spreche und die Siedlungen, über Jerusalem und die israelische Okkupation. Und in dieser sehr komplexen Situation versuche ich, diese Dinge in einer scheinbar simplen Geschichte miteinander in Verbindung zu bringen.
Nur wenn man kein Flüchtling ist, ist man am eigenen Ort sicher. Selbst wenn ich meine Adresse in »Ramallah« umändere, würde ich mich immer noch als Flüchtling fühlen. Außerdem sind viele Umstände immer noch dieselben - die Filme sind also immer noch relevant. Jetzt ist wieder eine Ausgangssperre in Palästina verhängt worden. Sie haben das - genauso wie im Film - über Lautsprecher verkündet. Was ich versucht habe, ist, aus der palästinensischen Situation ein Stück Kino zu machen. Ich habe insgesamt an die fünfzehn Filme, darunter Spielfilme, Kurzfilme und Dokumentationen, gemacht, und zusammengenommen glaube ich, dass sie ein Spiegelbild und Dokument des palästinensischen Lebens in den letzten zwanzig Jahren sein können. Gleichzeitig sind sie Zeugnisse meines Versuchs, während dieser Zeit Kino zu machen.
Übersetzt von Judith Fischer & Georg Wasner