Heft 2/2002 - Netzteil


VideoVisions

Die neueste Staffel experimenteller österreichischer Musikvideoproduktionen

Petra Erdmann


Österreichische digitale Videoproduktionen, die einem überwiegend experimentellen Ansatz folgen, gab es im März erneut auf der Diagonale, dem Festival des Österreichischen Films, zu sehen. Unter dem Titel »VideoVisions« fusionierten die KuratorInnen Barbara Pichler und Norbert Pfaffenbichler die in den drei Jahren davor präsentierten Programmschienen »Austrian Abstracts« und »Musik/Video-Programm« zu einer gemeinsamen Reihe. »VideoVisions« liefert einen Überblick über neue audiovisuellen Arbeiten, in denen Bild und Sound als gleichrangige Komponenten zusammenspielen.

Hatten unter anderem visuelle Autodidakten aus der Clubszene im Musik/Video-Programm 2000 und 2001 am konventionellen VideoClip-Format gerüttelt, sprich: bereits vorhandene Tracks aus der Electronica-Szene mit digitalen Bildauflösungen zusammengeschweißt und rhythmisiert, so vereinte das Parallelprogramm »Austrian Abstracts« etwas strengere abstrakte Zugänge, mit denen vor allem KünstlerInnen aus dem Multimedia- und Grafikdesignbereich ihre Arbeit am Computer oft mit eigenen Sounds ins Dreidimensionale erweiterten. Doch eindeutige Trennlinien in der Konzeption beider Vorläuferprogramme von »VideoVisions« ließen sich nie wirklich ziehen.
»VideoVisions« versammelte heuer 25 Videos. Die KuratorInnen Barbara Pichler und Norbert Pfaffenbichler beabsichtigten laut Katalogtext, »konzeptuelle Selbstbeschränkung aufzugeben und die Kompilationen abwechslungsreicher und vielfältiger zu gestalten«. Der nächste Schritt aber wäre gewesen, die Szenen aufzubrechen und das Programm durchlässiger zu machen. Wo waren die jenseits einer experimentellen elektronischen »Gemeinde« angesiedelten Kollaborationen? Etwa die HipHop-Videos, die die Waxolusionists oder Total Chaos in Auftrag gegeben hatten, oder warum fehlten Dancefloor-Clips wie etwa der von Tina Schula zu Louie Austens »Amore«? »This isn’t maybe« von Waldeck, visualisiert von Bert Hunger und Wolfgang Werzowa, blieb das einzige mit einem »professionellen« Budget produzierte Video, das in Zusammenarbeit mit dem Label entstand. Ein Umstand, der natürlich als Spiegel der schwierigen Situation von VideomacherInnen im kommerziellen Musikgeschäft zu werten ist.
Die Mehrzahl der »VideoVisions«-Beiträge wurde mit »low budget« und in Eigeninitiative realisiert: Billy Roisz gelang mit »Blinq« eine radikale Hinterfragung der Ton-Bild-Sychronisation und somit eine Abwendung von jeglichen Musikclip-Formaten. »Bei meinen Videoarbeiten interessiert mich immer mehr die Auflösung bekannter Wahrnehmungsmuster. Ich bewege mich zusehends weg von der Bebilderung der Musik und untersuche Spielräume, die zwischen Ton und Bild und den RezipientInnen liegen« sagt Roisz. Sie hatte Musiker aus Deutschland, Österreich und Japan (unter anderem Boris Hauf, Chrisof Kurzmann und akoasma) gebeten, ihr »Mini-Tracks« mit einer maximalen Länge von 30 Sekunden zur Verfügung zu stellen. Dazu fertigte Roisz gleich lange Bildsequenzen, oft zellenartig erscheinende digitale Raster, die sie dann in der Endfassung vom Sound wieder abkoppelte. Nach dem Muster Ton & Schwarzfilm/Bild & Stille/Ton & Schwarzfilm/…
Neben Videos, die unter dem Einsatz spezieller Software grafische und musikalische Ansätze erweiterten, fiel die relativ breite Verwendung von Found-Footage-Material aus den sechziger und siebziger Jahren auf (etwa von mvd, Angela Lehner und Alexander Ivan). Dass sich der Retro-Lack gut abkratzen lässt – und das ist als Kompliment zu verstehen –, bewies Thomas Aigelsreiter mit »Key West«. Er überlagerte und komponierte schwarzweiße Sixties-Aufnahmen aus dem Urlaubsparadies Florida. Aigelsreiter, der unter dem Namen Auge auch als Comiczeichner und Illustrator tätig ist, verdichtet und überblendet Bilder der Unruhe wie rasante Autofahrten und Highways mit Strandeinstellungen, auf denen im Badeanzug gefaulenzt und gesurft wird. Mit der Musik, die Thomas’ Vater, der Komponist Rudi Aigelsreiter, nach dem Schnitt beisteuerte, taucht »Key West« in eine beinahe David Lynch-hafte Atmosphäre ein. Die Idylle bekommt bei den an Angelo Badalamentis erinnernden Klängen einen Knacks, und die sich dynamisierende Rastlosigkeit entwickelt eine befremdliche Sogwirkung.
Während viele »VideoVisions«-Einreichungen durch ihre monotone bzw. reduzierte Farbauswahl auffielen, fasziniert »mir mig men« von Karø Goldt durch seine eigenwillig sanfte Farbkomposition. Goldt hat Fotos von Soldaten, die sie auf der Internationalen Luftschau Ausstellung / Ila Berlin 98 aufgenommen hat, im Farbhandabzug manipuliert, eingescannt und anschließend zu einem Video montiert. »Der Soldat als einzelner ist ein Phantom«, meint Goldt, die über die Malerei und Fotografie zum bewegten Bild gekommen ist, »zumindest als Individuum eher Symbolfigur als Mensch« . In »mir mig men« erscheint ein »Männerkult in der Sphäre der Kriegsführung« nur ausschnitthaft. Er gerät in die Unschärfe, über die sich blasse Farben legen. Cockpits, Uniformen, rasierte Köpfe, die mehr und mehr zu Rashims Sound im Weiß versinken.
Wider einen omnipräsenten Technikfetischismus, der laut Aussage des Kollektivs wr in der digitalen Bilderflut überhand nimmt, legte diese Gruppe mit »sigma 3« zum gleichnamigen Musikstück von mimisecu ein einziges, unbearbeitetes und ungeschnittenes Tableau vor. Wr rückten ein Karussell 5 Minuten zentral ins Bild. Es dreht sich, seine Lichter blinken, Fahrgäste sind spärlich vorhanden, und immer wieder saust im Vordergrund ein Kind im Spielzeugauto durch das karge Szenario. »sigma 3« hat subtilen Witz und noch mehr: Zu den zarten elektronischen Klängen von mimisecu wirkt ein burgenländischer Kirtag, der auf den ersten Blick ärmlich erscheinen mag, geradezu verzaubert. »Wir sehen nicht mehr das, was wir von einem Provinzspektakel erwarten würden, sondern etwas Neues – ein dekonstruiertes, umkodiertes Erlebnis, ohne es den diversen Softwareprogrammen auszusetzen«, heißt es bei wr.
Auch »Realtime« von Experimentalfilmemacher Siegfried A. Fruhauf beruht auf einem streng minimalistischen Konzept. Fruhauf wollte etwas machen, »das sich auf die wesentlichen Eigenschaften des bewegten Bildes reduziert: Zeit und Licht«. In »Realtime« können wir viereinhalb Minuten lang beobachten, wie die Sonne in Realzeit aus dem Bildrand in die Mitte wandert und dann hinter einer Wolke verschwindet. Dazu ertönt »It’s an ordinary world« von Jürgen Gruber und Christoph Ruschak. Der Hintergrund ist schwarz. Die Sonne ein grüner Ball. Die Farbgebung entstand beim Dreh durch die nötige Abdunkelung der Kameralinse und die davor gesetzten Filter. »Realtime« ist ein Versuch, dem heute an flotte Bildabfolgen gewöhnten Auge die Erfahrung von Zeit durch langsame Bewegung wieder beizubringen. Gleichzeitig ist der Titel eine ironische Anspielung auf die derzeitige Entwicklung der elektronischen Medien, wo »Realtime« die Möglichkeit zu immer schnellerem Produzieren und Reproduzieren verheißt. Fruhauf, der sich sonst mehr der Erforschung und dem Gebrauch des Mediums Film verpflichtet fühlt, steht wohl auch für eine Tendenz in der jungen österreichischen Avantgarde, die mehr und mehr die Neuen Medien bzw. Video wie auch experimentelle elektronische Musik in ihre künstlerische Produktion aufnehmen.

Billy Roisz
http://gnu.klingt.org
http://roiszwein.schmeckt.org
http://efzeg.klingt.org

Karø Goldt
www.alles-goldt.de

Thomas Aigelsreiter
http://members.chello.at/auge

Wr
www.multitudes.org/profiles/groups/wr
limes: www.multitudes.org/profiles/groups/wr/limes
border sounds: www.kunstradio.at/2001B/16_09_01.html

www.diagonale.at