Abgefilmte Rückseiten von Projektionsleinwänden, Fahrräder des Aufsichtspersonals, Kabelsalat, benütztes Geschirr, Computerbildschirme, hin und wider Besucherschatten, die über die Leinwände huschen: Das Kameraauge der gebürtigen Sizilianerin Rosa Barba ertastet den Backstage-Bereich der Expo 2000 für den Musikclip »Kontra« der Kölner Elektronikformation Microstoria (bestehend aus Jan Werner von Mouse on Mars und Markus Popp/Oval). Das Material fokussiert die »uninteressanten« Zwischenräume, die in keinen TV-Reportagen und Promotion-Jingles auftauchen, die kein Betrachter in den gigantesken Pavillonbäuchen eines sauberen Multimedia-Events anvisiert. Rosa Barba hat die Sequenzen auf Modelle projiziert, nochmals abgefilmt und anschließend digital verschoben und verschachtelt. »Mit ›Kontra‹ versuchte ich eine Art Brüchigkeit, welche die Band aus analogem und digitalem Sound destilliert, in eine visuelle Welt zu übersetzen. Dafür suchte ich die ›Hinterwelt‹ der Expo 2000.« Durch die poetische Montage entsteht eine surreale High-Tech-Kulisse. Sie scheint schwerelos und traumwandlerisch durch den Frame zu tanzen. »Ich versuche Situationen zu erschaffen, in denen sich das Nicht-Perfekte, Unpassende neu inszenieren kann«, sagt Barba.
Kontra geben, Gegenwelten entwerfen, Perfektion hinterfragen – all das findet sich in den Musikvideoarbeiten der 29jährigen Wahl-Kölnerin exemplarisch umgesetzt. Etwa in »Distroia« (Co-Regisseur Herwig Weiser) für das Duo Mouse on Mars, das eine kalkulierte visuelle Antithese zu den oft abstrakt und kühl gehaltenen Minimal-Electronic-Clips darstellt. Trashig und mit brutaler Low-Tech-Ästhetik umgesetzt, treten die Musiker Jan Werner und Andi Thoma in »Distroia« als schlappe Silikonpuppen auf, die zu hektischen Beats über Fitnessgeräte gehetzt werden. Für Mouse on Mars hat Rosa Barba auch das Video »Disk Dusk« gedreht, in dem DemonstrantInnen in Clubbing-Outfits durch eine Aulandschaft pilgern und Schilder mit rätselhaften Zeichen hochhalten. Wenn hier die Ironisierung der Love-Parade-Kultur inszeniert wird, wo man sich am Ende in einer weißen Stoffblase aalt, dann passiert das nicht ulkig, sondern mit unaufdringlichem Witz und »fake-dokumentarisch«.
Neben den Kollaborationen im Umfeld des Kölner Electronica-Labels sonig – etwa der Produktion von Live-Visuals bei Mouse on Mars-Konzerten – realisiert Rosa Barba auch 35mm- und 16mm-Filminstallationen, in denen sie Variationen ihres subjektiven Begriffs von Expanded Cinema auslotet. Was sie interessiere, sei eine Transformation von Kino in andere (öffentliche) Räume wie Atelier, Galerie, Museum etc. sowie die Verschmelzung von Bildender Kunst mit Kino. In ihrem Projekt »Gegenlaufsequenzer«, das letzten Winter im Grazer Medienturm (www.medienturm.at) und im Budapester c3 zu sehen war, tasten von Barba manipulierte Projektorstroboskopmaschinen durch den Raum gespanntes Filmmaterial ab. Die Schleifen rattern, die Lampen sind rhythmisch getaktet, fotografische Momentaufnahmen von anonymen Orten und Personen flackern auf und generieren den Sound.
Mit der zentralen Platzierung der im Kinokontext üblicherweise unsichtbaren Projektionsapparatur implantiert Barba im Ausstellungsraum ein mögliches kinematografisches »Herz«, dessen Wichtigkeit sie gleichwohl sabotiert. Es gibt kein Zentrum der Aufmerksamkeit, höchstens ein sinnliches »Abgrasen« der Peripherie. Barba: »Trotz der linearen Ausrichtung, die der Projektor vorzugeben scheint, indem er auf ein Ziel, eine Erzählung verweist, eben die Projektion, eröffnen sich immer wieder Nebenschauplätze, teils offensichtlich, teils versteckt.«
In Barbas skulpturalen Illusionsmaschinen navigiert man durch ein Universum aus Film, Video und Fotografie, in dem sich Seh- und Hörgewohnheiten permanent verschieben und aus dem neue Wahrnehmungen destilliert werden. In Barbas letzter Arbeit, »Piratenräume«, die im April dieses Jahres in der Galerie c/o Peter Gorschlüter in Karlsruhe zu sehen war, ändert die Projektionsmaschine laufend ihre Richtung und Geschwindigkeit, gesteuert durch einen Barcode, der auf dem Filmmaterial angebracht ist. Das Vor- und Zurückspulen des Projektors, der mal langsamer wird, mal stehen bleibt, suggeriert eine Bedienung von Geisterhand. Eigentlich stehen die Räume leer, und dennoch formieren sich etwa Abbildungen von Türen, die sich wie von selbst schließen und wieder verschwinden. Gleichzeitig öffnen sich Durchgänge oder Fenster, die in ein Nirgendwo blicken lassen. Eine Art irrationales Bauwesen breitet sich aus. »Analoge Apparate unter Berücksichtigung der digitalen Möglichkeiten zu manipulieren und den analogen, ungeschliffenen Aspekt bei der Präsentation miteinzubeziehen«, dies ist erklärtes Ziel der Künstlerin.
In der »Flugmaschine« müssen sich die BetrachterInnen gar die Laufgeschwindigkeit der Bilder selbst »erstrampeln«, weil die Klappe, die den Film transportiert, fehlt. Man sieht den Flugversuch einer Hummel durch das Flackern der Stroboskoplampe. Sobald man sich mit der Lampe synchronisiert, kann man die Hummel einen Moment lang fliegen sehen. Und im »Cinorama« lässt sich das Kino auch als sozialer Ort deuten: Mindestens 2 Personen müssen im Raum anwesend sein, damit die Projektoren zu laufen beginnen. Zwei Hälften eines nächtlichen Stadtporträts sind zu sehen, deren Verlauf die ZuschauerInnen durch Betreten und Verlassen des Raums beeinflussen können.
Die Filme in den Installationen haben stets einen narrativen Aufbau – in »Cinorama« etwa 5 Kurzgeschichten ohne wirklichen Plot, die durch das Auseinanderlaufen der Panoramahälften immer wieder auf unterschiedlichen Ebenen vorgeführt werden und für kurze Zeit miteinander synchron laufen. In »Navigator im Licht-Raum-Modulator« beobachten wir in Ausschnitten Protagonisten in ihren privaten Räumen, und das wiederholte Male, unterbrochen von Weiß-Sequenzen. »Mich interessiert das Kino, das mehr Platz für Gedankenfreiräume lässt und eine Schlacht von Ideen und Möglichkeiten ist«, definiert Rosa Barba ihre multimediale Forschung.
Die sorgsam zusammengesetzten Sound- und Bildwelten der Künstlerin lassen sich lustvoll durchwandern. Sie bilden einen audiovisuellen Parcours, ähnlich einer Traumlandschaft, in er sich stets eine Ästhetik des Ungeschliffenen und des Gegen-den-Strich-Bürstens konzeptuell behauptet.
Am 1. November 2002 erscheint im Verlag Walther König ein Buch zu Rosa Barbas Arbeiten. Zur Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf im Januar 2003 erscheint, ebenfalls bei Walther König, ein Bildband.