Heft 3/2002 - Artscribe


inside the sixties: g.p. 1.2.3.

24. Mai 2002 bis 15. September 2002
Musée cantonal des Beaux-Arts / Lausanne

Text: Hedwig Saxenhuber


Das Plakat zeigt vier Personen, alle in Sechziger-Jahre-Klamotten - ihr Blick ist ernst und konzentriert auf ein Geschehen gerichtet. Das Sujet fällt auf im Stadtbild. Auch der leicht kryptische Titel »inside the sixties: g.p. 1.2.3.« enträtselt das Fashion-Poster nicht gleich als Werbung für eine Ausstellung des Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne. Diese Institution im klassizistischen Palais de Rumine - ein Mehrspartenmuseum, Naturkunde, Archäologie, Kunsthistorisches und Sammlung der Moderne - unternimmt den Versuch, die eigene Geschichte, die Teilhabe an der zeitgenössischen internationalen Kunst der 60er Jahre, zu reflektieren. Der damals neu bestellte Direktor des Provinzmuseums, René Berger, war Präsident der internationalen Kunstkritikervereinigung AICA und hatte Kenntnis über weltweit sich gerade neu entfaltende Kunstströmungen. Um den Spirit der Stunde nach Lausanne zu tragen, gründete er die »Internationalen Salons«. 1963, 1966 und 1970 lud er die Pilot-Galerien aus der damaligen Kunstwelt ein, für drei Monate im Museum ihre neuen »Entdeckungen« präsentieren und auch zu verkaufen.1 Diese Idee war Teil von Bergers Gesamtkonzept für das Haus, das er als offenen Ort des Experimentierens mit neuen Kunstformen jenseits geografischer Grenzen definierte.2

Die Aufarbeitung der Lausanner Institutionsgeschichte durch Yves Aupetitallot, Lionel Bovier, Catherine Lapdor und Caroline Nicod erfolgt konzeptuell in drei Themenkomplexen: Rauminstallationen von drei Künstler-Zeitzeugen, Dokumentation (Präsentation von Archivalien sowie Ton-, Bild und TV-Dokumenten) und als »Spurensicherung« Werke aus dem Museumsfonds und aus Waadtländer Privatsammlungen, die während der Salons erworben wurden.

Um diese Erfolgsgeschichte dem lokalen und internationalen Publikum wieder in Erinnerung zu bringen, haben sich die Kuratoren einiger raffinierter Schachzüge bedient. Den Anfang der Präsentation setzt ein Entree von Olivier Mosset, John Armleder und Pierre Keller. Der »klassischen« Museumspräsentation von Mosset mit abstrakten, konzeptuellen, minimalistischen und dem Nouveau Réalisme zugehörigen Arbeiten folgt Armleders Beitrag in der Manier seiner »Ecart«-Aktivitäten als Künstlerkurator mit starkem Gestaltungswillen: Ihm dienen 48 Kunstwerke der Salons als Vorlage für Scheiben, die er auf der silberfarbigen Wand wie eine Galerie »von Planeten aus einer billigen Kopie von Science Fiction Novellen der 60er Jahre« anordnet und davor einige Kunst- und Designobjekte aus der Zeit präsentiert. Ein Laufsteg durch diesen Raum der »zerstörten Bilder in Rokokomanier« führte in die »schwarze Kammer« von Pierre Keller. Dessen verdunkelter Raum mit spotbeleuchteten Stücken konkreter Malerei und kinetischen Objekten seit den 60ern wurde zum Spielball von Wahrnehmung .

Nach diesem abwechslungsreichen visuellen Auftakt erschloss sich der Dokumentationsflügel: Hier waren die lokalen Salon-Akquisitionen ausgestellt. Die Sammler erweisen sich dabei keineswegs als Experimentierer und Erneuerer, sie agieren vorsichtig entlang der Traditionen der abstrakten Moderne und der konkreten Kunst. Nur einige wenige wagen den Sprung zur Pop Art.

Was an der Ausstellung fasziniert, ist das Understatement in Bezug auf ihre Absicht. Durch eine Art visuelle Falle werden die BesucherInnen ins Herzstück der Präsentation gelockt, - den dokumentarischen Teil - und anschließend wieder in einen kulinarischen Museumsparcour entlassen. Wer wollte, hatte viele Möglichkeiten, sich mittels verschiedener Medien ein Bild von den Salons, die so viel zur Reputation des Lausanner Museums beigetragen haben, zu machen. Die vergriffenen, erstklassig gestalteten Publikationen der Salons waren in Vitrinen und auch auf der dem Katalog beiliegenden CD-Rom zu sehen. Der Erfolg der Salons lag in starken visuellen Initiativen - wie dem Logo des jungen Lausanners Roger-Vergile Geiser - und in der Didaktik, im Einsatz neuester Technologien, wie etwa die Audioführungen belegen. Die Presseclips waren als Tapete affichiert. Der erste Salon hatte mehr als 500 Zeitungsmeldungen. Die internationale Presse zeigte Reaktionen wie bei den Biennalen in Venedig und São Paulo. Lausanne und die Schweiz hatten diese wichtige Station des europäischen Modernismus fast vergessen. Ein Understatement für René Berger - oder doch eine Hommage?

 

 

1 Zu den Salons waren jeweils 15 Galerien eingeladen, unter ihnen: Leo Castelli (New York), Galerie Schwaz (Mailand), Denise René (Paris), Dilexi Gallery (San Francisco), Galerie Bonino (Rio de Janeiro), Gutai Pinacoteca (Osaka), Galerie Swart (Amsterdam), Galerie Palette (Zürich), Carmen Lamanna (Toronto), Wide White Space (Antwerpen), Galerie Foksal (Warschau), usw.

2 1966 wurde in Köln die 1. Kunstmesse gegründet, 1969 die Art Basel und 1974 FIAC. In der Würdigung des 30-jährigen Bestehens der Art Basel findet sich kein einziger Hinweis auf die Lausanner Salons.