Heft 3/2002 - Artscribe


Zurück zum Beton

7. Juli 2002 bis 15. September 2002
Kunsthalle Düsseldorf / Düsseldorf

Text: Jan Verwoert


»Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977-82«. Das ist das Thema des Buches »Verschwende Deine Jugend« von Jürgen Teipel (Frankfurt a. M. 2001). Es ist auch das Thema der unter Mitwirkung von Teipel realisierten Ausstellung »Zurück zum Beton«. Das Buch rekonstruiert die Geschichte von Punk und New Wave in Düsseldorf, Berlin und Hamburg anhand von Interviews mit ProtagonistInnen der Szene und Mitgliedern von Bands wie Fehlfarben, Mittagspause, S.Y.P.H., Charley’s Girls, Male, KFC, Palais Schaumburg, Der Plan, DAF, Malaria oder den Einstürzenden Neubauten. Die Ausstellung präsentiert sich als Sammlung von Materialien: Dokumentarfilme über Punk, Mitschnitte von Konzerten, Experimentalfilme, Dias und Fotos von Involvierten werden auf Monitoren, als Projektion und zum Teil auch in neonbeleuchteten Containern gezeigt. Dazwischen findet man alte Instrumente wie das Schrottschlagzeug der Neubauten oder legendäre Synthesizer wie den Korg MS20. Ein Raum, der mit kopierten Seiten aus Fanzines tapeziert ist, dient als Mediathek mit Fanzines, Plattencovern und Mixkassetten.

Es ist unbestreitbar, dass Buch und Ausstellung das richtige Thema zur richtigen Zeit behandeln. Die Würdigung der experimentellen Frühphase von Punk erscheint gerade angesichts der Tatsache notwendig, dass jetzt auch der Markt das seit langem gärende Achtzigerjahre-Revival entdeckt. Die Konsequenz ist eine Geschichtsbegradigung im großen Stil, die nur die damals wie heute kommerziell erfolgreichen Acts der Neuen Deutschen Welle berücksichtigt und als »schrill« abfeiert. Buch und Ausstellung verdeutlichen dagegen, dass es sich bei dieser zeitgleich mit dem »deutschen Herbst« einsetzenden Entwicklung um eine zweite Protestkultur nach den 68ern handelte, die sich gegen das Deutschland der Nazi-Väter richtete, darüber hinaus aber noch ein neues Feindbild ausgemacht hatte: die Generation der stagnierten Hippies, die, auf Landkommunen bekifft Prog-Rock hörend, ihren Frieden mit den Verhältnissen geschlossen zu haben schien. Gegen Staat und Hippies setzte Punk in Haltung und Musik auf pure Aggression, hedonistischen Nihilismus, posthumane Maschinenmusik, Dilettantismus statt Virtuosität, forcierte Entfremdung (Beton) statt Versöhnung (Natur).

Konzeptuell interessant ist, wie Buch und Ausstellung die Geschichte dieser Entwicklungen konstruieren. Im Buch inszeniert Teipel durch die unkommentierte Montage verschiedener Interviewstatements eine multiperspektivische Form von Oral History. Das Gesamtarrangement der Soundbytes folgt dabei jedoch einem klaren narrativen Muster: Das Buch beginnt mit Kommentaren über die euphorische Frühphase und endet mit Aussagen über den Zerfall der Punkbewegung. Teipels Geschichtsschreibung folgt dem Schema des Ikarusflugs: auf den Aufstieg folgt der Fall. Ein Schema zur Produktion von Mythen.

Der Ausstellung fehlt eine solche Rahmenerzählung. Das kann man positiv wie negativ werten: Problematisch ist, dass durch den Verzicht auf ihre explizite sozialgeschichtliche Kontextualisierung manche Exponate nur einen diffusen Kultwert vermitteln. Das Fehlen eines didaktischen Korsetts lässt den BesucherInnen aber auch alle Freiheit, eigene Bezüge herzustellen und selbst zu beurteilen, was interessant ist und was banal. Aus dieser Perspektive betrachtet, entpuppt sich dann manches von dem, was die Selbstaussagen der Beteiligten im Buch revolutionär erscheinen lassen, als altvertraut. So zeigt der Vergleich von Sounds und Posen, den die Ausstellung herstellt, wie viel »Rock« noch in »Punkrock« steckt. Und Rock heißt: Jungs spielen Gitarre und markieren den wilden Mann. Im Kontrast zu solchen Stereotypen wird dann aber umso deutlicher, was sich als richtungsweisend behaupten kann. Der Sound der Frauenband Mania D etwa (von der es ein Konzertvideo gibt) weicht durch die Dominanz der Synthesizerbässe überraschend stark vom »mittenlastigen« Gitarrensound der meisten Punkrockbands ab. Hier wird eine ganz andere Soundvorstellung entwickelt. Ein Bassbewusstsein, das weit über Rock hinaus auf die Klangdimensionen von Techno verweist. Und Gänsehaut garantiert immer noch der minimalistisch stumpfe Fascho-Elektro-Beat von DAF. Kaum zu glauben, wie sexy Nihilismus klingen konnte.