»und weil es ja gerade so wenig zu tun gab...
gründ ich jetzt auch arttac....im sinne des politischen \'nachlegens\'.
lg pascale«
(Pascale Jeannée)1
»Jede Position, die der Wunsch gegen die Unterdrückung einnimmt, wie lokal oder winzig sie sein mag, stellt nach und nach das Ganze des kapitalistischen Systems in Frage und trägt dazu bei, es in die Flucht zu schlagen.« (Félix Guattari)2
Am 28. Mai 2002 um 14 Uhr, also ungefähr vier Stunden vor der Happy Hour, hatte sich Pascale Jeannée in einem American Restaurant in Braunschweig in den Kopf gesetzt, ihren Cocktail zum für die Happy Hour ab 18 Uhr angekündigten halben Preis zu bestellen. Was folgte, war eine erstaunliche Abfolge von mehrfach wechselnden Ansätzen zur Überzeugung des Kellners, Verhandlungen, Charmeoffensiven, kleine Pausen, erneute Angebote, Ablenkungen, Scherze, seriöse Nachfragen, bei denen wohl niemand so genau wusste, ob sich da jetzt ein ironischer Unterton hinzugesellt hatte oder nicht. 15 Minuten später standen zwei Cocktails zum Preis von einem am Tisch.
Diese kleine Geschichte aus einem erfrischend spontanen, eigensinnigen, allzeit wachen und im besten Sinn offensiven Alltag, zugleich mein letzter Tag mit ihr, sagt exemplarisch auch einiges über die Praxis der von Wien aus operierenden Gruppe aus, die Pascale Jeannée in den letzten Jahren in zunehmend wichtiger Rolle mitgestaltet hat: WochenKlausur, in hohem Ausmaß beteiligt an der Ausformung und Verbreitung von Konzepten der Interventionskunst und Projektkunst im deutschsprachigen Raum, wahrscheinlich auch darüber hinaus.
In der Dokumentation und Selbstdarstellung der Gruppe wird beizeiten eine stark maschinelle Auffassung von Effizienz in den Vordergrund gestellt und damit ein provokativer Graben aufgerissen zu herkömmlichen Vorstellungen über autonome Kunst in Freiräumen jenseits von Erfolgsnachweisen: »Die selbst gewählte Aufgabe muss jedoch, wie in der Malerei, präzise definiert sein. Interventionskunst ist nur effektiv, wenn genau feststeht, welche Problemlösung erzielt werden soll.«3 Es scheint, als gäb\'s in den mikropolitischen Projekten der WochenKlausur keinen Platz für Ziel-Folgen-Differenz. In der Realität waren aber gerade seit und mit dem Einstieg Pascale Jeannées in die WochenKlausur im Jahr 1995 ihre Projekte gute Beispiele für ein dauerndes Nachjustieren, für ein permanentes Umgehen mit dem Wechsel der Voraussetzungen, für ein doch irgendwie noch Ermöglichen des vorerst unmöglich Scheinenden. In den konkreten Interventionen etwa zu Schubhaftbedingungen, Ortsentwicklung, Bürgerbeteiligung, Schulsystem und vielen weiteren heterogenen sozialen und politischen Themenstellungen waren die Beteiligten fast durchgehend damit beschäftigt, mit Hilfe des symbolischen Kapitals der Kunst Regeln auszusetzen oder zu umgehen, um gesellschaftliche Mikro-Strukturen zu verändern. »Zur Umsetzung der Projekte bedarf es oft ausgefeilter Tricks oder neuer, unorthodoxer Herangehensweisen«4 ... und in Sachen unorthodoxer Taktiken hat Pascale Jeannée es zu lässiger Perfektion gebracht; ihr Trickreichtum war weniger volle, immer mitgeschleppte Trickkiste, als vielmehr wie ein immer neu entstehendes Reservoir an intensiven Strömen, das die Wünsche gegen die Unterdrückung organisiert.
In den dichotomen Lieblingspaaren der kritischen Kunsttheorie zwischen Effizienz und Antieffektivität, Pragmatik und Ideologiefestigkeit, Reformismus und Revolution, Positionierung im Kunstfeld und außerhalb stellt sich WochenKlausur jeweils auf die erste Seite. Aber auch in allen diesen Dualismen ist die einseitige Selbstfestlegung mehr als Provokation zu verstehen denn als Ruhigstellung einer permanent in Bewegung befindlichen Praxis und ihrer ProtagonistInnen. An der Protagonistin Pascale Jeannée war jedenfalls leibhaft zu spüren, wie unpassend und unfruchtbar derartige Dualismen sind, wie wenig sie leisten für das Verständnis ihrer Arbeit und auch als Kategorien für eine spätere Theoretisierung, letztlich auch wie fehlgerichtet die manchmal fundamental-kritizistischen Reaktionen auf ihre Projekte, sowohl von rechter Seite und vom kunstsinnigen Feuilleton als auch von links.
Jenseits also dieser zwanghaften Dualismen stand Pascale Jeannée, mit aller Kraft und Lebensfreude, mit aller List, mit allen flinken taktischen Wendungen, im ständigen Versuch, das Werden und die Wünsche fließen zu lassen, in politisch produktive Bahnen zu lenken. In der Nacht von 16. auf 17. Juni starb sie in Vorbereitung eines WochenKlausur-Projekts in Stockholm auf einer Parkbank, wohl in Folge der andauernden übermäßigen Belastung ihres elfenhaften Körpers.
1 Pascale Jeannée, e-mail, Dienstag, 19. März 01:54
2 Félix Guattari, Gespräch über den Anti-Ödipus (gemeinsam mit Gilles Deleuze), in: Gilles Deleuze, Unterhandlungen 1972-1990, FfM 1993, S.34
3 Pascale Jeannée, Die WochenKlausur. Kunst und konkrete Intervention, in: Wolfgang Zinggl (Hg.), WochenKlausur. Gesellschaftspolitischer Aktivismus in der Kunst, S.8, s.a. http://www.eipcp.net/diskurs/d07/text/jeannee_de.html
4 ebd., S.7